Gabys Geburtstag
(überarbeitete Fassung vom 27.12.2002)
Gaby ist das, was man eine treue Freundin nennt. Hilfsbereit, immer mit einem offenen Ohr für die Sorgen ihrer Mitmenschen. Immer heißt: dann wenn sie erreichbar ist. Aber das ist sie fast nie. Sie hat nämlich eine Telefonphobie. Ihre Freunde sind der Verzweiflung nahe. Keiner hat sie jemals ans Telefon bekommen. Früher gelang es schon mal, als sie noch keinen Anrufbeantworter hatte. Unglücklicherweise schenkte Schwager Helmut ihr vor zwei Jahren einen zum Geburtstag. Seitdem hat sie nie mehr das Telefon abgenommen, wenn es klingelte. Wir sind also gezwungen, unser Anliegen einer Maschine mitzuteilen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn sie darauf reagieren würde. Aber das tut sie nur im äussersten Notfall. In ihrer verbindlichen Art möchte Gaby niemand vor den Kopf stoßen und hat höllische Angst, Stellung zu beziehen. So tut sie lieber gar nichts und lässt die Dinge auf sich zukommen.
Alle vier bis sechs Monate überrascht Gaby ihre Freunde mit einem Anruf. Die Freude ist groß, endlich Gabys Stimme im Original zu hören. Sie entschuldigt sich tausendmal mit den Worten, dass es keine Entschuldigung dafür gibt, warum sie sich nicht früher gemeldet hat. Wer kann ihr da noch böse sein. Vor allem, weil sie jetzt alles nachholt, was so lange ungesagt blieb. Wenn Gaby anruft, ist es am besten, zwischendurch mit dem Zweittelefon alle Termine abzusagen, einen Babysitter zu bestellen, den Videorecorder zu programmieren und den Pizzadienst anzurufen, weil man ohnehin nicht mehr zum Kochen kommt. Gaby könnte die Erfinderin der kompakten Lebensart sein. Warum 30 mal etwas tun, was man auf einmal erledigen kann. Deshalb muss man sich auf drei bis fünf Stunden Telefonmarathon einstellen, wenn Gaby endlich anruft. Aber wir tun es gerne, denn Gaby versteht es, interessant zu plaudern und man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Einmal wunderte ich mich, warum der Wecker plötzlich klingelte. Als ich auf die Uhr sah, war es halb sechs, Zeit um aufzustehen.
Gaby hatte wieder Geburtstag. Das ist ein Ereignis, welches wir alle freudig erwarten, denn ihre Geburtstagsfeier ist stets perfekt organisiert. Da kommt das Beste auf den Tisch, was Küche und Keller zu bieten haben. So war es auch diesmal. Schwedische Smörgåsar, Kentucky fried chicken mit farmerpotatoes, Norwegische Lachspastete, frische Salate in allen Variationen, dazu die herrlichsten Dressings und eine Kuchentheke, die unter den Kalorien buchstäblich in die Knie ging. Nicht zu vergessen: die erlesensten Getränke von Champagner bis Burgunder, von den verschiedensten Aperitifs bis zum frisch gepressten Apfelsinensaft. Daneben natürlich auch Durstlöscher wie Bier oder Mineralwasser. Gaby möchte es eben allen recht machen und es war ihr wieder mal gelungen. Die Feier war wunderschön und harmonisch. Gaby war glücklich, bis zu dem Augenblick, als sie das Geschenk ihres Schwagers Helmut auspackte.
Erwartungsvoll schauten wir zu, wie sie die Schleife aufknüpfte, das Geschenkpapier von dem kleinen Karton löste und diesen öffnete. Als wir den Inhalt erkannten, jubelten wir spontan und lobten Helmut für seine gute Idee. Nur Gabys Gesicht war wie versteinert. Sie rang sichtlich nach Fassung und rief schließlich entsetzt aus:
"Was soll ich denn mit einem Handy? Mein Telefon ist ja schon furchtbar genug. Nein, das benutze ich nicht! Stellt euch mal vor, das klingelt plötzlich in der Bahn, oder beim Einkaufen. Ich mach mich doch nicht lächerlich. Nein, nein nein! Das ist nichts für mich."
Wir versuchten sie umzustimmen und ihr die Vorteile eines Handys schmackhaft zu machen. Wir brachten im Chor unsere Freude zum Ausdruck, sie jetzt besser erreichen zu können. Wir sagten ihr, dass sie die Letzte in unserer Runde gewesen war, die noch kein Handy besaß und dass es einfach ein Muss ist, heutzutage mobil telefonieren zu können und überall erreichbar zu sein. Umsonst. Gaby blieb uneinsichtig. Unterdessen schrieben wir alle wie wild die Nummer auf, die Helmut uns vorlas. Das brachte ihn endgültig bei Gaby in Missgunst.
Helmut hatte einfach kein Händchen mit den Geschenken für Gaby. Dabei wollte er doch nur wieder gutmachen, was er uns vor zwei Jahren mit Gabys Anrufbeantworter angetan hatte. Aber wir sollten uns irren. Heute traf ich Gaby und erkundigte mich nebenbei, wie sie mit ihrem Handy zurecht kommt. "Gut", antwortete sie. "Zwar habe ich noch nicht damit telefoniert, aber die Kommunikation per SMS ist einfach super."
(überarbeitete Fassung vom 27.12.2002)
Gaby ist das, was man eine treue Freundin nennt. Hilfsbereit, immer mit einem offenen Ohr für die Sorgen ihrer Mitmenschen. Immer heißt: dann wenn sie erreichbar ist. Aber das ist sie fast nie. Sie hat nämlich eine Telefonphobie. Ihre Freunde sind der Verzweiflung nahe. Keiner hat sie jemals ans Telefon bekommen. Früher gelang es schon mal, als sie noch keinen Anrufbeantworter hatte. Unglücklicherweise schenkte Schwager Helmut ihr vor zwei Jahren einen zum Geburtstag. Seitdem hat sie nie mehr das Telefon abgenommen, wenn es klingelte. Wir sind also gezwungen, unser Anliegen einer Maschine mitzuteilen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn sie darauf reagieren würde. Aber das tut sie nur im äussersten Notfall. In ihrer verbindlichen Art möchte Gaby niemand vor den Kopf stoßen und hat höllische Angst, Stellung zu beziehen. So tut sie lieber gar nichts und lässt die Dinge auf sich zukommen.
Alle vier bis sechs Monate überrascht Gaby ihre Freunde mit einem Anruf. Die Freude ist groß, endlich Gabys Stimme im Original zu hören. Sie entschuldigt sich tausendmal mit den Worten, dass es keine Entschuldigung dafür gibt, warum sie sich nicht früher gemeldet hat. Wer kann ihr da noch böse sein. Vor allem, weil sie jetzt alles nachholt, was so lange ungesagt blieb. Wenn Gaby anruft, ist es am besten, zwischendurch mit dem Zweittelefon alle Termine abzusagen, einen Babysitter zu bestellen, den Videorecorder zu programmieren und den Pizzadienst anzurufen, weil man ohnehin nicht mehr zum Kochen kommt. Gaby könnte die Erfinderin der kompakten Lebensart sein. Warum 30 mal etwas tun, was man auf einmal erledigen kann. Deshalb muss man sich auf drei bis fünf Stunden Telefonmarathon einstellen, wenn Gaby endlich anruft. Aber wir tun es gerne, denn Gaby versteht es, interessant zu plaudern und man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Einmal wunderte ich mich, warum der Wecker plötzlich klingelte. Als ich auf die Uhr sah, war es halb sechs, Zeit um aufzustehen.
Gaby hatte wieder Geburtstag. Das ist ein Ereignis, welches wir alle freudig erwarten, denn ihre Geburtstagsfeier ist stets perfekt organisiert. Da kommt das Beste auf den Tisch, was Küche und Keller zu bieten haben. So war es auch diesmal. Schwedische Smörgåsar, Kentucky fried chicken mit farmerpotatoes, Norwegische Lachspastete, frische Salate in allen Variationen, dazu die herrlichsten Dressings und eine Kuchentheke, die unter den Kalorien buchstäblich in die Knie ging. Nicht zu vergessen: die erlesensten Getränke von Champagner bis Burgunder, von den verschiedensten Aperitifs bis zum frisch gepressten Apfelsinensaft. Daneben natürlich auch Durstlöscher wie Bier oder Mineralwasser. Gaby möchte es eben allen recht machen und es war ihr wieder mal gelungen. Die Feier war wunderschön und harmonisch. Gaby war glücklich, bis zu dem Augenblick, als sie das Geschenk ihres Schwagers Helmut auspackte.
Erwartungsvoll schauten wir zu, wie sie die Schleife aufknüpfte, das Geschenkpapier von dem kleinen Karton löste und diesen öffnete. Als wir den Inhalt erkannten, jubelten wir spontan und lobten Helmut für seine gute Idee. Nur Gabys Gesicht war wie versteinert. Sie rang sichtlich nach Fassung und rief schließlich entsetzt aus:
"Was soll ich denn mit einem Handy? Mein Telefon ist ja schon furchtbar genug. Nein, das benutze ich nicht! Stellt euch mal vor, das klingelt plötzlich in der Bahn, oder beim Einkaufen. Ich mach mich doch nicht lächerlich. Nein, nein nein! Das ist nichts für mich."
Wir versuchten sie umzustimmen und ihr die Vorteile eines Handys schmackhaft zu machen. Wir brachten im Chor unsere Freude zum Ausdruck, sie jetzt besser erreichen zu können. Wir sagten ihr, dass sie die Letzte in unserer Runde gewesen war, die noch kein Handy besaß und dass es einfach ein Muss ist, heutzutage mobil telefonieren zu können und überall erreichbar zu sein. Umsonst. Gaby blieb uneinsichtig. Unterdessen schrieben wir alle wie wild die Nummer auf, die Helmut uns vorlas. Das brachte ihn endgültig bei Gaby in Missgunst.
Helmut hatte einfach kein Händchen mit den Geschenken für Gaby. Dabei wollte er doch nur wieder gutmachen, was er uns vor zwei Jahren mit Gabys Anrufbeantworter angetan hatte. Aber wir sollten uns irren. Heute traf ich Gaby und erkundigte mich nebenbei, wie sie mit ihrem Handy zurecht kommt. "Gut", antwortete sie. "Zwar habe ich noch nicht damit telefoniert, aber die Kommunikation per SMS ist einfach super."