Giai!

zero

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Vorsicht: Das wird länger...
(Anmerkung: Giai spricht man Gi-ja-ih.)


Südlich der Reiche von Go-Tra, der Tempelstädte vom Kalam liegt der grosse Westriss. Früher verlief hier eine grosse Bergkette, heute ist es einer der Rifts, umgeben von Sümpfen und verseuchten Wüsten. Der Sumpf hat keinen richtigen Namen; dafür kennen ihn zu wenige; und die, die über ihn reden, nennen ihn einfach Giai-Sumpf, nach der eisenschwarzen Höllenbrut, die einst aus dem Rift gekrochen war und dort hauste.

Das Land am Rande des Sumpfes ist fruchtbar; und vor langen Jahre hatte ein ehrgeiziger Fürst versucht, dort Fuss zu fassen. Von dem Versuch ist nicht viel mehr geblieben als eine Legende und ein Gerücht von Schätzen und Abenteuern, das wächst, während die Wahrheit in Vergessenheit gerät.

Auf einem Hügel dort am Rande der ertrunkenen Birkenwälder steht ein kleiner Wehrbau aus dieser Zeit, ein befestigter Hof mit einer Mauer und einem steinernen Turm, nicht mehr. Noch wächst dort Korn; und Bohnen und Gemüse im Hof. Manchmal kommen kleine Gruppen vorbei, auf der Suche nach der Legende, dann bellt ein Hund, und sie reiten zu dem Hof. Erstaunt über die Zeichen menschlicher Anwesenheit machen sie halt und verbringen vielleicht einen Nachmittag bei dem Bewohner des Hofes. Und sie stellen immer dieselben Fragen.

„Hey, Alter!“

Dabei ist der Bewohner des wehrhaften Bauwerks ein Mann mittleren Alters, kräftig und sehnig, wie jemand sein muss, der hier allein überlebt. Aber die gesunde, gebräunte Gesichtsfarbe der Bauern ein paar Tagesritte östlich fehlt ihm und ihre wohlgenährte Zufriedenheit. Der Mann ist mager und distanziert; ihre joviale Geselligkeit geht ihm ab und lässt ihn älter erscheinen als er ist.

„Hey, Alter! Kannst du uns etwas von Fürst Soundso (der Name wechselt, je nachdem, wer ihnen die Legende erzählt hat) erzählen? Es heisst, er wäre hier zuletzt gesehen worden, bevor er für immer dort im Sumpf verschwunden ist.“

Und der Mann lässt sich nicht anmerken, ob ihm die freche Anrede etwas ausmacht. Er stützt sich auf seinen Spaten oder die Mistgabel und sieht zu den Abenteuerern auf.

„Da habt ihr wohl recht, schliesslich bin ich mit ihm in den Sumpf gezogen, als ich so jung war, wie ihr. Ich war damals Knappe in seinem Gefolge; und es war ein grosser Kampf!“

Dann sind die Ankömmlinge immer gleich viel höflicher; die Freundlicheren, weil sie beeindruckt sind, die Verschlageneren, weil sie sich wertvolle Hinweise erhoffen, für die sie nicht zahlen müssen. Der Mann erzählt ihnen dann die Geschichte vom Kampf des Fürsten Soundso gegen die Giai, und er macht sich nicht die Mühe, den Namen zu korrigieren.

Er erzählt, wie sie drei Tage tief in den Sumpf vorstiessen und auf ihrem Weg die verdammten Giai in ihren eisenschwarzen Rüstungen erschlugen, die nur starben, wenn man mit geweihten Schwertern ihr Herz durchbohrte oder sie zwang, sich der Sonne auszusetzten. Jeden Tag trieben sie die Giai aus den Verstecken ins Licht und jede Nacht holten die Giai ein paar von ihnen. Wie am Ende alle die Ritter und der Fürst Soundso mit ihren geweihten Schwertern in der dritten Nacht von den Giai überwältigt wurden. Am Ende waren alle tot, die Giai, denn es waren nie viele gewesen, und die Ritter, und nur er, der jüngste Knappe, war übrig geblieben und aus dem Sumpf gestolpert und war hier in dem alten Wehrhof geblieben, nachdem sein Herr tot und das Fürstentum, dem er gedient hatte, mit ihm untergegangen war. Und er beschreibt ihnen den Weg zu dem Hügel, wo noch immer die Beute der Schlacht auf die wartet, die den Mut haben, sie sich zu holen. Dann wollen die Abenteuerer immer eilig aufbrechen, und der alte Knappe sieht ihnen nach. Wenn sie am Rande des Sumpfes angekommen sind und in den Nebelschwaden verschwinden, legt er seinen Spaten oder die Mistgabel beiseite, setzt sich auf seinen Stuhl auf der Veranda und denkt an damals, während es Abend wird. Und er erzählt die Geschichte noch einmal, für jemand, der sie nicht hören kann. Aber er erzählt sie nicht so, wie er sie denen erzählt hat, die jetzt da hinausgegangen sind; er erzählt sie, wie sie sich wirklich abgespielt hat. Er tut es jedesmal.

-

„Als am dritten Tag in den Sümpfen die Sonne dem westlichen Horizont zustrebte, waren der Fürst und seine Männer nur noch ein Dutzend; sechs Ritter, fünf Bewaffnete und ich. Ich stand im Dienst von Ryder; seine Familie hatte ein Gut in der Westmark und war mit unserer befreundet; und wir auch. Er war ein paar Jahre älter als ich und schon Ritter; und ich hatte mich ihm als Knappe angeschlossen, um mir auch so bald wie möglich meine Sporen zu verdienen. Die letzten drei Tage waren schlimmer gewesen, als ich es mir vorstellen konnte; wir hatten fast zwanzig Bewaffnete und vier Ritter verloren. Wäre das Ziel nicht so nahe gewesen, wir wären umgekehrt, aber dies war der letzte Kampf und wir waren dabei zu gewinnen. Und sollte ich den nächsten Morgen erleben, dann waren mir Rang und Titel so gut wie sicher.

Am Tage waren die Giai keine grosse Bedrohung; es gab ja nicht viele Orte im Sumpf, an denen man sich vor dem Licht verstecken konnte; einmal aufgespürt, machten die Ritter kurzen Prozess. Die Überreste in den grotesken Panzern wurden verbrannt oder in die sumpfigen Tümpel geworfen. Alle Gerüchte warnten davor, die Masken und Harnische zu entfernen, und so vermieden wir es, obwohl ich Neugier verspürte.

Wenn die Nacht anbrach, verschanzten wir uns auf dem nächsten trockenen Hügel; und die Giai umzingelten uns und rissen die, die sie erreichen konnten, in einen nassen Tod. Die heiligen Schwerter der Ritter hielten sie ab; doch die Bewaffneten – oder ich – konnten ihnen nicht viel dauerhaften Schaden zufügen.

Am dritten Tag entdeckten wir ihr Nest; eine Ansammlung uralter Steinbauten, und wir fanden und vernichteten viele. Der Fürst beschloss, die Nacht hier zu verbringen, trotz der vielleicht verbliebenen Giai, um so die Letzten aus den Verstecken zu locken, und die Dämonen ein für alle Mal auszurotten.

Und dann ging die Sonne unter; nicht grossartig oder in einem prächtigen Abendrot, sie versank einfach in den Dunstschleiern des Sumpfes, genau wie die Männer, die hineingerieten und die grotesken Körper der Giai, die wir vernichtet hatten. Das Seltsame an den Giai ist, dass sie nicht sprechen oder schreien. Selbst wenn man sie durchbohrt schweigen sie. Sie haben keine Stimmen und sie scheinen auch nichts zu hören. Deswegen sind sie am Tage so leicht zu überraschen; blind und taub. Dafür macht ihnen die Dunkelheit nichts aus, und obwohl sie im Sumpf versinken, wie ein Mann in Rüstung es tut, bewegen sie sich Nachts völlig sicher durch die tückische Umgebung.

Und dann standen sie vor uns. Fünf Giai, zusammen. Sie kämpften nie gemeinsam, und das sie sich so offen stellten, war für uns der Beweis, dass es die letzten waren. Die Bewaffneten hielten sich zurück, aber ich blieb an der Seite von Ryder. Die Giai kämpfen mit langen, dunklen Klingen, die an ihren Panzern befestigt sind, wie die Stacheln von wilden Tieren. Während die Ritter kämpften und stolperten und riefen bewegten sich die Giai fast lautlos. Für eine Weile stand der Kampf ausgeglichen, aber dann begannen beide Seiten zu ermüden; und mit der Erschöpfung kamen Fehler. Ryder durchbohrte einen Giai, der ihm den Rücken zukehrte, der Fürst einen anderen. Es war mir, als hätte ich einen Aufschrei gehört, aber vielleicht war das nur, was mein Geist mir vortäuschte, als einer der Giai sich wie ein Teufel auf Ryder stürzte und ihn förmlich in Stücke zerhackte.

Es gelang mir an Ryders Schwert zu kommen, denn meines war wirkungslos gegen die Brut. Ich stellte mich dem Dämonen und wir kämpften; ich war ausser mir vor Wut und schlug mit der ungewohnt schweren Klinge um mich, bevor ich ein Gefühl für die Waffe bekam. Es war ein langer Kampf; erst als mein Zorn nachliess bemerkte ich, dass wir die letzten waren, die kämpften, alle anderen Giai waren tot, und ein weiterer Ritter gefallen. Der Fürst und die anderen sahen uns zu. Es war mein Kampf. Vielleicht kennen auch die Giai so etwas wie Verzweiflung; so wie ich wurde auch mein Gegner sich der Situation bewusst und sein Widerstand liess nach. Für einen Moment stand der Giai nur da – und ich trieb das schimmernde Schwert geradewegs in seine Brust. Schweigend wie alle seiner Art sackte er zusammen; und ich liess ihn liegen und stolperte zu den anderen.

Das war das Ende der Schlacht. Zehn Mann waren wir noch, die erschöpft um das Feuer saßen. Trotz des Lobes, dass ich zu hören bekam, war ich der Schweigsamste von allen. Ryder war tot und ich musste feststellen, dass ich immer noch wütend war. Der Krug mit Branntwein ging im Kreis herum, und schliesslich erbot ich mich, zu wachen. Ohne Ryder schmeckte mir das Zeug nicht mehr.

Als Mitternacht bereits vorbei war, hockte ich immer noch bei den Leichen von Ryder und den Giai. Ich hätte einen der Bewaffneten wecken können, damit er weiter wacht, aber ich hätte trotz aller Müdigkeit nicht schlafen können. Schliesslich rang ich mich dazu durch, das Schwert an mich zu nehmen. Ich ging zu dem Giai hinüber, der jetzt gar nicht mehr so bedrohlich wirkte und umfasste den Griff. Als ich daran zog, warf mich ein furchtbarer Schmerz in der Brust zu Boden.

Als ich wieder Luft bekam, riss ich mir das Hemd auf, doch da war kein Anzeichen für die Quelle des Schmerzes. Ich betrachtete den Giai. Dann rieb ich mir die Brust und dabei ging mir auf: Schmerz wie Schwert hatten unter dem Brustbein getroffen. Ich hatte das Herz verfehlt und der Giai musste demzufolge noch am Leben sein.

Ich ging einmal um den Körper herum; trotz der schlanken, schwarzen Auswüchse und Klingen an den assymetrisch ineinandergreifenden Flächen der Rüstung wirkte er nicht mehr so erschreckend, wie während des Kampfes. In den flackernden Schatten des Feuers konnte ich die Klammern und Schnallen ausmachen, die die einzelnen Teile zusammenhielten; Spuren der Abnutzung, vielleicht so etwas wie Verzierungen, eher menschlich anmutende Einzelheiten. Die Minuten vergingen und der Zeitpunkt kam, der kommen musste, an dem meine Neugier grösser war, als alle Aberglauben und Befehle, und ich lösste die Schlösser und nahm den grotesken Helm ab.

In diesem Moment sah ich zwei Dinge; die Vision eines feurigen Antlitz, erschreckend und doch vertraut, mit einem dampfenden Odem, und das eisblasse Gesicht vor mir; fast blaugrauen Lippen und schwarzen Augen die keinerlei Iris aufzuweisen schienen. Haare oder Ohren konnte ich keine ausmachen, und anstelle von Haaren quollen Auswüchse wie Tentakel oder die Schlangen einer Medusa aus dem Schädel, vorne nur kurz, Hörnern gleich, weiter hinten breit wie eine Mähne und anscheinend mit den Schultern verwachsen.

Vor welchem der beiden Anblicke ich zurückschreckte, weiss ich nicht mehr; aber während ich zurücksprang erkannte ich mich selbst in der Bewegung der feurigen Erscheinung. So sah mich das Wesen vor mir. Ich versuchte mich von dem Einfluss zu befreien und trat weiter zurück.

Zuerst schien die Verbindung abgerissen zu sein; nur noch ein Hauch von Dunkelheit – bis mir klar wurde, dass es die Dunkelheit der Nacht über mir war. Und da war Kälte, jetzt, wo der Schmerz in meiner Brust verschwunden war, wie betäubt, wie ein Eispflock unter meinen Rippen. Doch es war eine andere Kälte als die von durchnässten Kleidern oder der klirrenden Luft des Winters – mehr wie ein Fehlen von Wärme, wie ein Hunger. Aus irgendeinem Grund fühlte ich, was das Ding vor mir fühlte und sah, was es sah. Nicht, dass ich meine menschlichen Sinn verloren hatte; es war mehr wie ein Gedanke oder eine Frage, die einem im Kopf herumspuken; man kann sie ignorieren, aber sobald die Konzentration nachlässt, sind sie wieder da.

Vielleicht – wenn ich das Schwert herauszog, und durch das Herz stiess – wäre die Sachen dann beendet? Es kam mir nicht richtig vor, das Wesen leiden zu lassen. Vorher war mir nie der Gedanke gekommen, dass ein Giai etwas fühlen konnte. Andererseits; die Verbindung, die nun zwischen uns bestand, die Tatsache, das das Wesen überhaupt noch lebte, bestätigte das abergläubische Gerede in den Markdörfern am Rande des Rifts. Vielleicht sollte ich einen der Ritter wecken, damit er mir half, den Giai zu töten. Und dann wieder – es war ein ganz aussergewöhnliches Gefühl, die Gedanken eines anderen Lebewesens mitzuempfinden. Am Ende würde ich auch seinen Tod miterleben; eine beunruhigende Möglichkeit. Also sass ich da, im restlichen Licht des Feuers, ein paar Schritte entfernt von der dunklen Gestalt, die nicht viel mehr als ein Schatten war, mit einem glitzernden Schwert das emporragte, wie aus manchen Rittergräbern, bevor sie gestohlen wurden, und ein hellerer Fleck, dort wo das Gesicht war.

Überhaupt – das Gesicht. Nach dem ersten Schreck, der Fremdartigkeit, der zähflüssigen, schwarzvioletten Masse, die an einer Seite über die graublauen Lippen quoll und wohl so etwas wie Blut war – kein Wunder, mit einem Schwert, das in den Eingeweiden oder der Lunge steckte, oder was das Biest an der Stelle hatte – das Gesicht war menschenähnlich genug. Mehr als das. Es war schön, und die grossen, schwarzen Augen hatten ihm Unschuld verliehen; die Unschuld und Schönheit eines Raubtieres vielleicht, aber die Faszination blieb.

Ich stand auf und ging näher; wobei ich vorsichtig darauf achtete, aus dem Blickfeld des Wesens zu bleiben. Das Gefühl von Kälte nahm zu und ich kauerte mich zusammen und betrachtete das Gesicht von der Seite.
Was ich schliesslich tat, war so unvermeidlich wie unverzeihlich, aber schliesslich nahm ich meinen Mut zusammen und zog das Schwert heraus – und ich spürte jeden Ruck und jede Scharte an der Klinge durch meinen eigenen Brustkorb schneiden. Nicht so schweigsam wie mein Opfer, dem nur ein neuer, dickflüssiger Schwall schwarzen Blutes über die Lippen trat, musste ich die Zähne zusammenbeissen, um nicht zu schreien. Für einen Augenblick sah ich die Klinge in einem geisterhaft grünen, kalten Licht scheinen, nicht den polierten Stahlglanz, den meine Augen mir vortäuschten.

Ich öffnete den durchbohrten Panzer, um die Wunde anzusehen – das heilige Schwert hatte das Wesen nicht getötet, aber doch eine furchtbare Verletzung herbeigeführt, nicht wie die gewöhnlichen Waffen, die kaum Schaden anzurichten schienen. Vielleicht war es die geistige Verbindung, die mich die Verschlüsse ahnen liess, die ich bei dem schwachen Lichtschein und Schwarz in Schwarz nicht hätte sehen können. Als ich dann – so leise ich konnte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen – die beweglich miteinander verbundenen Platten des Brustharnisch zur Seite gelegt hatte, schlug mir das Herz bis in den Hals. Ich sah die bösartige Verletzung, die die Klinge hinterlassen hatte, ich konnte das weisse Fleisch und das schwarze Blut wie Sirup darin pulsieren sehen, dick und zäh genug um ein Verbluten zu verhindern, die Verletzung in dem mageren, blassen Körper, die fast blauschimmernde Haut von einem Netz dunkler Äderchen unterlegt, völlig haarlos, makellos und unzweifelhaft, atemberaubend, der Körper einer Frau.

Ich muss zugeben, meine Hand war etwas zittrig, als ich vorsichtig die Haut etwas oberhalb des Bauchnabels berührte. Der Körper fühlte sich glatt und fest an und ich war überrascht, so wie jemand, der zum ersten Mal eine Schlange fängt und erwartet hat, etwas Weiches, Feuchtes zu fühlen, wie einen Wurm oder einen Molch. Innerhalb von Sekunden wurde meine Hand eiskalt und ich fühlte ein schmerzhaftes Prickeln in den Fingern und ich hätte losgelassen, wenn nicht gleichzeitig die heisse Berührung an mir selbst gespürt hätte, eine Handbreit unter dem Brustbein, und wie sie den Dolch aus Eis in mir aufzulösen begann. Trotz der zunehmenden Betäubung und dem Prickeln des hindurchströmenden Blutes, zwang ich mich beide Hände auf die Wunde zu pressen und dort zu behalten, solange ich konnte. Ich versuchte mich auf das Gefühl der Wärme zu konzentrieren, dass sich mir übertrug und nicht auf meine erfrierenden Hände.

Selbst nachdem sich die Wunde geschlossen hatte, musste ich mich zwingen, meine schon tauben, steifen Finger von ihrem Körper zu lösen; doch als ich sie unter mein Hemd schob, um sie wärmen, stellte ich erstaunt fest, dass sie ganz normale Temperatur hatten, sich sogar warm anfühlten; langsam begann ich sie wieder zu spüren. Erst an den Bildern in meinem Kopf bemerkte ich, dass sich die Giai zu bewegen begann, und aus der Starre, die entweder die Wunde oder das Schwert verursacht hatte, erwachte. Ich spürte ihren Hunger, die Gier nach der Wärme in meinem Körper, aber anstatt Entsetzen oder Angst empfand ich ein mindestens ebenso dringendes Verlangen nach ihr. Ich half ihr ganz aus der Rüstung, störte mich nicht weiter an den zierlichen Hufen, wie die eines Satyrs, anstelle von menschlichen Füssen und Zehen, oder an dem etwa einen Meter langen Schwanz, der sich mit einer fast schamhaften Bewegung zwischen ihren Schenkeln hindurch und um ihren Unterleib schlang.

Sie kauerte im hohen, zertretenen Sumpfgrass, in dem der Kampf stattgefunden hatte, und wenn ich sie nur als weissen Schemen ausmachen konnte, sah ich mich dafür überdeutlich mit ihren Augen; und als ich mir die Kleidung herunterriss, ging ich förmlich in Flammen auf; eindeutig erschienen gut durchblutete Körperteile heller als andere, unter anderem mein Gesicht, als mir diese Tatsache bewusst wurde.

Ich könnte versuchen, Einzelheiten zu erfinden; aber in Wirklichkeiten erinnere ich mich daran so wenig, wie jemand, der aus nächster Nähe einen eisbedeckten Vulkan ausbrechen gesehen hat: Ein dampfendes Chaos überwältigender Eindrücke verbunden mit akuter Lebensgefahr.

Dann hörte ich Stimmen; Schreie; und Augenblicke später rissen uns gepanzerte Fäuste auseinander. Jemand zerrte mich weg und stiess mich zwischen unser Gepäck, wo ich halb erfroren aus dem Rausch erwachte, die anderen zerrten die Giai ins Licht des Feuers, das ich jetzt zwei Mal sah, davon einmal in blendender Helligkeit und bedrohlich; nicht wärmend – und dazu wieder die giftgrün schimmernden Schwerter und Gestalten, bei denen rotes Leuchten aus den Schlitzen der Helmvisiere drang. Wie vor dem Tod Ryders drang der lautlose Aufschrei durch meinen Kopf, aber diesmal als Hilferuf, verbunden mit meinem Bild.

Die Bewaffneten waren in abergläubischer Furcht zurückgewichen; im Schein des Feuers versuchten die Ritter, der tobenden Giai das Schwert in das Herz zu stossen und ich griff mir eine heruntergefallene, geladene Armbrust. Ein Stahlbolzen würde eine Giai nicht verletzen.

Aber er durchschlug Rüstungen, und ich spürte die Spritzer warmen Blutes, als ob der Schwall mich selbst getroffen hätte. Für einen Menschen reichte ein Stahlbolzen vollkommen aus, selbst für einen Fürsten. Und ich hatte ihn ohnehin nie besonders gemocht. Er war ein Arschloch und jetzt war er tot.

In der absoluten Konfusion die ausbrach hatte ich genug Zeit, eine zweite Armbrust zu ergreifen und noch einen Ritter zu töten; dann trat ich den Kessel mit Eintopf um und warf ein paar Schlafdecken über den verlöschenden Rest des Feuers. Ich sah jetzt nur noch das, was die Giai sah, die sich losgerissen hatte, und von ihrem Standpunkt aus, so dass ich mich für ein paar Momente orientieren musste, aber es war mehr als die beiden verbliebenen Ritter sahen.

Ich sprang einen von ihnen im Dunkeln an und warf ihn zu Boden, und die Rüstung, die ihm im Kampf gegen einen bewaffneten und gepanzerten Feind beschützt hätte, machte ihn wehrlos gegen einen nackten Mann. Ich hielt ihn mühelos fest und trieb seinen eigenen Dolch durch den Sichtschlitz des Helms.

Sie tötete den anderen Ritter und wir warfen die verfluchten Schwerter in den grundlosen Morast um uns, der sie verschluckte wie die geflohenen Soldaten. Und dann...

Am nächsten Morgen weckte mich die Sonne, die fahl durch den Hochnebel schien. Ich fühlte mich fiebrig, schwach, lag zugedeckt vor einem der Eingänge zu den unterirdischen Gruften und suchte mir mühsam meine Kleider und etwas zum Essen aus dem verstreuten Gepäck. Ansonsten war nur noch Ryders Leichnam dort, und ich begrub ihn zusammen mit seinem Schwert. Ich stand eine Weile da, in den melancholischen Strahlen der Sonne, die ihren Weg durch den Nebel fanden, und lauschte den bizarren Träumen des Wesens in der Gruft da unten.

Die Giai lag da, auch die schwarze Rüstung, kalt wie der feuchte Stein auf dem sie ruhte, am Tag viel zerbrechlicher und nicht das Ding, das in der letzen Nacht zwei Ritter mit blossen Händen zerrissen hatte. Würde ich sie nach oben tragen, selbst die schwächliche Sonne über diesem elenden Sumpf würde reichen, um sie zu verbrennen. Wenn ich sie leben liess, würde sie mich wahrscheinlich früher oder später umbringen, absichtlich oder nicht. Aber seltsamerweise berührte mich der Gedanke daran ebensowenig, wie der an die Zukunft, an das, was am Abend zuvor geschehen war oder selbst Ryders Tod. Es bedeutete nichts. Wichtig war nur der Traum den ich mitträumte, während ich die Träumende in den Armen hielt.

In der gleichen Nacht verliessen wir den Sumpf und erreichten schliesslich den alten Wehrhof. Vermutlich sind wir füreinander immer noch das gleiche Rätsel wie am ersten Tag, obwohl wir unsere Gedanken teilen. Es ist schwer einem Wesen Fragen zu stellen, das weder Stimme noch Sprache kennt und es fällt es mir immer noch schwer, meine Neugier in Bilder zu kleiden, die sie verstehen kann. Die Welt aus der die Giai stammen, scheint sehr kalt und sehr dunkel zu sein. Die Stränge und Auswüchse am Kopf scheinen ihnen einen räumlichen Sinn selbst in völliger Dunkelheit zu geben. Ich bin mehr durch Zufall darauf gekommen; es reicht, sie einmal kräftig zu massieren, um die Giai völlig zu desorientieren und sie in eine Art Rausch zu versetzten. Umgekehrt scheinen die Augen nur eine sehr eingeschränkte Funktion zu haben und wenn ich mir ganze Landschaften vorstelle, die Welt des Tages, dann spüre ich ihre Verwirrung. Dennoch tauchen auch solche Bilder zunehmend in ihren Träumen auf, vielleicht weil sie meine Gedanken spürt, während sie das Licht der Sonne verschläft.

Aber wenn ich ehrlich bin, die Grundlage unserer Beziehung keine besonders philosophische oder komplizierte. Es geht bei der Beziehung um Hitze und Kälte, Opfer und Beute; und Sex mit jemand zu haben, dessen Gedanken und Gefühle man teilt, und die, die das nie erlebt haben, tun mir leid. Dafür nimmt man gerne den nicht so kleinen Tod in jeder Nacht in Kauf; und, das einem alles weh tut, wenn man gegen Mittag erwacht.“

-

Aber an den Abenden, an denen der Mann auf der Veranda sitzt, und mit der Geschichte Bilder und Erinnerungen ins Gedächtnis ruft, sich und der träumenden Giai im abgedunkelten Schlafzimmer des Hofes, wo nie mehr Licht als das einer Kerze hineinfällt, steht eine Abwechslung bevor. Dann werden sie gemeinsam in den Sumpf hinausgehen und jagen. Der Sumpf gehört nicht den Menschen; und wenn sie nicht so gierig danach gegriffen hätten und die Giai nicht so gehasst hätten, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen. Manchmal erreicht einer die Insel, wo das Grab von Ryder ist und manchmal verflucht einer den alten Knappen, bevor er stirbt, und prophezeit ihm, dass der Dämon auch ihn früher oder später umbringen wird.

Aber der Tod verschont die, die ihn lieben und holt die, die ihn fürchten, und der alte Knappe lacht, nicht aus Trotz, sondern über die Dummheit und Gier des Sterbenden, der einer Sage gefolgt war, einem Gerücht. Einer Sage von Schätzen und Rittern und Dämonen, die sich hartnäckig hält – selbst nach über zweihundert Jahren.
 
Y

Yamiko

Gast
Hallo Zero-san!

Diese Geschichte finde ich sehr sehr schön!
Obwohl ich die Handlung schon kannte war es total spannend zu lesen vor allem auch wegen deiner Sprache die allein schon sehr fesselnd und bildhaft ist. Ich konnte auch nachvollziehen warum der Held das und jenes tut und er ist dir sehr glaubwürdig gelungen.
Wenn ich versuche mich von der Faszination loszureisen fallen mir als Kritikpunkte nur einpaar Woprtwiederholungen ein und einpaar Ausdrücke klingen zu modern als für den Erzähler, ich hatte das Gefühl dass er sie eigentlich nicht kennen/benutzen dürfete.
Aber ich bin eigentlich mehr begeistert!
Du solltest wirklich noch mehr kurze Geschichten schreiben!
 

zero

Mitglied
Arigato Yamiko-san!

Wirklich! Schliesslich ist es ja in gewisser Weise die erste echte Kurzgeschichte, die ich überhaupt geschrieben habe. Ich bin froh, dass es dir gefallen hat, wo's doch die FSK -ab zwölf Jahre- Version war...

Zu den Kritikpunkten muss ich gestehen ich hab's letzte Nacht noch zu Ende geschrieben und nicht mehr gegengelesen sondern gleich gepostet. Und gerade Wortwiederholungen und 'Lieblings'-konstruktionen fallen einem beim Schreiben meistens nicht auf. Das mit den modernen Ausdrücken stimmt leider auch.

Als Entschädigung noch einen kleinen Hinweis: Die Geschichte spielt tatsächlich ein paar hundert Jahre in der Zukunft; und die fehlende Gebirgskette war mal die Rocky Mountains...
 

Neziri

Mitglied
Ok, kann mich eigentlich nur den Kritkpunkten des vorhergehenden Beitrags anschließen und dir zu deinem Talent gratulieren...ich glaube, ich muß auch mal wieder was posten...mehr als 103 Leser werden's wohl nicht mehr...
 
Y

Yamiko

Gast
WILL VERSION AB 18 SEHEN !!!

Ich weiß, hab mir schon gedacht dass du so ungeduldig sein wirst. Das waren auch nur erzwungene Kritiken, ich muss doch auch mal was schlechtes sagen... sonst fühle ich mich klein...
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo zero,

ich muß gestehen, daß ich diese Art von Geschichten eigentlich gar nicht mag. (Es sei denn, sie besitzen einen historischen Hintergrund) Dieses sich so häufig wiederholende Szenario, wo die ach so edlen und mit heiligen Waffen ausgerüsteten Ritter zum heroischen Ringen mit den Mächten des Bösen antreten, läßt in mir meist nur Langeweile aufkommen. Zwar spannend gemacht, werden Monster, Dämonen oder einfach nur Andersartige reihenweise abgeschlachtet, wobei natürlich auch ein paar Verluste in den eigenen Reihen zu beklagen sind. Aber das vermeindlich Gute siegt. Trotzdem macht die Handlung oft wenig Sinn.
Aber das, was Du hier ablieferst - das hat mich meine Vorurteile jäh vergessen lassen. Die Geschichte hat mich nicht nur mitgerissen, weil sie gekonnt und spannend erzählt ist, sondern weil eine tiefe versöhnende Menschlichkeit in ihr steckt. Aus dummen Haß und purer Mordlust wird eine Liebe, die das sinnlose gegenseitige Umbringen ad absurdum führt.
Sicher gäbe es hier und da etwas zu kritisieren oder zu hinterfragen. Ich lasse es aber. Ich möchte den überwältigenden Eindruck (vielleicht zu pathetisch formuliert, aber ehrlich gemeint), den die Geschichte auf mich gemacht hat, nicht durch irgendwelche Krümelkackerei zerstören. Du wirst selbst wissen, wo es noch etwas zu feilen gibt.

Gruß Ralph
 

zero

Mitglied
Hallo Ralph!

Schön, dass es dir gefallen hat, gerade weil's eine ziemlich spontane Sache war. Was deine Einstellung zu der Sorte Fantasy, die du am Anfang schildest, angeht, die kann ich nur zu gut nachvollziehen. Eines der grössten Vergnügen beim Schreiben ist für mich, diese 'Helden' im Vorbeigehen zu demontieren.

Na gut, ich will dich nicht bekehren, aber falls du mal überhaupt nicht weisst, was du lesen sollst UND einen Blick in Richtung Fantasy wirfst, kann ich dir Tanith Lee empfehlen. Ich kenne einige der älteren Romane und Kurzgeschichten von ihr, die mich, was das Schreiben angeht, sowohl geprägt als auch überhaupt erst motiviert haben; und Giai! geht in eine ganz ähnliche Richtung.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo zero,

wenn das rein spontan war, dann hast Du nicht nur Talent, sondern bist auch ein verdammt guter Schreib-Handwerker.

Für deinen Lesetip bedanke ich mich, auch wenn ich leider meinen schon so ausgeleierten Spruch los werden muß: "Zeit müßte man haben."

Gruß Ralph
 



 
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