Gedichtformen: nüngverdrizler

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
nüngverdrizler ist eine relativ neue sehr strenge Gedichtform, obwohl sie sehr einfach aussieht.
Sie stammt von Ulf Grebe, der aber noch Vorgänger, wie Leufgerb Egerbufl, der die gleichen Buchstaben in seinem Namen hat. Dieser merkwürde Zufall führte am Ende zu einem gemeinsamen Buch: Saladin Egerbufls “Verschwitzte Gesichte” und mit ihm Ulf Grebes Lehrbuch “Verschmutzte Geduchte” erschienen zusammen Kopf an Kopf in einem Wendebuch, das man von vorn und von hinten lesen kann, wenn man es wendet, aber jeweils nur bis zur Mitte.
Für das nüngverdrizler gibt es eine Eigene WEB-Seite http://www. nüngverdrizler.de - nüngverdrizler.de ist ein Dienst der NWC Nuengverdrizler Worddart Copulation Ltd.
Von dort und aus dem besagten Buch habe ich die Informationen.

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Der, die oder das nüngverdrizler hat sich noch auf kein Geschlecht festgelegt. Nach Grebes Brauch werde ich wechseln, um die Unbestimmtheit aufrechtzuerhalten.

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Bei den Zitaten richte ich mich jetzt nach der angegebenen Web-Seite http://www.nüngverdrizler.de .
nüngverdrizler (immer klein geschrieben, unbestimmtes Geschlecht): wortspielerisches, oft scherzhaftes Kurzgedicht aus vier Zeilen der Länge neun, vier, drei und zwei Silben. Ähnlich wie beim Haiku oder Elfchen wird auch beim nüngverdrizler-Gedicht die dichterische Freiheit durch ein festgelegtes Silbenschema herausgefordert, wobei besonders typisch für die nüngverdrizler die Art des Reimes ist: Dasselbe Reimwort wird zweimal verwendet, aber mit unterschiedlichem Sinn.
Durch das Recycling des Reimwortes entsteht eine enorme Ersparnis, der Wortverbrauch wird deutlich reduziert.

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Es gibt einige Regeln vür das nüngverdrizeln (das sich immer noch gegen die Kapitalisierung seines Anfangsbuchstabens wehrt.)

Regelwerk:



Regeln



Folgende Regeln kennzeichnen ein/e/n nüngverdrizler:
Bei den Regeln gebe ich jeweils Zitate an, erkläre sie aber mit eigenen Worten.


1. Das Gedicht besteht aus achtzehn Silben, verteilt auf vier Zeilen der Länge 9, 4, 3 und 2 Silben und einer Überschrift.


Das Gedicht sieht also ungefähr so aus:

blabladrizler

blablablablablablablablabla
blablablabla
blablabla
blabla

Dieses Werk erfüllt bereits die Grundregel des scherzhaften Kurzgedichtes und wird auch die zukünftigen Regeln erfüllen, wie mir gerade ein Licht aufgeht - wenn man es nur richtig spricht.

2. nüngverdrizler haben ein sogenanntes jambisches Versmaß, das heißt, es wechseln sich unbetonte mit betonten Silben ab. Das Gedicht beginnt und endet in der ersten Zeile sowie durchlaufend von der zweiten bis zur vierten Zeile jeweils mit einer unbetonten Silbe.
Der erste Teil der Regle führt zu:

blablaadrizler (jambisch)

blablaablablaablablaablablaabla
blablaablablaa
blablaabla
blablaa

Der zweite Teil der Regel führt zu

blablaadrizler (ende unbetont)

blablaablablaablablaablablaabla
blablaa blaabla
blablaa bla
blaabla

Durch diesen Widerspruch sind auch weitere Formen nicht ausgeschlossen.

3. Das Reimwort der ersten Zeile kehrt am Ende wieder und zwar derartig zerlegt, dass es frühestens auf den zweiten Blick wiederzuerkennen ist, z.B.: "unterjochen - unter Jochen"; das Fachwort hierfür ist rührender Reim. Die Reimworte müssen sich aber nicht unter allen Umständen reimen, ihre Übereinstimmung kann auch nur buchstäblicher Art sein.
Diese Regel wurde bereits in den anderen Beispielen durchgehalten. aber hier folgt das erste nicht-blablaa-Werk:

Lasst uns jetzt fleißig nüngverdrizeln
auf Pegasus dem
Dichtpferd
rizeln

Was nun ist "rizeln"? Auf einer Motorsportseite http://www.motorradonline24.de/mo24forum/bike-und-biker/werkstatt/618186/kette-und-rizel-wechseln/ stellte ich fest, dass es von "Rizel" kommt, wobei man Kette und "Rizel" wechseln könne.
Insofern sind es jetzt mehr von Pegasus' Pferdestärken und das Ganze ist nicht völlig abwegig.

4. Jede einzelne Zeile soll den Sinn des Gesamten verändern. Im Idealfall hat man vier semantisch eigenständige Abschnitte.
Diese Regel ist schwierig, nicht leicht zu verstehen und wird oft einfach ignoriert.

Verfehlt man nüngverdrizlerregeln,
hängt man an uns
drei Borsten
egeln

Der erste Vers stellt eine Bedingung dar.
Der zweite: ja, man hängt an uns, will uns gar nicht loslassen.
Im dritten Vers erkennen wir: man will und Borsten anhängen.
Im vierten aber wird es heilsam: Es sind Borstenegeln, die man an uns hängen will. Beachte den lokalen umgangssprachlichen Plural, der sich im Dialekt gut gehalten hat.

Mit dieser Regel sind wir noch keineswegs auf der höchsten Stufe von Grebes nüngverdrizlerei

5. Wichtige Gütemerkmale für nüngverdrizler sind Mehrdeutigkeit und Überraschungsmoment. Gedichte, für die es nur eine Lesart gibt, sind meistens langweilig und deshalb keine echten nüngverdrizler.
Das vorhergehende Beispiel fing ja sehr mehrdeutig an, endete aber unzweifelhaft eindeutig.

Das folgende dagegen ist unzweifelhaft mehrdeutig

erst pflücken burschen dreißig kirschen
dann naschen sie
ganz fleißig
kirschen

6. Die Überschrift ist notwendiger Bestandteil des Gedichtes, der die Bedeutung der vier Zeilen erweitert oder durchbricht, jedenfalls bedeutungsvoll mit ihnen wechselwirkt.
Heilkunst

Verfehlt man nüngverdrizlerregeln,
hängt man uns an
drei borsten
egeln


7. Im nüngverdrizler ist alles klein geschrieben und es gibt keine Satzzeichen!
Man ist so an sie gewöhnt.
Diese Regel einzuhalten fällt schwer.

8. Für nüngverdrizler gibt es eigentlich keine genauen Regeln. Und wenn doch (s.o.), hält man sich besser nicht daran, sofern es nicht gut für das Gedicht ist. Ob es sich dann noch um ein/e/n nüngverdrizler handelt, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Glücklicherweise gibt es einen Test. Auf diesen gehe ich später ein.

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In seinen "Verschmutzten Geduchten" gibt Ulf Grebe noch ein paar Tips,
dazu gehören:

Gibt sich ein Gedicht, das nicht 18 Silben und kommt damit durch, dann ist es einer, ansonsten muss die Form natürlich streng eingehalten werden.

Und hier der versprochene Test (ebenfalls nach dem Buch):

Wenn es eine natürliche Person gibt, die bereit ist, zu bürgen, und dafür ihre Zunge 18 Minuten in ein Glas mit Essigwasser hält und anschließend die Bürgschaft aufrecht erhält, dann ist der Test bestanden und die Form wird anerkannt.
 
Zuletzt bearbeitet:

anbas

Mitglied
Ergänzend zu Bernds Ausführungen möchte ich Ausschnitte aus einem E-Mail-Wechsel zwischen Ulf Grebe und mir einstellen. Ich hatte ihm von der Leselupe erzählt und folgende drei Fragen gestellt:

1. Ist es auch nüngverdrizler-konform, wenn sich die Reimwörter unterschiedlich schreiben, aber gleich klingen? Es ist ja nicht mehr dasselbe Wort. Konkret geht es um folgenden Text aus meiner Feder:

mordsliebe

er killt sie an der steilen küste
wo er sie noch
beim teilen
küsste

2. Diese Frage betrifft Regel 4 in Bezug auf Regel 8: Ist es noch ein nüngverdrizler, wenn diese Regel nicht eingehalten wurde? Die auf der nüngverdrizler-Seite aufgeführten Beispiele tun es ja auch nicht alle.

3. Darf bei einem nüngverdrizler auch das komplette Reimwort am Ende stehen und die aufgelöste Variante am Anfang? Hier wieder ein Beispiel aus meiner Feder:

mutation

weil sie am fremden stachel rochen
sind sie nun platt
die stachel-
rochen


Hier nun Auszüge aus der Mail von Ulf Grebe:

Vielleicht hat ja aus dem Kreis der Leselupe-NutzerInnen mal jemand Lust, das Kapitel Wikipedia-Artikel wieder aufzuschlagen. Ich war da seinerzeit nicht erfolgreich mit und habe auch bei meinem Versuch, die Löschung des Artikels aus dem Humorarchiv rückgängig zu machen, keine Antwort erhalten. Schade.

Zu Ihren Fragen:

1. nüngverdrizler lassen sich ungern in Regeln zwängen. "mordsliebe" erfüllt für mein Gefühl die wichtigsten Kriterien - Reim- und Silbenschema, Sinnveränderung, Überraschungsmoment. Wen kümmert da zum Teufel ein 's' mehr oder weniger? Es gibt schöne Beispiele für noch viel gewagtere Entfremdungen des Reimwortes.

2. Die Antwort steht eigentlich schon unter 1.: Eine nüngverdrizler, die sich sklavisch an Regeln hält, ist keine!
(Ergänzend, in einer weiteren Mail schrieb er: "Die beste Wirkung erzielt (nach meiner Meinung) ein Vierzeiler, bei dem jede einzelne Zeile eine Wendung des Verständnisses bewirkt.")

3. Siehe 1. und 2. ;-)


In einer weiteren Mail schreibt er zum Thema "Überschriften":

Was die Überschrift angeht, kann ich mich nur wiederholen: Lesen Sie das Büchlein*! Die Überschrift soll nicht den "Sinn" des Gedichtes widerspiegeln, sondern "zerrspiegeln" oder gar unterwandern. Die beste Überschrift macht erst mit der letzten Zeile Sinn, und zwar einen ganz anderen, als man zu Anfang glaubte.

*Gemeint ist das von Bernd erwähnte Buch (siehe oben).

Soweit dazu. Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle Bernd ein fettes "Dankeschön" für seine Mühe und Arbeit sagen. Ich finde es toll, dass Du die ganzen Gedichtformen hier vorstellst.

Liebe Grüße

Andreas
 

Thylda

Mitglied
Vielen lieben Dank auch von mir, und für die Erkenntnis, daß ich keinen einzigen Nüngverdrizler zusammenbekomme. Alle meine Bemühungen scheitern spätestens immer an dem Essigtest ;)

Liebe Grüße
Thylda
 



 
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