Gegensätzliches

Haggard

Mitglied
Gegensätzliches
(Zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten.)


Es war Sommer und der Zirkus gastierte in der Stadt.

Die Hitze der glühenden Sonne hing träge in der Luft. Der Asphalt hatte sich mittlerweile auf eine Temperatur erhitzt, welche einen "Fußnudisten" bitter bestraft hätte.
Stille war allgegenwärtig. Es schien so, als hätte sich der gesamte Zeitenfluss auf die halbe Geschwindigkeit verlangsamt.

Unter der Kuppel des Zirkuszeltes hatte die Luft einen Wärmegrad erreicht, der sich nur noch Bruchteile von der absoluten Unerträglichkeit entfernt befand.

Scheinbar ungetrübt dessen zogen die Clowns in der Manege ihre Nummer durch.

Alle Plätze waren an diesem Nachmittag ausverkauft. Hunderte schweißnasser Körper auf engstem Raume zusammengepfercht. Trotz alledem war bei jedem kleinen
"Missgeschick" der Clowns schallendes Kindergelächter zu hören. Pures, ungetrübtes und ehrliches Lachen aus scheinbar unzähligen Kinderkehlen.
Kinder, die zusammen mit ihren Eltern einen wunderschönen Nachmittag im Zirkus verbrachten.

Arthur hatte einen langen Arbeitstag in der Lagerhalle hinter sich. Stockbetrunken saß er hinter dem Steuer seine VW Golfs und bewegte den Wagen Richtung Heimat.
Er hatte bereits in der Mittagspause zu trinken begonnen. Den Mangel an fester Nahrung in den letzten Tagen hatte er durch ein erhöhtes Maß an flüssiger aufgewogen.
Blinde Wut hatte sich schon wieder seit Beginn des Tages in ihm aufgestaut. Ein dunkles Gefühl, dass in seinem tiefsten Inneren pulsierte und heraus wollte. Und er würde dieses Gefühl nicht länger einsperren können. Es würde sich wieder seinen Weg bahnen.

Die Zirkuskapelle spielte einen weiteren Marsch und die Clowns zogen, nach ihrer dritten Zugabe, überschwänglich aus der Manege aus.
Kinderaugen glänzten, Erwachsene sahen zufrieden im Zelt umher. Nun würde die Hauptattraktion folgen. Die Raubkatzenvorstellung. Von einem Nebeneingang zur Manege hin wurde ein schmaler Pfad aus Metallgittern aufgebaut. Die gesamte Manege wurde nun von ungefähr 3 Meter hohen Gitterzäunen umrandet. Es würde nicht mehr lange dauern und über den kleinen Pfad würden Tiger und Löwen einlaufen, welche von einem mutigen Dompteur zu Kunststücken animiert würden.

Arthurs Leben hatte sich nie besonders schillernd gestaltet. Er war nun 30 Jahre alt und einfacher Lagerarbeiter eines großen Bücherversandhandels. Nach 7 Jahren hatte er seine schulische Laufbahn eigenmächtig für beendet erklärt und war danach sofort zum arbeiten gegangen. Zu seiner Familie hatte er nie einen guten Draht gehabt und hatte deshalb auch alles darangesetzt ihnen aus dem Weg zu gehen. Wenn er je in seinem Leben etwas mit wirklicher Intensität gemacht hatte, dann war es, das er seiner Familie systematisch auswich.
Neben seiner beruflichen Karriere als Hilfsarbeiter hatte er versucht, sich ein zweites Standbein als nebenberuflicher Ganove aufzubauen. Seine ausgeprägte Liebe zum Alkohol, so wie eine, nicht gerade unerhebliche, geistige Retardierung sorgten jedoch dafür, dass er in beiden Berufszweigen nicht besonders erfolgreich wurde.
Mit 18 hatte er eine Frau geheiratet, die ihm in nichts nachstand.
2 Jahre später hatte ihre Liebe Früchte getragen und Lena kam zur Welt.

Arthur hatte den Golf am Straßenrand geparkt und den Motor abgestellt.
Die, seit Tagen anhaltende, Hitze hatte das Fahrzeuginnere in eine Hochofen verwandelt.
Schweiß lief ihm unablässig, in kleinen Bächen, übers Gesicht. Der gesamte Körper des korpulenten Mannes schwitzte und verbreitete gleichzeitig ein, mit dieser Körperfunktion einhergehendes, Odeur das seinesgleichen suchte.
Wankend stieg er aus dem Auto. Diese verdammte Hitze. Obwohl Arthur nur ein Unterhemd und eine kurze Hose trug konnte er diese Tortur nur schwerlich ertragen.
Sie wollte heraus. Die Wut wollte sich einfach nicht im Zaum halten lasen. Wut. Die Wut auf alles, seine scheiß Eltern, sein scheiß Leben, seinen scheiß Job und vor allem auf diese beiden gottverdammten Weiber.
Diese Wut, vermischt mit dieser Hitze. Eine explosive Mixtur.

Der Dompteur war, wie aus einem Bilderbuch. Roter Frack, weiße Hose und kniehohe schwarze Lederstiefel. Seit stattliches Haupt wurde von einem, nicht minder stattlichen schwarzen Zylinder gekrönt. In seiner rechten hielt er eine Peitsche.
Die Tiere gehorchten ihm. Wie ein Dirigent, der vor einem großen Orchester steht, gab er den Raubkatzen unablässig Kommandos, welche prompt befolgt wurden. Tiger, die auf den Hinterbeinen balancierten. Ein Löwe, der durch einen Feuerreif sprang und alles, das zu dieser Vorstellung dazugehörte.
Begeisterung. Das Publikum war begeistert. Glückliche Kinder, zufriedene Eltern, ein fröhliches Lied aus den Reihen der Zirkuskapelle. Trotz der flirrenden Hitze, ein Idyll.
Als die Tiere dann vom Dompteur das Zeichen zur Beendigung der Show erhielten und wieder aus der Manege liefen, begann eine Applaus, der scheinbar nicht mehr enden wollte.
Viele der Kinder waren so begeistert, dass sie, zusätzlich zum Klatschen, mit den Füßen laut auf den Boden vor ihren Sitzen trampelten. Eine Szenerie, die nur mit einem Wort beschrieben werden konnte. Freude.

Diese verdammte Haustüre ließ sich einfach nicht öffnen. Was war nur passiert, war das Türschloss ausgewechselt worden, oder hatte er den falschen Schlüssel.
Oder war er einfach nur schon wieder so betrunken, dass er es einfach nicht mehr fertig brachte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.
Nach einigen weiteren, vergeblichen Versuchen wurde die Türe von Innen geöffnet. Seine Frau stand da und sah ihn an. Für einen kurzen Moment glaubte Arthur, er müsse diese beschissene Visage einfach einschlagen. Die blinde Wut in seinem Bauch, der Hass auf alles und Jeden würde nun überhand nehmen. Der rostige Käfig, den seine Vernunft noch darstellte wurde einfach zerbersten und ebenso würde alles zerbersten, was sich ihm in den Weg stellen würde.
"Was gibt’s zu Fressen?" lallte er, bevor er die Wohnung richtig betreten hatte. Bevor sie jedoch darauf eine Antwort geben konnte hatte er sie mit einem Fauststoß ins Gesicht zu Boden gestreckt. Er sah sich um. Die Wohnung befand sich in einem Zustand, der ihn, sogar in seinem Zustand noch anwiderte. In der gesamten kleinen 3-Zimmerwohnung des sozialen Wohnungsbaus roch es nach Müll und vergammeltem Essen. Schmutzwäsche lag in großen Bergen am Boden des Flurs. Das es nichts, aber schon gar nichts zu essen gab, konnte sich sogar Arthur ausmalen. Sie begann am Boden zu schreiein und die 10-jährige Lena kam aus ihrem Zimmer. Ein mageres Mädchen mit aschfalem Gesicht. Die langen blonden Haare hingen ihr schmuddelig ins Gesicht. Ihr Kleidung hatte schon bessere Tage erlebt. Schon vor Jahren. Vor den Augen des Kindes trat Arthur mit den Füßen nach seiner Frau. Ja, er trat sie so lang in den Magen, bis sie regungslos liegen blieb. "Papa, was machst.....!" Doch bevor der Satz ausgesprochen war hatte er auch sie niedergeschlagen.
Die Frau lag am Boden des Flurs und rührte sich nicht mehr. Ebenfalls halb im Flur, halb in ihrem Zimmer lag das Mädchen und wagte sich nicht zu rühren. Er stand schwankend da und roch nach Schweiß und altem Alkohol. Sein eigener Gestank vermischte sich mit dem der gesamten Wohnung. Eine Szenerie, die nur mit einem Wort beschrieben werden konnte. Verkommenheit.
Er nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich auf die Couch, vor dem Fernseher. Für heute würden sie beide wieder das Maul halten. Wie gestern und vorgestern und alle Tage zuvor, an die er sich erinnern konnte.
Diese Wut in seinem Bauch war nicht verschwunden. Sie hatte sich lediglich wieder ein bisschen mehr nach Innen verzogen. Sie war jedoch allgegenwärtig und jederzeit bereit, wieder auszubrechen. Diese Wut. Diese blinde und sinnlose Wut auf Alles und Jeden. Sogar auf sich selbst. Aber, sollte er sich etwa selbst schlagen? Schwachsinn, diese beiden Drecksweiber durften das alles ausbaden.
Erst als er sich bis fast zur Besinnungslosigkeit weiter betrunken hatte und auf dem Sofa einschlief, wagten die beiden Gestalten im Flur wieder aufzustehen.
"Mama, ich hab solche Angst. Ich kann nicht mehr. Jeden Tag..."
"Halt dein Maul und geh´ in dein Zimmer! Ich liebe deinen Vater und er liebt uns auch. Er wird schon seine gründe haben, wenn er uns schlägt."


Applaus. Schallender Applaus. Die letzte Darbietung des Nachmittags, ein Balanceakt auf dem Hochseil war, wie alle anderen, ein voller Erfolgt gewesen.
In der dritten Zuschauerreihe saß ein etwa 10-jähriges Mädchen zwischen ihren Eltern auf ihrem Platz. Liebevoll hatte sie sich an den Vater geschmiegt, welcher sowohl das Kind, als auch die Mutter liebevoll im Arm hielt.
"Ich liebe euch" sagte das Mädchen "Können wir ein anderes mal wieder kommen?"
"Natürlich" sagte der Vater und warf ihr einen liebevollen Blick zu. Alle drei standen auf.
Der Mann gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und zauberte damit eine wunderschönes Lachen auf ihr Gesicht. Das Mädchen fasste beide an den Händen und sie verließen, zusammen mit den anderen Zuschauern, den Zirkus.


Ende
 

Haggard

Mitglied
Habe bewußt KEINE Verknüpfung zwischen beiden Szenen her-
gestellt, um den Gegensatz hervorzuheben !!
Bedanke mich jedoch, wie letztes mal auch, ganz herzlich
für deine Antwort "Kritik-Junkie" ;)
 

Neziri

Mitglied
Ok, also zuerst will ich mal sagen, daß ich die Idee nicht schlecht finde, und die Geschichte mir eigentlich gefällt. Und jetzt kommt die Kritik ( ja, ich weiß, ich bin wieder mal der 'Böse', aber ich hoffe, du kannst mir meine Ehrlichkeit verzeihen und Nutzen aus ihr ziehen).

Kritikpunkt 1:

Ich hatte beim Lesen das Gefühl, daß du dich nicht wirklich in den Kerl, der sich besäuft und seine Frau und sein Kind niederprügelt, reinversetzen kannst. Ich hab schon mit solchen Leuten zu tun gehabt, mit ihnen gesprochen und auseinandergesetzt. Diese Menschen sind nicht zuletzt verzweifelt, und das kommt bei dir zu wenig heraus. Die Gründe für diese sinnlose - und 'sinnlos' unterscheidet sich von 'grundlos' gravierend - Wut kommen zu wenig zur Geltung.

Kritikpunkt 2:

Die Wut hätte man vielleicht noch ein wenig intensiver beschreiben können, damit man sie als Leser besser nachfühlen kann.

Wie gesagt, im Grunde gefällt mir die Idee, und die Geschichte ja auch, aber ein Kleks Farbe und Emotion (besonders Beschreibung der Emotion), fehlen.
Bis die Tage.
 

Haggard

Mitglied
Hallo Diary!

Vielen Dank für diese positive Äußerung. Ich glaube, du hast
wirklich verstanden, was ich zum Ausdruck bringen wollte.




So und jetzt zu Neziri!

Ich finde, du bist auf keinen Fall der "Böse"
Wie ich mich schon in der Diskussion zu diesem Thema ge-
äußert habe, bin ich der Meinung: "KRITIK IST EIN MUSS" -
egal ob sie positiv oder negativ ist.
Wer nicht kritisiert werden möchte, braucht nicht zu ver-
öffentlichen.

Zu deinem ersten Kritikpunkt:
Du hast vollkommen recht. Ich habe mich nicht wirklich in
den Kerl reingedacht, der seine Familie tyrannisiert. Und nun der Witz der ganzen Sache: Ich habe es deshalb nicht getan, da ich beim Leser kein Verständnis für diesen Menschen hervorrufen wollte, sondern nur Verachtung. Deshalb
habe ich diese Wut als sinnlos bezeichnet und nur an der Oberfläche herumgekratzt!
Glaub mir, ich habe berufsbedingt oft mit solchen Leuten zu
tun und oft sind nicht weltbewegende Gründe für deren "Absturz" verantwortlich sondern sie sind es einfach
selbst. Und ich glaube, "mein Arthur" ist einer von jenen...

Zu Kritikpunkt 2:
Muß ich mich geschlagen geben. Du hast recht!!

Bedanke mich jedoch recht herzlich für deine Kritik!
Kann auf alle Fälle was daraus lernen


Bis demnächst


Haggard
 

Haggard

Mitglied
Hi Flammarion

Freut mich, daß dir die Geschichte gefällt. Hat dich der
Schluss wirklich derart berührt?

Bezüglich der Männerwelt gibt es doch noch Hoffnung ;)
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

hat mich sehr berührt. ich habe in meiner kindheit fast nur solche kinder gekannt, die der brutalität ihrer eltern ausgeliefert waren, mir selber gings auch nicht besser. das einzige kind in unserem haus, das von seinen eltern geliebt und geachtet wurde, bezeichneten die anderen erwachsenen als verwöhnte göre. lieben gruß
 



 
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