Frühlings-Highlight

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Mubarby

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Bis auf Schnittmusterbogen und Kaffeetasse war der Esstisch komplett frei. Das Nähmagazin, das sich immer allein auf Seite 93 aufschlug, lag neben Johanna auf dem Stuhl.
Die Nachricht: "arriving today" im Tracking System bezogen auf die Stoffbestellung hatte ihre Gemütslage beschwingt. Der Nähmaschinenkoffer stand noch auf dem Fußboden.
Über das Schnittmuster gebeugt, ging Johanna wieder und wieder die geplanten Arbeitsschritte durch. Spotify spielte ein Mozart-Flötenkonzert, und sie ließ es laufen.
Zu der Stoffqualität, die sie ungeduldig erwartete - zweiundsiebzig Euro pro lfd. Meter - hatte sie sich im Bruchteil einer Sekunde hinreißen lassen.

Er fände das reizvoll, hatte Connor einmal ihre Bedenken zerstreut, zu impulsiv und unkontrolliert zu handeln. "You get easily carried away in every day situations, so what!" Und das gefiele ihm nicht nur tagsüber.
Johanna hatte ihn schräg über die Schulter fixiert. "Also nachts. Sprichst du hier von Sex?"
"Woher denn!" Er schüttelte den Kopf, "brauchen wir nicht!" sagte er und nahm ihr den Korkenzieher aus der Hand.
"Wo ich herkomme, tut man sich schwer, intime Dinge beim Namen zu nennen, so sagt ihr auf Deutsch." Den Weinflaschenverschluss hatte er aufgeschraubt und sah sich nach den Gläsern um. Während er eingoss, schüttelte er wieder den Kopf "Also im Normal fall fällt es uns schwer, es sei denn..." er reichte Johanna ihr Glas "Es sein denn..." Johanna setzte fort: "man ist die königliche Familie!" Auf die Entfernung hoben sie die Gläser. "Exactly! Aber da kann man eigentlich nicht mehr von "Beim Namen Nennen" reden, das reicht in Bereiche hinein, aber gut! Auf der Sprachebene bleibe ich gern bei Andeutungen, du weißt das, dafür lasse ich auf der Handlungsebene keinen Raum für Spekulationen!" Und hatte beide Weingläser auf den Tisch gestellt.

Krachend ließ Johanna jetzt ihre Handflächen auf die Tischkante fallen. Das war laut und tat weh.
Seit Oktober war Connor weg, acht Kilo Körpergewicht Stand Ende März und soeben auch ihr Elan.
Es wird beim Halbjahres-Meeting in Liverpool einen Temperatursturz mit Regen und Hagel geben. Johanna war sicher.
Kaffee war auf das Schnittmuster mit der Abbildung "Betörend feminines Frühlings-Highlight" geschwappt.

Das Handy klingelte. Silke, ihre Freundin von gegenüber.
"Zieh endlich deine Rollos hoch! Traumwetter. Sei in zwanzig Minuten unten!"
Johannas Einwand war so kraftlos, sie glaubte ihn selbst nicht.
"Ich versteht grad fast gar nichts. Dieser verrückte Hund rastet aus hier. Der reißt die Leine vom Haken! Jo, nicht die Winterjacke, und iss was, hörst Du?"
Johanna steig über den Nähmaschinenkoffer und sah zur Uhr.
Die hereinströmende Helligkeit in der Küche ließ sie innehalten. Die Wärme tat gut, Silkes Gespür für den richtigen Moment tat gut und, dass Mozart wieder gut tat, tat gut.

Kurz darauf im Hausflur ertastete sie in der Tasche der leichten Jacke einen kartonierten Papierabschnitt, den sie im Vorbeigehen mit dem Kommentar: "Visitenkarte, unbedeutend!" in den Zwischenraum von Blumenkübel und Blumentopf schob.
Am Lift trat ihr den Paketbote mir ihrer Lieferung entgegen. Während Johanna auf dem Scanner unterschrieb, sah sie über die Schulter des jungen Mannes hinweg zu dem blühenden Kirschbaum draußen vor dem Fenster. "Da sehen Sie!" sie reckte ihr Kinn in die Höhe "Da sehen Sie ein betörendes Frühlings-Highlight!"
 
Hallo Mubarby,
es fühlt sich gut an, den Verlauf deiner Geschichte zu verfolgen : Kirschbaumblüte vor dem Fenster, Empfang des ersehnten Schnittmusters und, Mozarts Flötenkonzert tut gut- schöne Beschreibung eines Frühlings-Highlights, das alles wieder rausreißt......
Herzliche Grüße.
Horst
 



 
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