Geschwafel (Sestine)

Veil

Mitglied
Nichts pflegt er lieber als den Selbstbetrug.
Der Mensch ist ein Gewirr gestrandeter Versprechen,
kein Tier, im besten Fall entbehrliches Gesindel,
dem es gelang aus der Entwicklung auszubrechen.
Sein Lebensziel erstreitet er mit Lug.
Er schöpft aus Täuschung, Gaunereien, Nepp und Schwindel.

Als ginge es ihm ganz allein darum, durch schwindel-
erregenden und reichlich Selbstbetrug
den Sinn der Worte neu zu prägen. Lug
und Sinnverzerrungen verdrehen sein Versprechen.
Selbst wenn die Fälscher anfangs schüchtern radebrechen,
ihr Mittelsmann wirft's lauthals unter das Gesindel.

Erstarrt ob dieses weisen Akts fragt das Gesindel
nicht nach (die werden das schon wissen!), und der Schwindel
bereitet neu ein Fundament, auf dem Verbrechen
begangen werden, strotzt vor Selbstbetrug.
Wir scheuen nicht davor zurück, ihn auszusprechen,
sind im Begriff gefangen, jenem Lug.

Welch abderitisches Geschwätz und Lug!
In irrem Ungestüm betrügt sich das Gesindel!
Vermag ein Mensch auch nur im eignen Raum zu sprechen,
sucht er nach Selbsterhöhung und erliegt dem Schwindel.
Der Untertan, er lechzt nach Selbstbetrug.
Zu selten glückt es ihm, aus allem auszubrechen.

Er formuliert so gern. Er schwätzt bis zum Erbrechen.
Zwar wittert sein Gewissen diesen Lug,
erkennt den überhöhten Selbstbetrug ...
Und dennoch: In Gemeinschaft stärkt sich das Gesindel.
Vereint palavert es und steigert sich in schwindel-
erregenden und autogenen Heilsversprechen.

Der Mensch erlernt das Sprechen, um sein Wort zu brechen.
Vermittels Schwindelei und Täuschung und mit Lug,
krönt das Gesindel sich (und mit ihm: ich) mit Selbstbetrug.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Gedicht gefällt mir gut. Es hat viele poetische Bilder, tiefsinnigen Inhalt und einen etwas wehmütig-trotzigen Klang.

durch schwindel-
erregenden und reichlich Selbstbetrug
Das ist eine interessante Konstruktion und ein rhetorischer Trick, ein Zeugma, das mich an die unmöglichen Figuren Eschers erinnert.

Es passt zum Gedicht inhaltlich, eine Frage wäre, ob es durch seine dominante Form nicht zu stark ist.
 

Willibald

Mitglied
Hm, beim letzten Satz bin ich am Überlegen, die Reflexivpronomenpointe funktioniert vielleicht und der syntaktisch sperrige Nominativ "ich" wird levitiert und die interessante Serie von "mit" wird erhalten:

Der Mensch erlernt das Sprechen, um sein Wort zu brechen.
Vermittels Schwindelei und Täuschung und mit Lug
krönt dies Gesindel sich (und mithin: mich) mit Selbstbetrug.


greetse

ww
 

Veil

Mitglied
Vielen Dank für die Rückmeldungen.
@Willi: ein perfekter Vorschlag, ganz nach meinem Geschmack!
Da ich hier in der Pampa nur selten Netz habe, werde ich es ändern, wenn ich wieder unter Menschen bin.
Großes Dankeschön.

Ich hoffe, der Kommentar geht raus. Wenn nicht, dauerts eben bis Montag, bis ihr von mir hört. :)

Veil
 

Veil

Mitglied
Nichts pflegt er lieber als den Selbstbetrug.
Der Mensch ist ein Gewirr gestrandeter Versprechen,
kein Tier, im besten Fall entbehrliches Gesindel,
dem es gelang aus der Entwicklung auszubrechen.
Sein Lebensziel erstreitet er mit Lug.
Er schöpft aus Täuschung, Gaunereien, Nepp und Schwindel.

Als ginge es ihm ganz allein darum, durch schwindel-
erregenden und reichlich Selbstbetrug
den Sinn der Worte neu zu prägen. Lug
und Sinnverzerrungen verdrehen sein Versprechen.
Selbst wenn die Fälscher anfangs schüchtern radebrechen,
ihr Mittelsmann wirft's lauthals unter das Gesindel.

Erstarrt ob dieses weisen Akts fragt das Gesindel
nicht nach (die werden das schon wissen!), und der Schwindel
bereitet neu ein Fundament, auf dem Verbrechen
begangen werden, strotzt vor Selbstbetrug.
Wir scheuen nicht davor zurück, ihn auszusprechen,
sind im Begriff gefangen, jenem Lug.

Welch abderitisches Geschwätz und Lug!
In irrem Ungestüm betrügt sich das Gesindel!
Vermag ein Mensch auch nur im eignen Raum zu sprechen,
sucht er nach Selbsterhöhung und erliegt dem Schwindel.
Der Untertan, er lechzt nach Selbstbetrug.
Zu selten glückt es ihm, aus allem auszubrechen.

Er formuliert so gern. Er schwätzt bis zum Erbrechen.
Zwar wittert sein Gewissen diesen Lug,
erkennt den überhöhten Selbstbetrug ...
Und dennoch: In Gemeinschaft stärkt sich das Gesindel.
Vereint palavert es und steigert sich in schwindel-
erregenden und autogenen Heilsversprechen.

Der Mensch erlernt das Sprechen, um sein Wort zu brechen.
Vermittels Schwindelei und Täuschung und mit Lug,
krönt das Gesindel sich (und mithin: mich) mit Selbstbetrug.
 

Veil

Mitglied
Hi Willi, nun habe ich es geändert. Leider geht mir damit die Selbstkritik verloren, denn ich zähle mich ja auch zum wortbrüchigen Gesindel. Zunächst überlegte ich, ob ich das "ich" anstatt "mich" einfüge. Dann aber hätte ich nicht viel gewonnen (außer dem schönen "mithin").
So richtig sicher bin ich mir noch nicht. Aber wann ist man das schon? ;-)

Vielen Dank und Gruß
Happy New Week ... oder so.

Veil
 

Veil

Mitglied
Lieber Bernd, schön, dass dir meine Spielerei auffiel. Als Zeugma würde ichs nicht bezeichnen. Mir ging es darum den Leser zunächst - und sei es nur ein Sekündchen - auf eine falsche Fährte bzw. Erwartung zu führen. Auch die Melodie beim lauten Lesen lässt sich an diesen Stellen ein wenig drolliger darstellen.
Wie auch immer. Ich wünsche dir Wunderbares in diesem Jahr und bedanke mich.

Mit Gruß
Veil
 

Willibald

Mitglied
Salve,

das Zögern hat wohl darin seine Ursache, dass das "ich" ja ein agierendes Subjekt bezeichnet und dass das "ich" sein "Mich" betrügt, wie es das "Gesindel" tut. Warum sollte man also nicht bei "Ich" bleiben?

Allerdings ist über "der Mensch" und das inklusive "Wir" die selbstbetrügerische Aktivität wohl doch hinlänglich präsupponiert.
So ist denn das "mich" zumindest nicht so verstehbar, dass hier einem "Mich" von anderen Wesen mitgespielt wird. Und damit ist die aktive Selbsttäuschung durchaus noch gegeben.

Außerdem wird so doch das grammatisch-syntaktische Problem vermieden, dass das Pronomen "ich" nicht so recht zum finiten Verb "krönt" passen will. Und dass Ich des Gedichtes bei aller implizit-expliziten Distanz zum Gesindel hier eine Metawahrheit ausspricht, scheint ja doch nicht für eine Aufhebung des Selbstbetruges auszureichen?

Was meinst Du, was meinen geneigte Leser?

vale

ww
 

Veil

Mitglied
Richtig.

Den letzten Ausschlag gab eben mein Bedürfnis dein "mithin" zu nutzen, welches mir keine andere Wahl ließ, als das "mich" zu übernehmen. In Verbindung mit "krönt" in der 3.Pers. Sgl. funktioniert das "ich" grammatikalisch eben nicht.
Mein Zögern ist nicht ursächlich in Überlegungen begründet, sondern eher dem Umstand anzulasten, dass ich an Wochenenden tief im Waldesinneren verschwinde, wo ich nur partiell über Netz verfüge.
Ein entspannender Graus, sag ich dir! :D

Lieben Dank

Veil
 

Willibald

Mitglied
Salute, Veil.

Das "Zögern" bezog sich darauf, dass Du nach der Veränderung ebendieser nicht so recht mehr trautest.

greetse

ww
 
Sitzt tief

Es ist der Veil, der tief im Herzen steckt.
Wenn man ihn rauszieht, hört es auf zu schlagen.
Ich wär fast ohne dich, du Veil, verreckt.
Das wollte ich dir immer schon mal sagen.
LG von PS
 



 
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