Gewissenkonflikt

HajoBe

Mitglied
Er kauert in ärmliche Klamotten gehüllt an der Mauer neben dem Geschäftseingang, vor ihm ein Plastikbecher mit zwei geringwertigen Münzen darin.
Seine Haltung knieend, auf einem schmutzigen und durchlöcherten Kissen, gebeugt und provozierend demütig. Der Blick, wenn nicht zu Boden gerichtet, wendet sich flehend im Ausdruck und doch herausfordernd jedem Vorübergehenden zu und verfolgt ihn, um sich darnach dem Nächsten zuzuwenden. Die schrundigen Hände in bittender Geste nach oben gestreckt. Die Lippen murmeln leise Unverständliches. Wie im Gebet. Mir kommt in den Sinn: "Ora et ...labora!" Doch das will der vielleicht garnicht, zumindest Letzteres nicht? Also: "Ora aut labora!" Ersteres ist einfacher.
Vor ihm ein Pappschild: "Bin obdachlos und meine 4 Kinder haben Hunger!"
Würde ihn auf etwa 40 Jahre schätzen. Er wirkt kräftig und der erste Gedanke ist: <Der Kerl könnte doch arbeiten!>
Die schwarzen Haare und sein tiefbrauner Teint lassen auf den Ausländer schließen, wahrscheinlich vom Balkan. Darf man in dem Zusammenhang denn noch Ausländer sagen? Oder besser Migrant?
Rumänische Bettlergang vielleicht? Gibt es ja. Müssen alles an erbetteltem Geld abgeben, bis auf 10 Prozent Eigenbehalt.
Könnte doch wenigstens Musik machen. Tun doch andere auch. Bieten etwas für Almosen. Aber nur rumsitzen und betteln? Und dann noch 4 Kinder! Wenn man schon keine Arbeit hat! Und überhaupt: Vor Supermärkten lungern in der Hoffnung den Euro aus dem Einkaufswagen zu ergattern?
Könnte vorübergehen ohne ihm Beachtung zu schenken, gewissermaßen gedankenlos. Da ist es: Gewissermaßen...gemessen am Gewissen. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn einfach nicht bemerke? Habe ich ein besseres Gewissen, wenn ich ein paar Cent in den Becher werfe? Tut mir doch nicht weh.
Sein purer Anblick hat in mir einen Konflikt ausgelöst, den Gewissenskonflikt. Und ohne noch vor wenigen Minuten darüber nachgedacht zu haben, müsste ich nun vor dem Gewissen eine Entscheidung treffen.
Gebe ich ihm etwas, tun sich Zweifel auf. Gebe ich ihm nichts, ebenso.
Gebe ich etwas, habe ich mich seinem bettelnden Diktat gebeugt oder...wähne mich mitfühlend barmherzig.
Gebe ich nichts, warum tun es Andere? Bin ich dann schlechter?

Wollte eigentlich nur ein wenig durch die Stadt schlendern....
 

HajoBe

Mitglied
Er kauert in ärmliche Klamotten gehüllt an der Mauer neben dem Geschäftseingang, vor ihm ein Plastikbecher mit zwei geringwertigen Münzen darin.
Seine Haltung knieend, auf einem schmutzigen und durchlöcherten Kissen, gebeugt und provozierend demütig. Der Blick, wenn nicht zu Boden gerichtet, wendet sich flehend im Ausdruck und doch herausfordernd jedem Vorübergehenden zu und verfolgt ihn, um sich darnach dem Nächsten zuzuwenden. Die schrundigen Hände in bittender Geste nach oben gestreckt. Die Lippen murmeln leise Unverständliches. Wie beim Gebet. Mir kommt in den Sinn: "Ora et ...labora!" Doch das will der vielleicht garnicht, zumindest Letzteres nicht? Also: "Ora aut labora!" Ersteres ist einfacher.
Vor ihm ein Pappschild: "Bin obdachlos und meine 4 Kinder haben Hunger!"
Würde ihn auf etwa 40 Jahre schätzen. Er wirkt kräftig und der erste Gedanke ist: <Der Kerl könnte doch arbeiten!>
Die schwarzen Haare und sein tiefbrauner Teint lassen auf den Ausländer schließen, wahrscheinlich vom Balkan. Darf man in dem Zusammenhang noch Ausländer sagen? Oder besser Migrant?
Rumänische Bettlergang vielleicht? Gibt es ja. Müssen erbetteltes Geld abgeben, bis auf 10 Prozent Eigenbehalt.
Könnte doch wenigstens Musik machen. Tun doch andere auch. Bieten etwas für Almosen. Aber nur rumsitzen und betteln? Und dann noch 4 Kinder! Wenn man nicht einmal Arbeit hat! Und überhaupt: Vor Supermärkten lungern in der Hoffnung den Euro aus dem Einkaufswagen zu ergattern?
Könnte vorübergehen ohne ihm Beachtung zu schenken, gewissermaßen gedankenlos. Das ist es: Gewissermaßen...gemessen am Gewissen. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn einfach nicht bemerke? Habe ich ein besseres Gewissen, wenn ich ein paar Cent in den Becher werfe? Tut mir doch nicht weh.
Sein purer Anblick hat in mir einen Konflikt ausgelöst, Gewissenskonflikt. Und ohne noch vor wenigen Minuten darüber nachgedacht zu haben, müsste ich nun vor dem Gewissen eine Entscheidung treffen.
Gebe ich ihm etwas, tun sich Zweifel auf. Gebe ich ihm nichts, ebenso.
Gebe ich etwas, habe ich mich seinem bettelnden Diktat gebeugt oder...wähne mich mitfühlend barmherzig.
Gebe ich nichts, warum tun es Andere? Bin ich dann schlechter?

Wollte eigentlich nur ein wenig durch die Stadt schlendern....
 

anbas

Mitglied
Hallo HajoBe,

ich mag Alltagsgeschichten dieser Art. So habe ich im Moment nur ein paar formale Dinge anzumerken:

<Der Kerl könnte doch arbeiten!>
Vielleicht ist es Geschmackssache, aber ich mag "<" und ">" in Prosatexten nicht sonderlich leiden. Daher benutze ich entweder "..." oder '...', wenn es um "Gedankenstriche" geht.
gebeugt oder...wähne mich
Wie ich gerade an anderer Stelle gelernt habe, bzw. wieder erinnert wurde, kommt vor "..." ein Leerzeichen (und ich glaube, hier auch danach). Außerdem gilt entweder ein Punkt oder drei - und nicht vier wie bei
durch die Stadt schlendern....
Das mag vielleicht kleinkariert sein, aber ich lese gerade ein Buch über Druckvorlagen bei Verlagen. Die achten auf sowas - warum sich also solche Dinge nicht gleich von Anfang an richtig angewöhnen ...?

Liebe Grüße

Andreas
 

HajoBe

Mitglied
Er kauert in ärmliche Klamotten gehüllt an der Mauer neben dem Geschäftseingang, vor ihm ein Plastikbecher mit zwei geringwertigen Münzen darin.
Seine Haltung knieend, auf einem schmutzigen und durchlöcherten Kissen, gebeugt und provozierend demütig. Der Blick, wenn nicht zu Boden gerichtet, wendet sich flehend im Ausdruck und doch herausfordernd jedem Vorübergehenden zu und verfolgt ihn, um sich darnach dem Nächsten zuzuwenden. Die schrundigen Hände in bittender Geste nach oben gestreckt. Die Lippen murmeln leise Unverständliches. Wie beim Gebet. Mir kommt in den Sinn: "Ora et ...labora!" Doch das will der vielleicht garnicht, zumindest Letzteres nicht? Also: "Ora aut labora!" Ersteres ist einfacher.
Vor ihm ein Pappschild: "Bin obdachlos und meine 4 Kinder haben Hunger!"
Würde ihn auf etwa 40 Jahre schätzen. Er wirkt kräftig und der erste Gedanke ist: Der Kerl könnte doch arbeiten!
Die schwarzen Haare und sein tiefbrauner Teint lassen auf den Ausländer schließen, wahrscheinlich vom Balkan. Darf man in dem Zusammenhang noch Ausländer sagen? Oder besser Migrant?
Rumänische Bettlergang vielleicht? Gibt es ja. Müssen erbetteltes Geld abgeben, bis auf 10 Prozent Eigenbehalt.
Könnte doch wenigstens Musik machen. Tun doch andere auch. Bieten etwas für Almosen. Aber nur rumsitzen und betteln? Und dann noch 4 Kinder! Wenn man nicht einmal Arbeit hat! Und überhaupt: Vor Supermärkten lungern in der Hoffnung den Euro aus dem Einkaufswagen zu ergattern?
Könnte vorübergehen ohne ihm Beachtung zu schenken, gewissermaßen gedankenlos. Das ist es: Gewissermaßen...gemessen am Gewissen. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn einfach nicht bemerke? Habe ich ein besseres Gewissen, wenn ich ein paar Cent in den Becher werfe? Tut mir doch nicht weh.
Sein purer Anblick hat in mir einen Konflikt ausgelöst, Gewissenskonflikt. Und ohne noch vor wenigen Minuten darüber nachgedacht zu haben, müsste ich nun vor dem Gewissen eine Entscheidung treffen.
Gebe ich ihm etwas, tun sich Zweifel auf. Gebe ich ihm nichts, ebenso.
Gebe ich etwas, habe ich mich seinem bettelnden Diktat gebeugt, ertappe mich als mitfühlend barmherzig.
Gebe ich nichts, warum tun es Andere? Bin ich dann schlechter?

Wollte eigentlich nur ein wenig durch die Stadt schlendern...
 

HajoBe

Mitglied
Hallo, guten Morgen Andreas,
danke für deine Anregungen. Hast Recht. Ich finde es positiv, wenn wir uns gegenseitig "unter die dichterischen Arme" greifen.
Lieben Gruß
HajoBe
 

HajoBe

Mitglied
Er kauert in ärmliche Klamotten gehüllt an der Mauer neben dem Geschäftseingang, vor ihm ein Plastikbecher mit zwei geringwertigen Münzen darin.
Seine Haltung knieend auf einem schmutzigen, durchlöcherten Kissen, gebeugt und provozierend demütig. Der Blick, wenn nicht zu Boden gerichtet, wendet sich flehend im Ausdruck, doch herausfordernd jedem Vorübergehenden zu, verfolgt ihn um sich darnach dem Nächsten zuzuwenden. Die schrundigen Hände in bittender Geste nach oben gestreckt, die Lippen murmeln leise Unverständliches wie im Gebet. Mir kommt in den Sinn: "Ora et ...labora!" Doch das will er vielleicht garnicht, zumindest Letzteres nicht? Also: "Ora aut labora!" Ersteres ist einfacher.
Vor ihm ein Pappschild: "Bin obdachlos und meine 4 Kinder haben Hunger!"
Würde ihn auf etwa 40 Jahre schätzen. Er wirkt kräftig und der erste Gedanke ist: Der könnte doch arbeiten!
Die schwarzen Haare, sein tiefbrauner Teint lassen auf den Ausländer schließen, wahrscheinlich vom Balkan. Darf man noch Ausländer sagen? Oder besser Migrant?
Rumänische Bettlergang vielleicht? Gibt es ja. Müssen erbetteltes Geld abgeben, bis auf 10 Prozent Eigenbehalt.
Könnte doch wenigstens Musik machen. Tun doch andere auch. Etwas bieten für Almosen. Aber nur rumsitzen und betteln? Und dann noch 4 Kinder! Wenn man nicht einmal Arbeit hat! Und überhaupt: Vor Supermärkten lungern in der Hoffnung den Euro aus dem Einkaufswagen zu ergattern?
Könnte vorübergehen ohne ihm Beachtung zu schenken, gewissermaßen gedankenlos. Das ist es: Gewissermaßen...gemessen am Gewissen. Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn einfach nicht bemerke? Habe ich ein besseres Gewissen, wenn ich ein paar Cent in den Becher werfe? Tut mir doch nicht weh.
Sein purer Anblick hat in mir den Konflikt ausgelöst, Gewissenskonflikt. Und ohne noch vor wenigen Minuten darüber nachgedacht zu haben, müsste ich nun vor dem Gewissen eine Entscheidung treffen.
Gebe ich ihm etwas, tun sich Zweifel auf. Gebe ich ihm nichts, ebenso.
Gebe ich etwas, habe ich mich seinem bettelnd fordernden Diktat gebeugt.
Gebe ich nichts, warum tun es Andere? Bin ich dann schlechter?

Wollte eigentlich nur ein wenig durch die Stadt schlendern...
 



 
Oben Unten