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S

Susanne Evers

Gast
Rachel, das geht richtig unter die Haut...ich muss es noch ein paar mal lesen.
Liebe Grüße
Susanne
 

Rachel

Mitglied
Hei Susanne, danke dir fürs Einfühlen. Mir ging es ähnlich. Man spürt, atmen und sich in das Kind hineinversetzen geht nicht. Den Satz fand ich in einem Zeitungsartikel, leider keine Fiktion.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ist an sich gut, ich frage mich nur, ob es wirklich einen Nachhall hat. Wenn Tod und Ungerechtigkeit, die einen anderen trafen (keinen Vertrauten zumindest) gemischt werden mit literarischer Verspieltheit, habe ich ein Gefühl, etwas wird ausgeschlachtet. Das heißt nicht, dass du das getan hast, aber der Text erzeugt bei mir dieses Gefühl. Nun ja, dennoch gute Idee!

LG
Patrick
 

Rachel

Mitglied
Hei Patrick, vielen Dank für deine Überlegungen. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Stück (Gedicht mag ich es nicht nennen) irgendwie einen positiven Nachhall entfaltet. Ich weiß, dass ich immer mal wieder mein eigenes kindliches Entsetzen wiederkäue, anstarre, verdaue. Verspielt, nein, eher nicht. Liebe Grüße
 

sufnus

Mitglied
Hey Rachel,
dem Entsetzen in Worten Ausdruck zu verleihen (gerade auch als eine Maßnahme gegen das Vergessen) ist m. E. eine der zentralen Aufgaben der Literatur (neben den zum Glück auch noch existierenden, anderen und schöneren Seiten künstlerischer Sprachgestaltung). Dein Gedicht (ich nenne es jetzt mal trotzdem so, weil ich den Begriff Gedicht weiter gefasst gebrauche) greift eine Tradition auf, die ich persönlich immer besonders mit dem Barock verbinde, nämlich das Figurengedicht, da Du ja graphisch den Galgen nachgebildet hast. Und die Barockgedichte sind vielleicht nicht der schlechteste Ausgangspunkt für Reflexionen zum Verhältnis von künstlerischer Gestaltung und der Wiedergabe grauenvoller Ereignisse. Immerhin waren Gryphius & Co. wirklich ganz nah dran an den Gräueln des 30-jährigen Krieges.
Der andere Kronzeuge im Bereich der lyrischen Verarbeitung(sversuche) des Grauens ist natürlich Celan (den man dennoch keinesfalls auf die Todesfuge reduzieren sollte). Ich glaube, Du schilderst in Deinem Gedicht auch tatsächlich eine wahre Begebenheit aus einem Vernichtungslager. Dieser Hintergrund und die Art, wie Du damit umgehst, schließen natürlich einen "verspielten" Angang von vorne herein aus und das steht - so lese ich es ganz deutlich heraus - auch für Patrick außer Frage.
Dennoch ist sein grundsätzlicher Einwand etwas, das mich auch immer wieder beschäftigt: Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Art und Weise kann man das Furchtbare in einem Gedicht "zur Sprache bringen"? Zu dieser Frage gehört natürlich auch ihr (ebenso problematischer) Zwilling: Wie kann man, in einer Zeit, in der schlimmes Leid geschieht, von Blumen dichten oder der Liebe? Schlechte Zeit für Lyrik?
LG!
S.
 

Rachel

Mitglied
Hei Sufnus,

sei bedankt für deine wie immer interessanten Ausführungen und Erinnerungen an die Anfänge. Ich hoffe, du entfachst damit neues Feuer. Mich hast du auf jeden Fall erinnert, wie ich anfing, dass ich mal eine Schwäche extra fürs Figurengedicht hatte. Wobei ich die ersten ohne Tastatur von Hand schrieb bzw. illustrierte. Verknäulte Sätze, die sich immer weiter in die Unleserlichkeit überschrieben und schließlich auflösten.

Wie du richtig vermutet hast geht es im Galgen-Gedicht um Kinder im 2. Weltkrieg. Wenn ich heute in den Nachrichten Kriegskinder sehe, geht mein Gemüt in die Bilder von Käthe Kollwitz. Ich weiß, dass meine Eltern ab dem Kleinkindalter jahrelang unter Bombenkrach übernächtigt in den Kellern saßen. Beide waren lebenslang traumatisiert und wurden - weil ohne Hilfe von außen, die es schlicht und einfach noch nicht gab - ihrerseits grausam gegen sich und andere.

Wie kann man, in einer Zeit, in der schlimmes Leid geschieht, von Blumen dichten oder der Liebe? Schlechte Zeit für Lyrik?
Das erinnert an Adorno, der sagte: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch."

Celan hat Adornos These von sich gewiesen.

Schöne Grüße, Rachel.
 



 
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