Gelbe Augen in der Vollmondnacht

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"Es war Vollmond, doch der Nebel war schier undurchdringlich ... In der Ferne hörte ich immer wieder ein klägliches Miauen, das sich allmählich zu einem bedrohlich klingenden Heulen steigerte ... Und da! Da tauchten urplötzlich zwei gelblich glimmende Lichter aus dem Nichts auf und waren direkt vor mir ... und wieder dieses unheimliche Heulen! Zugleich schlug mir ein heißer Atem ins Gesicht, doch ich fröstelte bis auf die Knochen."
"Erzählen Sie weiter, Colonel! Was geschah dann? Das muss ja richtig gespenstisch gewesen sein! Hatten Sie denn gar keine Angst?" Der Colonel lehnte sich in seinem wuchtigen Lederfauteuil zurück und nippte an seinem Whiskyglas. Er blickte Lady Livia direkt in ihre großen, braunen Augen, deren Anblick ihn seit jeher fasziniert hatte. "Angst, meine Liebe? Nein, das kann man sich in solch einer Situation nicht leisten. Da heißt es: kühlen Kopf bewahren!"
"Jetzt spannen Sie mich aber richtig auf die Folter! Irgendetwas müssen Sie ja unternommen haben, um dieses ... dieses Untier ... in die Flucht zu schlagen, oder?"
"Ich griff natürlich instinktiv nach meiner Waffe, doch ich ahnte, dass diesem Wesen damit nicht beizukommen war. Ja und dann ... dann geschah etwas sehr Merkwürdiges." Er legte eine Pause ein und schien zu überlegen, wie er das, was er zu berichten hatte, in passende Worte fassen konnte. "Es waren eindeutig Katzenaugen, die mich in dieser unheimlichen Finsternis des nebligen Moors anstarrten – leuchtend gelb, mit senkrecht geschlitzten Pupillen. Doch an Stelle des bedrohlichen Heulens war jetzt nur ein sanftes Miauen zu hören – abwartend und verhalten, genau wie diese Augen, die mir noch einige Sekunden lang entgegenblickten und mich nur zu beobachten schienen. Und dann war der Spuk ebenso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. Vom Nebel waren jetzt nur noch einzelne Schwaden in der Ferne zu sehen, und das Mondlicht erhellte die Szene. Nichts deutete auf die Anwesenheit irgendeines Wesens hin. Nur der Wind strich mit sachtem Rauschen über die kargen Sträucher des Moors."
"Interessant", meinte Lady Livia leise, jedoch ohne die geringste Verwunderung. Regungslos thronte sie auf dem schweren Ledersofa und fixierte den Colonel aus ihren großen braunen Augen, die niemals zu zwinkern schienen. Es war einer der ersten milden Tage des beginnenden Frühlings, und draußen in der Vollmondnacht braute sich ein Föhnsturm zusammen, der immer heftiger wurde. Eine Böe erfasste das etwas abseits gelegene Landhaus des Colonels und ließ die Türen und Fenster erzittern. Das Licht flackerte, und ein weiterer Windstoß ließ das einen Spalt breit geöffnete Fenster des Salons mit lautem Knall gegen die Wand schlagen. Noch einmal flackerte die elektrische Beleuchtung, dann wurde es dunkel im Haus. Urplötzlich war der Nebel so dicht geworden, dass auch das eben noch silbrig glänzende Licht des vollen Mondes zur Gänze verschwunden war. Die Finsternis war so undurchdringlich, dass man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte.
Angestrengt blickte der Colonel in Lady Livias Richtung, um zu sehen, ob alles in Ordnung war mit ihr. Da schlug ihm ein heißer Atem ins Gesicht, doch ihn fröstelte bis auf die Knochen. Was er sah, waren zwei leuchtend gelbe Augen mit senkrecht geschlitzten Pupillen ... die Augen einer Katze!
"Bei unserer Begegnung im Moor, da wollte ich nur ein bisschen spielen mit dir, mein Lieber ... aber jetzt will ich mehr." Es war eindeutig Livias Stimme, die an das Ohr des in höchstem Maße erstaunten Colonels drang. Die Stimme war ihm durchaus vertraut, doch war aus ihr auch das melodische Miauen einer Katze herauszuhören ... Die Augen kamen näher, so nahe, dass deren gelbliches Leuchten jetzt eindeutig bedrohlich wirkte. "Jetzt will ich alles ... jetzt gehörst du mir mit Haut und Haar, mein unerschrockener Colonel." Sie hob das schwarze Cape, das sie auch im Salon anbehalten hatte, langsam in die Höhe und umschloss damit den gesamten Körper des Colonels.
Eine orkanartige Böe ließ das Haus in seinen Grundfesten erbeben, und der mit unvermittelter Vehemenz einsetzende Gewitterregen peitschte ungebremst in den Salon herein. Ein riesiges gelbes Wetterleuchten flackerte bedrohlich am Horizont ... Doch der Colonel spürte nur noch den tiefen Biss in seine Halsschlagader.
 



 
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