Geiz ist geil

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Werner arbeitet viel und erfolgreich, und er verdient auch gut. Aber getreu dem Motto "Wir haben es ja nicht vom Ausgeben" spart Werner, wo er kann. Wenn es sein muss, auch beim menschlichsten aller Bedürfnisse: Pinkeln.

Dieses überfällt Werner mitten in der Stadt und mit Wohlgefallen registriert er das Schild "Öffentliches WC". Seine Angetraute dackelt hinterher, auch sie verspürt einen gewissen Drang im Unterleib.
Bald stehen sie vor einer hypermodernen WC-Anlage. Silbern, rund, spiegelblank. "Fünfzig Cent pro Benutzung" ist zu lesen und "Bitte immer nur eine Person eintreten!"

"Pah", sagt Werner zu seiner Frau, "ich geh schon mal und lass dich dann rein! Ich zahl doch nicht nochmal fünfzig Cent dafür, dass du auch pinkeln kannst!"

Frauchen nickt. Werner wirft die Münze ein, die Tür öffnet sich lautlos und er betritt das silberne Örtchen, das ihn sofort hermetisch von der Außenwelt abriegelt. Werner lässt sein Wasser rauschen. Anschließend ordnet er Gemächt und Kleidung und sobald öffnet sich die Tür, um Werner herauszulassen.

Doch dieser lässt die Gattin herein. "Wie gesagt, ich bezahl doch nicht nochmal, also mach du auch noch schnell!", befiehlt Werner und seine Sparsamkeit lässt ihn einen inneren Reichsparteitag feiern. Die Betreiber dieser Anlage wird er schön austricksen! Seine Holde lässt die Hose fallen und durchbricht die eiserne Regel, niemals vor dem Ehepartner dem Ausscheidungsdrang nachzugeben.

Aber was ist das? Das Toilettenbecken verschwindet in der Wand und die Gattin plumpst mit nacktem Hintern auf den Boden. Ein unheilvolles Dröhnen und Zischen kündigt die moderne Apokalypse an: Die automatische Reinigung und Desinfizierung der Toilettenanlage mittels in Wand und Boden eingelassener Düsen. Die spitzen Schreie der Gnädigsten lassen das Gebäude erbeben. Die Wasserstrahlen säubern gnadenlos alles, was sich ihnen bietet, ob aus Metall oder menschlichem Fleisch und Hornanhanggebilden. Schwer derangiert verlassen Werner und Gattin im Krebsgang die silberne Kapsel.

Die Kosten für Reinigung und Friseur sind nicht überliefert ...
 

Maribu

Mitglied
Hallo doc,

na, das ist doch geil!
Nun sind Werner und Frau auch noch für 50 Cent geduscht
worden.

"Innerer Reichsparteitag" sollte man als Zustands-Beschreibung
nicht verwenden! Wenn es auch umgangssprachlich
"große Genugtuung" oder "es ist mir ein Vergnügen" bedeutet.
Aber es erinnert an die Nazi-Zeit und wurde auch von der "Hitler-Jugend" verwendet. - Als Foren-Redakteurin sollte es dir nicht schwerfallen, das besser auszudrücken!

LG. Maribu
 
Habe den Text heute Morgen schon gelesen, durchaus mit Vergnügen. Da ich jedoch nichts zu bemängeln habe und nicht nur applaudieren wollte (von wegen "Textarbeit" und so), war kein Kommentar von mir beabsichtigt. Die Kritik am "inneren Reichsparteitag" treibt mich nun aus der Reserve. Hätte ich da auch Anstoß nehmen müssen? Der Ausdruck gehört nicht zu meinem aktiven Wortschatz, immerhin ...

Ich habe also den ausführlichen Wikipedia-Artikel zum Stichwort "Innerer Reichsparteitag" gelesen, empfehlenswert für alle, die insoweit stilistisch unsicher sind. Die Sache kann demnach so oder so aufgefasst werden. Ein generelles Nutzungsverbot lässt sich daher schwer begründen. Im Falle des vorliegenden Textes kann man es sich allerdings einfach machen: Der Ausdruck wird ja zur Charakterisierung einer relativ lächerlichen Figur verwendet. Insofern sind mir Bedenken gegen seine Verwendung hier nicht recht verständlich.

Wir sollten uns hüten, jegliche Erinnerung an das Dritte Reich aus unserem Sprachgebrauch zu tilgen. Auf die konkrete Konnotation kommt es an. Ich selbst habe mal in einem autobiographischen Text eine Patentante in den 1960ern diesen für das Patenkind seltsamen Spruch zwitschern lassen: "In Jerusalem am Bahnhof, da gibt's ein Wiedersehen ..." Das verweist wohl auf die Zeit, als die Patentante selbst jung war ...

Fazit: Mit den Narben unserer Geschichte muss man leben, sie sollten nur als Narben erkennbar sein.

Meinen Gruß an die Verfasserin des Textes über diese unheimlichen Orte

Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Maribu, ich wäre durchaus in der Lage, einen anderen Ausdruck als den gewählten "inneren Reichsparteitag" zu verwenden - in einem humoristischen Text mit satirschen Zügen erschien er mir aber passend für eine Figur, die an 50 Cent spart ... wodurch sie letztendlich ja nichts gewinnt.

Da sonst niemand daran Anstoß nimmt, lasse ich alles so wie es ist.

LG Doc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno, Du solltest Dich ja auch nur ein bisschen amüsieren, wenn Du den Text liest - so als kleines Bonbon zwischendurch. Vielen Dank für Deine Auseinandersetzung mit dem Begriff "Innerer Reichsparteitag" - ich finde diesen Ausdruck in gewissen Zusammenhängen sehr bezeichnend und verwende ihn natürlich nur bewusst. Ich weiß, dass er umstritten ist. Allerdings ist es in unserer Zeit sehr schwer, sich "politisch korrekt" auszudrücken.

Ich muss Dir leider verdeckt antworten, Dein Kommentar hätte etwas anderes verdient.

LG Doc
 
K

Karn Hardt

Gast
Hallo Doc,

ein paar Ideen zum ziemlich lustigen Plot:

Werner arbeitet viel und erfolgreich, und er verdient auch gut. Aber getreu dem Motto "Wir haben es ja nicht vom Ausgeben" spart Werner, wo er kann. Wenn es sein muss, auch beim menschlichsten aller Bedürfnisse: Pinkeln.
Werner würde ich persönlich ein bisschen ausschmücken, sein Geiz kommt mir hier zu kurz. Gerade Pedanten sind m.M.n. hervorragend zu beschreiben. So was wie:
Werner ist ein Arbeitstier, trotz Schmerbauch und Hornbrille hat er Erfolg, weil er in besonderem Maße intelligent ist – und sparsam. Wer spart, hat später mehr, denkt er immer wieder, auch wenn es um das Menschlichste aller Bedürfnisse geht: ums Pinkeln.

Dieses überfällt Werner mitten in der Stadt und mit Wohlgefallen registriert er das Schild "Öffentliches WC". Seine Angetraute dackelt hinterher, auch sie verspürt einen gewissen Drang im Unterleib.
„Dieses“ ist einer der Tode im Text (m.M.n.) und sollte schlichtweg gekillt werden. Du schreibst im Präsens, ein Vorschlag:
Mitten in der Stadt drückt plötzlich Werners Blase, die der Gattin auch. Fieberhaft denkt er über eine Lösung nach, eine Gaststätte womöglich, in der er dem Schankwirt eine zufriedene Gastrolle vorspielen könnte mit glücklichem Blick und wohligem Kratzen über den straffen Bauch. Niemand will Geld von zahlender Kundschaft, die wurde ja schon genug geschröpft. Bingo!

Bald stehen sie vor einer hypermodernen WC-Anlage. Silbern, rund, spiegelblank. "Fünfzig Cent pro Benutzung" ist zu lesen und "Bitte immer nur eine Person eintreten!"
Hier bin ich ein bisschen ratlos, die Prots stehen vor einer WC-Anlage, die silbern, rund, spiegelblank ist!? Jo mei, hat die Schüssel keine Wände??? :)

Vorschlag: Da, ein öffentliches Klo, ein moderner Pavillon, der an die Enterprise erinnert. Werner ist begeistert, bis er das Schild liest: 50 Cent (in Deutsch: 50 Cent. Der Endverbraucher wird darauf hingewiesen, dass dieser Preis der Benutzung durch eine Person entspricht, Mehrwertsteuer inklusive. Auf das Risiko des Gebrauchs einer öffentlichen Bedürfnisanstalt wird hingewiesen. Die technische Betriebsanleitung befindet sich rechts neben dem Spiegel mit abgeflachten Kanten. Zu Ihrer Sicherheit sind bewegungsgesteuerte Kameras installiert, um sexuell vorsätzlichen Übergriffen – insbesondere auf weibliche Kunden – vorzubeugen.)

"Pah", sagt Werner zu seiner Frau, "ich geh schon mal und lass dich dann rein! Ich zahl doch nicht nochmal fünfzig Cent dafür, dass du auch pinkeln kannst!"
Idee: „50 Cent“, schreit Werner hysterisch, „sind die größenwahnsinnig? 50 Cent für ein winziges Pfützchen? Pure Abzocke, unverschämt. Das zahl ich doch nicht 2 Mal…


Hier höre ich erst mal auf, weil ich nicht weiß, wie du meine Ideen findest. Sind sie Anreiz, schlage ich gern weiter vor, sind sie Abtörn, dann ignoriere sie wie auch Werner :)


Liebe Grüße, Karn
 

WFabian

Mitglied
Anmerkung zu Geiz ist geil

Diese Geschichte, lieber Doc, hat mit Humor oder Satire nichts zu tun; sie ist eine ganz normale Kurzgeschichte. Ich will sie aber keinesfalls abwerten.

Herzlichst WFabian
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Werner arbeitet viel und erfolgreich, und er verdient auch gut. Aber getreu dem Motto "Wir haben es ja nicht vom Ausgeben" spart Werner, wo er kann. Wenn es sein muss, auch beim menschlichsten aller Bedürfnisse: Pinkeln.

Neulich drückt mitten in der Stadt Werners Blase und mit Wohlgefallen registriert er das Schild "Öffentliches WC". Seine Angetraute dackelt hinterher, auch sie verspürt einen gewissen Drang im Unterleib.
Bald stehen sie vor einer hypermodernen WC-Anlage. Silbern, rund, spiegelblank. "Fünfzig Cent pro Benutzung" ist zu lesen und "Bitte immer nur eine Person eintreten!"

"Pah", sagt Werner zu seiner Frau, "ich geh schon mal und lass dich dann rein! Ich zahl doch nicht nochmal fünfzig Cent dafür, dass du auch pinkeln kannst!"

Frauchen nickt. Werner wirft die Münze ein, die Tür öffnet sich lautlos und er betritt das silberne Örtchen, das ihn sofort hermetisch von der Außenwelt abriegelt. Werner lässt sein Wasser rauschen. Anschließend ordnet er Gemächt und Kleidung und sobald öffnet sich die Tür, um Werner herauszulassen.

Doch dieser lässt die Gattin herein. "Wie gesagt, ich bezahl doch nicht nochmal, also mach du auch noch schnell!", befiehlt Werner und seine Sparsamkeit lässt ihn einen inneren Reichsparteitag feiern. Die Betreiber dieser Anlage wird er schön austricksen! Seine Holde lässt die Hose fallen und durchbricht die eiserne Regel, niemals vor dem Ehepartner dem Ausscheidungsdrang nachzugeben.

Aber was ist das? Das Toilettenbecken verschwindet in der Wand und die Gattin plumpst mit nacktem Hintern auf den Boden. Ein unheilvolles Dröhnen und Zischen kündigt die moderne Apokalypse an: Die automatische Reinigung und Desinfizierung der Toilettenanlage mittels in Wand und Boden eingelassener Düsen. Die spitzen Schreie der Gnädigsten lassen das Gebäude erbeben. Die Wasserstrahlen säubern gnadenlos alles, was sich ihnen bietet, ob aus Metall oder menschlichem Fleisch und Hornanhanggebilden. Schwer derangiert verlassen Werner und Gattin im Krebsgang die silberne Kapsel.

Die Kosten für Reinigung und Friseur sind nicht überliefert ...
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Karn, vielen Dank für die Verbesserungsvorschläge, von denen ich einen übernommen habe, die anderen entsprechen nicht dem Stil des Textes und würden ihn zu lang werden lassen. Die WC-Anlage hat wohl runde Wände.:)

Hallo WFabian, in dem Text ist m.E. sehr wohl Humor zu finden.

Schön, dass das kleine Ding hier ein bisschen Aufmerksamkeit bekommen hat.

LG Doc
 

Paloma

Mitglied
Hallo Doc,

witzig dein Werner, obwohl er eigentlich eine traurige Gestalt ist. Mir hat die Geschichte gut gefallen und ich sitze hier mit nem breiten Grinsen im Gesicht – vielen Dank.

Liebe Grüße
Paloma
 

sonah

Mitglied
Hallo DocSchneider,

ich finde die Geschichte sehr gut gelungen gerade auch sprachlich. Zu dem Reichsparteitag wurde bereits genug gesagt, ich kann nur anmerken, dass mir das in dem Zusammenhang nicht aufgestoßen ist. Die Figuren würde ich auch nicht weiter charakterisieren, ich finde es absolut ausreichend und der Rest sei der Phantasie des Lesers überlassen.

Sehr schön finde ich auch die kurze und prägnante Beschreibung der Beziehung mit sehr wenigen Worten: Dass es natürlich der Gatte ist, der zuerst geht, und auch "sein" Geld, mit dem bezahlt wird.

Also, eine schöne Figurenbeschreibung und Beziehungsbeschreibung so ganz nebenbei mit wenigen Worten - und dabei natürlich humorvoll. Ich musste auf jeden Fall schmunzeln.

Sybille

P.S. Ich tue mich hier wirklich schwer, immer wieder diese Entscheidung "spontan" oder "konstruktiv" für meinen Beitrag auswählen zu müssen. Heute entscheide ich mich mal für "konstruktiv", auch wenn das hier gerade eher "spontan" war.
 

sonah

Mitglied
Ach, da fällt mir doch noch etwas ein: Den Titel finde ich nicht so gelungen, er passt eher zu einer anderen Generation als die, die hier dargestellt wird.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Sonah, vielen Dank für Deinen Kommentar und die Bewertung. Den Titel hatte ich bewusst gewählt, um Leser anzulocken. :) Stimmt schon, dass er wohl besser zu Jugendlichen passt. Aber ich lasse ihn so wegen s.o.

LG Doc
 



 
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