Gleis 22

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Senmurv

Mitglied
Zum Schluss warst du ganz still.

So vieles taucht auf.
Erinnerungen.
Die Bushaltestelle,
im Regen, ich mit fünf,
eine grüne Lokomotive auf Gleis 22,
die Kamera, die sie einfängt,
der Bus fährt um die Kurve,
im Sonnenschein.

Ich mit fünf, sechs und acht.
Der Bus fährt vorbei, ich
sehe dich schon von Weitem.
Ferien bei dir. Ich vorne im Bus.
Die Erinnerungen drehen sich,
denn du warst immer da.

Zwei Jahre ist es her,
seit du langsam fortgingst.
Die Küche, in der du nicht sitzt,
tut noch immer so weh.
Ich ertappe mich bei dem Wunsch,
dass du von irgendwoher zusehen kannst.

Es ist der 22. Dezember. Lächeln –
22 war schon immer meine Lieblingszahl.
 

Senmurv

Mitglied
Hallo,

Danke!

Ja, ich bin mir ehrlich gesagt immer unsicher, wo ich posten soll, weil mein Zeug meistens so ein Zwischending ist.

LG Senmurv
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Ein elegisches Gedicht auf die Mutter, Senmurv. Sicher gab es auch in dieser Kindheit Komplikationen, ich vermisse sie in dem Gedicht. Du hättest sie ruhig erwähnen können, eine Kindheit ist nicht immer nur schön. Dadurch verliert für mich das Gedicht etwas an Offenheit, auch an Glaubwürdigkeit. Aber das Erinnern hält eben nur das Schöne fest. Das Ich gibt sich ganz der Trauer und Erinnerung hin. Es hat sich, obwohl erwachsen, noch nicht losreißen können. Der Leser fühlt mit.

Sprachlich wurden schöne Passagen gefunden: "Zwei Jahre ist es her/dass du langsam fortgingst." Das "langsam" ist treffend, es sagt alles. Und: "Die Küche, in der du nicht sitzt" - ja, man glaubt sogar sehr lange Zeit, der geliebte Mensch sei immer noch da. Dem Ich wird klar, dass es nun allein ist.
Das ist gut beobachtet und gefühlt. Die Sprache ist einfach, direkt, ungekünstelt, vielleicht etwas zu wortreich. So kann der Eindruck entstehen, dass es sich um Prosa handelt, was es aber nicht ist. Die Klippe Larmoyanz wurde meiner Ansicht nach gut umschifft.

Gruß, blackout
 

Senmurv

Mitglied
Ein elegisches Gedicht auf die Mutter, Senmurv. Sicher gab es auch in dieser Kindheit Komplikationen, ich vermisse sie in dem Gedicht. Du hättest sie ruhig erwähnen können, eine Kindheit ist nicht immer nur schön. Dadurch verliert für mich das Gedicht etwas an Offenheit, auch an Glaubwürdigkeit. Aber das Erinnern hält eben nur das Schöne fest. Das Ich gibt sich ganz der Trauer und Erinnerung hin. Es hat sich, obwohl erwachsen, noch nicht losreißen können. Der Leser fühlt mit.

Sprachlich wurden schöne Passagen gefunden: "Zwei Jahre ist es her/dass du langsam fortgingst." Das "langsam" ist treffend, es sagt alles. Und: "Die Küche, in der du nicht sitzt" - ja, man glaubt sogar sehr lange Zeit, der geliebte Mensch sei immer noch da. Dem Ich wird klar, dass es nun allein ist.
Das ist gut beobachtet und gefühlt. Die Sprache ist einfach, direkt, ungekünstelt, vielleicht etwas zu wortreich. So kann der Eindruck entstehen, dass es sich um Prosa handelt, was es aber nicht ist. Die Klippe Larmoyanz wurde meiner Ansicht nach gut umschifft.

Gruß, blackout
Danke für deine Eindrücke, es freut mich, dass du die Stimmung ausgewogen findest. der Komplikationen würde ich als alternative Interpretation in den Raum werfen, dass es sich offenkundig („mit 5, 6 und 8“) um sehr frühe Erinnerungen handelt aus einer Lebensphase, aus der man sich aus großer Distanz kaum mehr an kleinere Komplikationen erinnert. Und vielleicht steht das lyrische Ich ja tatsächlich in keinem Mutter-Kind-Verhältnis zur betrauerten Person, sondern in einem anderen - wodurch sich die von dir erwarteten Konflikte nicht so stark/häufig ergaben?

Abgesehen davon hast du natürlich Recht, dass Erinnern oft idealisiert.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Senmurv,

Ich sehe hier eher die Großmutter, denn es geht schließlich auch um Ferien.

Diese Passage finde ich sprachlich allerdings nicht ganz geglückt:
Die Küche, in der du nicht sitzt,
tut noch immer so weh.
Sollte es nicht der Anblick der Küche oder etwas Ähnliches sein?

Gruß, Ciconia
 

Senmurv

Mitglied
Hallo Senmurv,

Ich sehe hier eher die Großmutter, denn es geht schließlich auch um Ferien.

Diese Passage finde ich sprachlich allerdings nicht ganz geglückt:

Sollte es nicht der Anblick der Küche oder etwas Ähnliches sein?

Gruß, Ciconia
Danke für deine Meinung - ich sehe auch eher die Großmutter. Ich kann nachvollziehen,, wieso dich diese Passage stört, aber die würde niemals ändern , weil sie für mich den Kern des Textes darstellt.
 



 
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