Frühlingserwachen (Haiku)

G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ein Haiku ist das nicht. Eher ein Experiment mit auseinandergerissenen Wörtern.
Wenn die Wörter nicht auseinandergerissen gelesen werden sollten, wäre die zweite Zeile eine Art von allgemeiner Aussage, die nicht in einen Haiku paßt, wo eine individuelle, flüchtige oder fast unmerkliche aber sinnlich-konkrete Situation präsentiert wird. "freut uns allesamt" ist zu allgemein, zu flach, zu vereinnahmend (denn wer will das wissen, ob wir "allesamt" davon erfreut sind, daß es draußen schüttet).
 

Rudolph

Mitglied
Lieber Mondnein!

Du bist der Geist, der stets verneint. (Deshalb nennst du dich wahrscheinlich auch Mondnein)

Die Dichtung aus einem völlig andersartigen Kulturkreis adäquat nachzuahmen ist kaum möglich.
Ich bin des Japanischen nicht mächtig und unterhalte mich mit Japanern deshalb nur auf Englisch. Trotzdem ist mir der Klang des Japanischen vertraut. Es zeichnet sich durch vorwiegend einsilbige, kurz und hart ausgesprochene Wörter aus, die nur eine More besitzen. Was tun im Deutschen? Ich habe die Worte so zerteilt, dass beim Rezitieren jeder Teil kurz und hart ausgesprochen werden kann. Das entspricht am ehesten dem Hiragana, einer Lautschrift, in dem die Haikus abgefasst sind.
Das Deutsche kennt kein Kigo. Aus diesem Grund habe ich die Jahreszeit (Frühling) explizit ausgesprochen.
Was ich darstelle, ist konkret und gegenwärtig.
Frühling freut uns allesamt sagt aus, dass nicht nur ich mich auf den Frühling freue. Weitere Mutmaßungen sind dem Leser überlassen.
Haiku bedeutet "scherzhafter Vers". Mein Scherz besteht darin, dass das charakteristische Merkmal des Frühlings (endlich schönes Wetter) justament zur Zeit nicht vorhanden ist, weil es draußen gerade - nicht bloß regnet - sondern schüttet.

Aus den genannten Gründen ist es für mich ein Haiku. Ich werde es bei Gelegenheit einem Japaner zeigen und seine Meinung einholen.

LG Rudolph
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
hier denke sich der Leser ein Pentagramm

Es ist sehr listig, mich als den "Geist, der stets verneint" zu entlarven. Wenn ich das bestätige, bin ichs, und wenn ichs verneine, bin ichs auch. Du zitierst Goethe, der im Faust den Mephisto so definiert.
Ich bin nicht Mephisto, und ich verneine nicht "stets".
Ich lasse Dir diese Verleumdung aber als argumentative List durchgehen, aus Listlust.
Es ist nett, daß Du Dein Pseudo-Haiku den des Deutschen nicht mächtigen Japanern zeigen willst. Aber hier zeigst Du es den Geistern der Leselupe, und die bejahen einiges, anderes verneinen sie, und was die einen verneinen, bejahen die anderen, und ich denke, bald melden sich die anderen, die bejahenden "all e samt" oder "all e seide", je nach d em.
 

Rudolph

Mitglied
Ich habe nunmehr die zu allgemeine Aussage (o.T. Mondnein) in der zweiten Zeile durch eine konkrete Wahrnehmung ersetzt.
Besser so?

Rudolph
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nein, das genügt nicht: die Adverbien "endlich" und "schon" passen nicht ins Haiku. Sie widersprechen der asyndetischen Knappheit, sind zu vergleichend und reflektiv, gewichten und bewerten zu sehr die Zeitverhältnisse.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Rudolph,
bei diesem Gedicht möchte ich der Einschätzung Mondneins recht geben.
Der wesentlichste Punkt: es ist zu allgemein, zu unkonkret. Und es bezieht zuviel ein. Es wertet.
"Uns allesamt" ist so ein Beispiel.
In einigem möchte ich aber auch Dir recht geben. Haiku ist eine japanische Form, man kann sie nicht ohne Weiteres übertragen.
Lange wurden sie als Epigramm oder als Ritornell übertragen.
Wir haben jetzt zwei grundlegende Schulen, die einen sagen: 5-7-5 Silben - die anderen, das stimmt nicht mit den japanischen Wortformen überein, eine Slbe ist keine More. Also halte ich die Zeile kurz, gut ist's.
Das zur Form. Bei der Form habe ich keine Einwände.

Nochmal zum Inhalt:
(Ich bin der Geist, der stets verjaint.)

end lich wird es schön - Du benennst es abstrakt.
früh ling liegt schon in der luft - auch hier eher als Behauptung.
drau ßen schütt et es - Das ist relativ konkret.

Endlich ist es schön -> Winterlinge blühen
frühling liegt schon in der Luft -> die ganze Wiese ist gelb

Bilder beschreiben, statt abstrakte (wenn auch wahre und gut verständliche abstrakte Behauptungen.

---

Ich habe es lange auch so gemacht, wie Du.
 

Rudolph

Mitglied
Hallo Bernd,

war hilfreich.

Ich habe es noch einmal geändert.
Der Hinweis auf den Frühling verbirgt sich im geschmolzenen Schnee.

LG Rudolph
 



 
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