Gänseblümchen
„Mama, sieh nur!“, jauchzte Lisa. „Überall die vielen Gänseblümchen!“
Frau Landowski war mit ihrer kleinen Tochter auf einem Spaziergang durch den Stadtpark. Unwillig blickte sie in die gewiesene Richtung. „Jaja,“, brummte sie, „überall siehst du Blümchen.“
Während das Kind zur nächsten Wiese lief, dachte die Mutter wieder an ihre Sorgen. Sie war arbeitslos, alleinstehend, hatte Mietschulden und keinerlei Möglichkeit eines Nebenverdienstes. Woher nur Geld nehmen? Lisa wuchs aus allen Kleidern heraus! Lebensmittel und Spielzeug sollte es auch geben, aber wovon? Nervös zündete sie sich eine Zigarette an.
Sie hatte versucht, als Aushilfskellnerin etwas dazu zu verdienen. Anfangs ging auch immer alles gut. Aber spätestens in der zweiten Woche zeigten sich die Teufelshufe: im Speiserestaurant dauerte die Arbeitszeit zehn Stunden, bezahlt wurden nur acht. Und die Überstunden abzubummeln wurde nicht gestattet. Selbst für die gewerkschaftlich festgelegten Pausen war oft keine Zeit. Der Inhaber meinte: „Für die Überstunden werden Sie doch durch das Trinkgeld von den Gästen reichlich entlohnt.“
Danach kellnerte sie bei einem Türken. Da war nicht viel Arbeit und die Stunden stimmten samt Stundenlohn. Aber die Gäste wurden oft aufdringlich. Jedenfalls empfand sie es so. Sie verstand ja das türkische Gerede nicht. Das Letzte aber war die deutsche Kneipe. Hier stimmten die Stunden und der Lohn, sie konnte gut mit den Gästen umgehen und bekam reichlich Trinkgeld. Aber der Wirt rückte ihr immer mehr auf die Pelle. Er wollte ihr viel Geld geben, wenn sie lieb zu ihm ist. Sie sah in ihm eine fetttriefende Qualle, niemals würde sie ertragen können, dass er sie berührte. Doch jetzt, wo die Not so groß war – sollte sie vielleicht doch zur Schlampe werden, nur, weil sie dummerweise ein Kind hatte?
Und wieder jubelte die Kleine: „Schau, Mutti, hier wachsen noch ganz andere Blümchen!“
Frau Landowski hatte keinen Blick dafür. Hatte sie auch nicht, als das Kind am Morgen behauptete, dass der Baum auf dem Hof lauter kleine Blümchen hat. Der Baum auf dem Hof ist nämlich eine Kastanie und seine prachtvollen Kerzen waren schon abgefallen. Aber auf dem Hinterhof steht ein Bäumchen, das ganz mit kleinen roten Blümchen übersät ist. Wenn Frau Landowski auf diesen Hof schaut, dann nur, um ihre Tochter zu rufen, aber nicht, um etwaige Bäume zu betrachten.
Nur, um irgendetwas zu sagen, spottete die Mutter: „Du bist richtig verrückt mit deinen Blümchen. Ich sehe schon, wenn du mal heiratest, dann nicht in Weiß, wie es sich gehört, sondern in Blümchen, hahaha. Und wer weiß, wer dann der Mann an deiner Seite sein wird. Höchstwahrscheinlich das Kasperle.“
Lisa wusste nicht, ob sie dazu lachen oder weinen sollte. Sie wollte doch nur, dass die Mama auch ein bisschen Freude hat. Aber auslachen ist nicht freuen. Sie nahm die Hand ihrer Mutter, nicht nur, weil sie am Parkausgang angekommen waren.
Nachdem sie eine große Kreuzung überquert hatten, kamen sie an einem Indischen Restaurant vorbei. Dort wurde gerade eine Hochzeit gefeiert. Der Bräutigam war ein stattlicher junger Mann mit brauner Haut und blitzenden Augen. Lisa warf ihm bewundernde Blicke zu. Die Braut aber trug einen farbenfroh geblümten Sari. Obwohl Frau Landowski ihre Tochter rasch weiterzerrte, war das „Unglück“ schon geschehen: Lisa hatte ein wunderschönes, geblümtes Brautkleid gesehen und einen stolzen Bräutigam.
Und die Moral von der Geschicht: Wem Gänseblümchen keine Rosen sind, der verdient die Sonne nicht!
Mai 2003
„Mama, sieh nur!“, jauchzte Lisa. „Überall die vielen Gänseblümchen!“
Frau Landowski war mit ihrer kleinen Tochter auf einem Spaziergang durch den Stadtpark. Unwillig blickte sie in die gewiesene Richtung. „Jaja,“, brummte sie, „überall siehst du Blümchen.“
Während das Kind zur nächsten Wiese lief, dachte die Mutter wieder an ihre Sorgen. Sie war arbeitslos, alleinstehend, hatte Mietschulden und keinerlei Möglichkeit eines Nebenverdienstes. Woher nur Geld nehmen? Lisa wuchs aus allen Kleidern heraus! Lebensmittel und Spielzeug sollte es auch geben, aber wovon? Nervös zündete sie sich eine Zigarette an.
Sie hatte versucht, als Aushilfskellnerin etwas dazu zu verdienen. Anfangs ging auch immer alles gut. Aber spätestens in der zweiten Woche zeigten sich die Teufelshufe: im Speiserestaurant dauerte die Arbeitszeit zehn Stunden, bezahlt wurden nur acht. Und die Überstunden abzubummeln wurde nicht gestattet. Selbst für die gewerkschaftlich festgelegten Pausen war oft keine Zeit. Der Inhaber meinte: „Für die Überstunden werden Sie doch durch das Trinkgeld von den Gästen reichlich entlohnt.“
Danach kellnerte sie bei einem Türken. Da war nicht viel Arbeit und die Stunden stimmten samt Stundenlohn. Aber die Gäste wurden oft aufdringlich. Jedenfalls empfand sie es so. Sie verstand ja das türkische Gerede nicht. Das Letzte aber war die deutsche Kneipe. Hier stimmten die Stunden und der Lohn, sie konnte gut mit den Gästen umgehen und bekam reichlich Trinkgeld. Aber der Wirt rückte ihr immer mehr auf die Pelle. Er wollte ihr viel Geld geben, wenn sie lieb zu ihm ist. Sie sah in ihm eine fetttriefende Qualle, niemals würde sie ertragen können, dass er sie berührte. Doch jetzt, wo die Not so groß war – sollte sie vielleicht doch zur Schlampe werden, nur, weil sie dummerweise ein Kind hatte?
Und wieder jubelte die Kleine: „Schau, Mutti, hier wachsen noch ganz andere Blümchen!“
Frau Landowski hatte keinen Blick dafür. Hatte sie auch nicht, als das Kind am Morgen behauptete, dass der Baum auf dem Hof lauter kleine Blümchen hat. Der Baum auf dem Hof ist nämlich eine Kastanie und seine prachtvollen Kerzen waren schon abgefallen. Aber auf dem Hinterhof steht ein Bäumchen, das ganz mit kleinen roten Blümchen übersät ist. Wenn Frau Landowski auf diesen Hof schaut, dann nur, um ihre Tochter zu rufen, aber nicht, um etwaige Bäume zu betrachten.
Nur, um irgendetwas zu sagen, spottete die Mutter: „Du bist richtig verrückt mit deinen Blümchen. Ich sehe schon, wenn du mal heiratest, dann nicht in Weiß, wie es sich gehört, sondern in Blümchen, hahaha. Und wer weiß, wer dann der Mann an deiner Seite sein wird. Höchstwahrscheinlich das Kasperle.“
Lisa wusste nicht, ob sie dazu lachen oder weinen sollte. Sie wollte doch nur, dass die Mama auch ein bisschen Freude hat. Aber auslachen ist nicht freuen. Sie nahm die Hand ihrer Mutter, nicht nur, weil sie am Parkausgang angekommen waren.
Nachdem sie eine große Kreuzung überquert hatten, kamen sie an einem Indischen Restaurant vorbei. Dort wurde gerade eine Hochzeit gefeiert. Der Bräutigam war ein stattlicher junger Mann mit brauner Haut und blitzenden Augen. Lisa warf ihm bewundernde Blicke zu. Die Braut aber trug einen farbenfroh geblümten Sari. Obwohl Frau Landowski ihre Tochter rasch weiterzerrte, war das „Unglück“ schon geschehen: Lisa hatte ein wunderschönes, geblümtes Brautkleid gesehen und einen stolzen Bräutigam.
Und die Moral von der Geschicht: Wem Gänseblümchen keine Rosen sind, der verdient die Sonne nicht!
Mai 2003