Fünftel Jahrhundert

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jon

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Fünftel Jahrhundert

Fossil: Mein schiefriges Innen ist voller Abdrücke aus einer versunkenen Welt. Darauf ein fünftel Jahrhundert Neuzeitsand mit spitzen Steinchen und funkelndem Quarz und dem Versprechen von Bernstein. Aber der altehrwürdige ist längst aufgelesen, von Schnelleren und Erfahreneren. Bleibt nur weicher Boden, meine Spur aufzunehmen, und Wasser, sie fortzuspülen. Ich sehe Leute Beton gießen, damit ihr Strandkorb sicher steht. Andere bauen Sandburgen. Dann kommt eine neue Flut, umspült meine Füße, steht mir bis zum Hals und geht wieder. Sie nimmt mit, wer zu klein und zu leicht war. Oder zu starr, so dass die Wellen ihn umwarfen. Der liegt nun im Fünftel-Jahrhundert-Sand und wird allmählich Fossil.
 
H

Heidrun D.

Gast
Superb!

Doch, das verstehen die Yanks im Leben nicht ...:D

Vorurteilsfreie Grüße
Heidrun
 

jon

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@Lapismont
Bitter? Soll es eigentlich nicht sein, ich bin nur nicht euphorisch. War es nie. Das hat woh auch damit zu tun, dass ich in der Umbruchzeit erst "wach" wurde. Ob zufällig da oder eher wegen – keine Ahnung. Oder ich bin eben einfach ein nicht-euphorischer Mensch ...

@ Heidrun D.
Danke. *rotwerd*
 

FrankK

Mitglied
Ich kann nicht anders, ich muss einfach was sagen.

Hallo Heidrun
das verstehen die Yanks im Leben nicht
Stimme ich Dir zwölfundneunzig Prozentig zu. :)

Hallo Ulrike
Das ist ja mal was ganz anderes als SF.
Ein fein ziseliertes Werk, zusammengfügt aus den zartesten gläsernen Mosaiksteinchen. Das innerste nach aussen gekehrt, eine Kathedrale mit der Kapelle im freien.
(Gleich heb ich ab, ich war zu lange in der Zwischensphäre) :)

Der Eingang scheint mir wie eine Betonstufe.
Mein schiefriges Innen
Ich habe eine ganze Weile an dem Bild gekaut. Keine Ahnung, ob der Groschen bei anderen schneller gefallen ist oder ob es nur an der vorgerückten Stunde liegt.
Ein "schiefernes Inneres" drängt sich mir irgendwie auf. Keine Ahnung ob es grammatisch korrekt abgeleitet ist, klingt aber (für mich) etwas wohlgefälliger.

Ansonsten schließe ich mich Heidrun an: Superb!


Viele Grüße
Frank
 

jon

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Teammitglied
Danke, Frank.
"Das ist ja mal was ganz anderes als SF. " Jau! SF ist zwar meine literarische Heimat, aber ich reise – zumindest schreiberisch - ganz gern mal.

Ich kenn das Wort als "schiefrig" – sowohl im Sinne "(schichtweise) wie das Gestein Schiefer", aber auch (aber das ist wohl ein regionaler Ausdruck) wenn man sich daran leicht Schiefer (= (Holz-)Splitter) zuziehen kann, ich meine "(Holz-)Schiefer in die Haut bekommt". "Schiefern" beschränkt sich meinem Empfinden nach auf "aus dem Gestein Schiefer".
 
H

Heidrun D.

Gast
Also, ich kenne das Wort "schiefrig" (in seiner Doppelbedeutung) auch. ;)

Thomas Mann verwandte es, glaube ich, einmal in seiner Novelle "Tobias Mindernickel" ("schiefriger Blick"), aber eben in anderer Auslegung. -

Je öfter ich dein Kleinod lese, desto besser gefällt es mir.
Wirklich überragend gut!

Liebe Grüße
Heidrun
 

FrankK

Mitglied
Guten Morgen Ulrike

Von Schiefer im Sinne von "Holzsplitter" habe ich noch nie gehört. Ist wohl ein regionaler Ausdruck so wie Knifte, Bemme, Stulle für ein belegtes Brot.
Ich frage mich nur, wie man so etwas ins Englische/Amerikanische übersetzen will. :)

Mit "schiefern" muss ich Dir recht geben, im Licht des Tages wirkt es zu sehr nach "grauer Farbe".

Also vergiss meine Anmerkungen.
In Ordnung so.

Viele Grüße aus Westfalen
Frank
 
S

suzah

Gast
hallo jon,
ich finde den text wunderschön!

aber der bezug zum mauerfall ist für mich nicht ganz zu erkennen, es könnte auch etwas anderes sein.

lieb grüße suzah
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Nö! Vergess ich nicht, nehm ich als "Erfahrung mit diesem Wort" mit. Die Übersetzung ist zum Glück nicht mein Problem – ich kann mit etwas, was dann doch eher "schiefern" entspräche, auch gut leben.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo suzah,
stimmt, es ist nicht soo spezifisch – könnte auch ein anderer gravierender Umbruch sein. Sogar – wenn man etwas Luft ranlässt – ein "nur" persönlicher. Erst im Kontext entsteht die besondere Aussage. Muss ich mir merken, falls ich den Text mal irgendwo anders einsetzen will, dass ich diesen Kontext dann irgendwie mitliefre ...
 
S

Spaetschreiber

Gast
Liebe Jon,

Ich hab mal was an deinen letzten Satz angefügt.
Den verstehn die Amis 1000 %ig.
Was meinst du?
_____________________________
Der liegt nun im Fünftel-Jahrhundert-Sand und wird allmählich Fossil. Kinder erobern lachend die Reste vom Beton.
_____________________________

LG
Tom
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo Tom,
das wär eine Utopie, die weit über den Zeitraum hinausreicht, den ich im Text meine, und sogar über den, den ich sehen kann. Hoffen vielleicht, aber daran glauben … ? Eher nicht.
 
H

Heidrun D.

Gast
Außerdem fände ich es ganz entsetzlich, wenn nun in jedem Text das Wort "Mauer" vorkäme. Das nähme selbst dem Hartgesottensten die Lust an der Anthologie.

Ich meine, wenn die überhaupt jemand lesen sollte ... :D

Liebe Grüße
Heidrun
 

jon

Mitglied
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Textlöschung wegen Accountaufgabe
Gemäß der Lupenregeln bleiben die Kommentare erhalten.
 

jon

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Fünftel Jahrhundert

Fossil: Mein schiefriges Innen ist voller Abdrücke aus einer versunkenen Welt. Darauf ein fünftel Jahrhundert Neuzeitsand mit spitzen Steinchen und funkelndem Quarz und dem Versprechen von Bernstein. Aber der altehrwürdige ist längst aufgelesen, von Schnelleren und Erfahreneren. Bleibt nur weicher Boden, meine Spur aufzunehmen, und Wasser, sie fortzuspülen. Ich sehe Leute Beton gießen, damit ihr Strandkorb sicher steht. Andere bauen Sandburgen. Dann kommt eine neue Flut, umspült meine Füße, steht mir bis zum Hals und geht wieder. Sie nimmt mit, wer zu klein und zu leicht war. Oder zu starr, so dass die Wellen ihn umwarfen. Der liegt nun im Fünftel-Jahrhundert-Sand und wird allmählich Fossil.
 



 
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