Gewitter

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ThomasQu

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Ich stand an der Reling, hoch oben auf dem neunten Deck der Autofähre - und war mal wieder überwältigt. Genua, an diesem Anblick werde ich mich wohl niemals sattsehen können.
Ganz langsam schob sich unser Schiff in den Hafen. Der Kapitän drehte es um hundertachtzig Grad und steuerte rückwärts auf die Kaimauer zu. Ein letztes Mal wurden die Passagiere aufgerufen und so griff auch ich nach meiner Tasche und begab mich hinab zu den Parkdecks.
Die Fähre legte an, die große Klappe am Heck öffnete sich und wurde zur Rampe, über die die Fahrzeuge das Schiff verlassen konnten. Ich startete den Motor meines Honda-Gespanns und ordnete mich in die Flut der vielen ausfahrenden Lastwagen, PKW und Motorräder ein.

Bis Nürnberg lagen siebenhundertfünfzig Kilometer vor mir. Damit ich nicht am nächsten Tag die ganze Strecke auf einmal absitzen musste, entschloss ich mich, nicht in Genua zu übernachten, sondern noch gute hundert Kilometer zu fahren und mir dann ein Quartier zu suchen.
Kaum war ich auf der Autobahn, stockte der Verkehr und kam zum Stillstand. Ich fluchte innerlich und beneidete all die anderen Motorradfahrer, die sich auf dem Mittelstreifen durchmogelten. Aber mit Seitenwagen ging das eben nicht so leicht.
Endlich, nach einer halben Stunde war es geschafft, die Baustelle lag hinter mir und ich hatte freie Fahrt. Doch der Blick in die Ferne verhieß nichts Gutes. Eine fast pechschwarze Wolkenwand hatte sich am Horizont gebildet und ich sah schon die ersten Blitze.
Am nächsten Rastplatz fuhr ich raus, tankte, aß eine Kleinigkeit zu Abend und beauftragte mein Navi mit der Suche nach einem geeigneten Campingplatz. Das Wetter war mir jetzt nicht mehr geheuer.
Das Ergebnis dieser Suche war ernüchternd. Entweder zurück nach Genua, oder ein Platz bei Alessandria. Der lag zumindest halbwegs auf meiner Route, war aber über vierzig Kilometer entfernt und führte genau in Richtung dieser Schlechtwetterfront.

Es dämmerte bereits und die Luft roch nach Regen. Trotzdem, zurückfahren war keine Option und ich vertraute wie immer auf mein Glück, das mich bis jetzt auf Reisen nie verlassen hatte. Schnell noch die Kombi übergestreift und es ging los.
Nach einigen Kilometern bekam ich die ersten Tropfen aufs Visier. Inzwischen war es Nacht geworden und meine Hoffnung, dass wohl alles nicht so schlimm werden würde, trog.
Innerhalb weniger Minuten entwickelte sich ein Unwetter mit sintflutartigem Regen. Um nicht zu sagen: Ein Inferno.
Vor und neben mir schossen die Blitze vom Himmel, so nah, dass ich dachte, ich könne sie mit Händen greifen. Erschwerend kam hinzu, dass ich vor Tagen mein Schutzblech am Vorderrad eingebüßt hatte. Das war den miserablen Straßen auf Sizilien zum Opfer gefallen. Eine Halterung war abgebrochen und ich musste es auf dem Weg hoch zum Ätna abmontieren.
Das viele Wasser, das auf dem Asphalt stand, wurde jetzt durch das Rad senkrecht nach oben gewirbelt, passierte dabei den Lichtkegel des Scheinwerfers, sodass ich das ganze Geschehen mitansehen konnte, veränderte durch den Fahrtwind die Richtung und prasselte mir aufs Visier und in den Kragen. Trotz Regenanzug war ich binnen kürzester Zeit durchnässt bis auf die Unterwäsche. Meine Sicht betrug geschätzt drei Meter und mir blieb nichts anderes übrig, als mich an einen LKW anzuhängen, dessen Rücklichter ich gerade noch erkennen konnte. Sonst wäre ich womöglich von der Straße abgekommen.

So ging das dreißig Kilometer, bis mir das Navi befahl, von der Autobahn abzufahren. Auf der Landstraße war kaum mehr als Tempo fünfzig möglich. Inzwischen hatte der Regen ein wenig nachgelassen, doch überall gab es tiefe Pfützen, die bei höheren Geschwindigkeiten das Vorderrad aufschwimmen ließen.
Was, wenn der Campingplatz geschlossen hat? Oder niemand mehr da ist?
Hier, mitten im Nirgendwo …
Wobei Zelten an sich schon ausgeschlossen schien. In meinem Zustand hatte ich keine Lust mehr, ein Zelt aufzubauen oder noch schlimmer, darin zu schlafen.

Mit solchen Gedanken im Kopf erreichte ich endlich einen hellbeleuchteten Hof, den mir das Navi als Ziel beschrieb. Es war ein Gartenrestaurant, ohne Gäste. Ich stieg ab und wurde sogleich von zwei Kellnern bestaunt, die gerade nichts zu tun hatten. Das Wasser tropfte mir aus den Hosenbeinen und gestenreich versuchte ich, ihnen begreiflich zu machen, dass ich hier einen Campingplatz erwartet hatte.
Der lag gegenüber auf der anderen Straßenseite und da war es stockfinster. Ein Kellner griff zum Telefon, um den Campingplatzbesitzer zu verständigen. Anscheinend mit Erfolg, denn drei Minuten später war der da.
Ein bronzehäutiger Mensch, der akzentfrei Deutsch sprach, in einer Wickelhose, einem sogenannten Dhoti.
Ich war baff. Schlagartig hatten sich meine Probleme halbiert. „Sind Sie Inder?“ Ich konnte meine Wissbegier kaum unter Kontrolle halten.
„Nein, aus Sri Lanka!“, er lachte schelmisch.
„Und wie kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?“
„Ich habe in Erlangen studiert.“
Es war kaum zu fassen. Der 1. FC Nürnberg war ihm kein Begriff, doch ansonsten kannte er sich recht gut aus in meiner Heimat. Den Campingplatz hatte er gepachtet und in Sri Lanka besaß er noch ein Reisebüro.
Er bot mir eine Blockhütte an, in der sein ältester Sohn wohnte, wenn der zu Besuch war. Ein Wohnzimmer mit dem Charme einer Abstellkammer, das Schlafgemach ein muffiger, fensterloser Raum mit Matratze und ungemachtem Bettzeug. Aber für mich wie ein Schloss aus dem Märchen, noch mollig warm von der Hitze des Tages - und trocken. Das alles für vierzehn Euro.
Ich holte mir Kissen, Schlafsack und frische Klamotten aus dem Beiwagen, hörte noch ein bisschen Radio und schlief zufrieden ein. Ich sag ja, auf mein Glück kann ich mich verlassen.
 

SMöller

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Hallo Thomas,

deine Geschichte gefällt mir gut. Ich finde es toll, dass du beschreibst das seine Laune sich gleich aufhellt, als er mitbekommt das er gastfreundschaftlich aufgenommen wird. Das macht es schließlich aus, das wir Menschen uns wohl fühlen, wenn wir uns angenommen und aufgenommen fühlen. Ich finde, das hast du gut beschrieben und kommt auch so rüber.
Allerdings fällt mir eine Sache auf. Er schreibt zum Schluss: Ich wusste, ich kann mich auf mein Glück verlassen.
Der Gedanke ist aufjedenfall toll. Kommt für mich zum Anfang aber nicht so rüber, dass er letztendlich diesen Grundgedanken stets mit sich führt. Er kam zu Anfang für mich sehr pessimistisch rüber und dadurch hatte sich der Schlusssatz dann, meiner Ansicht nach, gebissen.

Liebe Grüße

Steffi
 

ThomasQu

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Hallo Steffi,

zuerst vielen Dank für dein Feedback und für die netten Worte.
Als grundsätzlich pessimistisch sehe ich den Ich-Erzähler in dieser Geschichte nicht, im Gegenteil.
Das zeigt ja auch der von dir angesprochene letzte Satz: Ich sag ja, auf mein Glück kann ich mich verlassen.
Der greift zurück auf die in der Mitte des Textes beschriebene Szene, in der der Ich-Erzähler, (den man durchaus Thomas nennen darf), überlegt, wie es nun weitergehen soll.
Naiv, leichten Herzens und ohne jede Vernunft fährt er nach seiner Pause an der Raststätte direkt auf diese Schlechtwetterfront zu. Nur auf sein Glück vertrauend.

Viele Grüße,

Thomas
 



 
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