Geschichten aus dem Open Butt - Begegnung der zweiten Art

Marc H.

Mitglied
Begegnung der zweiten Art


Ich saß im Open Butt, in einer der Nischen, abseits der Theke und beobachtete Susan, wie sie mit einem mir unbekannten Typ flirtete. Ich kannte den Kerl nicht, aber ich spürte, ich hasste ihn. Susans Blick verriet mir, dass sie ihn wollte. Und Susan bekam, in dieser Hinsicht, in der Regel alles, was sie wollte, ohne große Mühe. Ihr war meine Anwesenheit sicher bewusst, doch sie gönnte mir nicht mal ein Lächeln an diesem Abend. Dieses göttliche Miststück.
Ich blickte schließlich genervt Richtung Bar und sah Mickey dort sitzen. Barney zapfte. Ich kannte Mickey nun schon etliche Jahre und sah allein an seiner Haltung, wie er dort hockte, dass etwas nicht stimmte. Ich stand auf, ging zu ihm rüber und setze mich direkt neben ihn auf einen Barhocker.
„Hi Mickey. Hi Barney“, sagte ich mit gespielt fröhlichem Akzent. Barney grüßte zurück und begann mir lächelnd noch einen Halben zu zapfen. Mickey blickte gedankenverloren in das halb leere Glas vor ihm.
„Alles fit Mickey?“ Ich stieß ihm sanft mit meinem Ellenbogen in die Seite.
„Der scheint heute nicht ganz in der Welt zu sein, unser Mickey“, sagte Barney und stellte mir einen vollen Bierkrug hin.
„Magst du darüber reden, Mickey? Komm, erzähl, alter, was läuft schief? Ist es ein Weib?“, grinste ich ihn an.
Mickey blickte uns an.
„Ich zweifle an meinem Verstand, Mann. Und ich weiß verdammt nochmal nicht, wie ich das erklären oder erzählen soll, was mir passiert ist.“
Ich klopfte ihm auf die linke Schulter.
„Versuchs mal, Mann. Reden hilft fast immer.“
Mickey seufzte lautstark.
„Versprecht ihr mir beide, mich nicht für bekloppt zu halten, wenn ich es euch erzähle?“
„Klar doch, Mickey. Wir sind so eine Art Familie. Das bleibt unter uns, versprochen. Ich zapfe euch noch ein frisches Bier und dann raus damit, mein Junge.“
Ich stieß mit Mickey an und wir tranken unsere Krüge leer.
„Ich war ja gestern Nacht noch bis nach Mitternacht hier bei dir, Barney. Hab mir ordentlich einen an gesoffen. Teile von der gestrigen Nacht fehlen mir irgendwie, aber irgendwann war ich dann auf dem Heimweg, die Hauptstraße runter. Ich blickte in den Nachthimmel rauf und sah dort ein, na ja, wie nenne ich es denn?“ Mickey rieb sich die Stirn. Ich half ihm auf die Sprünge.
„Einen Stern oder ein Flugobjekt?“
„Ja, Mann, ein Objekt. So kann man das sagen. Ich beobachtete es einige Zeit lang. Es schien langsam näherzukommen. Konnte aber auch Einbildung sein, wegen Barneys Bier. Irgendwie begann mich das dann zu nerven und ich schrie herauf, es sollte doch verdammt nochmal zu mir herunterkommen, wenn es was will. Ich war gereizt irgendwie, versteht ihr? Es pisste mich total an. Ich traute meinen Augen nicht, Mann. Es kam herab und hielt einige Meter vor mir, kurz vor dem Boden an. Es schwebte über der Straße. Das Teil hatte die Größe eines Kleinwagens. Und dann ...“
Mickey zögerte und blickte uns nacheinander an.
„Was passierte dann, Mickey? Sag schon.“ Ich trank einen kräftigen Schluck.
„Dann öffnete sich eine kleine Tür an diesem Objekt und ein Wesen sah zu mir heraus. Nur der Kopf und ein Teil des Oberkörpers. Es hatte das Gesicht ...“ Mickey senkte wieder seinen Kopf über das Glas.
Barney klopfte ihm auf die Schulter.
„Alles gut, Mickey, wir können dir folgen. Erzähl ruhig weiter, mein Freund.“
„Es hatte das Gesicht einer Fotze.“
Barney senkte den Blick Richtung Boden und biss sich auf die Lippen, um nicht lachen zu müssen. Auch mir fiel es sehr schwer, nicht die Kontrolle zu verlieren. Aber zu lachen, wäre jetzt absolut fehl am Platz gewesen. Mickey ist ein sehr labiler Typ. Und die Ernsthaftigkeit seiner Erzählung und sein Vertrauen in uns verlangten unsere vollste Körperbeherrschung.
„Ich weiß, wie 'ne Möse aussieht, Mann. Gut, ich kenne nicht viele. Aber ich erkenne eine, wenn ich sie sehe. Jedenfalls fing das Ding an, mich anzuschreien. In einer Sprache, die ich niemals gehört hatte. Es keifte zu mir herüber und ich könnte schwören, es war weiblich. Es kam so richtig in Fahrt. Die Mösenlippen flatterten als es mich anschrie. Ich glotze es fassungslos an und konnte nichts mehr sagen. Ich hörte mir das Gekeife an. Macht man ja so, bei Frauen. Ich nickte nur. Irgendwann beruhigte es sich, zog sich in das Gefährt zurück und die Luke schloss sich lautlos. Dann raste es hinauf in den Nachthimmel und verschwand. Und nun sitze ich hier und zweifle an meinem verdammten Verstand.“ Unser Freund hob seinen Krug und trank ihn gierig leer.
Barney hatte sich wider unter Kontrolle.
„Nun, das ist sicherlich ein Erlebnis, dass man nicht alle Tage hat. Freud hätte sich sicher einen drauf runter geholt.“ Ich blickte Mickey lächelnd an.
„Ja Mann, absolut abgefahren. Mich hat noch niemals 'ne Muschi mit einem Ufo besucht.“ meinte Barney.
„Und du hast absolut richtig gehandelt, Mickey“ Ich klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
„Warum das?“
„Du hast keine Widerworte gegeben.“ Ich lachte nun doch lauthals. Barney und Mickey taten es mir gleich.
„Wir gehen nachher zusammen nach Hause, Mickey. Vielleicht erscheint uns die himmlische Möse ja wieder.“
Wir lachten und tranken bis in die Nacht. Aus der Musikbox tönte John Mellencamp. Ich blickte irgendwann hinter mich in den Raum. Susan und der Typ waren verschwunden. Noch einen Stich ins Herz, du Miststück, dachte ich. Aber Mickeys Story nehme ich mit.
 
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Heinrich VII

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Hallo Marc,

gern gelesen deine kleine Geschichte. Amüsant, im Chinaski-Stil.
Eine Ausserirdische mit einem Gesicht wie eine Muschi - das ist nicht mal Charles Bukowski
als Idee in den Kopf gekommen. Oder habe ich nicht alles von ihm gelesen (??)

Gruß, Heinrich
 

aliceg

Mitglied
Hallo Marc,

mit deinen pointierten Open Butt-Berichten lässt du uns in eine Welt jenseits glattgestriegelter Hotelbars eintauchen, in die wir selten bis gar nicht Einblick haben.
Die harte Männerwelt dort, ihre Gesichter meist in Gläser gesteckt, geht gleich zum Selbstbedienungs-Modus bei den anwesenden Frauen über.
Eine Spezies, nahe am Aussterben, aber davor wirst du uns sicher noch einiges von ihnen erzählen!

lg aliceg
 

Marc H.

Mitglied
Erst einmal Herzlichen Dank, für den netten Kommentar, aliceg! Und ja, es gäbe noch eine Menge zu Berichten.
Zum Beispiel, wie es zu dem Name der Bar kam. Die hieß natürlich ursprünglich nicht "The Open Butt". :)

LG
Marc
 



 
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