Frühling unter brennenden Fahnen

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Arcos

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Die Krokusse brachen durch die kalte Erde, als wäre nichts geschehen. Als sei die Welt heil. Die Wiesen atmeten grün, als hätte kein Mensch je lügen können. Über dem jungen Gras flatterten die ersten Schmetterlinge – zart wie Wahrheit in Zeiten des Lärms.

Gleichzeitig, tausende Meilen entfernt und doch spürbar nah, entblätterte sich ein anderer Frühling: Einer der verbrannten Bücher, der geschlossenen Bibliotheken, der Richter, deren Urteile wie Pollen verweht wurden im Sturm der Verachtung. Ein Frühling, der nicht blühte, sondern brannte.

In Washington regnete es Phrasen und Kugeln. Die Demokratie, alt wie eine knorrige Eiche, stand schief im Sturm. Ihre Wurzeln umklammerten noch die Erde, doch jemand grub mit goldenem Spaten an ihrem Fundament. „America first“, raunte der Wind, doch die Vögel verstummten.

Ein Reh trat aus dem Wald, sah sich um, und roch etwas Unnatürliches in der Luft. Vielleicht war es der Rauch von Gesetzbüchern, die zu Asche wurden. Vielleicht war es das Knacken der Äste, unter denen sich Stimmen duckten, die gestern noch laut waren. Ameisen importieren Essen in ihren Staat, ganz ohne Zölle und Börsenspekulationen.

Und während irgendwo der rote Schlips vor jubelnder Menge sprach, wuchs hier im Moos ein Pilz, still und unbeachtet. Im Schatten alter Bäume, dort wo keine Kameras mehr hinfanden, begann etwas Neues zu keimen – nicht Hoffnung, nicht Resignation, sondern Widerstand in chlorophyllgrün.

Denn der Frühling ist stur.
Er wächst – auch durch Asphalt und verkrustete Ansichten.
 

Ubertas

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Lieber Önder,
das Schöne am Frühling ist, dass er jedes Jahr neu ist. Ich würde ihn nicht allein als stur bezeichnen, sondern als gewillt, zu leben.
Diese Gewilltheit verfolgen auch Trampeltiere, aber sie haben null Chlorophyll im Buckel.
Das 'in god we trust' auf seinen Dollars hatte auch einen anderen Ursprung. Er wird ohne Gottes Hilfe in den (Sonnen)untergang reiten.
Es ist nur eine Frage der Zeit. Und es bräuchte keine Opfer für die grenzenlose Verdummung. Der Frühling schafft neues, das ist sicher. Ich bin für einen Transfer in das land of dreams.
Danke für deine Worte!
Lieben Gruß
Anita
 
Hallo Arcos,
zauberhafte kleine Geschichte. Die Bilder, die Du entstehen lässt. Genial. Die Ameisen, die ohne Zölle Nahrung in ihren Bau schaffen. Jeden Tag denkt sich der Rote Schlips eine neue Scheiße aus. Wer weiß, was er noch alles in Peto hat. Wer hätte gedacht, dass es so heftig wird in Amerika. Er wird noch die ganze Weltwirtschaft ins Wanken bringen. Ein Kind, dass sie an die Macht gelassen haben. Gruß Friedrichshainerin
 

Arcos

Mitglied
Vielen Dank Anita (@Ubertas) und @Friedrichshainerin für die positive Rückmeldung.
Freut mich sehr, dass es euch gut gefallen hat.
Die Geschichte lehrt uns immer wieder: Der Mensch muss erst hinfallen und sich eine blutige Nase holen, bevor er etwas dazulernt.
Hoffen wir nur, dass es bei der blutigen Nase bleibt…

Grüße
Önder
 

anbas

Mitglied
Moin Önder,
mir gefällt der Text, vor allem auch sprachlich. Lediglich im ersten Absatz hat es für meinen Geschmack zu viele "als".
Liebe Grüße
Andreas
 



 
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