Gefährliches Rauschen – Kapitel 4

hildenh

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Die Blockhütte erwies sich von innen als recht beengt, viel Privatsphäre würde sie hier nicht bekommen. Gab es überhaupt ein Badezimmer, eine Toilette? Erlebnisse alter Urlaube kamen ihr in den Sinn. Die wenigen Mal, die sie mit ihren Eltern weggefahren war, hatten stets aus Camping abseits der Zivilisation bestanden. Die Absenz sanitärer Einrichtungen war daher nichts Unbekanntes für sie, umso mehr wusste sie das Vorhandensein einer Toilette und Dusche zu schätzen. Letzteres wäre jetzt genau das Richtige. Nach dem unvermittelten Stress und der langen Autofahrt sehnte sich jeder Pore ihres Körpers danach. Herr Wesener erahnte ihren Wunsch oder seine Nase hatte ihm einen Hinweis gegeben.
« Ihr wollt Euch sicher frisch machen, hier rechts ist das Badezimmer. Das Wasser ist Regenwasser, seit bitte sparsam und trink es nicht. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um das Abendessen. »
Björn ließ ihr den Vortritt. Das Bad war minimalistisch und die Dusche kalt, aber es tat gut den Schweiß von der Haut zu bekommen. Zugleich konnte sie sich ein wenig sammeln. Was in den letzten Stunden passiert war, hätte in ihrem normalen Leben Stoff für ein ganzes Jahr sein können - abgesehen von den Ereignissen vor zwei Jahren. Aber das hier war etwas Anderes. Sie musste die Chance ergreifen. Verhalte dich professionell, stell die richtigen Fragen, mache Dir zu allem Notizen, denke an das was du im Studium gelernt hast. Diese Punkte sprach sie leise mehrfach vor sich hin während sie in den Spiegel schaute.
Als sie im Anschluss aus dem kleinen Bad heraustrat, stand Björn neben Herr Wesener am Herd. Die beiden Männer hatten sich leisen miteinander unterhalten und stoppten nun ihr Gespräch.

Während Björn das Bad aufsuchte, nutzte sie die Gelegenheit zu einem ersten Wortwechsel mit ihrem Gastgeber.
« Herr Wesener, auch wenn ich ihre Art der Einladung sehr ungewöhnlich fand, möchte ich mich doch dafür bedanken dass sie mir die Chance für ein Interview geben. »
« Bitte nicht so förmlich, nenn mich einfach Max. »
Er sagte dies ohne den Blick von der großen Pfanne auf dem Gasherd zu nehmen. Sue hatte früher nie etwas übrig gehabt fürs Kochen. Erst jetzt wo sie auf sich gestellt war versuchte sie die Wissenslücke zu füllen. Das Rezept sah einfach aus, Pilze mit Spätzle und Rahmsauce, aber nirgends erblickte sie Lebensmittelverpackungen oder ein Kochbuch. Am liebsten hätte sie gleich probiert. Sie hatte den ganzen Tag über noch nichts gegessen, selbst die zwei Butterbrote lagen noch unangetastet in ihrer Frühstücksdose Daheim in der Ledertasche. Die konnte sie sicher nach ihrer Rückkehr nur noch wegwerfen. Ein glucksendes Lachen entfuhr ihr, über was für Nebensächlichkeiten Sie sich Gedanken machte. Sie stand hier neben dem bekanntesten Hacker Deutschlands und dachte an ihr Pausenbrot. Wo war ihr journalistischer Ehrgeiz?
Ihr spontaner Lacher hatte Max aufblicken lassen, er musste sie ja für einen Trottel halten. Sie sollte umgehend etwas halbwegs Intelligentes sagen.
« Das riecht köstlich, finde ich das Rezept im Internet? »
Jetzt war es Max der lachte. Sein Lachen klang warm und herzlich. Nichts desto trotz wurde ihr Gesicht rot, sie hatte die Situation nicht verbessert.
« Wie soll Eure Generation bloß überleben, wenn wir den Kram mal abschalten müssen? » fragte er rhetorisch und zwinkerte dabei.
« Keine Sorge, Du hast nichts Falsches gesagt. Wir sind ja selber Schuld das wir Euch nicht zu mehr Selbstständigkeit erzogen haben. Jetzt geht nichts mehr ohne, anscheinend nicht mal das Denken. »
Er rührte wieder in der Pfanne, obwohl nach Sues Ermessen dazu keine Notwendigkeit bestand. Unvermittelt stoppt er in der Bewegung und blickte sie an.
« Schön das Du da bist, Du hast die richtige Entscheidung getroffen! »
« Warum bin ich hier, was ist so wichtig das sie diesen Aufwand betreiben? »
« Du wirst es erfahren und alles andere auch, aber erst essen wir »
Die Aussage wollte Sue nicht bestreiten und idealerweise kam in diesem Augenblick Björn aus dem Badezimmer. So schnell wie er fertig war, hatte er anscheinend nur Katzenwäsche betrieben. Wahrscheinlich war ihm das Wasser zu kalt für eine Dusche. Mr. Sommerflirt entpuppt sich als Warmduscher, dachte sie schmunzelnd und setzte sich an den gedeckten Tisch.
Es wurde ein ungezwungenes Essen. Schon nach wenigen Minuten hatte sie das Gefühl, als wenn sie mit Freunden am Tisch sitzen würde. Sie redeten über aktuelle Politik, den heißen Sommer und den alten Golf von Max. Wie er zugab, hatte er ihn persönlich vor ihrer Tür geparkt und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Fahrrad zurück zur Blockhütte gefahren. Lustiger Höhepunkt der Unterhaltung war Sues Beschreibung, wie die Sprinkleranlage sie und alle Kollegen durchnässt hat.
Nach dem Essen zauberte Björn die Rotweinflasche aus einer der Einkaufstüten und bat ihren Gastgeber um einen Korkenzieher. Während Max diesen in der Kochnische suchte, studierte Sue das Etikett.
« Ein Shiraz aus dem Barbarossa Valley, so etwas gibt es hier im Dorf. »
Mit hastigen Schritten war Max zurück am Ecktisch und baute sich vor Björn auf.
« Ihr wart hier im Ort einkaufen? Hast Du elektronisch Bezahlt? »
« Mit EC-Karte, meine dänische », weiter kam er mit seiner Erwiderung nicht, als Max Hand sein Gesicht traf.
« Ich dachte Du bist selbst Hacker! Da kapierst Du die einfachsten Regeln des Unterstauchens nicht! »
Max begann wie ein aufgescheuchtes Huhn im Kreis zu gehen. Die nächsten Minuten führte er einen Monolog dessen Inhalt die zwei nur bedingt folgen konnten. Sie wussten anlässlich des unerwarteten Stimmungsumschwungs nicht wie sie sich verhalten sollten.
« Es gibt keine Vernetzung, woher soll der Bezug stammen. Das sind Fluktuationen im Rahmen gewöhnlicher Parameter. Das wird aus dem Suchraster fallen. »
Nach einer Viertelstunde setzte Max sich wieder an den Tisch und legte den Korkenzieher vor Björn.
« Jetzt brauche ich was zu trinken. »
Der Wein war für ihren Geschmack zu kräftig, doch der hohe Alkoholgehalt besänftigte die Gemüter. Dennoch wagten weder Sue noch Björn nach den Gründen für Max Ausrasten oder den eigentlichen Anlass ihrer Einladung zu fragen. Ersteres konnten Sie sich selbst zusammenreimen, der Typ war paranoid und letzteres würde ihnen Max schon noch erzählen.

Nach einer halben Stunde ohne zielführende Konversation stand Max auf.
« Ich lege mich schlafen. Das linke Zimmer oben ist meins, ihr könnt es Euch in dem rechten bequem machen. Morgen sollten wir konzentriert das Interview durchführen. Ich muss viel erzählen, dann versteht ihr auch warum ich mich so verhalte. »
Er stand leicht schwanken auf, ging aber sicheren Schrittes zur Treppe und stieg hinauf. Auf halben Weg drehte er sich noch einmal um.
« Schlaft gut und bleibt nicht mehr lange auf, es wird morgen anstrengend. »

« War das gerade eine Art Entschuldigung? » frage Björn im Flüsterton
« Du hast es wohl nicht besser verdient. »
Sue schmunzelte und goss sich Wein nach.
« Im Prinzip hat er Recht mit der Nachverfolgbarkeit, aber wen sollte das interessieren? Ich stehe auf keiner Fahndungsliste. »
« Du hast noch gar nicht erzählt, wie er dich kontaktiert hat. »
Björn grinste und nahm auch noch einen Schluck.
« Ich hatte schon vor 4 oder 5 Jahren Kontakt zu ihm »
Sue Mundwinkel rutschten nach unten, Björn redete daher schnell weiter.
« Ich habe ihn heute zum ersten Mal persönlich getroffen. Damals lief das über einen anonymen Chatkanal. Zu der Zeit wollte er ein paar Dinge im Zusammenhang mit der Attacke auf ein großes Pharmakonsortium klarstellen. Da glaubten viele, er hätte die Finger im Spiel. »
« Du meinst die Sache mit Montrox Enterprises? »
« Genau um die ging es » bestätigte er, nicht ohne Bewunderung für ihr Namensgedächtnis. Außerhalb der Hackerszene hatte es wenig Aufmerksamkeit für den Vorfall gegeben.
« Er schrieb mir in einem Chatroom für Hacker eine persönliche Nachricht und vergewisserte sich, ob ich der Björn Engerson bin, der für Combit die Hintergründe zu dem Angriff recherchieren sollte. Dann gab er mir Informationen die sehr hilfreich waren und mir den Einstieg bei Combit erleichterten. »
« Seid ihr seitdem so was wie Hackerfreunde? »
In ihrer Stimme lag wieder Gereiztheit, daher wählte er seine Worte mit Bedacht.
« Er bewegt sich in ganz anderen Sphären wie ich. Aus Hackersicht bin ich in der Kreisliga und er spielt Champions League. Aber er hat mir noch ein paar Mal Informationen zukommen lassen die mir im Job geholfen haben. Das war es aber auch schon. »
« Wie ist er denn dieses Mal an dich herangetreten? »
« Zum Glück hat er nicht die Redaktion von Combit geflutet, das sind nette Leute. Da könnte ich mich sonst nie wieder Blickenlassen. »
Sue dachte unweigerlich ob sie beim Deutschen Tageskurier wieder auftauchen sollte. Hatten Thomas und Sybille einen Zusammenhang zwischen ihrem Klick und dem Brand erkannt?
« Ich saß Zuhause am Laptop, als sich ein Fenster für Videokonferenzen. öffnete. Dann tauchte ein handgeschriebener Zettel im Bild auf. »
« Was für eine abgefahrene Idee. »
« Das ist recht clever. Wenn Du Text sendest, auch wenn er verschlüsselt ist, kann man mit genug Aufwand die Botschaft meist entschlüsseln. »
« Ein Videobild mit Text ist nicht einmal verschlüsselt, das kann jeder mitlesen », gab sie zu bedenken.
« Aber, wenn Du Handschriftliches als Videosignal versendest, weisen im Datenstrom keine Anzeichen auf die Textbotschaft hin. Automatisierte Filter erkennen die Nachricht nicht als solche. »
« Das clevere an der Idee ist also, dass der Datenstrom nicht auffällt. Was stand denn auf dem Zettel? »
« Das er meine Unterstützung braucht für eine Riesensache. Ich sollte nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln und per Anhalter zu dieser abgelegenen Haltestelle und dort auf eine Susanne warten und unterwegs nur bar zahlen. »
« Ups, da haben wir wohl etwas falsch gemacht », fiel sie ihm mit amüsierten Tonfall ins Wort. Vor allem war sie froh, dass ihr dieser Fehler nicht unterlaufen war.
« Wo hast du denn die Karte her, die uns nach hier gelotst hat? »
« Dafür musste ich die Aushangtafel aufschrauben. Die Karte war hinter dem Busfahrplan versteckt »
« Bei dem ganzen Aufwand bleibt die Frage, um was für eine Riesensache es geht? Man könnte meinen die ganze Welt wäre hinter ihm her. »
« Seit ich die Nachricht erhalten habe zermartere ich mir das Hirn darüber. Vielleicht sind ihm wichtige Firmen oder Regierungsgeheimnisse in die Hände gefallen und er hat Angst dass man ihn beseitigen will. »
« In dem Fall wäre die Lage wahrscheinlich entschärft, sobald die Informationen publiziert wurden. »
« Das hätte er doch über eine Enthüllungsplattform wie Wikileaks machen können. Wofür brauch er da ein Interview? » gab Björn zu Bedenken.
« Womöglich hat er Angst in etwas hineingezogen zu werden womit er im Prinzip nichts zu tun hat. So, wie die Sache mit Montrox. »
« Wir werden es hoffentlich morgen erfahren, jetzt brauche ich erstmal Schlaf. Ich werde es mir hier auf der Bank bequem machen. Du kannst oben das Zimmer haben. »
« Das ist lieb von Dir. Ich gehe kurz ins Bad, dann hast du deine Ruhe »
Sie unterstrich ihren Dank mit einer Geste die ein freundliches aber kein zu freundliches Lächeln darstellen sollte. Nicht das er noch auf falsche Gedanken kommen würde.
 
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