Gavdos, Joseppe

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Hudriwurz

Mitglied
Hudriwurz (Emanuel W. Kury)
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[ 3]Die Sonne kitzelt Joseppe sanft an der Nase und drängt sich in seine Träume; flüstert von einem neuen Tag, der auf ihn wartet und mit ihm spielen will.
[ 3]Sie sticht durch eine Lücke im Blattwerk und zeigt ihr freundlichstes Gesicht dabei. Sie ändert ihren Gesichtsausdruck mehrmals täglich von "lieblich" bis "unbarmherzig", aber deutlich und nicht immer wirkt sie nett und wohlwollend dabei. Der Himmel zeigt sich, wie üblich, ganz in Blau und Flugzeuge hatten schon ausgiebig damit begonnen, Muster in ihn zu kratzen. Die Muster folgen keinem erkennbaren System und verschwimmen in immer breiter werdende blass weiße Streifen, die sich langsam auflösen. Tatsächlich sind wohl am Ende der einzelnen Striche, wenn man sie gedanklich verlängert, Orte, an denen Menschen leben, die an die Plätze gelangen wollen, die an den anderen Enden der Linien liegen.
[ 3]Joseppe taucht aus einer Sehnsuchtswelt auf um gleich, mit geöffneten Augen diesmal, in Tagträume zu versinken. Er starrt in den zerfurchten, ursprünglich makellos blauen Himmel und denkt an die Menschen, die in den Kisten sitzen, die die Striche verursachen.
[ 3]»Welchen Missionen sie wohl folgen?« rätselt er und lässt die Zügel seiner Fantasie locker schleifen.
[ 3]Die Sonne fühlt zu wenig Aufmerksamkeit und steigert ihre Intensität. Sie steigt, wie sie das an jedem Sommertag tut, einfach hoch und wirft ihre Stacheln, die eben noch wärmende Strahlen waren, auf Joseppe.
[ 3]»genug, der Muse!« ruft Joseppe laut und springt aus seinem Nachtlager hoch. Niemand hört oder sieht seinen Energieausbruch hier. Unter dem Baum, der seinen Schlaf durch die Nacht begleitet hatte, beginnt es langsam warm zu werden.
[ 3]Der Strand ist nicht weit entfernt und die Wellen, die rhythmisch und unermüdlich am Ufer zerbrechen; dabei nach dem trockenen Sand lecken, der eine großartige, aber unerreichbare Köstlichkeit für sie zu sein scheint, betören und betäuben mit ihrer Ausdauer.
[ 3]Joseppe und der neue Tag haben sich gefunden, doch es steht noch nicht fest, was sie miteinander tun werden. Die hartnäckigen, täglich gleichen Rituale haben sich bereits angemeldet und für Joseppe wird es eine Herausforderung, sie nicht die Oberhand über den Tag gewinnen zu lassen.
[ 3]Einfach laufen lassen, ist ein guter Plan, doch dabei aufmerksam die stets gleichen Rhythmen beobachten und sie daran hindern, den Tag gänzlich zu bestimmen.
[ 3]Joseppe mag keine Rituale und er will sich an nichts gewöhnen. Nach seinem Empfinden rauben die Gewohnheiten den wertvollen Momenten die Seele. Für ihn gibt es kaum eine grauenvollere Vorstellung als die, von Gewohnheit zur Belanglosigkeit verstümmelter, wunderbarer Momente, die irgendwann voll Glanz und Licht überwältigten, belebten und Energie schenkten.



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[ 3]Weiter unten am Strand, wo die Häuserreihe beginnt hat sich eine kleine Menschenmenge zusammengefunden und bespricht lautstark und wild gestikulierend eine offen- sichtlich aufregende Begebenheit. Joseppe versteht nur Bruchstücke davon und findet es auch nicht der Mühe wert, sich um genaueres Verstehen zu kümmern. Nico, der am Ende der Häuserreihe eine Taverne besitzt; etwas übergewichtig ist; dessen Frau, die er vom Festland auf die Insel geholt hatte und ihm erst vor Wochen einen Sohn geboren hat, scheint der Auslöser der aufgeregten Diskussion zu sein. Jedenfalls spricht er am lautesten und meistens. „Insel“, „Gauner“, „finden“, „Baum“, sind die wenigen Wortfetzen, die Joseppe versteht und die ihn letztendlich so neugierig machen, dass er doch beschliesst, sich anzukleiden und sich zu der aufgeregten Menge zu begeben.
Joseppe zieht sich eilig an, vergisst den Strohhut dieses Mal nicht und eilt barfuß durch den, gerade noch erträglich temperierten Sand zur Menschengruppe. Die Sprache, die von den aufgeregten Leuten gesprochen wird, ist für Joseppe kaum zu verstehen. Erst nach längerer Zeit und nach geduldigem Zuhören, kann er sich letztendlich zusammenreimen, worum es in der Angelegenheit geht. Der Freak, der auf der anderen Seite der Bucht sein Lager, sein Nest eingerichtet hat, wird verdächtigt, in Nico’s Geschäft eingebrochen zu sein.
[ 3]Bei dem Geschäft handelt es sich um einen kleinen Raum, der seit dem letzten Gewitter, bei dem sein Fundament vom vorbeifliessenden Bächlein fortgerissen wurde, auf wackeligen Stelzen steht. Von außerhalb des Raumes, der an die Taverne angebaut ist, sieht es so aus, als müßte die Konstruktion bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erneut in das Bachbett stürzen. Das Innere des Raumes ist, seit der letzten Katastrophe wieder voll von Waren aller Art und nichts deutete darauf hin, dass das nächste Unglück nicht weit entfernt bereits wartet. Das Bachbett selbst ist in den Sommermonaten kaum als solches zu erkennen. Es ist nichts weiter als eine trockene Furche, die man sich nur mit reger Phantasie wassergefüllt vorstellen kann. Tatsächlich aber, und dieser Tag kommt mit Sicherheit, wird darin eine Sturzflut Richtung Meer donnern, der kaum etwas standhalten wird können. Nico kümmert das nicht sonderlich; er ist zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Sein Sohn Jannis, der ihm alles bedeutet, die Organisation der Taverne und des kleinen Ladens. Hier auf der Insel müssen die Dinge weit vorausschauend organisiert werden. Die Fähre legt nur zwei Mal wöchentlich an und Dinge, die man benötigt oder irgendwann benötigen wird, müssen rechtzeitig von der Fähre geliefert werden. Starker Wind verhindert zudem manchmal das Anlegen der Fähre, da die Reederei, mangels Umsatz, nur altersschwache, ausrangierte Fähren zur Insel schickt.
[ 3]Niko lebt sein Leben mehr oder weniger glücklich. Die Frau, die ihm einen Sohn gebar, verweigert seit der Geburt von Jannis, jeden körperlichen Kontakt zu ihm, womit er langsam zu leben lernt. Einen Sohn gezeugt zu haben, macht ihn stolz und entschädigt ihn für Vieles. Elli, seine Frau, würde nicht einfach verschwinden können. Auf einer Insel zu leben macht Vieles schwer und vieles einfach und überschaubar. Bei der Fährstation, die die Nabelschnur der Insel bedeutet, treffen sich zu den Ankunftszeiten der Fähre ziemlich alle Inselbewohner, um einerseits Dinge abzuholen und andererseits um zu sehen, welche Migration statt findet. Es wäre für eine, mit einem Inselbewohner verheiratete Frau, unmöglich, die Insel spontan zu verlassen. Schon gar nicht mit einem Kind. Nico fühlte sich dadurch in gewisser Weise sicher und mit sich selbst zufrieden. Er hatte sein Soll erreicht und seine Energie investiert er nun größtenteils in die Sache, seinem Sohn eine gute Zukunft zu ermöglichen. Joseppe, der schon seit einem halben Jahr auf der Insel lebt und von den Inselbewohnern mittlerweile akzeptiert wird, oder zumindest nicht als ‚Underdog‘ unterster Stufe angesehen wird, wird von den Versammelten begrüßt und man befragt ihn gleich, ob er in der letzten Nacht etwas außergewöhnliches beobachtet hätte.
[ 3]»Mir ist nichts aufgefallen« antwortet Joseppe und erkundigt sich nach dem Grund der Versammlung.
[ 3]»Wir werden die ganze Insel absuchen und wenn wir ihn finden, gnade ihm Gott.« murmelt Nico in die Runde.

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[ 3]Das Leben auf der Insel war an diesem Tag anders als sonst. Jeder schien nach dem vermeintlichen Dieb zu suchen. Sogar der Bürgermeister der Insel hat sich zur Gruppe gesellt und hilft bei der Suche. Nico zieht wortlos zum Lager des Gesuchten. Dort angekommen trifft er niemanden und findet Verpackungen verstreut, die seiner Meinung nach nur von Dingen stammen konnten, die aus seinem Geschäft stammten. Die Wut in ihm steigt. Fluchend, mit einer Schaufel bewaffnet sucht er nach Spuren im Sand, die ihm verraten würden, in welche Richtung der Dieb gezogen war. Wie er vermutet hatte, wies ihm eine Fährte den Weg zur Kneipe, die als Treffpunkt für ‚Underdogs‘ verrufen ist und in der nächsten Bucht liegt.Wutgeladen klettert Nico über einen Steinwall, der die Strände von einander trennt. Er spaziert den Strand entlang, schwingt dabei die Schaufel und sieht vor der Taverne ein Bündel gebückter, energieloser Gestalten. Er nähert sich der Gruppe und nach wortlosem Gruß deutet er auf den Gesuchten und meint:
[ 3]»Ich brauche einen Arbeiter. 5 Euro pro Stunde. Eine Mauer soll errichtet werden. Willst Du?«
[ 3]»Wie lange soll das dauern?» erkundigt sich der vermeintliche Täter interessiert und blinzelt aus dem Augenwinkel zu Nico hoch.
[ 3]»Zwei Wochen etwa, aber das sehen wir dann noch.« räuspert Nico und will den Mann, der in dem Moment zum Opfer wird, gleich mitnehmen. »gehen wir!«
[ 3]Beide wandern auf Nico‘s Spuren zurück und überwinden den Steinwall. Nico blickt sich um, um sich zu vergewissern, dass sie von der Taverne aus nicht mehr gesehen werden können. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und keine Menschenseele verlässt um diese Tageszeit freiwillig einen halbwegs angenehmen Ort. Nico sieht die Gelegenheit gekommen. Er holt mit der Schaufel aus und zertrümmert damit den Schädel des Unglücklichen. Begleitet von einem lauten, metallischen Klirren, geht der Mann zu Boden. Nico legt noch einen Hieb nach, der den Kopf des Opfers platt drückt und das Gesicht zu einer Fratze entstellt.
[ 3]Nico hält sich nicht lange auf und beginnt gleich damit, eine Grube auszuheben. Er ist mehr als eine Stunde lang damit beschäftigt und verliert sehr viel Schweiß dabei. Er hebelt den leblosen Körper über den Rand der Grube und von einem dumpfen Geräusch begleitet versinkt der Kadaver im Loch. Nico kratzt die verfänglichen Spuren nach und beginnt gleich damit, die Grube mit Sand voll zu füllen.
[ 3]Nach einer halben Stunde ist von dem ganzen Spuk nichts mehr zu sehen und Nico macht sich auf den Heimweg.
[ 3]Bei der Taverne angekommen, trifft er auf die Suchmannschaft, stellt seine Schaufel an die Wand und meint: »Wir müssen ihn nicht mehr weiter suchen.« wortlos nickend, scheinen alle verstanden zu haben und die Gemeinschaft beginnt sich aufzulösen.
[ 3]Die folgenden Tage verlaufen in gewohnter Routine und niemand spricht über die Angelegenheit. Sie wurde einfach auf die, auf der Insel gewohnten Art, gelöst. Nico‘s Leben schreitet weiter seinen unaufgeregten Gang und die Inselbewohner verfolgen, jeder für sich, ihre Angelegenheiten.

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[ 3]Joseppe verbringt die Tage damit, sich Tagträumen hinzugeben und freut sich über das Gedeihen seiner Gemüsepflanzen. Eines Morgens jedoch, glaubt Joseppe, die Wiederholung eines Tages zu erleben, der ihm noch dunkel in Erinnerung ist. Bei der Häuserreihe hat sich wieder eine kleine Menschenmenge gebildet. Es wird wieder lautstark geschimpft und es wird in unterschiedliche Richtungen gedeutet. Joseppe interessiert der Tumult nicht und er beschäftigt sich weiter mit seinen Pflanzen. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie sich die Gruppe auflöst und die Männer in unterschiedliche Richtungen streben. Der korpulenteste von Ihnen - es muß wohl Nico sein - schwenkt seine Schritte schaufelschwingend in Joseppes Richtung.



Ende​
 

fion

Mitglied
Hi Hudriwurz,

eine fast schon paralysierende Geschichte. Da möchte man nicht leben müssen, und schade um Joseppe.

Leider stecken darin viele Dopplungen, die, wenn sie verschwunden sind, den Text flüssiger machen.

Irgendwann bin ich dann über die Perspektive gestrauchelt.
Ich bin in den Dingen nicht besonders gut, außerdem souffliert mein Kopf ewig Sachen, die gar nicht zu lesen sind - deshalb dachte ich (warum auch immer) aus Joseppes Sicht wäre es geschrieben.
Im Grunde hast du die Perspektive eines fliegenden Monitors genutzt - nur manchmal warst du sehr nah an Joseppe dran.
Ist jetzt nur ein Vorschlag (wie alles was ich schreibe) - (und vielleicht zu abgedreht), aber, wenn es doch schon unter der Sonne geschieht, die du auch so oft erwähnst, lass sie es erzählen, Jetzt nicht total persönlich, aber eben so, dass man merkt, das Sie die einzige Zeugin ist.

Auf jeden Fall - straffen. Denn die Geschichte kann was!



»genug, der Muse!« ruft Joseppe
"Genug der Muße!"


die Wellen, die rhythmisch und unermüdlich am Ufer zerbrechen
Joseppe versteht nur Bruchstücke davon und findet es auch nicht der Mühe wert, sich um genaueres Verstehen zu kümmern.
Das nächste sind auch nur Bruchstücke: Insel, Gauner, findet, Baum - aber danach interessiert es ihn. Man könnte also die erste Erwähnung streichen.

sich anzukleiden und sich zu der aufgeregten Menge zu begeben.
Hat er nackt am Strand geschlafen?

Joseppe zieht sich eilig an, vergisst den Strohhut dieses Mal nicht und eilt barfuß durch den, gerade noch erträglich temperierten Sand zur Menschengruppe.
Diese beiden Zitate stehen direkt hintereinander.
Das zweite ist eine Wiederholung - nur länger, aber nicht besser.

Die Sprache, die von den aufgeregten Leuten gesprochen wird, ist für Joseppe kaum zu verstehen.
Meinst du damit wirklich die Sprache? Oder sprechen die Leute dort nur durcheinander - und aus dem Grund unverständlich?

bei dem sein Fundament vom vorbeifliessenden Bächlein
Bist du Schweizer?

nichts deutete darauf hin, dass das nächste Unglück [strike]nicht weit entfernt [/strike]bereits wartet.
Tatsächlich aber, und dieser Tag kommt mit Sicherheit, wird darin eine Sturzflut Richtung Meer donnern, der kaum etwas standhalten wird können.
Hier auf der Insel müssen die Dinge weit vorausschauend organisiert werden.
Man sieht es noch nicht, aber man weiß dass es kommt, deshalb bereitet man sich vor - was er aber nicht macht. Schade.

Die Fähre legt nur zwei Mal wöchentlich an und Dinge, die man benötigt oder irgendwann benötigen wird, müssen rechtzeitig von der Fähre geliefert werden.
Wieder eine Dopplung.

Niko lebt sein Leben mehr oder weniger glücklich
Während ich den Satz las, fragte ich mich: Was ist denn jetzt nun mit der aufgebrachten Menge da am Strand.
Habe dann weiter gelesen - musste leider feststellen, dass Niko (mit verlaub) ein Arschloch ist, von denen es immer noch zu viele gibt...
Allerdings - flechte doch diese ganzen Informationen in die Gespräche da am Strand ein, dann steht es nicht so separiert da.


Underdog‘ unterster Stufe
Dopplung

LG
Fion
 

Hudriwurz

Mitglied
Joseppe

Danke, Danke, Danke, Fion. Ausgezeichnet, dass Du Dir die Arbeit hier antust. Ich bin wirklich hin und weg.
Vielen herzlichen Dank nochmal.
 

fion

Mitglied
Hi Hudriwurz,

wir alle treffen uns doch hier in der Leselupe, um:
-Eigene Werke zu testen,
-ein Feedback zu bekommen,
-selbst an den Kommentaren kann man wachsen
(dieser Punkt ist sogar enorm wichtig. Am Anfang schlägt es jedem in die Magengrube, aber wenn man den Schock überwunden hat, dann stabilisieren sich sogar die Texte.)
-Und ganz wichtige Arbeit: Das Lektorieren. Auch wenn wir uns hier nicht mit professionellen Lektoren vergleichen können/dürfen - aber dadurch, dass wir an eine fremden Text rangehen (respektvoll, als ob es dein eigener Text wär, den man verbessern möchte) lernt man.

Also
danke dir
oder
wir beide danken uns gegenseitig (grins)
LG
Fion
 

Hudriwurz

Mitglied
Hudriwurz (Emanuel W. Kury)
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[ 3]Die Sonne kitzelt Joseppe sanft an der Nase und drängt sich in seine Träume; flüstert von einem neuen Tag, der auf ihn wartet und mit ihm spielen will.
[ 3]Sie sticht durch eine Lücke im Blattwerk und zeigt ihr freundlichstes Gesicht dabei. Sie ändert ihren Gesichtsausdruck mehrmals täglich von "lieblich" bis "unbarmherzig", aber deutlich und nicht immer wirkt sie nett und wohlwollend dabei. Der Himmel zeigt sich, wie üblich, ganz in Blau und Flugzeuge hatten schon ausgiebig damit begonnen, Muster in ihn zu kratzen. Die Muster folgen keinem erkennbaren System und verschwimmen in immer breiter werdende blass weiße Streifen, die sich langsam auflösen. Tatsächlich sind wohl am Ende der einzelnen Striche, wenn man sie gedanklich verlängert, Orte, an denen Menschen leben, die an die Plätze gelangen wollen, die an den anderen Enden der Linien liegen.
[ 3]Joseppe taucht aus einer Sehnsuchtswelt auf um gleich, mit geöffneten Augen diesmal, in Tagträume zu versinken. Er starrt in den zerfurchten, ursprünglich makellos blauen Himmel und denkt an die Menschen, die in den Kisten sitzen, die die Striche verursachen.
[ 3]»Welchen Missionen sie wohl folgen?« rätselt er und lässt die Zügel seiner Fantasie locker schleifen.
[ 3]Die Sonne fühlt zu wenig Aufmerksamkeit und steigert ihre Intensität. Sie steigt, wie sie das an jedem Sommertag tut, einfach hoch und wirft ihre Stacheln, die eben noch wärmende Strahlen waren, auf Joseppe.
[ 3]»genug, der Muse!« ruft Joseppe laut und springt aus seinem Nachtlager hoch. Niemand hört oder sieht seinen Energieausbruch hier. Unter dem Baum, der seinen Schlaf durch die Nacht begleitet hatte, beginnt es langsam warm zu werden.
[ 3]Der Strand ist nicht weit entfernt und die Wellen, die rhythmisch und unermüdlich am Ufer zerbrechen; dabei nach dem trockenen Sand lecken, der eine großartige, aber unerreichbare Köstlichkeit für sie zu sein scheint, betören und betäuben mit ihrer Ausdauer.
[ 3]Joseppe und der neue Tag haben sich gefunden, doch es steht noch nicht fest, was sie miteinander tun werden. Die hartnäckigen, täglich gleichen Rituale haben sich bereits angemeldet und für Joseppe wird es eine Herausforderung, sie nicht die Oberhand über den Tag gewinnen zu lassen.
[ 3]Einfach laufen lassen, ist ein guter Plan, doch dabei aufmerksam die stets gleichen Rhythmen beobachten und sie daran hindern, den Tag gänzlich zu bestimmen.
[ 3]Joseppe mag keine Rituale und er will sich an nichts gewöhnen. Nach seinem Empfinden rauben die Gewohnheiten den wertvollen Momenten die Seele. Für ihn gibt es kaum eine grauenvollere Vorstellung als die, von Gewohnheit zur Belanglosigkeit verstümmelter, wunderbarer Momente, die irgendwann voll Glanz und Licht überwältigten, belebten und Energie schenkten.



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[ 3]Weiter unten am Strand, wo die Häuserreihe beginnt, hat sich eine kleine Menschenmenge zusammengefunden und bespricht lautstark und wild gestikulierend eine offensichtlich aufregende Begebenheit. Joseppe versteht nur Bruchstücke davon und findet es auch nicht der Mühe wert, sich um genaueres Verstehen zu kümmern. Nico, der am Ende der Häuserreihe eine Taverne besitzt; etwas übergewichtig ist; dessen Frau, die er vom Festland auf die Insel geholt hatte und ihm erst vor Wochen einen Sohn geboren hat, scheint der Auslöser der aufgeregten Diskussion zu sein. Jedenfalls spricht er am lautesten und meistens. „Insel“, „Gauner“, „finden“, „Baum“, sind die wenigen Wortfetzen, die Joseppe versteht und die ihn letztendlich so neugierig machen, dass er doch beschliesst, sich anzukleiden und sich zu der aufgeregten Menge zu begeben.
Joseppe zieht sich eilig an, vergisst den Strohhut dieses Mal nicht und eilt barfuß durch den, gerade noch erträglich temperierten Sand zur Menschengruppe. Die Sprache, die von den aufgeregten Leuten gesprochen wird, ist für Joseppe kaum zu verstehen. Erst nach längerer Zeit und nach geduldigem Zuhören, kann er sich letztendlich zusammenreimen, worum es in der Angelegenheit geht. Der Freak, der auf der anderen Seite der Bucht sein Lager, sein Nest eingerichtet hat, wird verdächtigt, in Nico’s Geschäft eingebrochen zu sein.
[ 3]Bei dem Geschäft handelt es sich um einen kleinen Raum, der seit dem letzten Gewitter, bei dem sein Fundament vom vorbeifliessenden Bächlein fortgerissen wurde, auf wackeligen Stelzen steht. Von außerhalb des Raumes, der an die Taverne angebaut ist, sieht es so aus, als müßte die Konstruktion bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erneut in das Bachbett stürzen. Das Innere des Raumes ist, seit der letzten Katastrophe wieder voll von Waren aller Art und nichts deutete darauf hin, dass das nächste Unglück nicht weit entfernt bereits wartet. Das Bachbett selbst ist in den Sommermonaten kaum als solches zu erkennen. Es ist nichts weiter als eine trockene Furche, die man sich nur mit reger Phantasie wassergefüllt vorstellen kann. Tatsächlich aber, und dieser Tag kommt mit Sicherheit, wird darin eine Sturzflut Richtung Meer donnern, der kaum etwas standhalten wird können. Nico kümmert das nicht sonderlich; er ist zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Sein Sohn Jannis, der ihm alles bedeutet, die Organisation der Taverne und des kleinen Ladens. Hier auf der Insel müssen die Dinge weit vorausschauend organisiert werden. Die Fähre legt nur zwei Mal wöchentlich an und Dinge, die man benötigt oder irgendwann benötigen wird, müssen rechtzeitig von der Fähre geliefert werden. Starker Wind verhindert zudem manchmal das Anlegen der Fähre, da die Reederei, mangels Umsatz, nur altersschwache, ausrangierte Fähren zur Insel schickt.
[ 3]Niko lebt sein Leben mehr oder weniger glücklich. Die Frau, die ihm einen Sohn gebar, verweigert seit der Geburt von Jannis, jeden körperlichen Kontakt zu ihm, womit er langsam zu leben lernt. Einen Sohn gezeugt zu haben, macht ihn stolz und entschädigt ihn für Vieles. Elli, seine Frau, würde nicht einfach verschwinden können. Auf einer Insel zu leben macht Vieles schwer und vieles einfach und überschaubar. Bei der Fährstation, die die Nabelschnur der Insel bedeutet, treffen sich zu den Ankunftszeiten der Fähre ziemlich alle Inselbewohner, um einerseits Dinge abzuholen und andererseits um zu sehen, welche Migration statt findet. Es wäre für eine, mit einem Inselbewohner verheiratete Frau, unmöglich, die Insel spontan zu verlassen. Schon gar nicht mit einem Kind. Nico fühlte sich dadurch in gewisser Weise sicher und mit sich selbst zufrieden. Er hatte sein Soll erreicht und seine Energie investiert er nun größtenteils in die Sache, seinem Sohn eine gute Zukunft zu ermöglichen. Joseppe, der schon seit einem halben Jahr auf der Insel lebt und von den Inselbewohnern mittlerweile akzeptiert wird, oder zumindest nicht als ‚Underdog‘ unterster Stufe angesehen wird, wird von den Versammelten begrüßt und man befragt ihn gleich, ob er in der letzten Nacht etwas außergewöhnliches beobachtet hätte.
[ 3]»Mir ist nichts aufgefallen« antwortet Joseppe und erkundigt sich nach dem Grund der Versammlung.
[ 3]»Wir werden die ganze Insel absuchen und wenn wir ihn finden, gnade ihm Gott.« murmelt Nico in die Runde.

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[ 3]Das Leben auf der Insel war an diesem Tag anders als sonst. Jeder schien nach dem vermeintlichen Dieb zu suchen. Sogar der Bürgermeister der Insel hat sich zur Gruppe gesellt und hilft bei der Suche. Nico zieht wortlos zum Lager des Gesuchten. Dort angekommen trifft er niemanden und findet Verpackungen verstreut, die seiner Meinung nach nur von Dingen stammen konnten, die aus seinem Geschäft stammten. Die Wut in ihm steigt. Fluchend, mit einer Schaufel bewaffnet sucht er nach Spuren im Sand, die ihm verraten würden, in welche Richtung der Dieb gezogen war. Wie er vermutet hatte, wies ihm eine Fährte den Weg zur Kneipe, die als Treffpunkt für ‚Underdogs‘ verrufen ist und in der nächsten Bucht liegt.Wutgeladen klettert Nico über einen Steinwall, der die Strände von einander trennt. Er spaziert den Strand entlang, schwingt dabei die Schaufel und sieht vor der Taverne ein Bündel gebückter, energieloser Gestalten. Er nähert sich der Gruppe und nach wortlosem Gruß deutet er auf den Gesuchten und meint:
[ 3]»Ich brauche einen Arbeiter. 5 Euro pro Stunde. Eine Mauer soll errichtet werden. Willst Du?«
[ 3]»Wie lange soll das dauern?» erkundigt sich der vermeintliche Täter interessiert und blinzelt aus dem Augenwinkel zu Nico hoch.
[ 3]»Zwei Wochen etwa, aber das sehen wir dann noch.« räuspert Nico und will den Mann, der in dem Moment zum Opfer wird, gleich mitnehmen. »gehen wir!«
[ 3]Beide wandern auf Nico‘s Spuren zurück und überwinden den Steinwall. Nico blickt sich um, um sich zu vergewissern, dass sie von der Taverne aus nicht mehr gesehen werden können. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und keine Menschenseele verlässt um diese Tageszeit freiwillig einen halbwegs angenehmen Ort. Nico sieht die Gelegenheit gekommen. Er holt mit der Schaufel aus und zertrümmert damit den Schädel des Unglücklichen. Begleitet von einem lauten, metallischen Klirren, geht der Mann zu Boden. Nico legt noch einen Hieb nach, der den Kopf des Opfers platt drückt und das Gesicht zu einer Fratze entstellt.
[ 3]Nico hält sich nicht lange auf und beginnt gleich damit, eine Grube auszuheben. Er ist mehr als eine Stunde lang damit beschäftigt und verliert sehr viel Schweiß dabei. Er hebelt den leblosen Körper über den Rand der Grube und von einem dumpfen Geräusch begleitet versinkt der Kadaver im Loch. Nico kratzt die verfänglichen Spuren nach und beginnt gleich damit, die Grube mit Sand voll zu füllen.
[ 3]Nach einer halben Stunde ist von dem ganzen Spuk nichts mehr zu sehen und Nico macht sich auf den Heimweg.
[ 3]Bei der Taverne angekommen, trifft er auf die Suchmannschaft, stellt seine Schaufel an die Wand und meint: »Wir müssen ihn nicht mehr weiter suchen.« wortlos nickend, scheinen alle verstanden zu haben und die Gemeinschaft beginnt sich aufzulösen.
[ 3]Die folgenden Tage verlaufen in gewohnter Routine und niemand spricht über die Angelegenheit. Sie wurde einfach auf die, auf der Insel gewohnten Art, gelöst. Nico‘s Leben schreitet weiter seinen unaufgeregten Gang und die Inselbewohner verfolgen, jeder für sich, ihre Angelegenheiten.

? ? ?​

[ 3]Joseppe verbringt die Tage damit, sich Tagträumen hinzugeben und freut sich über das Gedeihen seiner Gemüsepflanzen. Eines Morgens jedoch, glaubt Joseppe, die Wiederholung eines Tages zu erleben, der ihm noch dunkel in Erinnerung ist. Bei der Häuserreihe hat sich wieder eine kleine Menschenmenge gebildet. Es wird wieder lautstark geschimpft und es wird in unterschiedliche Richtungen gedeutet. Joseppe interessiert der Tumult nicht und er beschäftigt sich weiter mit seinen Pflanzen. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie sich die Gruppe auflöst und die Männer in unterschiedliche Richtungen streben. Der korpulenteste von Ihnen - es muß wohl Nico sein - schwenkt seine Schritte schaufelschwingend in Joseppes Richtung.



Ende​
 

Hudriwurz

Mitglied
Hudriwurz(Emanuel W. Kury)​
07.2019

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[ 3]Die Sonne kitzelt Joseppe sanft an der Nase und drängt sich in seine Träume; flüstert von einem neuen Tag, der auf ihn wartet und mit ihm spielen will.
[ 3] Sie sticht durch eine Lücke im Blattwerk und zeigt ihr freundlichstes Gesicht dabei. Sie ändert ihren Gesichtsausdruck mehrmals täglich von "lieblich" bis "unbarmherzig", aber deutlich und nicht immer wirkt sie nett und wohlwollend dabei. Der Himmel zeigt sich, wie üblich, ganz in Blau und Flugzeuge hatten schon ausgiebig damit begonnen, Muster in ihn zu kratzen. Die Muster folgen keinem erkennbaren System und verschwimmen in immer breiter werdende blass weiße Streifen, die sich langsam auflösen. Tatsächlich sind wohl am Ende der einzelnen Striche, wenn man sie gedanklich verlängert, Orte, an denen Menschen leben, die an die Plätze gelangen wollen, die an den anderen Enden der Linien liegen.
[ 3]Joseppe taucht aus einer Sehnsuchtswelt auf um gleich, mit geöffneten Augen diesmal, in Tagträume zu versinken. Er starrt in den zerfurchten, ursprünglich makellos blauen Himmel und denkt an die Menschen, die in den Kisten sitzen, die die Striche verursachen.
[ 3]»Welchen Missionen sie wohl folgen?« rätselt er und lässt die Zügel seiner Fantasie locker schleifen.
Die Sonne fühlt zu wenig Aufmerksamkeit und steigert ihre Intensität. Sie steigt, wie sie das an jedem Sommertag tut, einfach hoch und wirft ihre Stacheln, die eben noch wärmende Strahlen waren, auf Joseppe.
[ 3]»Genug, der Muße!« ruft Joseppe laut und springt aus seinem Nachtlager hoch. Niemand hört oder sieht seinen Energieausbruch hier. Unter dem Baum, der seinen Schlaf durch die Nacht begleitet hatte, beginnt es langsam warm zu werden.
[ 3]Der Strand ist nicht weit entfernt und die Wellen, die rhythmisch und unermüdlich am Ufer zerbrechen; dabei nach dem trockenen Sand lecken, der eine großartige, aber unerreichbare Köstlichkeit für sie zu sein scheint, betören und betäuben mit ihrer Ausdauer.
[ 3]Joseppe und der neue Tag haben sich gefunden, doch es steht noch nicht fest, was sie miteinander tun werden. Die hartnäckigen, täglich gleichen Rituale haben sich bereits angemeldet und für Joseppe wird es eine Herausforderung, sie nicht die Oberhand über den Tag gewinnen zu lassen.
[ 3]Einfach laufen lassen, ist ein guter Plan, doch dabei aufmerksam die stets gleichen Rhythmen beobachten und sie daran hindern, den Tag gänzlich zu bestimmen.
Joseppe mag keine Rituale und er will sich an nichts gewöhnen. Nach seinem Empfinden rauben die Gewohnheiten den wertvollen Momenten die Seele. Für ihn gibt es kaum eine grauenvollere Vorstellung als die, von Gewohnheit zur Belanglosigkeit verstümmelter, wunderbarer Momente, die irgendwann voll Glanz und Licht überwältigten, belebten und Energie schenkten.



? ? ?​

[ 3]Weiter unten am Strand, wo die Häuserreihe beginnt hat sich eine kleine Menschenmenge zusammengefunden und bespricht lautstark und wild gestikulierend eine offen- sichtlich aufregende Begebenheit. Joseppe versteht nur Bruchstücke davon und findet es auch nicht der Mühe wert, sich um genaueres Verstehen zu kümmern. Nico, der am Ende der Häuserreihe eine Taverne besitzt; etwas übergewichtig ist; dessen Frau, die er vom Festland auf die Insel geholt hatte und ihm erst vor Wochen einen Sohn geboren hat, scheint der Auslöser der aufgeregten Diskussion zu sein. Jedenfalls spricht er am lautesten und meistens. Insel, Gauner, finden, Baum, sind die wenigen Wortfetzen, die Joseppe versteht und letztendlich beginnt es ihn doch zu interessieren. Er beginnt sich anzukleiden und begibt sich zu der aufgeregten Menge.
[ 3]Joseppe vergisst den Strohhut dieses Mal nicht und eilt barfuß durch den, gerade noch erträglich temperierten Sand zur Menschengruppe. Die Dialoge, die von den aufgeregten Leuten gesprochen werden, sind für Joseppe kaum zu verstehen. Erst nach längerer Zeit und nach geduldigem Zuhören, kann er sich letztendlich zusammenreimen, worum es in der Angelegenheit geht. Der Freak, der auf der anderen Seite der Bucht sein Lager, sein Nest eingerichtet hat, wird verdächtigt, in Nico’s Geschäft eingebrochen zu sein.
[ 3]Bei dem Geschäft handelt es sich um einen kleinen Raum, der seit dem letzten Gewitter, bei dem sein Fundament vom vorbei rauschenden Bächlein fortgerissen wurde, auf wackeligen Stelzen steht. Von außerhalb des Raumes, der an die Taverne angebaut ist, sieht es so aus, als müßte die Konstruktion bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit erneut in das Bachbett stürzen. Das Innere des Raumes ist, seit der letzten Katastrophe wieder voll von Waren aller Art und nichts deutete darauf hin, dass das nächste Unglück bereits wartet. Das Bachbett selbst ist in den Sommermonaten kaum als solches zu erkennen. Es ist nichts weiter als eine trockene Furche, die man sich nur mit reger Phantasie wassergefüllt vorstellen kann. Tatsächlich aber, und dieser Tag kommt mit Sicherheit, wird darin eine Sturzflut Richtung Meer donnern, der kaum etwas standhalten wird können. Nico kümmert das nicht sonderlich; er ist zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Sein Sohn Jannis, der ihm alles bedeutet, die Organisation der Taverne und des kleinen Ladens. Hier auf der Insel müssen die Dinge weit vorausschauend organisiert werden. Die Fähre legt nur zwei Mal wöchentlich an und Dinge, die man benötigt oder irgendwann benötigen wird, müssen rechtzeitig von der Fähre geliefert werden. Starker Wind verhindert zudem manchmal das Anlegen der Fähre, da die Reederei, mangels Umsatz, nur altersschwache, ausrangierte Fähren zur Insel schickt.
[ 3]Niko lebt sein Leben mehr oder weniger glücklich. Die Frau, die ihm einen Sohn gebar, verweigert seit der Geburt von Jannis, jeden körperlichen Kontakt zu ihm, womit er langsam zu leben lernt. Einen Sohn gezeugt zu haben, macht ihn stolz und entschädigt ihn für Vieles. Elli, seine Frau, würde nicht einfach verschwinden können. Auf einer Insel zu leben macht Vieles schwer und vieles einfach und überschaubar. Bei der Fährstation, die die Nabelschnur der Insel bedeutet, treffen sich zu den Ankunftszeiten der Fähre ziemlich alle Inselbewohner, um einerseits Dinge abzuholen und andererseits um zu sehen, welche Migration statt findet. Es wäre für eine, mit einem Inselbewohner verheiratete Frau, unmöglich, die Insel spontan zu verlassen. Schon gar nicht mit einem Kind. Nico fühlte sich dadurch in gewisser Weise sicher und mit sich selbst zufrieden. Er hatte sein Soll erreicht und seine Energie investiert er nun größtenteils in die Sache, seinem Sohn eine gute Zukunft zu ermöglichen. Joseppe, der schon seit einem halben Jahr auf der Insel lebt und von den Inselbewohnern mittlerweile akzeptiert wird, oder zumindest nicht als ‚Underdog‘ unterster Stufe angesehen wird, wird von den Versammelten begrüßt und man befragt ihn gleich, ob er in der letzten Nacht etwas außergewöhnliches beobachtet hätte.
[ 3]»Mir ist nichts aufgefallen« antwortet Joseppe und erkundigt sich nach dem Grund der Versammlung.
[ 3]»Wir werden die ganze Insel absuchen und wenn wir ihn finden, gnade ihm Gott.« murmelt Nico in die Runde.

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[ 3]Das Leben auf der Insel war an diesem Tag anders als sonst. Jeder schien nach dem vermeintlichen Dieb zu suchen. Sogar der Bürgermeister der Insel hat sich zur Gruppe gesellt und hilft bei der Suche. Nico zieht wortlos zum Lager des Gesuchten. Dort angekommen trifft er niemanden und findet Verpackungen verstreut, die seiner Meinung nach nur von Dingen stammen konnten, die aus seinem Geschäft stammten. Die Wut in ihm steigt. Fluchend, mit einer Schaufel bewaffnet sucht er nach Spuren im Sand, die ihm verraten würden, in welche Richtung der Dieb gezogen war. Wie er vermutet hatte, wies ihm eine Fährte den Weg zur Kneipe, die als Treffpunkt für ‚Underdogs‘ verrufen ist und in der nächsten Bucht liegt.Wutgeladen klettert Nico über einen Steinwall, der die Strände von einander trennt. Er spaziert den Strand entlang, schwingt dabei die Schaufel und sieht vor der Taverne ein Bündel gebückter, energieloser Gestalten. Er nähert sich der Gruppe und nach wortlosem Gruß deutet er auf den Gesuchten und meint:
[ 3]»Ich brauche einen Arbeiter. 5 Euro pro Stunde. Eine Mauer soll errichtet werden. Willst Du?«
[ 3]»Wie lange soll das dauern?» erkundigt sich der vermeintliche Täter interessiert und blinzelt aus dem Augenwinkel zu Nico hoch.
[ 3]»Zwei Wochen etwa, aber das sehen wir dann noch.« räuspert Nico und will den Mann, der in dem Moment zum Opfer wird, gleich mitnehmen. »gehen wir!«
[ 3]Beide wandern auf Nico‘s Spuren zurück und überwinden den Steinwall. Nico blickt sich um, um sich zu vergewissern, dass sie von der Taverne aus nicht mehr gesehen werden können. Die Sonne hatte ihren Höchststand erreicht und keine Menschenseele verlässt um diese Tageszeit freiwillig einen halbwegs angenehmen Ort. Nico sieht die Gelegenheit gekommen. Er holt mit der Schaufel aus und zertrümmert damit den Schädel des Unglücklichen. Begleitet von einem lauten, metallischen Klirren, geht der Mann zu Boden. Nico legt noch einen Hieb nach, der den Kopf des Opfers platt drückt und das Gesicht zu einer Fratze entstellt.
[ 3]Nico hält sich nicht lange auf und beginnt gleich damit, eine Grube auszuheben. Er ist mehr als eine Stunde lang damit beschäftigt und verliert sehr viel Schweiß dabei. Er hebelt den leblosen Körper über den Rand der Grube und von einem dumpfen Geräusch begleitet versinkt der Kadaver im Loch. Nico kratzt die verfänglichen Spuren nach und beginnt gleich damit, die Grube mit Sand voll zu füllen.
[ 3]Nach einer halben Stunde ist von dem ganzen Spuk nichts mehr zu sehen und Nico macht sich auf den Heimweg.
[ 3]Bei der Taverne angekommen, trifft er auf die Suchmannschaft, stellt seine Schaufel an die Wand und meint: »Wir müssen ihn nicht mehr weiter suchen.« wortlos nickend, scheinen alle verstanden zu haben und die Gemeinschaft beginnt sich aufzulösen.
[ 3]Die folgenden Tage verlaufen in gewohnter Routine und niemand spricht über die Angelegenheit. Sie wurde einfach auf die, auf der Insel gewohnten Art, gelöst. Nico‘s Leben schreitet weiter seinen unaufgeregten Gang und die Inselbewohner verfolgen, jeder für sich, ihre Angelegenheiten.

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[ 3]Joseppe verbringt die Tage damit, sich Tagträumen hinzugeben und freut sich über das Gedeihen seiner Gemüsepflanzen. Eines Morgens jedoch, glaubt Joseppe, die Wiederholung eines Tages zu erleben, der ihm noch dunkel in Erinnerung ist. Bei der Häuserreihe hat sich wieder eine kleine Menschenmenge gebildet. Es wird wieder lautstark geschimpft und es wird in unterschiedliche Richtungen gedeutet. Joseppe interessiert der Tumult nicht und er beschäftigt sich weiter mit seinen Pflanzen. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie sich die Gruppe auflöst und die Männer in unterschiedliche Richtungen streben. Der korpulenteste von Ihnen - es muß wohl Nico sein - schwenkt seine Schritte schaufelschwingend in Joseppes Richtung.

ENDE
 



 
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