Geheimnis um ein Grabmal

Ruedipferd

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Geheimnis um ein Grabmal


Was geschah wirklich am 23.Februar 1918? Wie starb der letzte Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, Adolf Friedrich VI?


Vorgeschichte

Als mein Bruder vor zwei Jahren ein Boot kaufte, suchten wir einen geeigneten Liegeplatz an der Müritz dafür. Wir fanden einen kleinen Verein am Mirower See, der durch den Mirower Kanal mit der kleinen Müritz und der Müritz-Elde Wasserstraße verbunden ist. Gegenüber unserem Steg erblickte ich ein wunderhübsch restauriertes Schloss. Es war der erste Ort, den ich in Mirow besuchte. Seitdem lässt mich der geheimnisvolle Zauber, welcher über der Schlossinsel liegt, nicht mehr los. Der größeren Insel mit den Gebäuden, ist eine kleine Insel vorgelagert, die man über eine Brücke zu Fuß oder mit dem Rad erreicht. Das Barockschlösschen gehörte den mecklenburgischen Herzögen aus der Linie Strelitz, die 1731 ihren Regierungssitz in Neustrelitz nahmen. Neben der Schlossanlage befindet sich die Johanniter Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Dort kann man die Särge der herzoglichen Familie hinter Glas betrachten. Wer das kleine Schloss von außen sieht, glaubt nicht, wie viel Prunk und Schönheit sich hinter seinen Mauern verbirgt. Es war vollkommen zerstört und wurde liebevoll restauriert. Eine Schlossführung und Besichtigung sind für Besucher ein unbedingtes Muss.

Die Wurzeln etlicher Fürsten-und Königshäuser liegen in Mirow

Berühmt ist das Schloss u.a. wegen des drei Königinnenpalais, welches im angrenzenden Kavaliershaus untergebracht ist. Aus dem kleinen unscheinbaren Hause Mecklenburg-Strelitz stammten drei regierende Königinnen.

Den Anfang machte die 1744 im später ausgebrannten unteren Mirower Schloss geborene Charlotte. Sie heiratete mit 17 Jahren Georg III von England und wurde Königin von England. Sie hatte vierzehn! Kinder und eines davon, ihr Sohn Eduard, wurde Vater von Königin Victoria. Aus der Ehe Victorias mit ihrem Mann Albert von Sachsen-Coburg -Gotha entstammen Königin Elisabeth und ihre Nachkommen, König Harald von Norwegen, König Carl-Gustav von Schweden, Sophia und Juan Carlos mit Felipe von Spanien, Margarethe von Dänemark, Konstantin von Griechenland, Michael von Rumänien. Desweiteren die Herrscherhäuser Serbiens, Russlands, Preußens, Sachsen-Coburg-Gotha, Hannover, Hessen, Baden und Frankreich und natürlich Prinz Phillip.

Die Paradiesvogelblume, die Stadtblume von Neustrelitz, wurde nach der botanisch interessierten Charlotte Strelitzie genannt. Viele Orte in Amerika und auf der ganzen Welt tragen ihren Namen. Und noch jemand heißt wie sie: Charlotte, die Tochter von William und Kate. Wobei es noch eine zweite berühmte Charlotte in England gab: Die viel zu früh im Kindbett verstorbene Tochter von Charlottes ältestem Sohn George, der als George der IV König von England wurde. Ihr Mann Leopold wurde König von Belgien und war der Onkel Victorias, weil deren Mutter seine Schwester Marie Louise Victoire gewesen ist. Leopold beriet die künftige britische Königin, wurde einer ihrer engsten Vertrauten. Die durch den frühen Tod Charlottes verursachte Kinderlosigkeit des Königs und die seiner beiden Brüder ebnete Victoria den Weg zur Thronfolge. Schaut man sich die Stammbäume an, trifft die Bezeichnung Großmutter Europas nicht nur allein auf Victoria zu. Ausschlaggebend war deren Großmutter Charlotte. In Mirow fing alles an. Das kleine Schloss ist Geburtsort der Vorfahrin der meisten Königs-und Fürstenfamilien Europas und des letzten russischen Zarenhauses. Zwei Nichten machten es der berühmten Tante nach: In Hannover wurde 1776 aus dem Hause Mecklenburg-Strelitz Luise geboren sowie ihre zwei Jahre jüngere Schwester Friederike. Luise wird eine der wichtigsten und beliebtesten Königinnen von Preußen und bezaubert Napoleon, Friederike wird Königin von Hannover.

Magie und Faszination

Nach der Schlossbesichtigung gönnte ich mir einen Kaffee und ein Stück Torte im Schlosscafe. Natürlich tragen die Torten die Namen ihrer Königinnen. Die Aussicht auf den See, traumhaft. Nach dem stärkenden Kaffee wanderte ich über eine Brücke auf die kleinere Insel, die Liebesinsel genannt wird. Dort befindet sich ein Grabmal, das der Tote selbst ein Jahr vor seinem Ableben entworfen hat: Eine abgebrochene Säule als Zeichen eines zu früh abgebrochenen Lebens und die Schlange des Lebens, die sich um die Säule windet. Sie zeichnet für die ewige Verbundenheit von Leben und Tod. Gegenüber dem Grabmal stehen zwei große Bänke aus Stein, auf denen man ausruhen und nachdenken kann. Die meisten Leute kommen zu Fuß oder mit dem Rad auf das Inselchen, lesen die Inschrift an der Grabplatte: Gott ist die Liebe und gehen weiter. Das Grab ist für die Besucher ähnlich populär wie die Mona Lisa oder Venedig.

Mich faszinieren Schlösser und Adelsfamilien und ich interessiere mich für Geschichte. Ohne sie wären wir gar nicht hier. Das Hier und Jetzt ist ein Produkt des Früher und Damals. Leider vergessen die Menschen die Vergangenheit schnell und ... machen in der Gegenwart dieselben Fehler.

Ich konnte meinen Blick nicht von dem ungewöhnlichen Stein abwenden, las immer wieder den Namen des jungen Mannes, der mit 36 Jahren bereits so früh sterben musste. Gott ist die Liebe steht auf dem Grabmal. Daher rührt wohl die Bezeichnung Liebesinsel, dachte ich mir. Die abgebrochene Säule als Sinnbild für den frühen Tod und die Schlange, die uns klarmacht, dass wir einem immerwährenden Kreislauf unterliegen: Geburt und Tod. Wenn man weiß, dass Leben und Tod untrennbar miteinander verbunden sind und zum Leben der Tod gehört, fällt es einem leichter, ihm in jüngeren Lebensjahren ins Auge zu sehen. Er ist immer da, begleitet jeden, der geboren wird und holt uns ein, wenn die Zeit gekommen ist. Leben und Tod bilden eine ewige Einheit, einen Kreislauf. (Nicht nur der Mensch lebt und stirbt, auch Sterne und Galaxien gehen eines Tages unter, wie wir wissen.)

Lebenslauf und erste Interpretationen

Adolf Friedrich VI war von 1914 bis 1918 der letzte regierende Großherzog des Hauses Mecklenburg-Strelitz. Inspiriert von dem außergewöhnlichen Grabmal, das auf der kleinen Insel angelegt wurde und nicht zu den anderen Familienmitgliedern in der öffentlich zugänglichen Gruft in der Johanniter Kirche gehört, gefangen von der geheimnisvollen Aura, die den gesamten Ort umgibt, wollte ich mehr wissen. Sein Leben und Schicksal, die Umstände seines frühen Todes begannen mich zu interessieren. Die kleine Grabesinsel strahlt Magie aus. Was war er für ein Mensch, warum starb er so früh und woran? Wie war sein Leben? Was liebte er, was hasste er? Mein Weg führte an den Computer. Ich gab seinen Namen ein und las, was Wikepedia über Adolf Friedrich VI von Mecklenburg-Strelitz, geboren im Juni 1882, gestorben am 23./24.Februar 1918 wusste.

Was ich erfuhr, zog mich in seinen Bann und erstaunt musste ich feststellen, dass Gefühle nicht ohne Grund entstehen. Das Foto in schwarz-weiß zeigt einen jungen Mann in Uniform, glattrasiert, glattes kurzes dunkles Haar, gepflegte Erscheinung, stolzer klarer Blick, aber nicht überheblich. Gradlinig in Gestalt, ausdrucksvolle warme Augen und heute sicher wie damals der erklärte Schwarm junger Frauen. Und…wahrscheinlich auch nicht unattraktiv für entsprechend veranlagte Männer.

Er war der älteste Sohn in einer vierer Geschwisterreihe und trug bereits bei der Geburt den Titel Erbprinz von Mecklenburg-Strelitz. Die Taufe wurde groß gefeiert. Das war nichts Ungewöhnliches, war er doch durch Charlotte und Victoria mit den meisten hohen Gästen verwandt. Einer seiner Paten war Friedrich III von Preußen, der für drei Monate König von Preußen wurde. Der spätere Kaiser Wilhelm II war also der Sohn von Adolf Friedrichs Patenonkel.

In Neustrelitz wuchs er mit Hauslehrer, wie damals üblich, auf. Adolf machte sein Abitur in Dresden und studierte in München. Mitschüler am Gymnasium, Verwandter und Freund in Dresden war Großherzog Friedrich Franz IV von Mecklenburg-Schwerin. Mit diesem reiste er als Fünfundzwanzigjähriger 1907 in die Kolonien Togo und Kamerun. Als künftiger Großherzog musste Adolf Friedrich eine Armeelaufbahn absolvieren, was er beim 1. Ulanengarde-Regiment in Potsdam tat. Diese Zeit von 1908 bis 1911 hat ihn in Berlin an die Oper geführt, wo er auch Damenbekanntschaften machte. Nach der Beförderung zum Rittmeister verließ er die Armee 1911, um sich auf seine Rolle als Großherzog vorzubereiten. Viel Zeit verbrachte der junge Mann zwischenzeitlich in England.Er nahm 1901 an der Beerdigung Königin Victorias teil und 1911 an der Krönung von König George V und Königin Mary. Seine geliebte und verehrte Großmutter Augusta von Cambridge konnte aus gesundheitlichen Gründen an der Krönung des Großvaters von Queen Elisabeth nicht mehr teilnehmen. Adolf liebte und achtete England, in dem es weniger streng bei Hofe zuging, als in Preußen und in seinem eigenen herzoglichen Haus Mecklenburg-Strelitz. Seine Großmutter Prinzessin Augusta Karoline von Cambridge, die nach ihrer Ehe mit ihrem Cousin Friedrich Wilhelm II Großherzogin wurde, beeinflusste ihn sehr. Sie hatte ein Haus in London geerbt und verbrachte dort viel Zeit, bis sie nicht mehr reisen konnte. Sie starb 1916 und hinterließ in ihrem Enkel eine große Lücke. Augusta ruht in der Gruft der Johanniterkirche in Mirow.

1904 waren die beiden Großväter Großherzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg-Strelitz und Herzog Friedrich I von Anhalt verstorben. Durch die Thronfolge seines Vaters wurde Adolf Erbgroßherzog.

Sein sechs Jahre jüngerer Bruder Borwin, zu dem er ein inniges Verhältnis hatte, kam bereits1908 ums Leben.

Der junge Erbgroßherzog begann sich politisch zu engagieren. Er hielt 1913 vor dem gemeinsamen mecklenburgischen Landtag eine Rede, in der er die Landstände aufforderte, ihren Widerstand gegen Reformen aufzugeben

Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914 starb Adolfs Vater und der junge Mann musste zwei Probleme lösen: Zum einen die Regentschaft antreten und zum anderen seinen militärischen Verpflichtungen nachkommen. Letzteres geschah als Oberst der 17. Division, die an der Westfront in Frankreich kämpfte. Als Soldat musste er damit leben, im Krieg zu fallen. Vielleicht war das auch Grund, frühzeitig ein Testament aufzusetzen um damit die Thronfolge des Hauses abzusichern, denn Adolf war noch nicht verheiratet und hatte keinen legitimen Erben. Das Grabmal passt dazu. Ein junger Mann, der mit 36 Jahren im Krieg fällt, kann mit Fug und Recht sagen, dass sein Leben zu früh abgebrochen ist. Die Schlange sollte ihm Trost sein: Alles ist vergänglich, Tod und Leben ein Kreislauf, dem sich ein jeder unterwerfen muss.

Adolf Friedrich tat seine Pflicht, leistete Militärdienst und versuchte das Leid seiner hungernden Bevölkerung zu lindern. Er ließ dazu den Rasen vor dem Neustrelitzer Schloss umgraben und erlaubte den Menschen dort Kartoffeln anzubauen. Er sorgte für Nahrungsmittellieferungen, besuchte Lazarette und das Strelitzer Blindenheim, in dem von Gasangriffen verwundete Soldaten behandelt wurden. Seine humanitären Hilfsaktionen brachten ihm Achtung und Respekt der Bevölkerung ein.

Verhandlungen über eine Verfassung und weitreichende Reformen im Land mit seinem Vetter Friedrich Franz IV von Mecklenburg-Schwerin scheiterten 1917.

Privates

A.) Als Kunst und Opernliebhaber pflegte Adolf Friedrich eine innige Freundschaft zur damals erfolgreichen Operndiva Mafalda Salvatini, die ihr Debüt 1908 an der Berliner Staatsoper in Verdis Aida gab und zusammen mit Enrico Caruso sang. Sie gehörte bis 1914 zum Ensemble, gab diverse Gastspiele außerhalb Berlins. Von 1914 bis 1923 arbeitete sie am Deutschen Opernhaus. Bereits 1908 hatte sie den Forscher Walter Gerard geheiratet und zwei Söhne mit ihm bekommen. (1909 und 1912) Adolf lud sie in den Jahren 1915 und 1916 oft zu sich ein. Böse Zungen dichteten ihm deshalb die Vaterschaft zu den beiden Jungen an. Doch die Besuche dienten dazu, ihm bei der Umsetzung seiner ehrgeizigen künstlerischen Pläne zu helfen, aus Neustrelitz eine Opern-und Theaterhochburg zu machen. Nachfahren der Söhne leben heute. Man könnte dem Gerücht mit einem Vaterschaftstest ein Ende bereiten.

B.) Eine weitere Freundin war die englischstämmige schlesische Fürstin Daisy von Pless, die sich als High Society Lady einen Namen machte. Die wohlhabende lebenslustige Fürstin, mit der sich der junge Großherzog während des Krieges in Neustrelitz und Heringsdorf getroffen hatte, war genau wie er sozial engagiert. Sie pflegte als Rotkreuzkrankenschwester in Kriegslazaretten verwundete Soldaten. Sie bat ihn, ihr bei Nachforschungen über das Schicksal englischer Offiziere zu helfen. Weil er in Heringsdorf in den Jahren 1915-1917 ein Haus gemietet hatte und dort allen Luxus (Kutschen, Auto, gutes Essen) besaß, wurde er trotz des heimatlichen sozialen Engagements kritisiert. Die verheiratete Daisy, neun Jahre älter, lernte Adolf 1902 kennen. 1912 traf man sich wieder. Bei Ausbruch des Krieges meldete sich Daisy als Rotkreuzschwester in Tempelhof. Dort war auch Adolf stationiert. Als sie das Kriegsgefangenlager Döberitz besuchte und dort mit den englischen Soldaten sprach, geriet sie in den Verdacht eine Spionin zu sein. Das ungeschickte Verhalten blieb nicht ohne Folgen für sie…und für ihren platonischen Freund. Ihre Briefe wurden zensiert und Adolf geriet unter Spionageverdacht. Beide hatten aber nie die Möglichkeit kriegsentscheidende Geheimisse zu erfahren, damit bleibt dieser Verdacht haltlos. Sie hielten Freundschaft, verlebten in Heringsdorf eine gute Zeit und erholten sich vom grauenhaften Kriegsgeschehen.

C.) Mythen ranken sich um die Liaison zur 1875 geborenen Schauspielerin Margrit Höllrigl. Diese kam in den 1890er Jahren nach Wien und reiste danach nach Berlin, wo sie sich adelte und ein von vor ihren Namen setzte. Das öffnete ihr die Türen zu illustren Herrenbekanntschaften. Auch Adolf Friedrich gehörte zu ihren Verehrern. Er wollte sie angeblich sogar heiraten, was den Thronverzicht nach sich gezogen hätte. Adolf hatte dies eingeplant und wollte seinem jüngeren Bruder Borwin die Krone überlassen. Dieser kam jedoch 1908 bei einem Duell in Metz ums Leben. Von da an war klar, dass aus der Heirat a la Wallis Simpson nichts mehr werden konnte. Das muss der Höllrigl klar gewesen sein. Sie wäre als bürgerliche Schauspielerin ohnehin niemals Großherzogin geworden.

Selbst, wenn es mit der Abdankung zugunsten des Bruders geklappt hätte, ist davon auszugehen, dass Adolfs Vermögen, welches sich auf den privaten Reichtum aufgrund seiner Stellung als Großherzog bezog, ziemlich geschmälert worden wäre. Die Dame hätte sich finanziell mit Sicherheit irgendwann einmal einschränken müssen. Die Beziehung der beiden muss trotzdem viele Jahre Bestand gehabt haben. Erst 1918 meldete sie sich wieder zu Wort und wollte Geld, das ihr Adolf angeblich zugesagt hatte. Die Briefe, die selbiges belegen sollten, lagen, so Höllrigl, in London in einem Safe. Sie konnte sie nicht holen, da Krieg war. Sie sollten auch amouröse Inhalte hinsichtlich einer homosexuellen Veranlagung des Großherzogs enthalten. Weil er mit ihr ohne Frage in all den Jahren vorehelichen Sex gehabt haben muss, konnte er allenfalls bisexuell sein. Auf Homosexualität stand damals nach dem erst 1994 gestrichenen §175 STGB Gefängnis. Adolf war sicher nicht so unklug, Ausflüge in diese Welt an die große Glocke zu hängen. Hatte er selbst der Höllrigl darüber geschrieben? Woher kann sie sonst davon wissen? Welcher Art waren die Kontakte, so sie denn existierten?

Homosexualität in Fürstenhäusern war nichts Ungewöhnliches. Adolfs Vorfahre Adolf Friedrich IV blieb ebenfalls unverheiratet und starb kinderlos. Fürstliche Erben wussten um ihre Pflicht, durch legitimen Nachwuchs das Haus zu erhalten und Hochzeiten wurden in diesen Kreisen arrangiert, so dass man sich nicht einmal selbst bemühen musste, eine passende Ehefrau zu finden. Es muss also einen triftigen Grund für die Ehelosigkeit gegeben haben.

Ob ein Skandal angesichts der Kriegswirren und Notlagen für Adolf Konsequenzen gehabt hätte, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen und ob die Meldung homosexueller Umtriebe des Großherzogs de facto dem Land geschadet hätte, ist meines Erachtens fraglich. Der Kaiser war selbst kein Kind von Traurigkeit und musste sich den Vorwurf des Beischlafdiebstahls seitens einer Prostituierten gefallen lassen. Zudem traf er sich in jungen Jahren mit dem Grafen Eulenburg auf dessen Schloss. Diese Zusammenkünfte mit einer Anzahl junger Männer gerieten bald in den Verdacht homoerotische Umtriebe zu fördern. Bekannt für homosexuelle Ambitionen war Max von Baden und der lebte nach seiner Alibi- Heirat unbehelligt. Man hätte nach dem Krieg, so sich die Monarchie erhalten hätte, anderes zu tun gehabt, als das Großherzogtum mit Klatsch und Tratsch zu schwächen. Zudem war die standesgemäße Ehe für Adolf Friedrich mit einer Verwandten der Daisy von Pless, der Prinzessin Benigna Reuss zu Köstritz bereits angebahnt. Spätestens bei der Geburt eines Thronerben wären die Gerüchte verstummt.

Höllrigl hätte in einer standesgemäßen Ehe Mätresse bleiben können. Gespielinnen männlicher Herrscher waren normal an den Höfen. Sie drohte jedoch die Briefe zu veröffentlichen um einen Skandal zu verursachen. Wie sie das während der Kriegszeit bewerkstelligen wollte, wenn sich die Briefe nach eigenen Angaben unerreichbar in England befanden, bleibt unklar. Sicher ist, sie forderte Geld von ihrem einstigen Schatz. Friedrich garantierte ihr angeblich 5 Millionen Goldmark.

Es ist zu bedenken, dass ihm wenig Zeit blieb, die Höllrigl so gut kennenzulernen, dass es bereits 1908 für ein Eheversprechen und die Abdankung gereicht hätte. Adolf ging mit zwanzig Jahren 1902 nach München um Jura zu studieren, 1904 wurde er Erbgroßherzog, 1901 und 1911, wie auch 1912 und 1913 verbrachte er die Sommerzeit in England. Von 1908 bis 1911 diente er in Potsdam. Sein Bruder starb bereits am 24. August 1908. Ab 1914 war Adolf nach dem Tod des Vaters in Neustrelitz in die Regierung und einen Monat später in den Kriegsdienst eingebunden. Seine Kontakte während des Krieges bestanden zu Mafalda Salvatini und zu Daisy von Pless. Ob Höllrigl, wie Daisy, mit ihm in der Villa in Heringsdorf Urlaub machte, ist höchst fraglich.

Strelitz besaß das gemeinsame Justizministerium von Mecklenburg-Schwerin und Strelitz. Adolfs Beratern und Ministern konnte das Dilemma nicht verborgen geblieben sein. Warum hat er nicht seine eigenen Kontakte und die Daisys nach England genutzt, um die Briefe ausfindig zu machen? Er hätte die Höllrigl als Spionin markieren und die Briefe mithilfe seiner Verwandten aus dem Schließfach der Bank einziehen lassen können. Warum wurde die Höllrigl nicht ausgeschaltet? Erpressung ist strafbar. (Preußisches Strafgesetzbuch 1851) Adolf hätte einen ganzen Stab von Rechtsanwälten und Geheimagenten an seine Seite holen können. Es ging nicht nur um seine private Ehre, sondern um die Staatsräson. Er trug die Verantwortung für fast 650 000 Menschen.

Das wusste Staatsminister Heinrich Bossart. Warum hat dieser nicht selbst gehandelt und die Angelegenheit für seinen Großherzog aus der Welt geschafft? Warum sollten voreheliche Amouren ein Hindernis für eine standesgemäße Ehe sein? Aufgabe des Staatsministers Bossart wäre gewesen, den jungen Mann zu beruhigen und ihn nicht, wie in einem angeblichen Abschiedsbrief von Adolf Friedrich steht, auch noch in der Annahme alles vermasselt zu haben, zu bestärken.

(„Ich habe wie Sie den einen Wunsch gehabt, los und möglichst bald von der besagten Dame, um ein neues Leben zu beginnen. Aber, wie Sie so richtig sagten, es ist schon zu bekannt und wohl auch schon bald in München—(gemeint ist der Wohnort der Prinzessin, Anmerkung des Verfassers )-Also wäre für meine Zukunft alles verloren, keine Erben und keine Freude mehr für mein Land.) Abschiedsbrief LHAS, 1.2.204. siehe Quellen

Das Verhalten des Ministers wirft Fragen auf. Er ist verpflichtet Unheil vom Land abzuhalten und dass es regierende Könige und Herzöge ihren Ministern nicht immer leicht machten, gehörte zum „Job“ dazu. Als Berater hat Bossart jedenfalls kläglich versagt.

Für Margit Höllrigl hatte sich die Erpressung nicht gelohnt. Sie konnte 50 000 Mark einklagen. Das wurde 1926 dem SPD Abgeordneten Dr. Rosenfeld vom Staatsminister Mecklenburg-Strelitz Dr. Hustedt mitgeteilt, als der die Ansprüche der Mätressen wissen wollte. Rosenfeld sprach von 5 Millionen Goldmark für gewisse Briefe, worauf Hustedt erklärte, dass das Verfahren noch beim Landgericht Dresden anhängig wäre.

Höllrigl besaß die Taktlosigkeit, Adolfs Mutter und die beiden Schwestern als Hohe Erbinnen auf die Einhaltung der Zusage zu verklagen. Zeitgleich kam es nach dem Krieg in Deutschland zu sogenannten Fürstenausgleichen, so dass 1928 auch die Hohen Erbinnen entschädigt wurden und ihrerseits, wie der einzig mögliche legitime Erbe des Hauses Carl Michael vor ihnen, auf Rechte und wichtige Papiere, wie das Hausarchiv zugunsten des Mecklenburger Staates verzichteten.

Höllrigl war zu einer Gräfin Bubna und Litic aufgestiegen. Sie taucht unter diesem Namen aber nicht im Adelsregister der Familie auf. Auch die Frage, wie sie dazu gekommen sein konnte, lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Franz Johann Graf von Bubna und Litic-Gersich, der als Maler und Künstler in Berlin weilte und als Namensgeber und Ehemann gehandelt wird, war zwar 1908 von seiner ersten Frau Irene geschieden worden, hatte aber 1918 wieder geheiratet und diese Ehe hielt bis 1928. Danach soll er in New York eine Irma Schubert geb 1895 geheiratet haben. Diese Ehe ist nicht näher dokumentiert. Auf jeden Fall scheidet er als potenzieller Ehemann aus, denn Höllrigl trug den Titel bereits in den Gerichtsverfahren gegen die Hohen Erbinnen 1926 und da war er noch verheiratet.

Es existiert ein Bild von Margrit Höllrigl alias Gräfin Bubna-Litic, das der Maler Sir John Lavery von ihr gezeichnet hat. Am 4.3. 2013 kam es in RDS Clyde Hall, Angleses Road, Ballsbridge in Dublin zur Auktion. Maler des Ölgemäldes war Sir John Lavery RA RSA RHA, 1856-1941. Titel: Portrait of a Lady (thought to be Margrit Höllrigl) Im erläuternden Text steht, dass Margrit Höllrigl in den frühen 1890ern nach Wien und dann nach Berlin kam, ihren Namen in einen aristokratischen änderte und neben vielen anderen reichen Herren auch Adolf Friedrich kennenlernte. Sie soll das Land in den späten 20er Jahren nach Amerika verlassen haben, muss aber vor 1935 wieder in Deutschland gewesen sein. Sie taucht in den Passagierlisten der „Bremen“, die am 21.05.1935 von Bremen nach Southampton fuhr auf. Der Name: Margit Bubnalitic, Gräfin. Möglicherweise war das schwebende Gerichtsverfahren in Dresden, welches erst nach 1926 entschieden wurde und negativ für sie ausging, der Grund. Sie war überdies in Deutschland von der Inflation Ende der zwanziger Jahre betroffen und sicher mittellos, als sie zwei Jahre nach Hitlers Machtergreifung das Land verließ.

Dass sie auf irgendeine Weise den Adelsnamen erworben haben muss, belegt ein Grabstein, auf dem Friedhof Grinzing 19. Döbling, in Wien. Dort befindet sich folgende Inschrift:

In trauerndem Gedenken des geliebten, unvergesslichen Gatten und Vaters, des Schriftstellers Franz Höllrigl gest. am 14.Juli 1907 im 72.Jahre seines arbeitsreichen Lebens ihm folgte seine treue Gattin, meine herzenzgute unvergessliche Mutter Berta Höllrigl gestorben am 23.März 1936, im 83.Lebensjahr. Deren Tochter Margit Gräfin Bubna-Litic gestorben am 12. Juli 1952 im 77. Lebensjahr. Die Liebe höret nimmer auf I Cor.13,8

Dr Alfred Höllrigl-Rosta 1894 -1950 Frieda Höllrigl-Rosta 1898-1990

Sie muss also 1875 geboren sein und war um die 22 Jahre alt, als sie nach Berlin kam. Zum Zeitpunkt des Todes von Adolf war sie ca. 43 Jahre alt, er 36 Jahre. Auf dem Grabstein steht des Weiteren der Satz: Die Liebe höret nimmer auf. Es ist davon auszugehen, dass der Tote Alfred ihr jüngerer Bruder war. Den Grabstein mit den Inschriften in der Reihenfolge kann nur dessen Ehefrau Frieda Höllrigl gesetzt haben. Alfred starb vor ihr und seiner Schwester.

Damit wurde jedenfalls ein kleiner Teil der Lebensumstände von Margrit Höllrigl rekonstruiert.

D.) Adolfs Cousine Marie Auguste von Anhalt, die mit Joachim, dem sechsten Kaisersohn verheiratet war, welcher sich nachweislich am 18. Juli 1920 in der Villa Liegnitz erschoss, überbrachte Adolf im Winter 1918, zwei Tage vor seinem mysteriösem Tod, einen Brief des Kaisers, indem ihm dieser wohl mitteilte, dass eine gewisse Sache aus Adolfs Privatleben an die Öffentlichkeit käme. Was den Kaiser bewog, sich in die Angelegenheit einzumischen, ist unklar. Er hatte im Februar 1918 sicher anderes zu tun, als sich mit Amouren des Patenkindes seines Vaters zu befassen. Auch die Rolle Marie Augustes in der Angelegenheit ist undurchsichtig. Als Frau benötigte sie Hofdamen und eine Eskorte, die mit ihr reisten, selbst wenn sie nur zwei Stunden mit der Bahn nach Berlin brauchte. Der Aufwand war sehr hoch. Ein Offizier hätte die kaiserliche Nachricht günstiger überbringen können. Zumal Marie Neustrelitz sofort nach der Briefübergabe wieder verließ. Ein mitgereister Gardeoffizier nahm Quartier im Hotel Mecklenburger Hof und fuhr erst ab, als man den Leichnam gefunden hatte. Das lässt viele Fragen, auch zum Bewegungsprofil des Offiziers, unbeantwortet. Adolf kannte nicht nur die kaiserliche Familie, sondern auch Minister, Offiziere und sicher auch etliche Bedienstete. Warum übernachtet ein Soldat nicht als Gast in der Garnisonskaserne, sondern nimmt ein Hotelzimmer?

Das Unglück

Am 23. Februar 1918 verließ der Großherzog das Parkhaus in Neustrelitz, welches er selbst zu bauen in Auftrag gegeben hatte. Er wollte mit einem seiner Hunde, einer Dogge, (in Heringsdorf gab es sogar zwei Doggen) spazieren gehen. Irgendwann auf dem Weg passierte ein für ihn tödlicher Zwischenfall. Laut Bericht des Amtsarztes Dr. Wilda war der Großherzog von einer Kugel getroffen, vorn übergefallen und ins Wasser gestürzt. Dort sei er ertrunken. Über die Art der Schussverletzung scheiden sich die Quellen: Mal war es das Herz, mal die Schläfe. Die Leiche wurde im Kammerkanal am nächsten Morgen zusammen mit dem verstörten Hund und seiner im Wasser treibenden Mütze gefunden. Da man annahm, dass der Schuss nicht sofort zum Tod führte, sei der Großherzog bei dem Versuch sich zu erschießen, ertrunken. Untermauert wird die Selbstmordtheorie von einem Abschiedsbrief an den Minister Heinrich Bossart. Dagegen spricht der aufgesetzte Schuss in Herzrichtung und das Fehlen der Tatwaffe bis heute, so dass auch ein Attentat nicht ausgeschlossen werden sollte.

Adolf hatte ein Jahr vor seinem mysteriösen Tod das Grabmal entworfen und in seinem Testament sein Patenkind Christian Ludwig, geb 1912, zweiter Sohn von Friedrich Franz IV, Mecklenburg-Schwerin, als Nachfolger eingesetzt. Damit wurden die Hausverträge von 1701 und 1755 untermauert. Nach dem Aussterben der einen Linie, wäre die andere in die Nachfolge eingetreten. Der älteste Sohn von Friedrich Franz IV hätte allerdings zu Gunsten des jüngeren Bruders auf die Herrschaft verzichten müssen.

Adolfs Tod wurde als Selbstmord zu den Akten gelegt. Jedoch, die vielen Fragen, die die Umstände seines unerwarteten Ablebens aufwerfen und bis heute unbeantwortet sind, lassen andere Möglichkeiten nicht ausschließen.

Todesumstände

Da mir außer den offiziellen Hinweisen auf Wikepedia und den anderen Internetseiten keine Polizeiberichte und genaue Berichte über die Suche und das Auffinden der Leiche sowie weiterer polizeilicher Ermittlungen zur Verfügung stehen, betrachte ich diesen Todesfall aus persönlicher Sicht, mit dem Abstand, den wir heute haben.

Heute würde die Fundstelle einer Leiche sofort großräumig abgesperrt. Die Spurensicherung würde die gesamte Umgebung absuchen. Bei Schussverletzungen sind die Tatwaffe und das Projektil wichtige Indizien. Die Leiche und der Fundort würden fotografiert und alle noch so kleinen Hinweise, Fußspuren, Reifenspuren dokumentiert werden. Der Rechtsmediziner untersucht den Toten an Ort und Stelle, grenzt anhand medizinischer Faktoren den Todeszeitpunkt grob ein. Auch zur Todesursache äußert sich der Mediziner. Anzeichen für einen Selbstmord sind häufig offensichtlich, es kann ebenso gleich ein Mord unterstellt werden. Die Leiche wird anschließend in der Rechtsmedizin obduziert.

Selbst bei nachgewiesenem Suizid werden Zeugen befragt, Hinweise gesichtet. Ist ein Suizid nach ärztlicher Untersuchung zweifelhaft oder ausgeschlossen, wird auch ein Unfall ob mit oder ohne Fremdbeteiligung ausgeschlossen. Es ist möglich, dass jemand beim Suizid nicht allein ist. Wurde er unter Druck gesetzt, wollte er aus dem Leben scheiden und tat er es freiwillig, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte? Oder half jemand in letzter Instanz nach? Alle Fragen müssen restlos geklärt sein, um heute einen Todesfall zu den Akten zu legen. Verdichten sich die Anzeichen auf Fremdverschulden ermittelt die Kriminalpolizei weiter.

Wir sind heute in der Lage mit Polizeitauchern zu jeder Jahreszeit Wasserstellen zu durchsuchen. Metallsuchgeräte werden zum Auffinden von Schuss und Stichwaffen eingesetzt. Auch Spürhunde kommen zum Einsatz. Vom Hubschrauber aus kann der Leichenfundort gefilmt und fotografiert werden. Wir können Strömungsverhältnisse, Windrichtung und Wetterlage bestimmen. Wie lange hat die Leiche im Wasser gelegen? Todeszeitpunkt? Die Zeit, die ein erwachsener gesunder Mann braucht um einen Weg zurückzulegen, kann errechnet werden. Dienstboten werden nach Gewohnheiten befragt. Wir ermitteln den Weg, den er genommen hat und finden den Tatort heraus. Wie breit und tief war der Kammerkanal? Wie war er bewachsen? Wie stark war die Strömung?

Mithilfe von Computeranimation ist es heute möglich, die damalige Geländekarte mit den heutigen Gegebenheiten abzuklären. Spuren an der Böschung, am Geländer, Weg und Straße weisen auf einen Kampf hin oder auf die Stelle, an der der Körper mit dem Kanalwasser in Berührung kam. Sind Fußabdrücke vorhanden, sind sie von einer einzigen Person oder lässt die Abdrucktiefe auf eine andere Person schließen, die die Leiche ins Wasser geworfen hat? Reifenspuren, auch von Kutschen und damals natürlich Hinterlassenschaften von Pferden sagen etwas darüber aus, ob der Tote vor seinem Ableben allein war.

Das Umfeld des Toten, seine privaten und beruflichen Kontakte, Kontoauszüge, verwandtschaftliche Hintergründe werden beleuchtet. Wer profitiert von seinem Tod, wer erbt, wie war sein Tagesablauf, was tat er am Todestag? Heute wissen wir über akribische Polizeiarbeit und die richtige Nase des Kommissars Bescheid. Was hätten Columbo und Brunetti im Fall des Todes von Großherzog Adolf Friedrich VI ermittelt?

Solange die Waffe nicht gefunden ist und eine aktuelle rechtsmedizinische Untersuchung nicht den Beweis erbringt, dass es wirklich Selbstmord war, sind Überlegungen in alle Richtungen erlaubt, sogar nötig. Mord verjährt nie und kann auch nach hundert Jahren noch aufgeklärt werden.


Gedanken zu Kindheit und Jugend


Die Eltern kümmerten sich wenig um ihre Kinder und überließen deren Erziehung dem Personal. Diese menschliche Abwesenheit der Eltern musste sich negativ auf die Kindheit und Persönlichkeitsentwicklung der vier Geschwister auswirken. Sie blieben unter sich und wuchsen in Abgeschiedenheit auf. Umgeben von Dienern und Gouvernanten besaßen sie kaum Kontakte zu Spielgefährten außerhalb der häuslichen Umgebung. Es fehlten elterliche Liebe, elterliches Vorleben und Vorbild. Emotionale Bindungsmöglichkeiten und Sozialkontakte zu Gleichaltrigen anderer Bevölkerungsschichten waren nicht möglich. In einer derartigen Isolation werden Kinder weltfremd. Eine gesunde starke Persönlichkeit kann sich nicht entwickeln. Durch die vielen innerfamiliären Heiraten zwischen Cousins und Cousinen besteht zudem immer die Gefahr, dass sich Krankheiten vererben. Die Neigung zu Depressionen und psychosomatischen Erkrankungen wird durch eine derartige Umgebung begünstigt. Auch somatische Erbkrankheiten konnten sich manifestieren. Die Bluterkrankheit wurde durch Königin Victoria in etliche Familien getragen.

Der kleine herzogliche Hof war in der Politik unbedeutend, hielt aber an den gleichen zeremoniellen Regeln fest, wie sie am Königs-oder Kaiserhof üblich waren. Der Grund für die strenge Erziehung lässt sich erahnen. Drei Prinzessinnen waren zu Königinnen aufgestiegen und die Erziehung fürstlichen Nachwuchses zielte darauf, sie für ein Leben bei Hofe und in der Gesellschaft „fit“ zu machen. Feudalem Obrigkeitsdenken wurde dabei leider der Vorrang gegeben. Realitätsnahes, praktisches Erleben und Kennenlernen der Umwelt, die gerade für den künftigen Regenten wichtig gewesen wären, unterblieben. Für einen sensiblen und künstlerisch veranlagten Jungen, wie Adolf Friedrich, der gern malte und musikalisch interessiert war, konnte die Umgebung nicht schwieriger sein. Ambivalente Gefühle und die Angst zu Versagen lassen Stimmungsschwankungen und Minderwertigkeitsgefühle, über die später vom Großherzog berichtet wird, entstehen. Gerade auf dem Thronfolger lastet ein ungeheurer Druck. Man würde die Kinder heute als traumatisiert und verhaltensauffällig bezeichnen. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb zeichnete sich Adolf später durch Verhaltensweisen aus, die ihn als einen emphatischen Menschen mit hohem Verantwortungsgefühl erscheinen lassen.

Adolf und sein Bruder Borwin hatten nur einander. Sie bauten eine starke Bindung auf. Dieselben Gefühle wurden von Prinz William und Prinz Harry berichtet. Als Borwin plötzlich starb, muss für Adolf Friedrich eine Welt zusammengebrochen sein. Offiziell wurde eine Krankheit angegeben. Auch von einem Autounfall wurde berichtet. Die wahre Todesursache sollte verschwiegen werden. Die Schwester Marie der beiden lebte mit ihrem Mann, dem Grafen Jametel in Scheidung. Der Graf hatte sie öffentlich mit einer Prinzessin betrogen. Borwin war erst neunzehn Jahre alt und als junger Offizier an der Kriegsschule in Metz stationiert. Adolf Friedrich diente zur selben Zeit in Potsdam. Der jüngere Bruder forderte den Schwager zum (noch nicht verboten, aber bereits in Verruf geratenen) Duell und wurde dabei von diesem getötet. Er wollte, was durchaus üblich war, die Ehre seiner Schwester verteidigen. Das hätte eigentlich, wenn überhaupt, dem sechs Jahre älteren und erfahreneren Bruder zugestanden. Es ist zu vermuten, dass Borwin das Duell in der Nähe von Metz abhielt, ohne seinen großen Bruder vorher davon in Kenntnis zu setzen. Vielleicht hätte Adolf ihm das Duell ausreden und so das Leben retten können. Es lagen zwar etliche Kilometer zwischen Metz und Potsdam. Die Post brauchte jedoch nur einen oder zwei Tage. Der Tod des Bruders hatte Adolf stark traumatisiert, er machte sich mit Sicherheit Vorwürfe. Jametel war ein gestandener Mann von 49 Jahren gewesen, Borwin fast noch ein Kind. Außerdem war die Familie erst 1886 von Papst Leo XIII in den Adelsstand erhoben worden. Normalerweise wurden Duelle nur zur Wiederherstellung der Ehre ausgefochten und man verabredete keine Wunden oder gar Todesfälle herbeizuführen. Es gab nur sehr wenige tödliche Duelle. Adlige junge Männer wurden in diese Tradition erzogen. Der Graf Jametel, ein Bankierssohn, gehörte tragischer weise nicht zu diesem Personenkreis.

Borwin starb 1908 und mit ihm starben alle Hoffnungen des älteren Bruders, ihn als Nachfolger einsetzen zu können und abzudanken. Doch auch wenn dessen sinnloser Tod in Adolf Friedrich tiefe Wunden hinterlassen hatte, so nahm er sein Schicksal an und lebte weiter. Er betätigte sich politisch und diente in der Armee. Gleichzeitig traf er sich mit Frauen und liebte die Oper. Depressive Verstimmungen, reaktive Depressionen und psychische Labilität aufgrund etlicher traumatischer Erlebnisse begleiteten ihn mit Sicherheit. Vielleicht dachte er auch das eine oder andere Mal daran, alles hinzuwerfen und sich umzubringen. Vielleicht brachte der Brief des Kaisers das Fass zum Überlaufen und er wollte sich wirklich das Leben nehmen. Daher stammen die Abschiedsbriefe und Notizen. Vielleicht waren sie auch nur Ausdruck von Verzweiflung und wurden in Ermangelung eines regelmäßig geführten Tagebuchs spontan geschrieben? Wenn die Stimmung im Hause düster war, der Minister seinem Großherzog keine Perspektive vermitteln konnte…oder wollte, könnte eine Situation entstanden sein, in der Adolf Friedrich aus dem Leben scheiden wollte. Aber hat er sich tatsächlich umgebracht? Oder leistete er ungewollt Mächten Vorschub, die ihn gerne aus dem Weg haben wollten?

Indizien müssen eindeutig zum Tathergang passen. Abschiedsbriefe und Notizen, so sie denn echt sind, reichen nicht aus um Suizid anzunehmen. Aussagekräftig sind der Leichnam mit Schusswunden, die ganz klar auf Selbstmord deuten, der Fundort und der Zustand des Körpers. Der Hergang muss rekonstruiert werden können. Und die am Tatort gefundene Schusswaffe muss zweifelsfrei die Tatwaffe sein. Es wurde bis heute aber keine gefunden.

Ist es möglich, dass sich jemand eine Schussverletzung beibringt, vorn über ins Wasser fällt, dort ertrinkt und danach die Waffe entsorgt? Die Frage ist rhetorisch gemeint!

Bei der Suche haben Soldaten und Strelitzer Bürger geholfen. Hat jemand die Waffe gefunden und an sich genommen? Unwahrscheinlich. Für einen Soldaten hätte der Fund eine Beförderung und Belobigung zur Folge gehabt. Die Waffe ist ihm aus der Hand gerutscht, eventuell ins Wasser gefallen. Wenn es sie gab, und es seine eigene war, liegt sie möglicherweise noch heute dort. Welches Kaliber hatte die Waffe? Wo ist das Projektil? Es kann sich nur wenige Schritte von der Waffe entfernt befinden. Aus den Aufzeichnungen des Ministers Bossart wissen wir, dass dieser dem jungen Großherzog geraten hatte, während des Krieges Uniform zu tragen um alle Gerüchte, er sympathisiere vielleicht mit England, zu entkräften. Ein zur Uniform gehöriges Pistolenhalfter muss an der Leiche geblieben sein, wenn es sich um eine große Waffe, z.b. eine Mauser handelte. Es war regnerisch und ca. 6 Grad kalt. Für eine Uniform zu kühl, er muss einen Mantel getragen haben. Besaß Adolf eine in Belgien hergestellte Minipistole, die man bequem in die Manteltasche stecken konnte? Diese ist ca. 10 cm klein und schlecht zu finden. Das würde das Fehlen der Waffe erklären. Sie lag im Wasser und das war im Februar kalt. Warum wurde die Suche danach so schnell aufgegeben? Wenn das Kaliber zur Schusswunde passt, wird ein Selbstmord untermauert. Sind die möglichen Motive für einen Suizid ausreichend? Depression aufgrund einer Erpressung und der Rüge des Kaisers bezüglich eines ausschweifenden Lebenswandels? Berechtigte Spionagevorwürfe? Adolf Friedrich war kein Teenager mehr und musste wissen, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht ist.

Und: Nimmt jemand, der verantwortungsbewusst, seinen Landeskindern erlaubt, auf dem eigenen Besitz Kartoffeln anzubauen, seinen Hund mit, wenn er vor hat, sich das Leben zu nehmen? In der Gewissheit, dass das Tier allein und verstört zurückbleibt?

Politische Hintergründe

Zunächst muss man wissen, dass die beiden Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz erst 1701 mit dem Hamburger Erbvergleich entstanden. Ein gemeinsames Hausgesetz legte fest, dass der erstgeborene Sohn erbt. Sollte eine Linie im Mannesstamm aussterben, erbt die andere die Thronfolge. Mit einer zweiten Urkunde, die Adolfs, ebenfalls unverheirateter und kinderlos verstorbener Vorfahre Adolf Friedrich IV 1755 unterschrieb, wurden die Rechte der Stände, die aus der Ritterschaft und den Städten, sogenannten Landschaften, bestanden, gestärkt. Ein Umstand, der die Zukunft der beiden Landesteile wesentlich beeinflussen sollte.

Wie sah die politische Welt zur Zeit Adolfs in Mecklenburg aus? Ganz zu Anfang gehörte das gesamte Land den Herzögen, die nach und nach Teile als Lehen vergaben. Es bildete sich eine Ritterschaft und eine Landschaft, die aus den Städten bestand. Zusammen bildeten sie die Landstandschaft. Ein großer Teil des Besitzes gehörte dem Domanium, welches als Kammergut Eigentum des Herzogs war. Den Rest teilten sich Ritterschaft und Landschaft. Bürgerrechte gab es nicht, die Bauern waren lange Zeit Leibeigene. Selbst nach Aufhebung derselben, blieben sie arm und abhängig vom Großgrundbesitzer. Es gab keine Gewaltenteilung, keine Trennung von Staats-und Privatrecht. Die Ritterschaft hatte wie die Landschaft die lokale Obrigkeit und jeder Grundbesitzer entschied, wie es ihm passte. Eine Verwaltung gab es nur auf den herzoglichen Gütern. Ritterschaft und Landschaft bildeten den Landstand, trafen sich um Gesetze zu verabschieden oder zu verhindern. Sie hatten die Macht, der Herzog stand ihnen als politischer Gegner gegenüber. Feudales Ständewesen sorgte durch die Union der Landstände dafür, dass der Herzog in seiner Gesetzgebung stark eingeschränkt war. Jeder kochte sein eigenes Süppchen. Gerichtsbarkeit und Schulwesen, alles blieb zwischen beiden Landesteilen verwoben. Es verwundert nicht, dass weder die Ritter noch die Landschaften auf ihre Rechte verzichten wollten und auch die beiden Herzöge zusammen agieren mussten, wollten sie etwas im Land verändern.

Adolfs Vater hatte bereits Reformen angestoßen und sein Sohn wollte ihm folgen. Reformen, die die Gewaltenteilung, die Verfassung und die Rechte der Bauern und Bürger regelten, wie es in den meisten deutschen Ländern bereits geschah. Adolf forderte deshalb 1913 vor dem gemeinsamen Mecklenburgischen Landtag den Adel auf, den Widerstand gegen Reformen aufzugeben, damit eine Verfassung eingeführt werden konnte. Als die Verhandlungen mit Friedrich Franz 1917 scheiterten, kam ihm eine wahnwitzige Idee.

Adolf Friedrich erwog die Aufhebung der Union beider Staaten. Was das bedeutet hätte, lässt sich nur erahnen. Es wäre einer Revolution gleich gekommen. Die Stände wären im Strelitzteil auf sich allein gestellt und von ihren Mitgliedern aus Schwerin abgeschnitten geblieben. Gleichzeitig wäre eine Verfassung für Strelitz eingeführt worden, als unabhängiges Großherzogtum mit eigener Verwaltung etc. Der gesamte Mischmasch, das Durcheinander der Verwaltungen in Schule, Justiz wären zwar beseitigt worden, aber alle hätten Federn gelassen. Ich weiß nicht, ob sich Adolf bewusst war, wie viel Leuten er mit seiner Vision auf die Füße trat. Die Stände pochten auf ihre Rechte und verhinderten jeglichen Fortschritt. Mecklenburg trat 1866 dem Deutschen Bund bei und beide Landesteile wurden 1871 Gliedstaaten im Deutschen Kaiserreich. Die Ständeherrschaft machte die beiden Länder zu den ärmsten deutschen Staaten. Es kam durch den fehlenden Absolutismus nicht zur Aufklärung. Keine Industriealisierung, nur gutsherrliche Regierung, ohne gemeinsame Strukturen, ohne Basis und klare Rechtsgrundlagen. Heute würden wir so etwas als Entwicklungsländer bezeichnen.

Friedrich Franz, dessen zweiter Sohn als Thronerbe im Testament eingesetzt worden war, wurde nach Adolfs Tod Verwalter des Strelitzer Besitzes. Die Thronfolge wäre in jedem Fall, siehe Hausgesetz von 1701, auf sein Haus übergegangen. Der kleine Christian war 1912 geboren worden und erst sechs Jahre alt, so dass sein Vater, wenn er dem Testament, in dem es um viel Geld und die Aussicht, dass Christian als Großherzog von Mecklenburg-Strelitz regiert, ging, zugestimmt hätte, für viele Jahre die Geschicke beider Landesteile hätte beeinflussen können. Das konnte dem macht-und besitzhungrigen Großherzog nur recht sein. Erst später, mit seinen beiden Söhnen wäre es zur Aufteilung gekommen. Aber Mecklenburg-Strelitz gehörte mit dem Testament wieder zu Mecklenburg-Schwerin. Friedrich Franz IV war also in jedem Fall Gewinner des frühen Todes Adolfs und damit des Aussterbens der regierungsfähigen Linie.

Der einzige potenzielle Erbe, Adolfs Onkel Carl Michael gehörte der russischen Linie der Familie an. Dessen Vater war mit der russischen Großfürstin Katharina Romanowna verheiratet gewesen und Carl Michael trat wie sein Bruder Georg Alexander in die Russische Armee ein. Er verzichtet deshalb bereits 1914 auf seine Thronfolgerechte, was Friedrich Franz mit Sicherheit wusste. Carl blieb aber Vormund für die Kinder seines morganatisch verheirateten Bruders Georg Alexander nach dessen Tod.

Die angebahnte standesgemäße Hochzeit des Strelitzers musste Friedrich Franz gegen den Strich gegangen sein, denn mit einem legitimen Sohn hätte Adolf Friedrich seine Linie gestärkt und erhalten. Er hätte nach dem Krieg reichlich Kraft und Energie in seine Reformvorhaben und Änderungenstecken können.

Friedrich Franz IV war kein Menschenfreund, wie sein Verhalten während des Krieges gegenüber der hungernden Bevölkerung zeigte. Er war auf Machterhalt und Ausweitung seiner Befugnisse aus. Noch nach der Abdankung des Kaisers am 9. November 1918 versuchte er sich mit einer Verfassungsreform zu retten. Darin sollte das mittelalterliche Recht des Landesherrn, in Notzeiten Gesetze zu erlassen, verankert sein. Eine konstitutionelle Monarchie, die dem Fürsten weitreichende Befugnisse sichert und die Landstände in die Schranken weist, war seine Idee. Adolfs Tod und das Aussterben der Strelitzer Linie als Großherzöge kamen ihm sehr gelegen. Wäre er mit den Notstandsgesetzen durchgekommen, wäre er nach dem Krieg uneingeschränkter Herrscher in Gesamt- Mecklenburg geworden. Friedrich Franz ignorierte die gefährliche Entwicklung im Reich, die der Krieg durch Hungersnot im Volk auslöste. Er hielt weiter teure Hofhaltung. Die veränderte Haltung des Volkes, die sich in Aufständen und Revolution entlud, nahm er nicht ernst. Als Adolf im Februar unerwartet den Tod fand, ahnte noch niemand, dass die Monarchie in Deutschland im November Geschichte sein wird. Auch Friedrich Franz war davon überzeugt, dass ein gemeinsamer Friedensschluss den einzigen Weg zur Beendigung des Krieges darstellt und wandte sich gegen die aggressive Kriegsführung des Kaisers. Mit der Einsetzung Max von Badens als Reichskanzler war bis zum Schluss nicht klar, in welche Richtung sich Deutschland entwickeln würde. Alles zielte auf eine konstitutionelle Monarchie ab, wie sie in anderen europäischen Staaten vorbildlich vorgelebt wurde. Nach der Abdankung des Kaisers sollte dessen Sohn die alte Ordnung wieder herstellen. Das Parlament hätte sich weiterhin gegen das Kaiserhaus behaupten müssen.

Schließlich setzten sich die amerikanischen Forderungen nach einer Republik durch. Die Weigerung des Kaisers in vernünftige Friedensverhandlungen einzutreten, ebneten Philip Scheidemann und der ersten deutschen Republik am 9.11.1918 den Weg.

Sollte Friedrich Franz irgendwie in den Tod seines Jugendfreundes verstrickt gewesen sein, so war diese Tat spätestens am 14. November 1918 sinnlos geworden, denn auch er musste abdanken. Wie erwähnt, all dies konnte am 23./24 Februar 1918 noch niemand wissen, ja nicht einmal erahnen.

Adolf hatte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit politische Feinde gemacht. Er dachte modern und war auch durch seine Aufenthalte in England mit einem parlamentarischen Staatswesen vertraut. Seine Reformen zielten auf eine Verfassung. Das Domanium, also die herzoglichen Besitztümer, umfassten ca. 40 % des Landes. Es gehören eine gut durchdachte Verwaltung und entsprechend loyale und gut ausgebildete Beamte dazu, diesen Besitz zu verwalten. Für den Herzog war schon die Verwaltung des eigenen Besitzes eine Herausforderung. Wie wollte er auch noch staatliche Aufgaben bewältigen, die ein Parlament besser hätte erledigen können? In die Verfassung kann immer ein Veto des regierenden Fürsten eingearbeitet sein, um bei wichtigen Gesetzen ein Mitspracherecht zu behalten.

Friedrich Franz als Vertreter der traditionellen Monarchie und des damit verbundenen Herrschaftsanspruchs, hätte einer Verfassung nur zugestimmt, wenn ein persönlicher Vorteil für ihn daraus ersichtlich gewesen wäre. Das wäre einzig mit erheblicher Einschränkung der Ständerechte, oder mit ihrer Abschaffung möglich gewesen. Ein stabiles geeintes Land sichert Einkommen und Wohlstand der Bevölkerung und damit auch seines Fürsten. Während und nach dem Krieg wanderten jedoch170 000 von 650 000 Mecklenburger Bürgern wegen der Armut nach Amerika aus und nahmen dem Land die Arbeitskräfte. Es gab fast keine Industrie, nur Landwirtschaft, die jeder Adlige auf seinem Gut nach eigenem Ermessen regelte. Friedrich Franz profitierte neben den Ständen am meisten vom Tod des kinderlosen Verwandten und hätte seine Macht ausweiten können.

Warum scheiterten die Verhandlungen der beiden Großherzoge über eine gemeinsame Verfassung? Es muss Schriftstücke und Protokolle geben. Wann scheiterten sie? Saßen beide an einem Tisch, oder wurde nur postalisch korrespondiert? Friedrich Franz wusste am besten und vielleicht sogar als einziger, was Adolf vorschwebte und dessen Visionen deckten sich mit Sicherheit nicht mit den Seinen. Dazu waren die beiden zu unterschiedliche Persönlichkeiten. Durch ihre Verwandtschaft und Vertrautheit aus Kindertagen haben sie sicher auch unter vier Augen über die Zukunft ihres Landes gesprochen. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei Adolf eine liberale Haltung vorherrschte und er seinen Landeskindern gerne Zugeständnisse hinsichtlich Bürgerrechte, Freiheit und Mitspracherecht gemacht hätte. Das stand im Widerspruch zu Friedrich Franz.

Vor diesem Hintergrund erscheint ein politisch motiviertes Attentat nicht ausgeschlossen. Ob der Schweriner Herzog selbst, seine Beamten, oder aber die Stände dahinter steckten und einen gedungenen Mörder anheuerten oder jemand, den Adolf gut kannte und unterwegs traf, Hand anlegte, wurde bis heute nicht widerlegt. Unmöglich ist es nicht.

Staatsminister Heinrich Bossart

Der Jurist wurde 1898 Landgerichtsdirektor und im Januar 1908 (unter Adolf Friedrich V) Staatsminister, Vorsitzender des Staatsministeriums und der Großherzoglichen Landesregierung. Zu Adolf Friedrich jun. soll ein fast freundschaftliches Verhältnis bestanden haben. Bossart beriet den jungen Großherzog. In seinem Nachlass fanden sich handschriftliche Notizen, nach denen er ihm geraten habe, während der Kriegszeit Uniform zu tragen. Dass Adolf der englischen Krone nahestand, war kein Geheimnis. Aus Liebe und Respekt vor seiner Großmutter Augusta –Caroline trug er zu Hause stets zivil. Als er das erste Mal von der Front heimkehrte und sich umzog, kam dies bei der Bevölkerung nicht gut an. Man glaubte, er würde mit England sympathisieren. Bossart bat den jungen Offizier sich in der Öffentlichkeit nur in Uniform zu zeigen, was dieser auch tat.

Der Staatsminister äußert sich in seinen weiteren handschriftlichen Erinnerungen zu Adolfs Beziehung zu seiner Großmutter. Er liebte die alte Dame abgöttisch und zeigte sich nach deren Tod mit 95! Jahren etwas depressiv. Mehr ist mir über den Minister als Politiker und Mensch nicht bekannt. Die Erinnerungen des 1930 verstorbenen Bossart stammen aus der Zeit nach Adolfs Tod, also nach 1918. Möglicherweise soll der Hinweis auf die Depression nach dem Tode der geliebten Großmutter die Selbstmordtheorie stärken. Da nicht mehr bekannt ist, scheint es sich bei Heinrich Bossart wirklich um einen loyalen integeren Minister gehandelt zu haben, der nur so viel preis gab, wie nötig um seine Herrschaft nicht in Misskredit zu bringen. Dass Adolf traurig über den Tod der Großmutter war, ist selbstverständlich. Aber in wie weit ihn das, gerade im Hinblick auf das biblische Alter der Dame, in „Schwermut“ gebracht haben mag, erscheint als Motiv für einen 1918, also zwei Jahre später, begangenen Selbstmord weit hergeholt. Er traf sich in der Folgezeit mit Daisy von Pless zur Sommerfrische in Heringsdorf. Die Salvatini war als Abwechslung Gast in Strelitz gewesen und die beiden Damen werden ihn sicherlich mit allen Kräften aufgeheitert haben.

Natürlich war der junge Großherzog mit seinem Amt und dem Kriegsdienst stark beansprucht. Dazu gesellte sich die Erpressung der Höllrigl. Möglicherweise überforderte ihn die chaotische Lebensführung. Dies hatte Bossart bemerkt und als Landgerichtsdirektor und Jurist besaß er alle Trümpfe und Wissen genug, um Schaden von seinem unerfahrenen Herzog zu nehmen. Er sollte Eheverhandlungen mit der Familie von Reuss-Köstritz führen. So jemand weiß, wie man einer Mätresse das Handwerk legt. Fest steht, dass Heinrich Bossart am 10.09.1918 in Pension ging, die der Interimsherrscher Friedrich Franz IV, genehmigte. Kurz bevor auch er zurücktreten musste. (1918, 14. November)

Zum Todeszeitpunkt Adolfs konnte niemand etwas von der Republik und dem eigenen Machtverlust ahnen.

War der Großherzog wirklich allein auf seinem Spaziergang? Oder traf er sich dort bewusst oder zufällig mit jemandem? Kam es zum Streit, wollte er sich wehren und im Kampf streifte ihn ein Schuss? Fiel er selbst die Böschung hinunter? Oder hat ihn jemand geschubst und ihn zusätzlich ins Wasser gestoßen? Ist die Waffe irgendwo am Tatort liegen geblieben, wurde sie unters Gebüsch geschoben oder ins Wasser geworfen? Welche Ermittlungen nahm die Polizei auf? Welchen Anteil an den Vorkommnissen hatte der aus Berlin angereiste Offizier, den Adolf mit Sicherheit gekannt hat? Wenn dieser ihm folgte und ansprach, war er arglos, hegte keinen Verdacht?

Ein altgedienter und erfahrener Minister wie Bossart wusste, ob das Leben seines Herrn in Gefahr sein konnte und hätte zu dessen Schutz jemand abgestellt. Bossart kannte sich in der Politik aus und besaß sicher Spitzel in den Ständen und auch bei Friedrich Franz. War er eingeweiht? Oder verschloss er Augen und Ohren vor der herannahenden Katastrophe?

Wenn es Mord oder Totschlag auf höheren Befehl war, erklärt sich die Motivsuche hinsichtlich des Festhaltens an der Selbstmordtheorie von selbst. Man brauchte den Gerüchten um die Damenbekanntschaften nur weitere Nahrung liefern.

Gedanken und Gedenken

Ich werde bald wieder in Miro sein und dein Grab, lieber Adolf Friedrich besuchen. Jetzt, wo ich so viel von dir weiß, betrachte ich dich als einen lieben Freund, der noch im Tod eine besondere Aura und Kraft ausstrahlt, welche ich in meinem Herzen spüren und hören kann. Die Besucher kommen und gehen, lesen die Inschrift und nehmen die Schwingungen, die dein Grabmal umgeben nicht wahr. Sie spüren die Besonderheit dieses Ortes, die Mystik und das Geheimnisvolle nicht.

Dein Tod bleibt ein Geheimnis, das es wert ist aufzudecken. Wir untersuchen heute Pharaonengräber, die viel älter als deines sind. Ich gehe von Fremdverschulden aus und habe das Gefühl, dass du mir das sagen willst. Nicht die amourösen Abenteuer wurden dir zum Verhängnis, sondern deine modernen Denkansätze und Reformpläne. Sie lösten in den Ständen ein politisches Erdbeben aus. Vielleicht beschlossen sie, dich aus dem Weg zu räumen? Die Selbstmordtheorie wurde sehr schnell in die Welt gesetzt, andere Möglichkeiten gar nicht in Betracht gezogen. Selbst damals besaß man schon forensisches Wissen. Eine Verschwörung kann nicht ausgeschlossen werden. Hat dich ein gedungener Mörder getötet? Sollte es wie Selbstmord aussehen oder fanden die Auftraggeber, dass die Selbstmordtheorie hervorragend zu ihrem bösen Spiel passte? Ein zufälliger Raubmörder hätte dir sicher alle Wertsachen abgenommen und ich gehe davon aus, dass du eine goldene Uhr und zumindest einen herzoglichen Siegelring getragen hast.

Was ist an diesem Abend wirklich passiert, Adolf? Mord verjährt nie!

Ironie des Schicksals

Friedrich Franz IV, welcher am meisten vom Aussterben der Strelitzer Linie profitierte, war Vater zweier Söhne. Der gleichnamige Friedrich Franz wurde 1910 geboren und sein Bruder Christian Ludwig 1912. Friedrich Franz machte Karriere beim NS-Regime und starb 2001 kinderlos. Christian Ludwig starb 1996. Er hatte zwei Töchter. Somit ist das Haus Mecklenburg-Schwerin im Mannesstamm erloschen.

Der Thronverzicht Carl Michaels beendete nicht die Strelitzer Hauslinie, denn dieser adoptierte bereits 1928 seinen Neffen Georg, welcher 1963 starb. Dessen Sohn Georg Alexander Herzog zu Mecklenburg starb 1996. Er hinterließ ebenfalls einen Sohn, Georg Borwin, geb.1956, der heute zusammen mit seinen beiden Söhnen die Stammlinie der Obodriten erhält, die bis ins achte Jahrhundert nach Chr zurückreicht.

Quellen

Wikepedia: Großherzog Adolf Friedrich VI von Mecklenburg-Strelitz,

Königin Charlotte von England,

Königin Louise von Preußen,

Königin Victoria von Großbritannien

Jennie Churchill


Verwaltungsgeschichte Mecklenburgs

1918: Der mysteriöse Tod eines Großherzogs - WELT

Der Ausgang der mecklenburg-strelitzschen Dynastie on JSTOR

Grabsteine: Höllrigl; Höllrigl-Rosta; von Bubna-Litic: ADLER Heraldisch-Genealogische Gesellschaft, Wien

Count Jan Frantisek BUBNA-LITIC b. 2 Feb 1876 Penzing bei Wien. Austria d. 24 Jan 1941 Vienna. Austria: Devon Mitchells

O frivol ist mir am Abend - meckpresss Freier Journalist, Autor, Ghostwriter in Mecklenburg

160_winter17.pdf Sandra Lembke

http://helmutcaspar.de/aktuelles19/muenzmed19/vergleich.htm

Bremer Passagierlisten

Sir John Lavery RA RSA RHA (1856-1941) - PORTRAIT OF A LADY [THOUGHT TO BE MARGRIT HÖLLRIGL]

Die zwei Gesichter der Fürstin Daisy von Pless – Bürgerleben

DeWiki > Adolf Friedrich VI. (Mecklenburg)

Microsoft Word - BGH V ZR 200-58.docx - BGH, V ZR 200-58.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Bossart

http://www.deutsche-gesellschaft-fuer-ordenskunde.de/DGOWP/wp-content/uploads/2012/09/ausgabe35.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Abodriten

Friedrich Franz Herzog zu Mecklenburg – Wikipedia

BDOSAusgabe35_22-23.indd - ausgabe35.pdf
 
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