Frühling aufm Balkon meiner Oma (Mitternachtsblau)

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Das Konzerthaus ist von hier nicht zu sehen
Dort gibt es Sekt in der Pause
Ladies in schillernden Roben palavern geperlt
neben exotischen Zimmerpflanzen
Ich bin mir fast sicher
In einem Artikel stand neulich:
Jeans kann man auch in der Oper tragen
Mit Bluse, Schmuck und dem richtigen Schuh…

Aber ich glaube, das gilt bloß:
Für Leute, die fein in der Innenstadt wohnen
in hohen Räumen mit viel Platz zwischen Möbeln
mit nur einem Bild an der Wand
Die wissen, was der richtige Schuh ist
und richtigen Schmuck haben sie auch

Mein Pfirsichkleid im Kasten, der knarzt:
Ich muss es laaange betrachten, bis es sich
- in der Dunkelheit (schwarz)
- unter meinem Blick (stur)
- dank meiner Einbildungskraft (stark)
gewaltsam in etwas Edles verwandelt
Der Porzellanclown im Regal kichert
über meine Sammlung Billigparfums und über
meinen hilflosen Versuch, eine Rose zu zeichnen

Wie könnte ich schlafen?
In diesem Bettzeug, zu bunt, vom Discounter
Ich will so sein wie in den Filmen, die um 20:15 Uhr laufen:
In formvollendeten Sätzen sprechen
Verliebt sein, schön und
GEKÜSST!
mit Problemen, die sich nach zwei Stunden auflösen lassen
Wie eine rollige Katze zieht es mich fort, weg, hinaus
zu diesem Mond
zum Odeur schlummernder Blumen, die träumen
in die modrige Kühle der Nacht
Dort keimt meine Hoffnung, mein Mut
Zerfällt zu Staub erst am Morgen


Was machstn da, geh endlich ins Bett!
- Oma ertappt mich –

Am Nachmittag schlürfen wir Eistee
aus hohen Gläsern mit Stiel
Wir spielen Halma, Mühle
auf dem abgewetzten Faltbrett
Dreckstarrendes Klebeband in der Mitte
hält alles noch ein bisschen zusammen
Auf dem Tischtuch für draußen aus Plastik
pappt Zuckerstaub und Blütensaft
 



 
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