Gedichtformen: Der Proteusvers

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Proteusvers ist nach Proteus, dem Meeresgott von der Insel Pharos benannt. Dieser war in der Lage, seine Gestalt beliebig zu wandeln.

Auch der Proteusvers kann seine Gestalt wandeln und er bleibt doch gleich (ähnlich).

Der Proteusvers ist ein Gedicht mit langen Aufzählungen von Gliedern, die ausgetauscht werden können.

Beispiel (Auszug):
Auf Angst / Noht / Leid / Haß / Schmach / Spott / Krieg / Sturm / Furcht
/ Streit / Müh’ / und Fleiß
folgt Lust / Raht / Trost / Gunst / Ruhm / Lob / Sieg / Ruh / Mut / Nutz
/ Lohn / und Preiß.
Wortwechselgedicht Philipp Georg Harsdörffers, 1654, zitiert nach:

Quelle: http://cramer.pleintekst.nl/essays/...s-kuss/quirinus_kuhlmann_-_xli_libes-kuss.pdf
KOMBINATORISCHE WEISHEITSKUNST: QUIRINUS KUHLMANNS XLI.
LIBES-KUSS
FLORIAN CRAMER

Ein sehr bekannter Proteusvers ist "Wenn der Hund mit der Wurst über´n Spucknapf springt".

Auszug:

http://www.volksliederarchiv.de/kinderreime-378.html
Wenn der Hund mit der Wurst über´n Spucknapf springt
und der Storch in der Luft den Frosch verschlingt

Wenn der Storch in der Luft über´n Spucknapf springt
und der Hund mit der Wurst den Frosch verschlingt

Wenn der Frosch mit dem Storch über´n Spucknapf springt
und der Hund in der Luft die Wurst verschlingt ...
Dieser spezielle Text diente auch als Ausgangspunkt für eine Programmierübung am Kleincomputer Z9001 in den 1980er Jahren.

Kombinatorische Gedichte waren faszinierend. Bereits vor Jahrhunderten gab es drehbare Scheiben, mit denen man Permutationen solcher Texte anfertigen konnte. Aus einem einzigen Gedicht entstanden potentiell so viele, dass ein ganzes Leben nicht ausreichte, sie zu lesen.

Natürlich namen sich auch Dadaisten dieser Form an.
Der Dadaist Tristan Tzara weist an, nach ein Gedicht zu schreiben, indem man die Wörter eines Zeitungsartikels ausschneidet, in einer Tüte mischt und in der gezogenen Reihenfolge abschreibt.
Zitiert nach http://www.netzliteratur.net/cramer/kombinatorische_dichtung.html
Florian Cramer
Kombinatorische Dichtung und Computernetzliteratur
(Kasseler Fassung)

Informationen und Beispiele findet man auch in: Gerhard Grümmer, Spielformen der Poesie, VEB Bibliografisches Institut, Leipzig
 



 
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