Geschichte vom dankbaren Hund - Achtung: länger

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Andrea

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Die Geschichte vom dankbaren Hund

Quadron war ein typisches Dorf im östlichen Teil von Kirron, nur ein paar Tagesreisen entfernt von Donnerkrone und Silberzacken, den beiden Gebirgszügen, die den Norden von den Mittelreichen trennten, und der einfachste Landweg in den Süden. Man konnte schon die Gipfel erkennen, die so hoch in den Himmel ragten, daß selbst jetzt noch Schnee auf den Kuppen lag.
Einst mochte Quadron eine stolze Mauer umgeben haben, doch von der waren nicht mehr als ein paar zerfallende Reste übriggeblieben. Wenn die Menschen, zum größten Teil Handwerker und Bauern, deren Gehöfte ganz in der Nähe lagen, ihre Steuern an den König entrichtet hatten, blieb ihnen einfach nicht genug, um für ihr eigenes Wohl und das der Mauern zu sorgen. So bestanden die meisten Häuser aus Holz, einfache Hütten, die sich um einen Marktplatz scharrten, von dem ein Gewirr von engen Gassen abging. Raffa hatte keine Mühe, sich in dem Labyrinth zurecht zu finden. Sie mußte einfach nur ihren Sinnen folgen, dem aromatischen Geruch von Braten und Bier und dem Lärm fröhlicher Menschen, die sich in der Hitze des Mittags in die kühleren Gefilde ihrer Hütten zurückgezogen hatten.
Es gab nur ein einziges Gasthaus, und Raffa zögerte keinen Augenblick, sich ihm zu nähern. Sie war fast eine Woche lang stur gewandert, ohne einen Aufenthalt in einem Dorf einzulegen. Die sommerliche Hitze drückte auf Kondition und Gemüt, auch wenn die Erzählerin lange dem Lauf des Quadro stromaufwärts gefolgt war, bis aus dem trägen Strom ein quirliger Bergbach geworden war. Ihre Vorräte waren stetig zu Neige gegangen, und sie hatte nur wenig aufsammeln können. Die wenigen Büsche waren oft leergepflückt, da auch die ländliche Bevölkerung nahe der Grenze zu Neiga hungerte.
Es war wohl auch der Hunger, vor allem aber die Sehnsucht, wieder von Menschen umgeben zu sein, gewesen, was Raffa zum Gasthaus trieb, ohne daß sich die junge Frau Sorgen über eventuelle Begegnungen mit den Yorikriegern machte. Ohnehin hatte sie in den letzten Tagen nicht einmal auch nur den Zipfel ihrer weißen Roben gesehen, und beinahe wollte Raffa der Hoffnung erliegen, der Orden sei nur ein böser Traum gewesen, aus dem sie langsam erwachte.
Das Gasthaus war recht gut gefüllt, trotz der Hitze, die im Raum lag und schwer auf die Atmung drückte. Die Fenster waren alle weit aufgerissen, und zwei schwitzende Mädchen waren ununterbrochen damit beschäftigt, Krüge mit kaltem Bier zu den durstigen Menschen zu tragen.
Ein paar Gespräche brachen ab, als Raffa mit ihrem Stab auf den Boden klopfte, aber die meisten hoben kaum den Kopf. Raffa runzelte einen Augenblick überrascht die Stirn. Sie hatte einen anderen Empfang befürchtet.
„Komm nur herein, Mädchen!“ rief ein Mann im mittleren Alter ihr zu und winkte freundlich. „Und sei gegrüßt bei allen Göttern!“
Unzufriedenes Murmeln und fast ängstliches Zischen mischten sich in die Prahlereien zweier junger Burschen, und die Erzählerin erkannte, daß diese Menschen durchaus von den Yorikriegern wußten.
„Was denn“, rechtfertigte sich der Mann schuldbewußt. „Ihr wißt, daß sie jetzt nicht da sind.“
„Es ist aber dennoch nicht nötig, daß du uns in Gefahr bringst“, brummte sein Tischnachbar, doch der Mann zuckte nur mit den Schultern.
„Sie ist eine Erzählerin. Sie wird nichts verraten.“
Neugierige Blicke streiften Raffa, und wer sich bisher noch gestritten oder an Verhandlungen teilgenommen hatte, richtete jetzt ebenfalls seine Aufmerksamkeit auf die junge Frau, doch Raffas aufkeimendes Unbehagen legte sich rasch. In den Augen der Dorfbewohner waren weder Wut, Haß noch Fanatismus zu erkennen. Es schien, als seien die Yorikrieger nicht sonderlich beliebt bei ihnen.
„Möge mein Gott euch segnen“, brachte Raffa endlich ihren Gruß über die Lippen und verbeugte sich graziös in die Richtung des Mannes, der zuerst gesprochen hatte.
Als sei ein Damm gebrochen, kam Leben in die Gäste der Schenke. Eines der Mädchen brachte einen großen Krug mit kühlem Bier und eine Platte kalten Braten, während die Männer bereitwillig Tische und Bänke beiseite schoben und den Platz am Kamin freimachten. Auch wenn kein Feuer darin brannte - wozu auch bei all der Sommerhitze - so war es doch der traditionelle Platz für eine Erzählerin.
Raffa stellte ihr Gepäck neben den Stuhl, den ein ältlicher Mann ihr galant zurecht schob, ließ sich nieder und begann, mit großem Appetit zu essen, bis die übrigen Gäste sie baten, ihnen von den Geschehnissen in der Welt außerhalb des Dorfes zu erzählen.
Raffa griff in ihre Kiste mit Tratsch, Gerüchten und wahren Begebenheiten, vermischte sie ein wenig, und ehe sie sich versah, hingen die meisten Menschen an ihren Lippen und hörten gespannt zu. Stirnen umwölkten sich, und mehr als ein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als Raffa von der Neuen Ordnung und dem Siegeszug der Yorikrieger in Neiga berichtete. Den Menschen hier erging es also nicht anders als den Menschen in Neiga - nur daß diesen hier die Besetzung durch die Yorikrieger ganz und gar nicht gefiel.
„Ihr habt auch schon Erfahrungen gesammelt?“ fragte sie mehr so nebenbei, und die finsteren Gesichter ver-düsterten sich noch mehr. Raffa bereute bereits ihre Neugier, als der Wirt ein bitteres Lachen ausstieß.
„Ja, wir haben unsere Erfahrungen mit ihnen. Seit einem halben Jahr sitzen sie uns im Nacken mit ihren Ideen und ihrer Ordnung. Du mußt nur die Straße herunter gehen. Das schöne große Haus, zu dem du dann kommst, ist ihr Quartier. Sie gehen regelmäßig Patrouille, und wenn du nur den Rockzipfel ihrer so unschuldig weißen Roben siehst, versteckst du dich besser und betest zu den Göttern, Erzählerin.“ Der Wirt schnaufte, und aus den Reihen der übrigen Gäste kam Zustimmung, wenn auch Furcht auf einigen Gesichtern lag. „Ein halbes Jahr, und die Einnahmen sacken in den Keller! Es will keiner mehr kommen, und wer will es ihnen verübeln? Denn wer bleibt und ihnen nicht gefällt, der verschwindet halt.“
Raffa musterte die Gesichter der Menschen von Quadron nachdenklich, während deren Augen stumpf in die Ferne blickten und die Schultern hinabsanken. Schließlich richtete sich einer mit einem schweren Seufzer auf.
„Aber bist du hier, um schlechte Neuigkeiten zu hören oder um Frohsinn zu verbreiten?“ fragte er mit einem schwachen Grinsen.
Die Erzählerin warf lachend den Kopf in den Nacken, und die Menschen entspannten sich augenblicklich.
„Du hast Recht“, entschuldigte Raffa sich. „Da komme ich her, und anstatt euch aufzumuntern und meinen Gott mit meiner Gabe zu ehren, wie ihr es wünschtet, plage ich euch mit meinen Fragen. Ich gelobe feierlich Besserung.“
Barländische Volksmärchen wechselten sich nun mit nordischen Sagen ab, und Raffas Zuhörer lehnten sich zurück und begannen, die Yorikrieger und ihre mißliche Lage zu verdrängen. Schließlich ging die Erzählerin zu jenen Geschichten über, die streng oder fanatisch Gläubige so erregten, jene, in denen die Götter mit all ih-ren Schwächen und Fehlern dargestellt wurden, und auch wenn der ein oder andere das Gesicht verkniff oder nervös zur Tür schielte, wenn die Rede auf Yori kam, gefielen Raffas Geschichten den Quadronern.
Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Es schien Raffa so, als hätten die Menschen wochenlang auf den Tag warten müssen, da sie wieder unbeschwert lachen konnten. Einige stimmten bereits ein Lied an, und der Wirt rechnete im Geist vergnügt durch, wieviel er wohl verdienen würde, als sich die Tür öffnete.
Das Lachen brach abrupt ab. Die Menschen starrten unangenehm berührt auf ihre Tische oder Füße oder Löcher in die Luft. Ein Mann hatte die Wirtschaft betreten. Sein Gesicht trug markante Züge, doch seine imposante Gestalt war ganz und gar in einen langen roten Umhang gehüllt.
Raffa musterte den Fremden kurz. Er wandte die Augen nicht ab, sondern erwiderte die Begutachtung. Keiner der Anwesenden sagte etwas, und die Erzählerin fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Ohne weitere Umschweife begann sie mit einer kurzen lustigen Geschichte. Raffa hatte sie schon so oft erzählt, daß sie nicht mehr auf die Worte achten mußte. Statt dessen beobachtete sie die Gesichter ihrer Zuhörer. Fast alle Quadroner waren blaß geworden, und Angst, Sorge und Abscheu wechselten in ihrem Mienenspiel ab. Einige tasteten verstohlen nach ihren Waffen, andere blickten nervös zur Tür. Ein junger Mann am Kamin wechselte bedeutungsschwere Blicke mit einem anderen Mann, der am Fenster saß und vielsagend auf einen Gegenstand an seinem Gürtel klopfte, vermutlich ein Messer.
Nur der Mann im Umhang ließ sich gelassen nahe der Tür nieder, bestellte mit einem Schnipsen einen Krug Bier und nickte dem Wirt knapp zu, als dieser das Getränk brachte. Er nippte nur kurz davon, und fortan stand der Krug unberührt auf dem Tisch. Die Aufmerksamkeit des Mannes galt allein der Erzählerin.
Raffa selbst erwischte sich ein paar Mal dabei, wie sie in das Gesicht des Mannes starrte und sich fragte, was er unter seinem Umhang verborgen hielt. Die Reaktion der Menschen ließ es sie vermuten, aber ehe Raffa etwas unternahm, mußte sie sicher ein. Er würde sie bestimmt nicht einfach gehen lassen!
Es kam einem Wunder gleich, daß Raffa nie den Faden verlor und die Geschichte bis zur Pointe brachte. Als das letzte Wort verklungen war, lachten die Menschen verhalten, und Raffa erhob sich und verbeugte sich dankbar. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie die Zeichen, die sich die jungen Männer zuwarfen.
Sie werden doch keinen Unsinn machen, fuhr es ihr durch den Kopf, und Raffa schielte vorsichtig zu jenem Mann, der zuletzt gekommen war. Er widmete sich offensichtlich der Aufgabe, möglichst desinteressiert und gelangweilt zu tun. Kaum aber, daß Raffa zurück auf ihren Stuhl glitt und nach ihrem Bier griff, spürte sie wieder den bohrenden Blick des Fremden auf sich ruhen.
„Erzählt uns doch noch eine Geschichte“, forderte der Mann lauernd, und Raffa schenkte ihm erneut einen wachsamen Blick.
„Mit Vergnügen, mein Herr“, entgegnete sie langsam, und aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie der junge Bursche am Tisch neben dem Kamin nach seinem Schwert griff. Raffa begriff, daß sie etwas tun mußte, sonst gab es nur Ärger. „Was wollt Ihr denn hören?“
„Eine Geschichte über die Götter“, befahl der Mann.
„Über die Götter?“ Raffa legte die Stirn in Falten und hob entschuldigend die Arme. „Es gibt hunderte von Erzählungen, die von der Güte und der Weisheit der Götter handeln. Habt Ihr einen besonderen Wunsch?“
„Ja.“ Der Mann nickte und betrachtete sie dabei prüfend. „Erzählt mir etwas von der Verschwörung der Götter.“
Raffa zog die Brauen zusammen. Sie kannte keine Geschichte über eine Verschwörung, aber es gab wirklich viele Göttergeschichten, so daß Raffa unmöglich alle kennen konnte. Noch dazu im Moment, wo sogar Kleriker der Meinung waren, sie müßten über die Götter erzählen.
Der Mann bemerkte zufrieden Raffas Verwirrung. „Ihr wißt doch, von welcher Verschwörung ich rede?“ fragte er, doch Raffa schüttelte gedankenverloren den Kopf. „Die Verschwörung zweier sogenannter Götter, die auszogen, die Menschen zu verwirren und ihnen den Glauben an die Götter zu stehlen. Der eine war Killem, Schande über ihn, den Gott der Mörder, denn er wollte gar die Götter selbst ermorden und ihr Blut trinken. Der andere aber war ein Taugenichts, geboren von den Göttern der Magie und verdorben durch den Einfluß seiner Mutter Yirove, die die Bosheit selbst ist.“
„Seid Ihr selbst ein Erzähler?“ warf Raffa freundlich ein und nahm ihm damit erst einmal den Wind aus den Segeln. Sie wußte genau, von welchem Gott er sprach, denn es gab nur einen, von dem man erzählte, er sei der Sohn von Magan und Yirove, und das war Taran.
„Nein, das bin ich nicht“, entgegnete der Mann hitzig. „Nichts würde mich dazu bringen, den Geist der Men-schen, deren Aufgabe es ist, den Göttern zu dienen, mit dummen Geschichten zu verwirren und ihnen den Sa-men der Bosheit einzupflanzen, indem ich ihnen erzählte, die Götter wären fehlerhaft.“
Damit sprang er auf und streifte mit einer herrischen Bewegung den Umhang ab. Darunter kam eine weiße Robe zum Vorschein, in der Taille mit einem breiten Gürtel zusammengerafft, in dem ein Schwert steckte. Und unter der Robe trug er gewiß ein Kettenhemd, Hosen und feste Stiefel.
„Ein Yorikrieger“, murmelte Raffa frustriert. Sie hatte nichts anderes erwartet, allerdings gehofft, es nur mit einem einen einfachen Kleriker zu tun zu haben. Mit dem wäre sie schon fertig geworden. Doch ein ausgebil-deter Krieger?
Noch blieb ihr jedoch vielleicht die winzige Chance, ohne größere Schwierigkeiten zu entkommen, wenn es ihr gelang, sein dummes Geschwätz zu ertragen und die schlechte Stellung des Ordens bei den Dorfbewohner richtig einzusetzen. Gewiß wollte sich der Yorikrieger vor ihnen profilieren. Alles was Raffa dazu benötigte, war etwas, um den Mann aus der Reserve zu locken.
Während der Krieger mit seinem pathetischen Geschwafel fortfuhr, lehnte sich Raffa gelassen in ihrem Stuhl zurück, umklammerte ihren Stab und suchte in seinen Runen nach einer Antwort.
„Ach, hört doch auf mit dem Geschwätz!“ unterbrach sie den Krieger schließlich lächelnd, und der Mann war so erstaunt, daß er sofort den Mund zuklappte und sie fassungslos anstarrte. „Ihr redet vom Wohl der Götter, und dabei erinnert Ihr mich nur an einen dankbaren Hund.“
„Was?“ Man konnte seine Verwirrung von seinem Gesicht ablesen.
„Ich will, wenn Ihr es erlaubt, eine neue Geschichte erzählen. Dann könnt Ihr gern über mich richten.“
Der Yorikrieger überlegte einen Augenblick, aber angesichts der aufsässigen Dorfbewohner, die ihn mehr oder weniger herausfordernd anstarrten, und der Order des Hauptmannes, unnötigen Kampf zu vermeiden, ließ er sich mit einer großtuerischen Miene wieder auf seinem Stuhl nieder.
Die anderen Gäste entspannten sich zusehends, und Raffa dankte dem Yorikrieger mit einer Kopfbewegung. Dann räusperte sie sich, beugte sich wieder vor und begann mit der Geschichte vom dankbaren Hund.
„Es lebte einst ein Hund bei einem Bauernpaar. Die Bauern waren sehr nett zu dem Hund, pflegten ihn liebevoll, auch wenn er krank war, und taten alles, damit es ihm gut ging. Und der Hund war ihnen dafür sehr dankbar und wachte auf ihrem Hof, um ihnen Bescheid zu geben, wann immer sich ein Fremdling näherte.
Eines Tages kam ein Mann und bat um ein Nachtlager, und die Bauersleute nahmen ihn auf und gaben ihm zu essen und zu trinken und ein weiches Bett neben dem Feuer. In der Nacht aber stand der Mann auf, nahm alle Wertsachen der netten Bauern an sich und floh. Dem Hund aber, der ihn laut bellend verfolgte, schoß der Mann einen Pfeil durch die Pfote.
Am nächsten Morgen fanden die Bauern ihren verletzten Wachhund, und sie pflegten ihn gesund. Der Hund aber merkte, daß sie sehr unglücklich und enttäuscht über das Verhalten des Fremden waren, und er beschloß, ihnen diese Enttäuschung und den Schmerz von nun an zu ersparen.
Von jenem Tag an, da er genesen war, lag der Hund wieder vorne am Hofeingang, und wenn sich ein Fremder näherte, schoß er laut bellend und mit gefletschten Zähnen auf ihn zu, so daß jeder Besucher erschrocken das Weite suchte. Die Bauern in ihrem Haus bekamen davon nichts mit, doch sie wunderten sich, warum die Leute, die sie früher immer besucht hatten, auf einmal fortblieben.
Der Hund aber fuhr mit seiner Arbeit fort, und er vertrieb manchen Bösewicht, der nur die Freundlichkeit der Bauersleute hatte ausnutzen wollen, und bewahrte sie vor Schaden und so mancher herben Enttäuschung. Aber einmal vertrieb er auch ein kleines Mädchen, das gekommen war, um mit den Kindern der Bauern zu spielen. Und ein anderes Mal floh ein Mann vor seinen Zähnen, der den Bauersleuten ein gutes Geschäft vorschlagen wollte, an dem sie wohl verdient hätten. Und auch die Freunde der Bauern trauten sich des Hundes wegen nicht mehr zu ihnen.
Lange Jahre bewachte der Hund so den Hof derjenigen, die gut und gnädig zu ihm waren, und die Bauern brachten ihm dafür all ihre Liebe und Wertschätzung entgegen. Doch die Zeit verschont niemanden, und so kam es, daß auch der gute Hund eines Tages dahinschied. Die Bauersleute waren sehr traurig darüber, und sie ehrten sein Andenken und luden alle ein, die sie noch aus der alten Zeit kannten. Und siehe da, auf einmal kehrten sie alle zurück in den Kreis ihrer alten Freunde, und sie erzählten den Bauersleuten, warum sie nie zu ihnen gekommen waren. Da nickten die beiden weise und sprachen:
„Seht, wie dankbar und treu und gehorsam unser Hund gewesen ist. Er schützte uns vor allem Übel. Nur daß er uns auch vor der Freude und der Wärme der Menschen schützte, erkannte er nicht. Er war bei all seiner Treue und seiner Dankbarkeit eben nicht sehr klug.“
Und sie ehrten sein Andenken und genossen die Gesellschaft ihrer wiedergefundenen Freunde.“
„Eine nette Geschichte“, sagte der Krieger in die folgende Stille hinein, in der Raffa die Augen niederschlug, bevor sie sich langsam aufrichtete. „Ich frage mich nur, was sie mit unserer Situation hier zu tun hat, und was du, verruchte Botin eines dämonischen Gottes, damit bezweckst.“
Raffa schaute auf, und ihre Blicke trafen wie Blitze die Augen des Yorikriegers. „Ihr aber, mein Herr, seid wie jener Hund. Weil einst ein Mensch die Götter bestahl oder betrog oder belog, haltet Ihr nun uns alle für schuldig. Ihr vertraut in die Götter, und zurecht, aber alle, die Euch fremd sind, schickt Ihr fort, notfalls mit ei-nem Biß in den Hintern. Und dabei schickt Ihr auch die fort, die kamen, den Göttern zu huldigen. Jede Idee, jede Geschichte vertreibt Ihr vom Antlitz der Götter wie der Hund. Denn einer der Besucher der Bauersleute war ein Erzähler, und in seinem Gepäck hatte er eine Geschichte so voller Phantasie, voller Wärme, um die Bauern zu erfreuen, daß jeder, der sie hörte, sich mit den anderen verbunden fühlte. Dieser Erzähler aber war Taran selbst, der Herr der Geschichten und Meister seiner Kunst. Er nahm die Geschichten und Gedanken aller Wesen auf Philais und verband sie in einem Märchen, um Freude zu spenden und Frieden durch Verständnis zu schaffen. Denn das ist es, was ich, was jeder meiner Zunft bezweckt: den Menschen Freude zu bringen und Lehren. Und diesen Schatz wollt Ihr uns nehmen? Das Geschenk des Gottes der Phantasie? Wohl an, dann versucht es.“
Das war zuviel für den Krieger. Als Hund beschimpft zu werden, hatte schon stark an seiner Haltung gezerrt, aber nun besaß diese Frau auch noch die Frechheit, ihr schändliches Tun als Geschenk des Gottes zu bezeichnen!
„Das sollst du bereuen“, knurrte er und zog sein Schwert.
Raffa war überrascht gewesen von ihren eigenen Worten, aber keines davon hätte sie zurückgenommen. Und als sie den verkniffenen Gesichtsausdruck des Kriegers bemerkte, wußte sie, daß sie um einen Kampf diesmal nicht herumkommen würde, mochte er auch härter werden als der Kampf damals in Sehnendorf und auch wenn sie dieses Mal wohl ohne Hilfe dastehen würde. Immerhin hatte sie ihre Kampftechnik während der letzten aufregenden Monate verbessern können, auch wenn sie es nicht gern zugab. Es sollte ihr nur recht sein, diesen blasierten Hohlkopf zu lehren, mit wem er sich angelegt hatte.
„Komm nur näher“, entgegnete sie kühn und stand auf. Sie würde dem Mann schon eine gehörige Portion Re-spekt beibringen!
In der Mitte des Raumes hatte sich schnell eine leere Fläche gebildet. Keiner der übrigen Gäste wollte einschreiten, nicht einmal der Wirt. Ihnen blieb nur die winzige Hoffnung, daß die Erzählerin dieses ungleiche Duell für sich entscheiden konnte.
Der Yorikrieger wog sein Schwert in der Hand und suchte feste Stand. Seine Augen ruhten unerbittlich auf Raffa, die bedächtig auf ihn zutrat.
„Für die Ehre des Einen“, murmelte der Krieger, ehe er das Schwert in die Höhe hob. Er überließ Raffa den ersten Schlag, doch die Erzählerin konnte sich nicht dazu überwinden, anzugreifen, und so standen sie einander für einen Moment nur gegenüber, musterten sich scharf und beschränkten ihre Angriffe auf wenige Finten.
Es war Raffa, die zuerst die Geduld verlor und ihre Stab in einem weiten Bogen schwingen ließ. Der Krieger hatte keine Probleme damit, den Schlag abzuwehren, stieß vor und hätte Raffa wohl den Bauch aufgeschlitzt, wenn sie nicht rechtzeitig rückwärts gesprungen wäre. Sie versuchte, seinen Schwertarm zu treffen, aber sie konnten den Stab nicht schnell genug wirbeln und der Yorikrieger schlug ihn einfach beiseite. Wieder mußte Raffa acht geben, nicht getroffen zu werden, und wäre sie nicht zur Seite ausgewichen, wäre ihr der Stab wohl aus den Fingern geglitten.
Schwer atmend rettete sich die Erzählerin hinter einen Tisch.
„Schon genug?“ höhnte der Yorikrieger, der beneidenswert ruhig geblieben war. „Keine Kraft, was?“
„Genug für dich“, preßte Raffa zwischen den Zähnen hervor, nahm den Stab fest in beide Hände und hielt ihn waagerecht für die Brust, bevor sie dem Krieger wieder gegenübertrat. Dieses Mal wartete er nicht ab, sondern ließ einen Schlag auf den nächsten folgen. Sie hatte Probleme, unter diesem Hagel nicht zu Boden zu gehen, und Schweißperlen traten auf Raffas Stirn, als sie Hieb um Hieb parierte.
Der Yorikrieger lächelte nicht, seine Miene war zu einer ernsten und entschlossenen Maske gefroren. Er würde jetzt wohl kaum noch eine Entschuldigung von ihr annehmen.
Raffa tauchte unter dem nächsten Schlag weg, Sie spürte, wie die Klinge ihre Schulter streifte, aber es war keine ernsthafte Verletzung. Die Erzählerin trat dem Mann voller Wucht in die Beine, so daß er einen Moment lang Schwierigkeiten hatte, sein Gleichgewicht nicht zu verlieren, und ihr Zeit blieb, den nächsten Schlag zu koordinieren. Raffa zielte auf die verletzliche Stelle zwischen den Beinen, doch der Krieger hatte es bemerkt und parierte rechtzeitig. Seine Klinge prallte auf das Eisenholz, und für eine Sekunde blitzte ein siegessicheres Lächeln auf seinem Gesicht auf, nicht für sehr lange, aber es reichte für Raffa als Signal, den Stab herumzu-wirbeln und den Unglücklichen geradewegs im ungeschützten Gesicht traf.
Der Yorikrieger taumelte ein paar Schritte zurück, doch riß er gleichzeitig seine Waffe hoch, so daß Raffas nächster Schlag sein Ziel verfehlte. Die Erzählerin mußte sich sogar bemühen, den Stab nicht aus den Händen zu verlieren, solch ein Wucht steckte hinter der Parade des Kriegers.
Raffa wich zurück und beobachtete das Gesicht des Mannes. Eine dünne Spur Blut rann aus seiner Nase und sein Kinn hinab, aber er war fest entschlossen, ihr jeden Schlag heimzuzahlen, und wenn die Frau an die Kraft des Kriegers dachte, wußte sie, wie gering ihre Chancen in diesem Kampf waren. Sie mußte ihre Situation wohl verbessern.
Ihre Finger glitten über das runenverzierte Holz, bis sie jene Stelle gefunden hatten, in die ein verborgener Schalter angebracht worden war, und mit einem leisen Knacken fuhr am unteren Ende des Taranstabs ein langer Dorn aus Stahl heraus.
Dem Yorikrieger war die Veränderung des Stabs nicht aufgefallen - zu seinem Unglück, wie er wenig später herausfinden mußte. Er hatte sich von Raffas Hieb erholt und das Blut fortgewischt, umfaßte sein Schwert und sandte glühende Blicke zu seiner Gegnerin, die zwar schwer atmete, aber dennoch provokativ gelassen dastand, als warte sie nur auf einen Freund.
Der Yorikrieger hob seine Waffe zum Angriff und stürzte auf sie zu. Raffa sah ihn kommen, holte tief Luft und tauchte blitzschnell unter dem gewaltigen Schlag des Mannes hinweg. Ihr Stab wirbelte im selben Augenblick herum wie ihr Angreifer, und noch ehe der Yorikrieger wußte, wie ihm geschah, zuckte ein stechender Schmerz durch seinen Schwertarm, und seine Hand ließ kraftlos die Waffe fallen, eben in dem Moment, als Raffa den Stab zurückzog und sein Blut vom Dorn tropfte, der seine Sehnen und Muskeln durchschnitten hatte.
„Verdammte Hexe!“ schrie der Mann, barg den verletzten Arm an seiner Brust, so daß das Blut seine weiße Robe beschmutzte, und in seiner linken, gesunden Hand blitzte die Klinge eines Langdolchs auf.
Raffa wich einen weiteren Schritt Richtung Tür zurück, und die ersten Zuschauer mußten sich an die Wand drücken, um der Erzählerin nicht im Weg zu stehen.
„Laß es gut sein“, keuchte sie. „Laß uns Frieden schließen.“
„Niemals“, entgegnete der Yorikrieger entschlossen, und Raffa ließ die letzten Hoffnungen fahren. Gegen den Verletzen hatte sie auf kurze Sicht vielleicht eine Chance, aber sie war den Kampf nicht gewohnt, und ihre Kräfte ließen rapide nach. Zudem schmerzte der Schnitt in der Schulter.
Der Yorikrieger baute sich vor ihr auf, und Raffa wollte ihm gerade erneut ihren Stab gegen den Kiefer schmettern, als ein lautes Krachen ertönte und eine seltsame Veränderung mit der Miene des Mannes vor sich ging. Schmerz, Verwirrung und hilflose Wut verzerrten sein Gesicht, die Augen verdrehten sich, und der Langdolch fiel klirrend aus der kraftlosen Hand auf den Boden.
Erstaunt betrachtete die Erzählerin, wie der Yorikrieger mit einem tiefen Stöhnen bewußtlos zu Boden sank. Hinter ihm ragte ein junger Mann empor, ein breites Grinsen auf den Lippen und die Reste eines zerbrochenen Stuhles in den Händen.
Eine plötzliche Stille trat ein, wo zuvor noch lautes Rufen, aufmunterndes Johlen und angespannte Schreie zu hören gewesen waren, als die übrigen Gäste der Schenken verstanden, was da gerade vor sich gegangen war. Schon wurden die ersten Flüche und wüsten Beschimpfungen laut, und der Jüngling mit dem zerbrochenen Stuhl, der sich durch seine waghalsige Tat Bewunderung versprochen hatte, mußte mehr als einen Seitenhieb einstecken.
In der Stille klangen neue Klänge an das Ohr der Menschen im Gasthaus. Ein rhythmisches Trampeln, verbunden mit dem leisen Klirren von Schwertern gegen Rüstungen und eintönigen Befehlen, erklang von der Straße, und vor ihrem innerem Auge sah Raffa plötzlich eine Reihe Yorikrieger, die sich im Laufschritt dem Gasthaus näherten, um ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen und die unerwünschte Erzählerin zur Strecke zu bringen. Die übrigen Menschen schienen dieses Bild ebenfalls zu sehen, denn nach der unheimlichen Ruhe brach ein Tumult aus. Männer griffen nach ihren Waffen, schickten eilig ihre Familien nach Hause oder drückten die Mädchen an sich, die sie beeindrucken wollten. Die ersten drängten bereits an Raffa vorbei durch die enge Tür, und nur die Erzählerin stand reglos vor dem Ausgang und starrte verwirrt auf den ohnmächtigen Körper vor ihren Füßen.
„Du mußt von hier verschwinden“, rief eine tiefe Stimme in ihr Ohr, und als Raffa benommen den Kopf wandte, erkannte sie den Mann, der sie zuerst aufgefordert hatte, eine Erzählung zum Besten zu geben. „Sie werden nach dir suchen“, fügte er hinzu.
Raffa nickte und wollte sich schon auf den Weg zurück zum Kamin machen, wo noch immer Umhang und Gepäck lagerten, aber der Mann hielt sie an der Schulter fest und schüttelte ernst den Kopf.
„Dazu bleibt keine Zeit mehr. Du mußt sofort gehen.“
Raffa hörte die nahenden Schritte der übrigen Yorikrieger, und schon ertönten die Rufe und das Klirren von aufeinander prallenden Klingen, als die ersten Bewohner von Quadron zum Angriff übergingen.
Die Erzählerin warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf ihr Gepäck, schluckte und nickte zum Einver-ständnis. Der Mann an ihrer Seite atmete auf.
„Folge mir“, sagte er knapp, drehte sich um und quetschte sich zwischen den jungen Burschen, die den Eingang versperrten und einander mit wilden Schreien für den bevorstehenden Kampf rüsteten, hindurch auf die staubige Gasse. Raffa folgte ihm auf dem Fuße, den Taranstab fest umklammert. Ihn wollte sie gewiß nicht zurücklassen.
Ihr Helfer legte ein ganz schön flottes Tempo vor, und Raffa, die immer noch ein wenig erschöpft vom Kampf mit dem Yorikrieger war, hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten, als er durch die engen Gassen eilte. Allerdings konnte die Erzählerin die Hast des Mannes nur zu gut verstehen. Durch die abendlichen Straßen dröhnten ungewohnte Laute: das Klirren von Schwertern, Kampfrufe und Schmerzensschreie und all die übrigen Geräusche eines Kampfes, wo sonst nur Stille, leises Vogelzwitschern und die Klänge eines Dorfes, das sich auf die Nachtruhe vorbereitet, gewesen waren.
Raffa schluckte, wenn sie an den ungleichen Kampf dachte. Junge Burschen, die gerade einmal ein paar handfeste Kneipenschlägereien in Erfahrung gebracht hatten, stellten sich Männern in den Weg, die im Schwertkampf ausgebildet worden waren. Männer und Frauen, denen nur Haß und Wut als Antrieb dienten, warfen sich auf Krieger, die kühl und überlegt töten konnten. Diese Schlacht konnte nur einen Ausgang nehmen, und die einzige Chance, die Raffa blieb, war, daß die Dorfbewohner die Yorikrieger lang genug aufhielten, damit sie fliehen konnte.
Der Mann wurde langsamer und bedeutete Raffa, im Schutz einer Mauer stehenzubleiben. Vor ihnen lag ein Stück Brachland, eingeklemmt zwischen einer halb zerfallenen Mauer und ein paar niedrigen Häusern.
„Warte einen Augenblick“, raunte ihr Begleiter. „Ich werde sehen, ob die Luft rein ist.“
Gebückt lief er zwischen dem Unkraut zu den Häusern auf der anderen Seite und warf vorsichtig Blicke hinüber zu den Überresten der Mauer. Raffa erriet, daß die Yorikrieger dort öfter einen Posten aufgestellt haben mußten, der die Bewohner im Dorf hielt. Sie preßte sich eng an die Wand, damit sie gegen das rote Licht der Abendsonne nicht als Zielscheibe fungieren. Sie konnte mit Leichtigkeit die dunkle Gasse erkennen, durch die sie gekommen waren, und ihr fiel auf, daß der Lärm abgeklungen war. Der Kampf hatte also ein Ende gefunden, und somit wurde die Zeit knapp.
In eben jenem Augenblick winkte der Mann von der anderen Seite, und Raffa überquerte, so schnell sie ihre müden Füße trugen, den Acker. Als sie neben ihrem Helfer im Schatten eines Hauseingangs zum Stehen kam, wollte sie ihn darauf aufmerksam machen, daß ihnen die Zeit davon lief, aber er legte einen Finger auf seine Lippen, ergriff ihren Arm und führte die fügsame Erzählerin um die Ecke. Vor ihnen erstreckte sich ein weiteres von Unkraut überwuchertes Feld, durch das eine schmaler Pfad führte, doch am Horizont konnte Raffa gegen die untergehende Sonne die dunklen Schatten eines Waldes erkennen.
„Dies ist der Weg nach Süden“, erklärte der Mann und deutete auf den Feldweg. Ohne ein weiteres Wort nahm er seinen Umhang ab und reichte ihn der verblüfften Frau..
„Du wirst ihn brauchen“, meinte er kurz angebunden.
„Warum tust du das für mich?“ fragte Raffa, während sie den Umhang über ihre Schultern legte, der noch warm vom Körper des Mannes war.
Ihr Helfer schüttelte ruhig den Kopf. „Wir tun es nicht für dich, Erzählerin“, entgegnete er und starrte finster zurück zu den dunklen Silhouetten des Dorfes. „Wir tun es für uns.“
Raffa dachte zurück an die haßerfüllten Blicke und die verkniffenen Gesichter der Menschen im Dorf und ahnte, wie viel größer wohl ihr Zorn auf jene sein mußte, die Häuser und Straßen okkupierten und ihnen einen Glauben aufzwangen, der nicht der ihre war. Ein wenig erinnerte sie die entschlossene Miene ihres Begleiters an Johann und Arthur. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie die Worte ihres Begleiters fast überhört hätte.
„Folge dem Weg, bis du das Rauschen des Quadro wieder hörst“, riet er ihr, „und dann folge dem Fluß drei Tage lang, bis du auf einen halbverwachsenen Weg an einer abgestorbenen Weide triffst. Wende dich etwa zwei Tage nach Westen, bis du den Paß erreichst. Und paß auf dich auf.“
„Mögen die Götter mit dir sein - und mit allen anderen Bewohnern dieses Ortes“, wisperte Raffa ihren Segen und ergriff dankbar die Hand des Mannes.
In der Ferne grollte leiser Donner, und die drückende Schwüle verriet das nahende Gewitter, als sie einander in die Augen sahen, und Raffa erkannte tief in den dunklen Pupillen eine unbändige Sehnsucht, als wolle der Mann sie begleiten. Sie hätte ihn wohl dazu ermutigt, doch in eben jenem Moment schüttelte er unmutig den Kopf, und das schwelende Feuer in seinen Blicken erlosch.
Er drückte ein letztes Mal ihre Hand und schlich sich zurück zu den Gassen von Quadron. Raffa blickte ihm einen Moment nachdenklich nach, bevor sie gebückt den schmalen Feldweg entlanglief, weiter auf ihrem Weg gen Süden.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Andrea,

nach einer gewissen LL-Abstinenz, in der ich lediglich auf ein paar kurze Texte geantwortet habe, möchte ich mich nun wieder den längeren (und von mir bevorzugten) Werken zuwenden. Und da ist "Die Geschichte vom dankbaren Hund" längst überfällig.
Wenn ich dein Punktesystem verwenden würde, dann hätte ich 8 von 10 Punkten zu vergeben. Du siehst, Raffas Abenteuer hat mich gefesselt. Doch schon allein das Gleichnis mit dem Hund war schon das Lesen wert, denn es gilt ja wahrlich nicht nur in Raffas Welt.
Ich gehe davon aus, daß es sich bei der Geschichte um den Ausschnitt aus einer längeren Erzählung handelt, denn es tauchen Bezüge und Personen auf, die sich dem Leser nicht erschließen. Trotzdem wirkt das Ganze in sich geschlossen. Alles in allem eine gut lesbare Geschichte in einem (wie immer bei dir) gefällig flüssigem Stil geschrieben. Zwar verflacht hin und wieder der Spannungsbogen, aber in solchen Momenten wird man durch die lebhaften Milieuschilderungen entschädigt. Was mich bei letzteren ein wenig verwundert hat, ist die Tatsache, daß in dem Gasthaus eigentlich ganz ordentlich getafelt wird. Obwohl die Menschen in tiefer Armut leben, können sie es sich leisten dort zu sitzen , anstatt ihre verunkrauteten Felder zu bestellen.
Die Kampfszene ist für meine Begriffe etwas zu behäbig angelegt. Etwas mehr Tempo wäre mir lieber gewesen. Ein wenig irritiert hat mich auch Raffas wechselhaftes Verhalten gegenüber dem Yori-Krieger. Zunächst sucht sie nach einer Chance, ohne Schwierigkeiten zu entkommen. Warum muß sie ihn dann provozieren? Als sie ihn dann auf der Palme hat, glaubt sie, ihm Respekt beibringen zu müssen und ist überzeugt, dazu auch in der Lage zu sein. Während des Kampfes wird aus der Selbstüberschätzung (eigentlich hätte sie wissen müssen, wie stark ihr Gegner sein würde) schließlich eine gewisse Hilflosigkeit, die sie um Frieden bitten läßt.
Zum Schluß noch eine Frage: Wird man hier noch mehr von Raffas Leben und Abenteuern lesen können? Mich würde es interessieren.

Gruß Ralph
 

zero

Mitglied
Ha!

Na Ralph? Diesmal warst du schneller... ich könnte jetzt behaupten, mein Rechner ist zwischendurch abgestürzt. Aber es bleibt mir kaum noch was zu sagen übrig

Das Gleichnis fand ich so brillant, das ich hier tatsächlich Andrea noch mal fragen muss: Ist dir das so eingefallen oder hattest du eine Anregung dafür. Das ist für mich die gelungenste Stelle in der ganzen Geschichte.

Ansonsten, obwohl gut, sind mir Anfang und Schluss etwas zu langatmig; in der Taverne schilderst du eine Menge Details, die zwar zur Stimmung beitragen aber zum Überlesen verführen. Ich denke, der Text könnte mindestens ein Viertel kürzer sein, und dabei noch gewinnen.

Aber das sind nur Meckereien. Ohne Zweifel eine der besten Geschichten die ich seit langem in der Lupe gelesen habe.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo zero,
ich war zwar schneller, aber Du mutiger. Ich habe mir nämlich nicht getraut, die Frage zu stellen, ob Andrea sich das Gleichnis mit dem Hund selbst ausgedacht oder irgendwo her übernommen hat. Ich hatte Angst, sie damit zu brüskieren. Aber neugierig bin ich schon. Jetzt bin ich natürlich gespannt, was sie antwortet.

Ralph
 

Andrea

Mitglied
Tja, dann kann mich ja nicht mehr vorm Antworten drücken. ;)

a) Auszug/Länge
Man könnte durchaus sagen, daß die Geschichte vom dummen Hund Teil einer "längeren Erzählung" ist - in der Tat ist es ein Kapitel aus einem Roman und, wie ich fürchte, eines der wenigen, das auch allein stehen kann. Deshalb habe ich es auch veröffentlicht.
Vielleicht gebe ich noch den ein oder anderen Auszug frei, aber der Roman hat mittlerweile ca. 978.000 Zeichen (ohne Leerzeichen), ist über 220 Seiten lang und eignet sich absolut nicht dazu, hier ins Netz zu gehen.

b) Raffas Verhalten
Du hast recht, sie verhält sich etwas unschlüssig, aber ich glaube, daß das jedem so ergehen würde. Erst will man keinen Ärger, aber dann fordert der Yorikrieger sie heraus, und in ihrer Wut geht sie etwas weiter, als sie eigentlich gehen würde. Naja, Raffa ist recht stur in einigen Dingen, und ihre Geschichten und ihr Gott gehören eindeutig dazu.

c) Das Gleichnis
Das ist auf meinem Mist gewachsen, soweit ich mich erinnere (ich schreibe seit zweieinhalb Jahren immer mal wieder am Roman, und der dumme Hund ist recht früh entstanden), und die Idee kam mir im Badezimmer. Fragt mich bitte nicht, warum ausgerechnet da, aber da kommen mir die meisten Ideen.

d) Der Kampf
Mag durchaus sein, daß er noch etwas langatmig ist, aber bei jedem Kampf hocke ich vor der Tastatur und frage mich, wie ich ihn schneller machen könnte, ohne dabei die Details zu verlieren. Für Anregungen wäre ich echt dankbar!


So, zuletzt noch zwei Fragen:
1.) Außer Arthur und Johann - welche Zusammenhänge bleiben unschlüssig?
2.) Ich überlege momentan, Raffa umzutaufen (vielleicht in Lea oder Rahel). Oder mögt ihr den Namen?

Gruß
 

zero

Mitglied
Der Name...

Hallo Andrea!

Unklarheiten sind mir keine aufgefallen, auch Arthur und Johann haben mich nicht weiter gestört, weil die Handlung in sich verständlich war und man genug Rückschlüsse auf die fehlende Aussenwelt schliessen konnte.

Zu dem Namen, naja, mein realer Vorname lautet Raphael, also gerate ich bei Sachen wie Raffa/Raffi schnell in Panikzustände. Ich wäre erleichtert, wenn du sie anders nennen könntest :), im Ernst, es klingt nach Raffgier, Raffzähnen etc. und nicht sehr poetisch.

Zu den Kämpfen; etwas langatmig, ja, aber es war für mich auch ein längerer, überlegt geführter Kampf, gerade durch die vielen Details. Ich hatte überlegt, was von mir hier reinzupacken, aber mein Stil ist einfach zu anders, als das es dir viel helfen würde.

Ich versuchs mit einem Beispiel:

„Verdammte Hexe!“ schrie der Mann, barg den verletzten Arm an seiner Brust, so daß das Blut seine weiße Robe beschmutzte, und in seiner linken, gesunden Hand blitzte die Klinge eines Langdolchs auf.

würde ich schreiben

„Verdammte Hexe!“ schrie der Mann, barg den verletzten Arm an seiner Brust, und zog einen versteckten Dolch mit der Linken.

Einfach weil es klar ist, dass das Blut seine Robe beschmutzt, dass seine Linke noch gesund ist, und ob der Dolch im Halbdunkel einer Taverne aufblitzt - zumindest nicht so, dass es bemerkenswert wäre. Dagegen scheint es mir wichtiger, dass der Dolch z.B. versteckt war oder Raffa dadurch überrascht wurde. Lass die Beschreibung nicht länger dauern, als das Manöver, dass du beschreibst.

Das würde dem Prinzip huldigen, das jedes Detail, dass nicht absolut erforderlich ist, überflüssig ist. Die Entscheidung, was erforderlich ist, liegt natürlich bei dir.

Ach ja, von deinem Badezimmer bin ich schwer beeindruckt, wenn es dich so inspiriert.
 

Neziri

Mitglied
Erstens muß ich dir gratulieren, vermittelst sehr gut Gefühle von Leuten, welche die Handlung eigentlich nicht bestimmen. Zweitens mußt du mich mal in dein Badezimmer einladen, es müssen einem dort ja grenzgeniale Dinge einfallen. Was die Kritikpunkte angeht, so sind sie von Zero ja schon alle angesprochen worden, und so möchte ich mich nicht weiter darüber auslassen. Gratuliere noch mal.
PS: Sorry daß ich erst so spät Zeit zum Lesen hatte. Aber immerhin steht deine Story jetzt wieder auf der ersten Seite, im Gegensatz zu meiner.
 

Andrea

Mitglied
Wow, ich wußte gar nicht, daß mein Badezimmer soo gut ist.. ;)

Danke jedenfalls, daß du es tatsächlich gelesen hast. Ich kenne das von mir, daß es mir häufiger mal passiert, daß ich mir was rüberkopiere, um es später zu lesen und zu bearbeiten, und dann wird's doch nix..

Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich bisher noch nicht dazu gekommen bin, die Kampfszenen zu überarbeiten, aber die Sache mit den Details stimmt schon. Vielleicht werde ich in Zukunft erst mal ein paar friedfertigere Figuren auf den Weg schicken.. ;)
 



 
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