geschnürt

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seefeldmaren

Mitglied
Hallo Wiesner,

das Fragmentarische wirkt auf mich so als wären mehrere Gedichte fusioniert.
Die für mich daraus resultierende "Distanz", wie die Zeilen zueinanderstehen schafft für mich eine unangenehme Nähe, die stets im Spannungsbogen steht.
Hier kommt für mich der Titel ins Spiel. Das Gedicht ist tatsächlich zugeschnürt, die Umbrüche allerdings tragen einen Kampf aus.

Sehr spannend!
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Béla,
ich finde dein Gedicht ganz großartig.
Es weckt so viele verschiedene Bilder in mir, dass ich es gleich nochmal lesen werde. Der Titel "geschnürt" erinnert an etwas fest gebundenes, das zusammenhalten will. Beginnend aus einem häusermeer endend in einem menschenmeer begegne ich allerdings einer dünnen Schnur, die schließlich zu einer mürben Schnur wird für uns. Es fühlt sich an wie ein Aufschwung
an dünner schnur ihm
das freie schwingen
hinauf
Ein Aufstieg, der bereits an einem seidenen Faden hängt. Vordergründig das Bild von Häuserschluchten, dahinter für mich Wagnis, dünn gesäte Hoffnung mit fragilem Ausblick.
Genauso schnell wie es Fahrt aufnimmt, genauso schnell fällt "das lachen herab".
"an mürber schnur uns" erinnert mich an Marionetten, an Menschen, die sprichwörtlich bald den Faden verlieren werden. Was übrig bleibt, sind "die einsam wanken". Und sowohl im Anfang mit dem Häusermeer als auch zum Ende hin, mit dem Bild des Menschenmeeres, entsteht ein festgezurrtes, geschnürtes Korsett aus Anonymität.
Nur ein Teilausschnitt meiner Gedanken zu deinem Gedicht, es hat soviel mehr Facetten.
Wundervoll!
Liebe Grüße, ubertas
 

wiesner

Mitglied
blockiert antworte ich spät und kaum

eine herbstliche Kleinheit dieses Gedichtlein mit Drachen, aber fragmentarisch?

es oszilliert, hat mittig als Knoten das Lachen


euch beiden, liebe Maren und Ubertas, herzlichen Dank für die Besuche

Gruß
Béla
 

fee_reloaded

Mitglied
Ein Gedicht wie ein mich tief berührendes (und ein klein wenig geheimnisvolles) Gemälde in einer Galerie, lieber Béla!

Ich habe gerade eine Chagall-ähnliche Bild- und Farbassoziation...das im Pinselstrich (=Wort) sichtbar gemachte Schwingen und emporsteigende Summen über den Dächern, das fliegend Flüchtige der Freude, die es festzuhalten gilt und dann ganz viele kleine Menschlein (wir) "da unten" - wie Marionetten geführt an mürber Schnur....eine Be-Ziehung von freiem Willen und Sinnfrage lese ich hier.

an dünner schnur ihm
das freie schwingen
hinauf
Den Halt, den der Gedanke bringt, wir würden nicht allein verantwortlich sein für das, was uns im Leben widerfährt, bezahlen wir mit einem selbst auferlegten Verzicht auf völlige Freiheit (im Schwingen). Wie ein Korsett, das Stütze, Halt aber eben auch Beengtheit gibt. Grenzenlosigkeit kann schon Angst machen. Dann doch lieber eine Schnur, die uns einen Weg zeigt, dem wir folgen können...

Ich staune immer noch, wie viele Assoziationen und Gefühle deine Zeilen mir bescheren! Herrlich viel Tiefe gepackt in so wenige und zugleich kraftvolle Bilder bzw. Worte!!!! Sehr schön!

Liebe Grüße,
Claudia
 

sufnus

Mitglied
Hey Béla,
ich habe den ganz wunderbaren Ton Deiner Gedichte bereits vermisst. Wie schön, dass Du uns hier mal wieder eine kleine Kostbarkeit schenkst.
Tatsächlich habe ich den Drachen, der an "mürber Schnur" im Wind hin und her schwingt, im ersten Leseanlauf nicht herausgelesen, die Idee kam mir dann im weiteren Nachdenken und es freut mich natürlich, dass Du das in Deinem Kommentar so bestätigt hast.
Natürlich könnte ein Leser oder eine Leserin, im Bedürfnis nach größerer Eindeutigkeit, fragen, warum nicht durch Nennung eines konjugierten Verbs und eines Subjekts eine völlige Leseklarheit hergestellt wird.
Nach meiner Poetologie, die mit Deiner zwar nicht deckungsgleich ist, aber doch Überschneidungen zeigt, wäre aber so eine Ein-Eindeutigkeit (kein Druckfehler) in vielen Fällen eher unlyrisch und dem "typischen" Gedicht (was ist das?) nicht völlig angemessen (ich schreibe hier ganz offensichtlich bewusst mit vielen Einschränkungen, weil es natürlich sehr wohl große Felder der Gedichtschreibkunst gibt, die ganz und gar von Klarheit und inhaltlicher Abgeschlossenheit leben).
Hier in diesem Fall empfände ich tatsächlich eine völlig eindeutige Fassung als unschön.
So gesehen ist Dein wundervolles Gedicht ein Beispiel für die Kunst des Weglassens von Wörtern, die zwar für ein eindimensionales Verständnis wichtig sein mögen, die aber der Schönheit eines Textes sogar im Wege stehen. :)
LG!
S.
 

Tula

Mitglied
Hallo Béla
Ein trefflicher Vergleich mit Hintersinn, irgendwie hängt ja alles im Leben an irgendeinem mürben Faden.
Ob du's glaubst oder nicht, ich las hier sofort einen Drachen heraus. Wer keine freie Wiese hat, muss ihn halt sonst irgendwo in der Stadt steigen lassen.

LG Tula
 

wiesner

Mitglied
das Drachenmotiv sei nur Aughänger(!)
gelesen/empfunden wurde es ganz unterschiedlich, was ich wunderbar finde

euch allen dafür allerbesten Dank

Gruß
Béla
 

Rachel

Mitglied
Jetzt bin ich mal wieder allen KritikerInnen dankbar; so fein viele verschiedene Sichtweisen zu bekommen! Den Drachen hatte ich nicht; die Schnur war der Weg der Augen, an städtischen Häusern hoch, hoch und sich verlierend und wieder runter zu den Tatsachen, die uns alle angehen.

Schön wieder was von dir zu lesen, lieber Béla. :) Deine Gedichte sind immer was Besonderes. Ich bewundere (lerne) wie du das Weglassen beherrschst, oder Inhalte hin- und her "verspielst".
 



 
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