Ich lese die Todesanzeige im Lokalteil der Samstagszeitung.
Ich beiße in die dick mit Marmelade bestrichene Brötchenhälfte, nehme einen Schluck Kaffee und schaue aus dem Fenster.
Georg ist tot.
Damals in der Realschule hatten wir kaum Kontakt. Und doch berührt mich sein Tod. Derselbe Jahrgang, dieselbe Stadt. Und – dieselbe erste Liebe.
Marianne, ja, Marianne, Marianne. Immer noch, nach all den Jahren, spüre ich diese Begeisterung in mir, ein ganz besonderes Gefühl, ein Kribbeln allüberall. Sie war eine tolle Frau. Ein blondes Licht umgab sie. Damals, an einem Samstagmorgen, wachte ich auf und hatte ein Lied im Kopf; Mariannes Lied. Ich griff zur Gitarre und spielte und sang. Ich mutierte zu Walther von der Vogelweide und beschloss mein Lied, ihr Lied, unter ihrem Fenster zu singen.
Dann erzählte mir Kurt, er und Georg hätten mit Marianne geschlafen - gefickt, wie er sich ausdrückte. Ich lief gegen eine Wand und zerstörte Mariannes Lied. Ich versuchte es, doch es klang weiter in mir, in meiner Seele, in meinem Herzen. Ich radelte zu meinem Lieblingssee, ein sicherer, verborgener Platz für meine Gefühle. Ich legte mich ans Ufer, starrte in den blauen Himmel. Eine Frechheit, dieser Himmel, eine Frechheit. Als es dämmerte, radelte ich nach Hause. Ich drehte meine mickrige Anlage voll auf und besoff mich am Punk-Rock der frühen Kinks. Bis meine Mutter kam …
Kurt starb früh. Er kam von der Spätschicht, er hatte getrunken. Das Vorderrad seines Mofas verfing sich in den Rangiergleisen; Genickbruch.
Und jetzt Georg. Endlich.