Gestank im Zimmer

Wie bin ich eigentlich wieder ins Bett gekommen? Ich höre auf einmal gar nichts mehr. Das Geräusch, dieser störende Dauerton, scheint erst abgeebbt und nun nicht mehr wahrnehmbar zu sein. Oder nur von mir nicht festzustellen? Hat der neue, ebenso rätselhafte Gestank im Zimmer es jetzt für mich überlagert? Wie kann ich mich in meinen früheren Zustand umfassender Wahrnehmungsfähigkeit zurückversetzen? Und was entgeht mir vielleicht sonst noch an für mich Bedeutsamem in meiner Umgebung? (Ich vermeide mit Absicht das Wort Umwelt, um mir nicht klarmachen zu müssen, dass meine ganze Welt jetzt identisch ist mit dieser Schlafkammer.) Das sind existenzielle Fragen und ich weiß nicht, wie sie lösen.

Du musst mit ganz kleinen Aufgaben anfangen, sagt Ronald, der auf einmal im Zimmer ist. Ich wundere mich keineswegs über seine Anwesenheit. Am Fenster steht er, schwach erhellt von Lichtbahnen aus den Scheinwerfern vereinzelter Fahrzeuge draußen. Der Vorhang schließt nicht ausreichend ab, das kommt noch zu allem Übrigen hinzu. Ich müsste aufstehen, ihn ordentlich zuziehen. Mein Versuch, das Bett erneut zu verlassen, scheitert. Ich fühle mich sehr viel schwerer als sonst, scheine seit gestern Abend um ein Mehrfaches an Gewicht zugenommen zu haben. Ob auch das möglich ist: Gewichtszunahme durch die Einwirkung von Gestank? Nein, sagt Ronald, du musst dir zunächst die einfachen Fragen vorlegen und zu beantworten versuchen. Er hat noch immer seinen schwarzen Vollbart. Ich starre Ronald an und will herausfinden, ob er sich inzwischen verändert hat. Früher hatte er ausgeprägt starke Falten auf der Stirn, besonders wenn er lachte oder wenn er ärgerlich wurde. Ich versuche, seine Mimik zu ergründen, aber der Bart überdeckt mit seinem Schatten alles für mich.

Und du, frage ich ihn, ist es dir denn gelungen, die einfachen Aufgaben zu lösen? Teils, teils, sagt Ronald, und wenn ja, dann kamen hinterher für eine gelöste ein Dutzend neue Kalamitäten. Als ich noch Koch war, erzählt er nun, hatte ich einen großen Widerwillen. Lach nicht, es war der Geruch von Parmesankäse. Ich fand immer, er riecht wie Kotze. Vielleicht habe ich auch deshalb den Kochlöffel abgegeben … Diesen Löffel also auch abgegeben, unterbreche ich ihn, woraufhin er ärgerlich wird und ich nun doch die Falten auf seiner Stirn bemerke, tiefer eingegraben als je: Löffelgeschichten spielen jetzt keine Rolle, später …

Du bist dann ja zur Post gegangen, helfe ich ihm weiter. Und olfaktorisch ging’s dir da besser? Ja, am Anfang. Briefmarken riechen ein bisschen nach Leim, nicht schlimm. Aber die Hunde, die sie ins Amt mitbringen, schon übler. Besonders schwer zu ertragen dieser Geruch, wenn sie vorher draußen im Regen waren. Einmal habe ich einen in den Packraum hineinlaufen lassen und schnell die Tür hinter ihm zu gemacht. Wie das Frauchen ihn überall gesucht hat - lustig. Ronald fängt an, Geschichten zu erzählen, ganz wie früher. Er sprudelt sie noch immer heraus und das Geräusch, das er dabei macht, ist es nicht das Geräusch von vorhin? Steht Ronald schon die ganze Nacht am Fenster und erzählt seine Geschichten? Wie einer schlecht verpackte Manner-Schnitten nach Togo schicken musste – die haben da so was nicht -, wie der Zoll von Togo die Einfuhr ablehnte und der ganze Krümelkram nach Europa zurückkam und der frustrierte Schenker das hohe Rückporto berappen musste, für nichts! Zum Muttertag, erzählt Ronald, kommen im letzten Moment immer dieselben traurigen Gestalten, wickeln Blumenstöcke in Packpapier, schreiben Mamas Adresse außen drauf und glauben, das kommt rechtzeitig an und auch noch heil!

Die Blumenerde, frage ich, ist es die Blumenerde, die wir jetzt durch die Löcher im Packpapier riechen? Ronald lacht und fragt: Dein Geruch oder besser: der Geruch in deiner Nase? Was weiß ich! Ich bin’s jedenfalls nicht, der hier so stinkt. Und das weißt du doch sowieso … Ja, sage ich, ich weiß, dass ich dich jetzt nur träume. Toten stinken nicht oder jedenfalls nicht so lange, wie du schon tot bist. Außerdem bist du ja eingeäschert worden.

Ronald ist plötzlich nicht mehr da. Es scheint draußen heller geworden zu sein. Ich quäle mich doch noch aus dem Bett, luge mit äußerster Anstrengung zwischen den Vorhangbahnen auf die leere Straße. Träume ich noch, träume jetzt Wachsein, wie ich vorhin Träumen geträumt habe? Jedenfalls stinkt es noch immer.
 

Ord

Mitglied
Hallo Arno,

der ungewöhnliche Titel hat mich neugierig auf Deine Geschichte gemacht.

Der Einstieg ist Dir mit der Fragestellung gut gelungen.
Wie bin ich eigentlich wieder ins Bett gekommen?
Einiges ist mir beim Lesen aufgefallen.
Vielleicht möchtest Du die eine oder andere Anregung umsetzten.

Das Geräusch, dieser störende Dauerton, scheint erst abgeebbt und nun nicht mehr wahrnehmbar zu sein. Oder nur von mir nicht festzustellen? Hat der neue, ebenso rätselhafte Gestank im Zimmer es jetzt für mich überlagert?
Das „es“ hinter Zimmer, welches sich auf „das Geräusch“ am Anfang bezieht, ist recht weit entfernt. Möglich wäre:
[blue]Dieser[/blue] störende Dauerton scheint erst abgeebbt und nun nicht mehr wahrnehmbar zu sein. Oder nur von mir nicht festzustellen? Hat der neue, ebenso rätselhafte Gestank im Zimmer [blue]das Geräusch[/blue] jetzt für mich überlagert?

Und was entgeht mir vielleicht sonst noch an für mich Bedeutsamem in meiner Umgebung? (Ich vermeide mit Absicht das Wort Umwelt, um mir nicht klarmachen zu müssen, dass meine ganze Welt jetzt identisch ist mit dieser Schlafkammer.)
Die Klammer mit der Erläuterung stört für mich den Lesefluss. Die Erklärung könnte in den Text eingeflochten werden, in etwa so:
[blue]Und was entgeht mir vielleicht sonst noch an für mich Bedeutsamem in meiner Umwelt? Welt?! Reduziert auf diese Schlafkammer. Meine Umgebung.[/blue]

Früher hatte er ausgeprägt starke Falten auf der Stirn, besonders wenn er lachte oder wenn er ärgerlich wurde.
Ich brauchte eine Weile, bis ich herausgefunden hatte, was mich an diesem Satz stört.
Dann habe ich mich vor den Spiegel gestellt, gegrinst und danach die Stirn in Falten gelegt. Das Ergebnis war fürchterlich.
Ich denke, das Lachen kann raus.
[blue]Früher hatte er ausgeprägt starke Falten auf der Stirn, besonders wenn er sich ärgerte.[/blue]

Er sprudelt sie noch immer heraus und das Geräusch, das er dabei macht, ist es nicht das Geräusch von vorhin? Steht Ronald schon die ganze Nacht am Fenster und erzählt seine Geschichten? Wie einer schlecht verpackte Manner-Schnitten nach Togo schicken musste – die haben da so was nicht -, wie der Zoll von Togo die Einfuhr ablehnte und der ganze Krümelkram nach Europa zurückkam und der frustrierte Schenker das hohe Rückporto berappen musste, für nichts! Zum Muttertag, erzählt Ronald, kommen im letzten Moment immer dieselben traurigen Gestalten, wickeln Blumenstöcke in Packpapier, schreiben Mamas Adresse außen drauf und glauben, das kommt rechtzeitig an und auch noch heil!
Hier meine ich, dass die Manner-Schnitten-Geschichte zu sehr den Fokus auf sich lenkt.
Mögliche Lösung:

Er sprudelt sie noch immer heraus und das Geräusch, das er dabei macht, ist es nicht das Geräusch von vorhin? [blue]Steht er schon die ganze Nacht am Fenster und redet?[/blue] Zum Muttertag, erzählt Ronald, kommen im letzten Moment immer dieselben traurigen Gestalten, wickeln Blumenstöcke in Packpapier, schreiben Mamas Adresse außen drauf und glauben, das kommt rechtzeitig an und auch noch heil!

Ronald lacht und fragt: Dein Geruch oder besser: der Geruch in deiner Nase? Was weiß ich! Ich bin’s jedenfalls nicht, der hier so stinkt. Und das weißt du doch sowieso … Ja, sage ich, ich weiß, dass ich dich jetzt nur träume. Toten stinken nicht oder jedenfalls nicht so lange, wie du schon tot bist. Außerdem bist du ja eingeäschert worden.
Den Zusatz „der hier so stinkt“ würde ich weggelassen:

Ronald lacht und fragt: [blue]Dein Geruch oder besser: der Gestank in deiner Nase? Was weiß ich! Ich bin’s jedenfalls nicht.[/blue] Und das weißt du doch sowieso … Ja, sage ich, ich weiß, dass ich dich jetzt nur träume. [red]Tote[/red] stinken nicht oder jedenfalls nicht so lange, wie du schon tot bist. Außerdem bist du ja eingeäschert worden.

Der Text ist fesselnd bis zum Ende.
Zum Schluss fragt sich der Protagonist, ob er das Wachsein träumt, wie vorher auch das Träumen.
Die Antwort bleibt er schuldig.

Viele Grüße
Ord
 
Wie bin ich eigentlich wieder ins Bett gekommen? Ich höre auf einmal gar nichts mehr. Dieser störende Dauerton scheint erst abgeebbt und nun nicht mehr wahrnehmbar zu sein. Oder nur von mir nicht festzustellen? Hat der neue, ebenso rätselhafte Gestank im Zimmer das Geräusch jetzt für mich überlagert? Wie kann ich mich in meinen früheren Zustand umfassender Wahrnehmungsfähigkeit zurückversetzen? Und was entgeht mir vielleicht sonst noch an für mich Bedeutsamem in meiner Umgebung? Das sind existenzielle Fragen und ich weiß nicht, wie sie lösen. Dabei sollte es leicht sein, ist doch meine ganze Welt jetzt bloß auf eine Schlafkammer reduziert.

Du musst mit ganz kleinen Aufgaben anfangen, sagt Ronald, der auf einmal im Zimmer ist. Ich wundere mich keineswegs über seine Anwesenheit. Am Fenster steht er, schwach erhellt von Lichtbahnen aus den Scheinwerfern vereinzelter Fahrzeuge draußen. Der Vorhang schließt nicht ausreichend ab, das kommt noch zu allem Übrigen hinzu. Ich müsste aufstehen, ihn ordentlich zuziehen. Mein Versuch, das Bett erneut zu verlassen, scheitert. Ich fühle mich sehr viel schwerer als sonst, scheine seit gestern Abend um ein Mehrfaches an Gewicht zugenommen zu haben. Ob auch das möglich ist: Gewichtszunahme durch die Einwirkung von Gestank? Nein, sagt Ronald, du musst dir zunächst die einfachen Fragen vorlegen und zu beantworten versuchen. Er hat noch immer seinen schwarzen Vollbart. Ich starre Ronald an und will herausfinden, ob er sich inzwischen verändert hat. Früher hatte er ausgeprägt starke Falten auf der Stirn, besonders wenn er lachte oder wenn er ärgerlich wurde. Ich versuche, seine Mimik zu ergründen, aber der Bart überdeckt mit seinem Schatten alles für mich.

Und du, frage ich ihn, ist es dir denn gelungen, die einfachen Aufgaben zu lösen? Teils, teils, sagt Ronald, und wenn ja, dann kamen hinterher für eine gelöste ein Dutzend neue Kalamitäten. Als ich noch Koch war, erzählt er nun, hatte ich einen großen Widerwillen. Lach nicht, es war der Geruch von Parmesankäse. Ich fand immer, er riecht wie Kotze. Vielleicht habe ich auch deshalb den Kochlöffel abgegeben … Diesen Löffel also auch abgegeben, unterbreche ich ihn, woraufhin er ärgerlich wird und ich nun doch die Falten auf seiner Stirn bemerke, tiefer eingegraben als je: Löffelgeschichten spielen jetzt keine Rolle, später …

Du bist dann ja zur Post gegangen, helfe ich ihm weiter. Und olfaktorisch ging’s dir da besser? Ja, am Anfang. Briefmarken riechen ein bisschen nach Leim, nicht schlimm. Aber die Hunde, die sie ins Amt mitbringen, schon übler. Besonders schwer zu ertragen dieser Geruch, wenn sie vorher draußen im Regen waren. Einmal habe ich einen in den Packraum hineinlaufen lassen und schnell die Tür hinter ihm zu gemacht. Wie das Frauchen ihn überall gesucht hat - lustig. Ronald fängt an, Geschichten zu erzählen, ganz wie früher. Er sprudelt sie noch immer heraus und das Geräusch, das er dabei macht, ist es nicht das Geräusch von vorhin? Steht Ronald schon die ganze Nacht am Fenster und erzählt seine Geschichten? Wie einer schlecht verpackte Manner-Schnitten nach Togo schicken musste – die haben da so was nicht -, wie der Zoll von Togo die Einfuhr ablehnte und der ganze Krümelkram nach Europa zurückkam und der frustrierte Schenker das hohe Rückporto berappen musste, für nichts! Zum Muttertag, erzählt Ronald, kommen im letzten Moment immer dieselben traurigen Gestalten, wickeln Blumenstöcke in Packpapier, schreiben Mamas Adresse außen drauf und glauben, das kommt rechtzeitig an und auch noch heil!

Die Blumenerde, frage ich, ist es die Blumenerde, die wir jetzt durch die Löcher im Packpapier riechen? Ronald lacht und fragt: Dein Geruch oder besser: der Gestank in deiner Nase? Was weiß ich! Ich bin’s jedenfalls nicht. Und das weißt du doch sowieso … Ja, sage ich, ich weiß, dass ich dich jetzt nur träume. Tote stinken nicht oder jedenfalls nicht so lange, wie du schon tot bist. Außerdem bist du ja eingeäschert worden.

Ronald ist plötzlich nicht mehr da. Es scheint draußen heller geworden zu sein. Ich quäle mich doch noch aus dem Bett, luge mit äußerster Anstrengung zwischen den Vorhangbahnen auf die leere Straße. Träume ich noch, träume jetzt Wachsein, wie ich vorhin Träumen geträumt habe? Jedenfalls stinkt es noch immer.
 
Großes Dankeschön, Ord, für deine Mühe und die Vorschläge. Sie zeugen von gut ausgebildetem Stilempfinden und haben mich zumeist auch überzeugt. Von fünf Anregungen bin ich dreien gefolgt und habe zusätzlich noch den Schreibfehler korrigiert. Warum ich in zwei weiteren Fällen beim Bisherigen bleiben will, begründe ich kurz.

Doch, bei einem Gesicht mit ausgeprägter Faltenbildung können diese Runzeln durch intensives Lachen noch deutlicher hervortreten. Das war auch bei "Ronald" so, für den es ein reales Vorbild gab. - Auf die "Manner"-Episode möchte ich aus zwei Gründen nicht verzichten: 1. Wenn hinter dem "Geräusch" möglicherweise ein Geschichten erzählender Ronald steckt, dann sollten mindestens drei davon kurz angerissen werden. 2. Der Krümelexport und -import soll das komische Element verstärken, als Gegengewicht zur nächtlichen Erscheinung eines Toten im Schlafzimmer.

Ja, warum bleibt für den Ich-Erzähler offen, ob er am Schluss tatsächlich wach ist? Nun, der Text insgesamt behandelt die fließenden Übergänge zwischen Traumphasen und Wachsein, auch die Einwirkung äußerer Vorgänge (Geräusche, Gerüche) auf den Schlaf und ihre synchrone Verarbeitung beim Träumen. Und wenn man im Traum ein Bewusstsein vom momentanen Träumen haben kann, dann kann natürlich auch das Erwachen aus dem Traum geträumt sein.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Ord

Mitglied
Hallo Arno,

vielen Dank für Deine nette Rückmeldung und für Deine Erläuterungen.

Dass Geräusche oder Gerüche auf meine Träume einwirken, habe ich schon erlebt. Und auch, dass ich im Traum träume zu träumen und aufzuwachen.
Ich war mir bis zu Deiner Erklärung unsicher, ob der Protagonist im Wachzustand halluziniert.
Deine Geschichte hätte eine ganz andere Bedeutung.
Ich hatte mich gefragt, wodurch diese Halluzinationen hervorgerufen wurden: durch eine Schädelverletzung, eine Krankheit oder Drogen? Wie kommt der Protagonist aus dieser Situation heraus?

Dass Du Ronald eine dritte kurz angerissene Geschichte erzählen lassen möchtest, die komisch wirken soll, kann ich gut nachvollziehen.
Dann würde ich das Komische sogar noch verstärken durch eine lustigere Geschichte.
Anregungen dazu findest Du im Netz unter „Versenden lebender Futtermittel mit der Post“.
Es ist nur eine Idee, vielleicht soll die Manner-Episode auch einfach so stehen bleiben.

Freundliche Grüße
Ord
 



 
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