Gleich klatscht es, aber kein Beifall

Gleich klatscht es, aber kein Beifall
Kürzlich waren wir erst mit dem Flieger nach Montreal in Kanada gestartet. Ich kniff mich beim Schreiben dieser Zeilen ungläubig in mein Bein, ob wir wirklich in der Maschine sitzen. Nicht nur meine kaputte Bandscheibe mit sehr vielen Schmerzen eine Woche vor der Reise hätte fast unsere Reise verhindert. Dank stark antienzündlicher Medikamente konnten wir aber dann doch noch fliegen. Aber die Hürden hörten nicht auf und eine neue tat sich am Flughafen auf. Unser Gepäck war kurz vor dem Boarding auf „on hold“ gesetzt worden und wartete, ob es noch verladen werden würde oder nicht. Dabei fing alles am Reisetag so gut an, außer dass mein Göttergatte Dirk am besagten Datum schon mehrfach meine Nerven stark strapazierte. Auf der relativ staufreien Fahrt über die Autobahn zum Flughafen wollte er unbedingt was trinken und knötterte wie ein Zweijähriger mit voller Buchse. Der XXL Becher Tee, den er schon intus hatte, konnte ihn offenbar nicht vor einem grausamen Verdurstungstod bewahren. Also fuhr er eine Autobahnraststätte an, um seinen unbändigen Durst zu stillen. Ich nutzte die Pause, um kurz zur Toilette zu gehen. Als ich zurück zu unserem Auto kam, wartete ich geschlagene zehn Minuten vor verschlossener Tür und dachte „wo bleibt der Kerl mit dem Autoschlüssel denn“. Nach fünfzehn Minuten beschloss ich säuerlich und genervt wieder in die Raststätte zurückzulaufen und ihn zu suchen. Dort stand er gut gelaunt und schäkerte seelenruhig mit der Bedienung. Ich sagte „wo bleibst du, ich warte schon ewig“. „Pole,
Pole“ (langsam, langsam auf afrikanisch, ein Slogan, den wir in unserem Tansania Urlaub aufgeschnappt haben) tönte Dirk gelassen und cool. Mit zwei Kaltgetränken liefen wir aus der Raststätte raus. Ich schnaubte „nix „Pole Pole“, wenn du weiter so lahmarschig daher kommst wie heute, verpassen wir noch den Flug“. Am Flughafen angekommen stieg ich am Terminal mit den großen Koffern aus. Dirk parkte unser Auto auf dem Langzeitparkplatz und fuhr mit der S-Bahn zurück zum Flughafen. Wir gaben die schweren Koffer auf und ich war zuversichtlich, dass der Urlaub nun beginnen könnte. Innerlich sagte ich entspannt „goodbye Alltag, goodbye Stress“. Wir liefen gemütlich in Richtung unseres Boarding Gates. Unterwegs wunderten wir uns über die rekordverdächtigen, horrenden Preise. Ein banales Eis am Stiel sollte zum Beispiel 4,90 Euro kosten. Ich pflegte mich noch gratis mit einigen vielversprechenden Proben an Cremes und Tiegeln im Duty Free Shop. Ich probierte auch ein Parfüm aus. Dirk schnüffelte an mir wie ein Rüde an der Laterne und sagte „was ist das denn für ein übles Stinkezeug, du riechst wie ein brunftiger kanadischer Biber“. Hatte ich schon erwähnt, dass mein Mann mir an diesem Tag richtig auf die Nerven ging?
Es war unglaublich voll am Flughafen und es gab kaum freie Sitzplätze vor den Gates. Riesige Menschenmengen tummelten sich vor den Boarding Schaltern. Es war kaum auszumachen, für welchen Flug die Passagiere jeweils anstanden. Ich ging wie immer kurz vor dem Boarding nochmal zur Toilette. Dirk übergab ich für die kurze Zeit mein Handy und meinen Trolley und nahm nur meine Handtasche mit. Zehn Minuten später wühlte ich mich durch die ungeduldige Meute an Reiselustigen. In dem chaotischen Gewühl fand ich wohl nicht mehr die richtige Sitzreihe, wo Dirk auf mich warten wollte. Alles sah irgendwie gleich aus. Ich lief also zurück zur offenbar falschen Stelle und sah Dirk dort nicht mehr sitzen. Ich dachte mir nichts dabei und lief zu den anderen Passagieren unseres Fluges, die sich schon am Gate angestellt hatten. Der Flug nach Montreal war mittlerweile aufgerufen worden und das Boarding begann. Ich lief die ganze lange Schlange an Passagieren in der Annahme ab, dass Dirk sich schon für uns angestellt hat und deshalb unseren Treffpunkt verlassen hatte. Zwanzig Mal Minimum lief ich wie eine blöde Kuh am Gatter immer hin und her. Meine Wut war riesig groß und es rauchte fast aus meinen Ohren, weil ich Dirk nicht sah. In mir tobte innerlich ein schwerer Orkan und ich dachte „man, was geht mir der Typ heute auf den Sack, wo treibt er sich jetzt wieder rum“. Ich lief mindestens zehnmal zurück zu unserem Platz. Die Leute schauten schon ziemlich irritiert. Mittlerweile lichteten sich die Reihen der Passagiere, die meisten waren schon in der Maschine. Ich ließ Dirk fünf Mal (!!!!!) laut und deutlich von der Frau am Schalter ausrufen. Er kam nicht und war wie vom Erdboden verschluckt. Mein Handy hatte ich ja blöderweise bei ihm gelassen und konnte ihn auch nicht anrufen. Ich fühlte mich wie amputiert ohne meinen mobilen Helfer. Unser Gepäck war mittlerweile auf „on hold“ gesetzt worden, weil Dirk fehlte. Die Dame am Gate meinte „sie können ja gleich schauen, ob sie alleine fliegen, falls ihr Mann nicht auftaucht, dann laden wir Ihren Koffer ein“. Meine grenzenlose Wut schlug plötzlich in absolute Panik und riesige Sorge um. Ich rannte kopflos und zitternd auf die Männertoilette und brüllte am Eingang „Dirk, bist du da drin, brauchst du Hilfe“. Ich wollte schon den Defibrillator aus der Ankerung reißen. Ich dachte „vielleicht hat er die Kloschüssel gesprengt und liegt ohnmächtig daneben“. Keine Antwort erschallte aus der Männertoilette, es wurde aber plötzlich still
da drin. Ein paar Männer packten konsterniert und ganz schnell ihren
kleinen Zipfel am Pissoir nach dem Motto „Hilfe Furien Alarm“ ein. Ich rannte zurück zum Gate. Hatte ich erwähnt, dass ich noch in der Woche davor Probleme mit der Bandscheibe hatte? Das Boarding für unsere
Maschine näherte sich dem Ende. Die Blicke der Dame am Schalter wurden immer mitleidiger. Mein Herz schlug wie wild und ich war einer satten Panikattacke nahe. In meinem Gehirn wüteten die übelsten
Szenarien, was mit meinem Mann passiert sein könnte. Die Dame vom Bodenpersonal seufzte, als sie Dirk ein sechstes Mal ausrief. Sie fragte ehrlich besorgt „ist ihr Mann vielleicht dement oder schwerhörig?“. Ich antwortete zitternd „bis vorhin war er nicht dement, und schwerhörig ist er im Sinne wie die meisten Männer halt sind, er hört oft nicht richtig zu“. Nur noch fünf Personen standen in der Schlange zum Boarding. Vor meinem geistigen Auge verabschiedete ich mich von der Reise nach Kanada und dachte „das war ́s dann wohl“. Zeitgleich ging das Boarding in die allerletzte Endphase, bald würde der Flug geschlossen werden. Mich hielt jetzt nichts mehr. Ich stürmte wie ein wilder Stier, dem man eine rote Fahne vor die Nase hielt kopflos und einfach nur panisch die Männertoilette. Ich hielt mich nun nicht mehr am Eingang auf, ich rannte einfach ohne Nachzudenken rein. Mit hundert Dezibel brüllte ich vor den Pissoirs, wo sich zum Glück diesmal kein Mann befand, „Dirk wo bist du?“. Keine Antwort. Ich öffnete alle Türen, die nicht abgeschlossen waren, wie bei einem organisierten Sturmkommando. Dann klopfte ich wie ein tollwütiger Specht an die Toilettentüren, die abgeschlossen waren und schrie „los aufmachen, Hose hoch, das ist ein Notfall, mein Mann ist weg“ und dann das ganze nochmal auf englisch „emergency, Open the door, my husband is lost“. So schnell war bisher keiner vom Pott runter, außer vielleicht bei einer Drogenrazzia. Einer nach dem anderen öffnete panisch und in Windeseile die Tür, Dirk war nicht dabei. Sehr peinlich berührt sagte ich „sorry, sorry, sorry“ und lief zurück zum Gate. Mittlerweile war ich dem Nervenzusammenbruch nahe und dachte „sch... ich habe nicht mal ein Handy, das hat Dirk, aber ich habe zumindest den Autoschlüssel“. Meine nächsten Schritte hatte ich im Kopf, selbstverständlich nicht alleine fliegen. Dirk auf dem ganzen Flughafen suchen, es musste ihm was schlimmes passiert sein. Kurz bevor das Gate schloss sah ich meinen quicklebendigen Gatten bestens gelaunt am Tresen stehen. Er machte sich nach vierzig Minuten doch ein wenig Sorgen und wollte mich dann, bevor der Flug schließt, doch mal ausrufen lassen. Ich schwankte zwischen grenzenloser Wut und absoluter Erleichterung. Am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht und ordentlich geballert, was ich natürlich nie getan hätte. Es passierte aber was anderes. Ich kippte am Schalter angekommen so gut wie um vor Schock. So musste ich erstmal auf einer Bank im Liegen platziert werden und die Beine hochlegen. Die nette Dame vom Gate sagte „sie waren so tapfer, das ist die Anspannung, fünf Minuten haben wir noch, ihr Mann ist wirklich in allerletzter Minute aufgetaucht“. Dirk kramte meinen Pass und die Bordkarte aus meiner Tasche und ich schwankte immer noch ungläubig und fassungslos an Bord. Wir waren die letzten Passagiere, die an Bord kamen. Sobald ich wieder Luft bekam schnauzte ich meinen ganzen Frust raus. Dirk musste mir hoch und heilig versprechen, zu Hause einen Ohrenarzt aufzusuchen (er hat angeblich keinen der sechs Ausrufe gehört) und mich demnächst deutlich eher zu suchen. Zumindest tat es ihm sehr leid. Ich brauchte bis kurz vor Grönland, um mich von dem Schock zu erholen. Eine tiefe Furche zog sich in meiner Zornesfalte gen Nase. Die sauteure Creme mit angeblich Botox-ähnlichen Effekt aus dem Duty Free Shop zur Probe hatte auf der ganzen Linie versagt.
 
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