Interpretationsversuch
„Geh nicht allein!“ wird uns wiederholt geraten.
Das hört man ja allenthalben in der gelebten Wirklichkeit.
Gehe nicht deine eigenen Wege, verlasse die ausgetretenen Pfade und Denkpfade nicht, könnte man den Aufruf verstehen.
„Geh nicht allein in das Sternenzelt“ meint dann vielleicht: Auch ins Reich der Poesie verirre dich nicht auf eigene Faust. Bleib in deiner Gruppe, bleib bei deinen Leuten, die dir ähnlich sind.
Das Bild des Dichters und Denkers, der zurückgezogen aus der Distanz seine Beobachtungen macht und seine Worte formt, ohne sich vorab vereinnahmen zu lassen, wird einer kritischen Prüfung unterzogen, die er gegenwärtig nur vielleicht besteht.
Es bleiben ihm nicht mehr viele Möglichkeiten.
Vielleicht noch Eskapismus.
Fersengeld geben und sich in bessere Illusionen flüchten ist aber auch nur bedingt hilfreich, wo doch die allgemeine Denk- und Marschrichtung schon feststeht und doch ziemlich verderblich ist.
Es ist nicht an dir und mir, mitzubestimmen. Technokratisch wird über unseren Köpfen daran herum- „geschraubt“.
Und dann: Die blauen Stiefel sind ohnehin verstaubt.
Will sagen: Du bist es doch gar nicht mehr gewohnt, eigenmächtig herumzuwandern. Längst hast du dich angepasst und eingeschränkt, ohne es zu merken.
Wohl nicht zufällig darf an dieser Stelle die Farbe Blau einfließen, trautes Sinnbild der Romantik.
Blau sind die Stiefel, die Abenteuerlustige hinaustragen könnten in die verträumten, trostreichen Weiten der Phantasie, würden sie nicht vergessen in der Ecke verrotten.
Dagegen die realen Weiten des Sternenzelts werden bedrohlich und düster gezeichnet. Jederzeit könnte dir ein Stern auf den Zeh fallen! Surreale Ängste werden geschürt und verfangen sich im Denken.
Dass herunterfallende Sterne eigentlich „nicht erlaubt“ sind, ist demgegenüber wohl ein Verweis auf eine überbordende Bürokratie, welche meint, selbst Naturgesetze beherrschen und mit Paragraphen reglementieren zu können.
Derart wird uns eine Wahrheit vor- und wird absolut gesetzt.
Nur das zählt, was gezählt wird.
Jedoch, was ich mit eigenen Augen sehe, wird mir nicht geglaubt, von niemandem. Es zählt nicht.
Noch nicht mal, wenn mir der „Sonnenwagen“ ein bisschen Licht vor die Füße wirft.
Derweil Stimmen gellen, wo sich nur noch Hass und Unverständnis entgegengebrüllt wird. Destruktion und Gleichschritt. Stechschritt und Disziplin.
Es ist wahrhaft schlimm unterm Sternenzelt, das mit Nichts aufgeblasen und im Kern von Nichts zusammengehalten wird.
Alles, alles ist darauf ausgelegt, dich aus deiner schönen Welt zu reißen, die du dir vielleicht in deinem Kopf zusammenreimen könntest; immer zurück in diese Wirklichkeit, die zu gestalten dir längst nicht mehr obliegt und die von daher schon so harsch und gefährlich ist, dass man am Ende tatsächlich gut beraten ist, sich allein nicht mehr allzu weit vorzuwagen.
Dein Kopf füllt sich mit dem gellenden schwarzen Nichts, das dir die Nerven raubt. Dein Haupt wird seinerseits selbst zu einem „Nichts“, das sich eben noch zu dir umgedreht hat.
„Wenn du zu lange in einen Abgrund hineinblickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird“ - hört man Nietzsche zwischen den Zeilen flüstern.
So geht es dahin.
Bis dir die blauen Stiefel bald schon gar nicht mehr passen.