Gespräch mit dem Bussard

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Lieber Leser! Diese Geschichte habe ich in der Sparte Erzählungen untergebracht, weil sie mal wieder von allem etwas hat. Fantasy, Märchen, Phantastik, Satire mit ernstem Hintergrund!

Gespräch mit dem Bussard!

Eine seltsame, ironische, Geschichte…

Die Sterne des nächtlichen Firmaments sind nicht mehr zu sehen. Das frühe, fahle Licht des Morgens mischt sich mit orangerotem, feurigem Licht. Darunter zieht sich kilometerweit der schwarze, kompakte Schatten des Waldes. Feuchtes Grasland dringt durch den Stoff meiner Jeanshose, durchnässt die Haut. Kühler Wind zaust meine nicht mehr ganz blonden Haare, die hinten im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden sind, und fährt durch die Jeansjacke. Jetzt rächt es sich, das ich nur dieses kurzärmelige, dünne T-Shirt trage. Wenigstens an die wasserdichten Wanderschuhe habe ich gedacht.

Die Baumkolonie rückt näher. Schwarze Riesen mit knorrigen, gegen das Firmament gestreckten Armen, schälen sich heraus. Ich höre das Zwitschern der Vögel. Sonst nichts. Keinen Laut. Kein Mensch scheint hier unterwegs zu sein. Natürlich! Es ist ja auch noch sehr früh. Wem kommt schon um fünf Uhr morgens die Idee spazieren zu gehen? »Naturfotografen, die was sehen wollen.«

Ich betrete den schmalen, grauen Asphaltweg, der quer hinter den Wiesenhügeln am Wald vorbeiläuft und betrete die hölzernen Planken der Brücke. Das nächste Geräusch ist das Plätschern des Baches.

Vorsichtiges Tasten, raue Borke unter den Händen. Schritt in die Dunkelheit ohne Übergang.

Augen beginnen Umrisse zu sehen, Nase riecht, Zunge schmeckt, grasig, erdig, die Photosynthese.

Vögel schweigen jetzt, nur ab und zu ein leises Zirpen. Baumkronen rauschen. Zweige knacken, Pfoten tappen, Steinchen kullern.

Verdammt, warum bin ich bloß so lang und schmal. Das lässt mich schneller frieren, eine Gänsehaut läuft über meinen Körper, feuchte Blätter streifen mein Gesicht. Ob der Baum das auch so empfindet?

Hoch über den Baumkronen scheint es jetzt heller zu werden. Vereinzelte Sonnenstrahlen stehlen sich durch die Lücken und zaubern ein Muster das zwischen hellen und dunklen Flecken wechselt. »Eine Patchworkdecke aus Licht und Dunkelheit«, denke ich.

Es verspricht ein schöner Morgen zu werden. Ein Morgen wie gemacht für mich.

Ich hebe die Kamera, die um meinen Hals hängt, schaue hindurch, zoome vor und rückwärts, drehe an den Rädchen, um die Grundeinstellungen zu prüfen.

Da, ein rostbraunes Eichkätzchen läuft raschelnd durch das Laub und huscht den breiten Stamm einer Eiche empor. Klick, klick, klick!

Dort – auf dem knorrigen breiten Ast, zwischen den grün belaubten Zweigen, sitzt ein kleiner Gimpel, in rotschwarzem Federkleid. Es wirkt so, als trüge er einen schwarzen, offenen Mantel, mit schwarzer Kappe, und darunter ein leuchtend rotes Hemd. Klick! Klick!

»Jetzt«, denke ich, »fehlt nur noch, dass oben in der Baumkrone, gut sichtbar auf einem dicken Ast sitzend, ein Bussard nach seinem Frühstück Ausschau hält.«



Ein leichter Wind kommt auf, ein Rascheln fährt durch das Blätterdach des Waldes. Das Federkleid des Gimpels wird zerzaust. Er fliegt piepsend davon.

Ich schaudere zusammen. Es wird kühler, dunkler im Wald. Das Licht ist fahlgrau. Nebel scheint aufzukommen.

Verdammte Meteorologen, ein Sturm scheint aufzukommen. Das hatten sie doch gar nicht angesagt!

Platsch, platsch! Regentropfen auf meinem Kopf, meinem Hemd, meinen Wanderschuhen. Mein Blick fällt auf den Boden. Zwischen zwei Steinen hockt ein dicker Käfer, dessen glänzender Chitinpanzer von einem der dicken Tropfen getroffen wird. Er schüttelt sich regelrecht. Das Laub, auf dem er sitzt, raschelt. Seine Kieferzangen, die einem Hirschgeweih ähneln, schleifen mit einem kreischenden Geräusch an einem der Steine vorbei, als er sein Maul öffnet um einen Teil des zersprengten Regentropfens aufzufangen und schlürfend zu trinken. Was für ein Bild.

Aber wieso sehe ich das eigentlich? Ich habe die Kamera doch gar nicht auf ihn angesetzt und gezoomt!

Die Wahrnehmung wird immer größer! Sogar riesig. Mir wird etwas schwindelig. Hilfe! Habe ich Sehstörungen? Ist das ein Schlaganfall? Was ...?

Das Bild beruhigt sich … aber ich stehe vor einem riesigen Hirschkäfer! Das Geweih ist messerscharf, das Maul weit geöffnet!

Er kommt näher! Was auch immer hier los ist, ich muss rennen. Mein Blick fällt auf die turmhohe, alte Eiche. Wie auch immer – dort hin! Den Stamm hinauf!

Ich drücke raschelnd Blätter zur Seite, groß wie ein Dach. Ich höre die Laufgeräusche, das dunkle Brummen des scheinbar mutierten Käfers hinter mir, das Schnappen seiner Zangen.

Ich stolpere über einen dicken Ast, nein Zweig, rappele mich wieder auf, umrunde Berge, die eben noch kleine Steinchen waren. Egal klären wir später!

Endlich stehe ich vor dem Stamm der Eiche, unendlich breit, hartholzig, vernarbt. Wie dicke, holzige Hautschuppen haftet die Rinde der alten Eiche am Stamm. Hautschuppen? Eher dicke, poröse Holzplatten, im willkürlichen Design geschnitten. Keine Zeit für künstlerische Betrachtungen! Hinter mir im Laub raschelt, kratzt und poltert es laut. Ein seltsames, nie gehörtes Brummen dröhnt in meinen Ohren. Der verdammte Hirschkäfer! Nicht nachdenken, den Stamm hinauf.

Zieh dich an der Rinde hoch. Hastig quetsche ich mich in die breiten Gänge zwischen den Rindenplatten, versuche unter ihnen zu verschwinden, als sei ich ein unsichtbares Bakterium. Keuchend ziehe ich mich an jedem erreichbaren Holzsplitter, jeder kleinen Unebenheit hoch, husche wie ein Krabbeltierchen geduckt unter der Rinde nach oben. Hinter mir donnert, kreischt der Käfer. Was für ein Albtraum ist das denn?

Wenn ich unter diesem Eichenrindenstück hocken bleibe, zieht er mich in der nächsten

Sekunde mit seinen scharfen Kieferzangen darunter hervor! Das Gute daran ist, das ich nicht mehr merken werde, wenn er mich dann verschlingt!

Es ist nur noch eine Sache von Sekunden. Sein schwarzer, chitinbewährter Körper rückt näher. Seine Fühler scheinen mich zu erschnuppern. Ich bewege mich kaum, linse panisch mit einem Auge unter dem Rindenstück hervor. Brumm, brumm!

Über mir ragt ein Ast, riesig und lang gestreckt zur linken Seite hinüber. An seinen Zweigen haften breite, dunkelgrüne Blätter. Dort könnte ich mich vielleicht verstecken!

Brumm, brumm!

Tu es, sonst bist du verloren! Raus hier!

Mit einem flachen, kräftigen Sprung fliege ich unter dem Rindenstück hervor, gerade rechtzeitig. Noch im Flug bekomme ich mit, wie der Hirschkäfer sein Geweih in die Lücke des Rindenstücks rammt, unter dem ich Sekunden vorher gehockt habe.

Der sitzt erst mal fest! Ich pralle mit dem Bauch gegen den breiten Ast, greife hastig, ohne nachzudenken, nach einem der grün beblätterten Zweige, ziehe mich nach oben und komme auf dem Ast zu sitzen. In meinem Blickfeld ragt eines dieser Blätter schräg nach oben.

Ich sehe zwar nichts, werde aber auch nicht gesehen. Irgendetwas, ein metallischer Kasten, der an einem Riemen hängt, mit zersplitterter Linse, schlägt gegen meine Brust. Verdammt, die Kamera ist kaputt! War zu erwarten gewesen.

Was sind die paar Euros gegen einen Kampf mit dem Hirschkäfer! Jetzt weiß ich wie manche Insekten oder Würmchen sich danach fühlen müssen.

Mit dem Kopf seitlich gegen den Stamm gelehnt sitze ich dort, tief atmend. Ich muss mein Zittern in den Griff bekommen, endlich überlegen, was eigentlich geschehen ist! Bin ich verrückt geworden?

Aber ich sitze definitiv auf einem Ast, klein wie ein Würmchen, und gerade noch einem Hirschkäfermonster entkommen.

Na ja, zumindest bin ich in Sicherheit!

Die Luft über mir zischt. Ein scharfer, krummschnabeliger Schatten saust auf mich nieder!

Erneut durchfährt mich die Angst wie ein Hitzeschauer, ohne darüber nachzudenken, presse ich mich fester gegen den Stamm und ziehe mich hastig ein Stück nach oben.

Splitterndes Holz, krächzendes Kreischen, jämmerliches Wimmern!

Ein Gedanke entsteht in meinem Kopf. »Hilf mir, bitte hilf mir! Ich werde dich auch bestimmt nicht fressen – bitte!«

Noch immer an die Baumrinde geklammert schaue ich genauer hin. Es ist unglaublich, aber es ist so. Ein für mich riesiger Bussard, mit dunkelbraunem Gefieder und weiß gesprenkelter Brust steckt mit seinem scharfen, gekrümmten Schnabel tief im Holz des Baumasts fest.

»Warum eigentlich«, sage ich laut, »soll ich dir glauben?«

»Es gibt keinen Grund!«,kreischt es wieder in meinem Kopf, »lediglich den, das ich verhungern werde. Mein Weibchen sitzt auf den Eiern und kann nicht fort. Sie wird nur im Notfall das Nest verlassen, weil sonst die Eier auskühlen oder von anderen Vögeln gefressen werden! Bitte!«

Das klingt so verzweifelt, das ich schließlich nachgebe und den Stamm hinunter, wieder vorsichtig auf den Ast rutsche. Schließlich sitze ich neben dem gewaltigen Haufen Federn und dem gelben, scharfen Krummschnabel, der so groß ist wie ich. Wie soll das vor sich gehen? Zusammengestaucht hockt der Greifvogel auf dem Ast, der Schnabel steckt mit der Spitze fest im Holz. Er kann tatsächlich nicht vor, nicht rückwärts!

Vorsichtig krabbele ich, wie ein Insekt, auf allen vieren über den Ast, direkt auf die Schnabelspitze zu. Ich erhebe mich langsam, greife mit beiden Armen vorsichtig unter die Ränder des oberen Schnabelteils des Bussards und ziehe ihn mit vollem Krafteinsatz nach oben. Ich sehe die glänzenden braunen Augen des Greifs, verdammt weint er etwa? Auf jeden Fall hat er Angst.

Ich ziehe kräftig. Meine Muskulatur schwillt an. Der Bussard piepst dabei wie ein gequältes Küken. »Ich schaffe es nicht«, keuche ich. Doch in diesem Augenblick kracht es. Holzsplitter fliegen. Das Schnabeloberteil saust nach oben! Ich kralle mich daran fest, um nicht vom Ast zu rutschen. Der Bussard kippt, fängt an zu flattern, um sein Gleichgewicht zu halten. Ich hänge noch immer an den oberen Schnabelrändern, und werde kräftig durchgeschüttelt.

»Wenn er jetzt aus Versehen seinen Schnabel schließt, bin ich Geschichte!«

Doch nichts von dem geschieht. Er stabilisiert sich, krallt sich schließlich auf dem dicken Ast fest und setzt mich vorsichtig neben sich ab.

Der Bussard kratzt sich mit der linken Kralle das Kopfgefieder. »Ich habe dich tatsächlich für ein Würmchen gehalten. So kleine Menschen bin ich nicht gewöhnt. Entschuldigung. Aber ganz ehrlich. So gefallt ihr mir viel besser. Wenn ihr alle so wäret, könnte man mit euch auskommen!«

Ich werde rot. »Nun ja. Es gibt ein paar Zeitgenossen, die wünsche ich mir auch so klein. Doch ich würde doch lieber meine alte Größe wieder haben. Hast du eine Ahnung Greif, warum ich plötzlich so klein geworden bin?«

»Ich heiße nicht Greif, das ist eine allgemeine Bezeichnung unserer Art. Ich gehöre zu der Familie der Bussarde und mein Name ist Krummschnabel. Und nein, ich weiß nicht, warum du plötzlich so klein wie ein Würmchen bist.«

Ich seufze, »nun gut, vielleicht bin ich ja nur mitten in einem seltsamen Traum. Damit du mich nicht für unhöflich hältst. Angenehm, Spezies Mensch, weißer Westeuropäer, Name Kevin!«

Der Bussard krächzt glucksend. »Tschuldigung! Aber ich dachte immer nur Hunde heißen Kevin. Zumindest höre ich, dass deine Mitmenschen immer rufen - ″Kevin, kommst du hier her! Ich hab dir doch gesagt, du darfst nicht … Kevin!″«

Ich werde rot. »Meine Eltern haben mich so genannt. Krummschnabel ist auch nicht gerade sehr einfallsreich. Mir passt es auch nicht, dass manche Hundehalter ihre Fiffis nicht anleinen. Die entdecken dann nämlich ihren Jagdinstinkt, springen ins Wasser um den Enten hinterherzujagen, versuchen die Nester der Schwäne auszuplündern, oder die Jungen der Nutrias zu verbeißen.«

»Was ihnen nicht gut bekommen dürfte«,
antwortet der Bussard trocken. »Ich traue mich nicht mehr an ihre Eier oder Jungen heran. Einmal wäre ich fast von einem Schnabel durchbohrt worden, ein anderes Mal von zwei langen Zähnen! Nutrias und Schwäne sind da nämlich sehr nachtragend. Aber das alles zählt ja noch zum Berufsrisiko. Das wirklich Schlimme sind die zahlreichen Todesfälle unter meinen Artgenossen durch vergiftete Mäuse!«

Inzwischen ist es richtig dunkel geworden, düster-graue Schatten, Zwielicht herschen im Wald vor, und machen das Unterholz am Boden kaum noch erkennbar. Der Regen prasselt laut auf das Blätterdach. Ich drücke mich fest in meine Ecke zwischen Stamm und Ast, um nicht von den dicken Regentropfen erschlagen zu werden.

»Wie schrecklich«, denke ich. »Wer tut denn so was?«

Die braunen Augen des Bussards werfen mir einen stechenden Blick zu, sein Gefieder sträubt sich wie die Stacheln eines Igels. »Wer glaubst du, Mensch, ist zu so etwas in der Lage?« »Meine Artgenossen«, antworte ich lahm. »Natürlich, wie blöd von mir. Die Landwirtschaft! Sie streuen Gift, sogenannte Pflanzenschutzmittel auf ihre Äcker, außerdem sind da ja auch noch die Versuchsfelder in den Forschungsgärten der Chemiefabrik.«

»Genauso ist es! 1Eine ganz heimtückische Sache. Das Gift tötet nicht einfach nur, es lähmt die Muskulatur. Wir sind nicht mehr in der Lage zu fliegen, Beute zu machen! Wir und unsere Jungen verhungern deswegen jämmerlich! Ich habe auf diese Art und Weise ein Weibchen und ein ganzes Gelege verloren!«1
Quelle

Die Augen des Bussards glühen, sehe ich Zorn und Trauer darin?

»Das tut mir leid«, sage ich leise. »Verdammt ich hoffe, dass dir selber dieses Schicksal erspart bleibt, deinem jetzigen Weibchen und eurem Gelege auch.«

Der Bussard stößt ein raues Krächzen aus.

»Es ist fast nicht zu glauben«, denkt er zu mir herüber, »bis jetzt bin ich davon verschont geblieben. Ich bin mir nicht ganz sicher warum das so ist. Doch ich habe da einen Verdacht. Ich lebe jetzt schon ein halbes Bussardleben. Als ich noch ein junges Männchen war, da stieß ich in einem anderen Teil des Landes, mit den Krallen kurz unter die Oberfläche eines Teichs hinab. Ich packte die Forelle gerade noch so am Schwanz. Es war ein großes, ausgewachsenes Exemplar. Ich kämpfte darum sie besser zwischen meinen Krallen zu platzieren, um mit ihr aufsteigen zu können, doch sie zappelte und wand sich. »Bussard«, keuchte sie mich an, »lass mich frei. Ich stehe kurz davor neues Leben zu zeugen, unter den Steinen am Grunde des Sees Eier zu legen, die dann von einem Männchen befruchtet werden. Danach sterbe ich sowieso, dann kannst du mit mir machen was du willst.«

Ich habe sie freigegeben, und sie das tun lassen, was sie tun musste. Doch vorher hat sie mir noch eine Wasserpflanze gezeigt, die zwischen dem Schilf, nahe dem Ufer wuchs. »Diese Pflanze«, blubberte die Forelle, »immunisiert dich gegen jedes Gift!«

Sie hatte Recht. Ihr Gelege habe ich in Ruhe gelassen.Sie und ihre Artgenossen haben mich schließlich doppelt gerettet, wenn du weißt was ich meine! Außerdem vernichte ich doch nicht meine gesamte zukünftige Beute.«

Ich nicke ungläubig. Doch warum soll das nicht stimmen? Mir ist doch schon so viel Unglaubliches geschehen!


»Möglich«, erwidere ich. »Das Problem löst es nicht.«

»Nein«, krächzt der Bussard. »Viele andere Greifvögel, und Mäusefresser, von den Mäusen selber mal abgesehen, sind schon an diesem Gift gestorben. Nur mein Geschlecht kennt den Ort an dem diese Pflanze wächst. Ich kann sie nicht jedem zeigen. Ihr müsst einfach aufhören dieses seltsame Pflanzenschutzmittel zu verspritzen, das alle anderen Lebewesen tötet. Ihr habt doch selber nur Ärger damit.«

Hilflos kratze ich mich am Kopf und rutsche unruhig auf dem Ast hin und her. Die Rinde drückt in meinen Hintern. Ich hätte auch lieber Krallen zum festhalten. Um mich herum regnet es noch immer in dicken Tropfen, Wind pfeift mir um die Ohren. Das Donnergrollen ist glücklicherweise noch immer in der Ferne. Unter mir huscht rötlich aufblitzend, der Schatten eines Fuchses durch das Unterholz. »Ne klar.«, sage ich endlich. »Die Pflanzenschutzmittel töten nicht nur das sogenannte Unkraut, das nur Unkraut ist, weil sie unsere Futterpflanzen verdrängen. Sie töten nicht nur die Insekten die unsere Futterpflanzen wegfressen, sie vernichten auch die Bienen die sie bestäuben, diese Mittel sind auch für uns hochgiftig. Sie verursachen Krebs. Eine Krankheit die den ganzen Körper zerstören kann. Sie heißen ja nicht umsonst Pestizid!«

Der Bussard zupft irritiert an einer vorstehenden Flügelfeder - »Warum verstreut ihr dann dieses Gift? Ich habe euch für intelligenter gehalten!«

Ich stoße ein bitteres Lachen aus. »So kann man sich irren, was? Die Menschen, die diese Gifte herstellen, verdienen eine Menge Geld damit. Solche Mittelchen zu versprühen ist für die Landwirte zwar nicht billig, aber doch wesentlich weniger zeitaufwändig als die biologische Bekämpfung, und Zeit ist eben doch wieder Geld. Besonders dann, wenn die Ernährung von Milliarden Menschen, davon abhängig ist. Fast zehn Milliarden Menschen, So viel sind wir nämlich bald!«

Das Federkleid des Bussards sträubt sich so stark, das er aussieht wie ein plustriger Ball!

»Ach du Scheiße!«, fiept er. »So viele Menschen! Das ist ja schlimmer als ich dachte! Wieso schmeißt ihr Säugetiere so viel Junge. Das ist doch ungesund! Das würden wir niemals tun. Wie geht das?«

»Nun«, sage ich ratlos. »Der Mensch ist eben sehr fruchtbar. Er glaubt an ein höheres Wesen, das gesagt haben soll, seid fruchtbar und mehret euch.«

»Seltsam«, krächzt der Bussard. »Wir glauben an die Gesetze der Natur. Die besagen, das es niemals mehr Lebewesen geben darf, als das Land auf dem sie leben ernähren kann. Wir können einfach nicht mehr Lebewesen produzieren, und wenn doch, sterben sie wieder vor Hunger!«

»Na ja«, erwidere ich, »es ist so. Die Natur regelt das bei uns nicht so einfach, aber wir haben die Möglichkeit eine bestimmt Medizin zu nehmen, die uns unfruchtbar macht. Aber weißt du, die Leute, die sagen sie seien die Sprecher dieses höheren Wesens, behaupten diese Medizin würde das werdende Leben verhindern. Angeblich hätte dieses Wesen gesagt wachset und mehret euch. Macht euch die Erde untertan. Doch in diesen fernen Zeitaltern, gab es noch wesentlich weniger Menschen!.«

Der Bussard stieß ein helles Fiepen aus und schlug mit den Flügeln. Sein gesamter Körper bebte, als könne er sich vor Lachen kaum noch halten.

»Tschuldigung!«, stieß er schließlich hervor. »Sei nicht beleidigt. Du bist nicht persönlich gemeint. Doch ihr haltet euch für so intelligent, merkt ihr eigentlich nicht wie dumm das ist? Irgendwann habt ihr mit eurer schieren Zahl nicht nur alle anderen Lebewesen, wie Tiere und Pflanzen von diesem Planeten verdrängt – ihr werdet auch selber nichts mehr zu fressen haben, Krankheiten werden sich ausbreiten, und so weiter – und so fort! Das soll ein höheres Wesen gesagt haben? Ihr Primaten seid nicht ganz dicht!«

Ich schlinge beide Arme um meine Schultern um nicht vor Kälte zu zittern. Der aufgekommene Wind zerrt an meinen Kleidern und der Regen hat mich von Kopf bis Fuß durchnässt. Der Tag scheint sich wieder verflüchtigt zu haben. Undurchdringliches Grau herrscht im Wald, herumhuschende Tier, Bäume, Büsche, Unterholz, sind nur noch schemenhaft zu sehen. Doch seltsamerweise habe ich den Bussard und unseren Baum ganz klar vor Augen.

Ich schüttele den Kopf, ein Gefühl von Resignation und Scham überkommt mich. »Nein, schon gut Krummschnabel! Ich bin nicht beleidigt. Du hast ja recht. Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber es gibt auch Menschen die anders denken. Aber es sind zu wenige. Zu wenige, die Zugang zu Bildung haben. Zu wenige die verstehen, das die steigenden Temperaturen, die ungebremste Vermehrung, die uferlose Ausbeutung der Natur irgendwann für alle ins Verderben führt. Vor allen Dingen gibt es zu viele gierige Typen, die mit ihren Firmen Geld schröpfen wollen. Zu viele Menschen die nur im Hier und Jetzt und hauptsache Ich leben. Leider hat unsere Spezies nicht dazuglernt.«

»Nun …«, sagte der Bussard gedehnt, »ihr habt ja jetzt diesen Virus – vielleicht ist das ja …«

Der Greif ließ den Satz ausklingen und kratzt sich mit der linken Kralle am Kopf.

Verdammt, jetzt geht er aber zu weit! Ich öffne den Mund um zu protestieren.

»Nein«, sagt er langsam, gedehnt, als arbeite er tatsächlich an einer anderen Lösung. »Nein das wäre nicht richtig, denn die Lebewesen der Erde bilden eine Kette, und wenn nur ein Glied herausfällt, ist das schlecht für alle. Und wenn der Mensch nur dafür da ist, uns anderen das bewusst zu machen.«

Mit dem Schnabel deutet der Bussard auf meine nutzlos gewordene Kamera.

»Dieses Ding da«, sagt er mit seiner rauen Stimme, »ist doch so eine Art Zauberkasten. Ich habe das schon oft gesehen, als ich hoch über den Menschen kreiste, die solche Kästen in der Hand hatten. Es fängt Situationen ein die tatsächlich geschehen. Es macht, das sie für immer erhalten bleiben, nicht wahr?«

»Ja«, sage ich erstaunt, dass er das verstanden hat. »Das stimmt, so ungefähr auf jeden Fall.«

Gleichzeitig schäme ich mich schon wieder für meine menschliche Überheblichkeit. Warum soll ein Bussard das auf seine Art, nicht auch kapieren. »Ich habe schon einige von diesen ″Situationen″, eingefangen. In der Arktis tauen die Permafrostböden auf.

Strände insgesamt und besonders Inselstrände werden immer schmaler. Der Meeresboden steigt, nicht zu reden von Dürrekatastrophen, Großfeuern und schweren Überschwemmungen in anderen Ländern. Das Sterben der Arten geht immer schneller voran, noch in diesem Jahrhundert, schätze ich wird der Eisbär nicht mehr sein. Das alles habe ich mit diesem ″Zauberkasten″, schon abgelichtet. Ich habe vieles damit eingefangen und verewigt. Ich bin in vielen Gebieten gewesen. Doch um zu verstehen, muss man sich mittlerweile nur in unserem Landstrich umschauen. Das, ist das Erschreckende. Brennende Wälder und Grasland, die durch ungewöhnliche Hitze Feuer gefangen haben. Fast verdampfte Seen, in denen die Fische an Sauerstoffmangel sterben, und das in unserer eigentlich durchschnittlich temperierten Gegend. Selbst die Böden hier werden immer trockener, das kann man beim normalen Spaziergang beobachten. Das ist die real existierende Klimaerwärmung, hinzu kommt die Auslaugung und Vergiftung der Böden.«

»Hinzu kommt das Sterben der Vögel und anderer Arten!«

»Es gibt zahlreiche solcher traurigen Beispiele. Fang diese Situationen mit deinem Zauberkasten ein, zeige sie den Menschen. Vielleicht hilft es ja. Doch präsentiere ihnen nicht nur das Leid, weise sie auch auf die Schönheit des Lebens hin, das sie zerstören. Sie sollen erkennen, was sie vernichten!«


»Und sie sollen erkennen, was sie vernichtet, nämlich ihre eigene Unwissenheit und Ignoranz. Ja, ich werde Bilder einfangen und Vorträge halten. Ich werde für ″Uns″ kämpfen.«

Der Bussard streckt sich, plustert sich auf, reckt seine Flügel. Ein majestätisches Tier. Die schwarzen Augen durchbohren mich, glühen fast als er mich ansieht.

Ich sehe Jahrtausende von Kraft, Mut, Leid, Schönheit des Lebens, Fragen und Vertrauen. Kann ich das alles einlösen? Der Nebel über dem Wald hat zugenommen, hüllt ihn ein, in eine Art von grauer Watte. Regen prasselt, Donner kracht, Blitze zucken, durchdringen diese Watte wie Pfeile aus grellem Licht. Alles scheint zu zerbrechen, in tausend Scherben zu zerspringen!

Die Farben zerplatzen, zerlaufen in bunte Schlieren. Der Sturm packt mich mit seiner harten Faust, schleudert mich durch die auseinanderfliegende Realität!

Was ist das? Das Ende der Menschheit? Zersplittert meine Welt? Ist es zu spät? War alles umsonst?

Ist das der Zorn des Planeten? Doch plötzlich endet alles. Alles verengt sich zu einem grauen Tunnel.

Unter mir leuchtet etwas, weich und weiß. Mein Körper landet sanft, federnd.

Doch dann wieder dieser Donnerschlag, der mich schüttelt und mir durch die Brust fährt.

Hustend, krächzend, spuckend, finde ich mich im Bett sitzend wieder.

Ich greife instinktiv nach einem Tuch, das auf meinem Nachttisch liegt und schnaufe hinein.

Der Digitalwecker blinkt mich an. Es ist ein Uhr Nachts. Mein Kopf ist heiß. Ich fühle mich als sei ich geschlagen worden. War das nur ein Fiebertraum? Habe ich gestern auf der Party zu viel getrunken, mir einen Joint reingezogen? Ist das nur ein böser Trip gewesen?

Durch das Fenster über dem Bett scheint der Mond und taucht eine stille, ruhige Gartenlandschaft in sein Licht. Rasen, Büsche, Bäume und ein Teich mit Fischen. Neuerdings hat sich hier auch ein Entenpärchen breitgemacht und versucht ein Nest zu bauen. Mal sehen was draus wird.

Alles ist noch da. Also wirklich nur ein Traum!

Draußen wird es windig, beginnt zu stürmen. Die Äste der Bäume biegen sich. Ein Geräusch wie das Flattern von Flügeln dringt durch das halb geöffnete Fenster.

Ein großer Schatten nimmt mir die Sicht. Große dunkle Schwingen schlagen gegen das Fensterglas. Ein Krächzen! Der Spuk ist so schnell vorbei wie er gekommen ist. Doch bevor alles wieder still ist, erreichen mich eindringliche, fast laut herausgeschriene Gedanken!

»Ich habe euch diesmal noch weich landen lassen! Denk an dein Versprechen Mensch! Der Abgrund winkt schon!«






 
Hallo KB, hallo A!

Vielen Dank für die Sternchen! Freut mich das diese Erzählung so gut bei euch angekommen ist. Das war mir schon wichtig.
Ich werde auf jeden Fall weiterschreiben. Schreiben ist Leben. Um das andere, (Korrektorat), versuche ich mich zu kümmern.
 



 
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