Gemeines Biest (Sonett)

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Walther

Mitglied
Gemeines Biest


Ich träf dich gerne, doch du siehst mich nicht,
Du blickst durch mich hindurch mit Deinen Strophen!
Soll ich, um dich zu spürn, mit Reimen schwofen?
Bist du dann endlich bei mir, du Gedicht?

Vom Herzen schreib ich mir die Katastrophen
Und bring ins Seelendunkel etwas Licht:
Du machst viel Worte, manchmal bleibst du schlicht,
Du redest wie mein Kind, gleichst Philosophen.

Wie soll man schlau aus deinen Versen werden,
Wenn du dich wieder wie die Auster schließt?
Metaphern werfen Schatten und Gebärden,

Die zu enträtseln man nicht gleich genießt.
Ach, Lyra, Liebste, ich lass die Beschwerden,
Wenn du dich endlich gibst, gemeines Biest!
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht ist vielschichtig und ich sehe mindestens drei Lesarten:

1. - Liebesgedicht, die Angebetete ist eine Lyrikerin, aber es gibt Probleme, man redet bereits aneinander vorbei, versteht sich nicht mehr richtig, möchte es aber. Beide reden noch miteinander.

2. Der lyrische Schaffensprozess. Das Gedicht entsteht, entzieht sich immer wieder.

3. Verbunden mit 2 aber das Gedicht ist an die Muse, Lyra, gerichtet. Es ist eine Verbindung von 1 und 2.

Zugleich stellt das Gedicht eine Therapie dar, Befreiung durch Schreiben.
 

Walther

Mitglied
Lb. Bernd,

wir neigen dazu, das, was wir lieben, zu personifizieren. Daher ist Deine Interpretation natürlich irgendwie richtig. Und, der Autor hat, da ganz Mann, die Launen der Damen zum Gegenstand seines Flehens gemacht, das am Ende in die Nähe der ohnmächtigen Wut gerät. :D

Danke für Deine freundliche Betrachtung eines Gedichts, das angesichts der Masse der herausragenden Einträge sonst ein wenig in den Schatten gedrängt worden wäre. ;)

LG W.
 



 
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