Geschenk aus dem Morgenland

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onivido

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Mein Name ist Monika Maria Badra. Also ich arbeite in einer Bank. Das sollte eigentlich schon eine Garantie dafür sein, dass ich nicht mit übermässiger Fantasie belastet bin. Ausserdem sogar noch am Schalter und da hat man nun ja gewiss keine Zeit zum Träumen. Ich erwähne das ausschliesslich, um zu verhindern, dass man mir eben dies unterstellen möchte. Die sitzende Arbeitsweise und meine zügellose Neigung mir den Tag mit Pralinen, Cremekecks und Coca-Cola zu versüssen waren Schuld an meiner – nun ja, es gibt keinen schöneren Ausdruck – Fettleibigkeit. Zugegeben, ich ging auch nicht gerne zu Fuss. Das Stockwerk zwischen dem Schalterraum und dem Büro meines Chefs bewältigte ich im Aufzug. Auch bei eisiger Kälte zog ich es vor auf den Bus zu warten, anstatt die eine Haltestelle zwischen der U-Bahnstation und meiner Wohnung zu marschieren. Und dabei wäre ich eigentlich durchaus hübsch, wenigstens sagt meine Mutter das. Eigenlob stinkt, ich weiss, aber ich wiederhole ja nur was meine Mutter meint und das auch nur zu dem Zweck des besseren Verständnisses der Vorfälle, die ich hier schildere.

Vor gut zehn Monaten, ein paar Tage vor Weihnachten, kam dieser junge, athletische Mann an meinen Schalter, tat ganz so, als sei er ein regelmässiger Kunde. Er kam mir vertraut vor, familiär, obgleich ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte ihn je bedient zu haben. Während ich seine Überweisungen bearbeitete - alle ins Ausland - fragte er nach dem Wohlergehen meiner Mutter, meines Bruders - vielleicht war er ein Freund von ihm-, kurz und gut er brachte es tatsächlich fertig mich davon zu überzeugen, dass er mir auf irgend einer Weise bekannt sein musste. Er verabschiedete sich freundlich und hob vom Boden eine rote Papiertüte auf mit Henkeln aus einer weissen Kordel und bedruckt mit Bildern von grünen Tannenzweigen und farbigem Christbaumschmuck. Er reichte sie mir über den Schalter.
“Frohe Weihnachten”, sagte er herzlich.
Eine Bombe! Siedeheiss kam es mir in den Sinn. Der Mann war ein Terrorist, hatte er nicht arabische Gesichtszüge, oder ein Bankräuber vielleicht? Starr vor Angst wusste ich nichts Besseres zu tun als die Tüte wie hypnotisiert bei ihrem Henkel zu fassen. Sofort bemerkte ich, dass sie zu leicht war, um eine Bombe zu enthalten. Der Mann nickte mir nochmals verschwörerhaft freundlich zu und verliess die Bank im Eilschritt, noch bevor ich protestieren konnte. Und dann, nun ja, ich bediente den nächsten Kunden, als sei nichts vorgefallen. Routinemässig arbeitete ich weiter, schielte aber doch öfters argwöhnisch nach der Tüte zu meinen Füssen. Beim Loslassen der Henkel hatte sie sich weit geöffnet und man konnte wenigstens obenauf eine Schachtel Pralinen sehen. Ronald, mein Kollege, grinste in unverschämtem Unglauben.

“Das ist für meinen Bruder”, fauchte ich ungefragt.
“Dacht ichs mir”, antwortete er rüde, immer noch grinsend.

Feierabend, ich zwängte mich in meinen Mantel und wie ein Dieb nach allen Seiten sichernd nahm ich verstohlen die Tüte und verliess die Bank.
Zuhause – ohne den Mantel abzulegen - öffnete ich die Tüte und fingerte die Schachtel Pralinen heraus. Darunter kam ein Packet Datteln zum Vorschein, Dattes de Tunisie, stand auf der Verpackung, und darunter eine rechteckige, weisse Pappschachtel , ein bischen grösser als eine Videokassette, Érotique Lingerie Féminine, Tunisie entzifferte ich die sonderlich verwaschene Aufschrift. Nach einem Moment des Zögerns überwand die Neugier meinen Argwohn und ich öffnete sie mit spitzen Fingern.
Sie enthielt einen Büstenhalter und einen Tanga wie ihn die Skulpturen von Mulattinen am Strand von Rio de Janeiro tragen. Beinahe hatte ich geheult vor Wut und Scham, jemand verspottete mich grausam. Ich schleuderte das Zeug auf den Boden und trampelte mit den Strassenschuhen darauf herum. Die Qualität der Garnitur war ausgezeichnet. Meine schmutzigen Schuhsohlen hinterliessen fast keine Spuren, noch konnten meine 100 kg -Tritte sie zu Schaden bringen. Ich zog meinen Mantel aus und ging ins Bad, ärgerlich, als sähe ich mich zum ersten mal im Spiegel, betrachtete ich meine schwergewichtige Gestalt. Und dann, wie unter dem Einfluss eines hypnotischen Zwangs, holte ich den Tanga. Sein Gewebe fühlte sich fest, geschmeidig und elastisch an. Ich entkleidete mich vor dem Spiegel. Nie hatte meine Leibesfülle eine andere Regung in mir verurasacht, als ein resigniertes Lächeln, aber jetzt sah ich zornig auf meine gewaltigen Busen, den fetten Bauch, meinen schwammigen Hängearsch und die unförmigen Schenkel. Einer masochistischen Anwandlung folgend, fasste ich den Slip und zwängte mich hinein. Er zeriss nicht. Genau weiss ich nicht mehr wie ich es fertig brachte auch den BH anzulegen. Nach vollbrachter Schwerstarbeit sah ich in den Spiegel.

Ich kniff die Augen zu, zwinkerte, sah zu Boden, biss mir fest auf die Lippen und blickte wieder in den Spiegel. Aus dem Spiegel starrte erschrocken ein Weib mit dem Aussehen eines Models aus einem Fitnesscenter, aber sie hatte mein Gesicht, magerer, aber es war unverkennbar mein Gesicht. Ich ohrfeigte mich. Die Sexbombe im Spiegel tat desgleichen. Sie war mein Spiegelbild.
Ich setzte mich aufs Klo und glotzte auf die Gestalt im Spiegel, meine Gestalt. Blödsinn, das gibts doch nicht. Das war ein Trick. Jemand verarschte mich. Ich konnte nicht denken. Ich rannte aus dem Bad, sprang, -ja wirklich- , ich sprang über einen Stuhl, legte ein CD mit Samba in den Recoder und tanzte allein, unermüdlich. Um Mitternacht klopfte mein Nachbar an die Wand und ich schaltete schweissgebadet die Musik ab.

Im Bad zerrte ich meine Minigarnitur vom Leib und blickte herausfordernd in den Spiegel. Ich sah das gewohnte Bild einer fetten jungen Frau. Tränen der Enttäuschung stiegen mir in die Augen. Ich duschte heiss, schwor den Vorfall im Interesse der Gesundheit meines Geistes zu vergessen und schleppte mich erschöpft zu meinem Bett. Meine Beinmuskeln zuckten noch ein paarmal, dann versank ich in einen traumlosen Schlaf.
Den Wecker hörte ich nicht am nächsten Morgen. Ich kam eine gute halbe Stunde zu spät in die Bank, erklärte meinem Chef, in meinem Appartment gäbe es ein Problem mit der Heizung, welches ich mit dem Hausmeister besprechen hatte müssen.
Eingestanden, ich war nicht so richtig bei der Sache den ganzen Tag, brachte aber irgendwie zustande meine Pflicht zu tun und eilte auf die Sekunde bei Arbeitschluss aus der Bank, legte die Strecke zur U-Bahnhaltestelle fast im Laufschritt zurück und konnte vor Ungeduld nicht auf den Bus warten, was mich dazu nötigte zu Fuss zu gehen. Unterwegs fiel mir ein, dass ich den ganzen Tag nicht eine einzige Süssigkeit genascht hatte. Ich war nicht dazu gekommen. Jede freie Sekunde war damit ausgefüllt gewesen die Vorfälle des gestrigen Abends wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen zu lassen, ungeachtet meiner mitternächtlichen Schwüre an die ganze Geschichte nicht mehr zu denken.
Auch entgegen meiner Versprechen zog ich mich, kaum war die Wohnungstür zugefallen, sofort splitternackt aus, zwängte mich in die misteriöse Garnitur, die ich gestern achtlos auf den Boden geworfen hatte und stellte mich klopfenden Herzens vor den Spiegel. Wieder konnte ich die sportliche Starfrau im Spiegel bestaunen.

Eine seltsame Unruhe erfasste mich. Ich suchte und fand einen Trainingsanzug aus meiner Schulzeit, den ich aus Pietätsgründen aufbewahrt hatte, stülpte mir wegen der Kälte zwei T-shirts über und zwängte mich in den Trainingsanzug. Ich fand auch die Sportschuhe, die mein Bruder hier vergessen hatte und ein Paar Wollsocken. In diesem Aufzug verliess ich die Wohnung und trabte begeistert zwei Stunden durch die Umgebung.

Seit diesen Geschehnissen sind – wie schon gesagt- gute zehn Monate vergangen. Inzwischen ist es schon wieder Herbst geworden, längst habe ich mir ein Fahrrad angeschaft und strample damit jeden Morgen zur Bank, 43 Minuten hin und am Abend 47 Minuten zurück. Viermal wöchentlich absolviere ich eine Stunde Aerobics oder Pilates und anschliessend Gewichtstraining in dem Fitnesscenter an dem ich noch vor gar nicht so langer Zeit immer achtlos vorübergegangen war. An den Wochenenden wird gejoggt, manchmal gehe ich auch Schwimmen im Hallenbad.

Von Tag zu Tag war mein Spiegelbild ohne die geheimnisvolle Garnitur dem mit ihr ähnlicher geworden. Nun muss ich reichlich beschämt eingestehen, dass ich in all den Monaten diese Entkleidungsstücke nie mit heissem Wasser und Seifenpulver gewaschen hatte, obwohl der tägliche Gebrauch Spuren hinterliess, die das Spülen im klaren Wasser nicht beseitigte. Ihr ursprünglich cremiges Weiss hatte sich ins Hellgraue verfärbt, der Stoff hatte seine weiche Geschmeidigkeit verloren. Schmutz ohne Zweifel. Ich hatte mich schliesslich entschlossen, sie zwar mit der Hand, aber immerhin unter Anwendung eines schonenden Seifenpulvers zu waschen. Dabei zerfiel sie, nicht etwa in Stücke, nein, sie löste sich auf.

Roland, begrüsst mich neuerdings jeden Morgen mit grosser Begeisterung. Es fehlt nur, dass er mich umarmt. Er hat mich sogar zum Essen eingeladen, übrigens mein Chef auch. Überdies ruft letzterer mich derzeit bis zu viermal täglich in sein Büro.

Gestern besuchte ich meine Mutter. Sie wohnt jetzt in Eisach im Haus meiner verstorbenen Grosseltern, Ich glaube sie hatte geweint. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein vergilbter Zeitungsausschnitt, vom 13 Oktober 1983.
“Freddy Mistery, mit bürgerlichem Namen Samir Badra, ein bekannter Magier, kam am Mittwoch bei einem schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn München – Salzburg ums Leben. Die Frau des gebürtigen Tunesiers und die beiden Kinder des Paares, ein Mädchen im Alter von 3 Jahren und ein viermonatiger Junge, erlitten nur leichte Verletzungen. Lange starrte ich auf das verschwommene Schwarzweissfoto des triumphierend lächelnden Zauberers im Rampenlicht. Wie gerne hätte ich meinen Vater nur einmal umarmt.
 



 
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