Gnadenbringende Weihnachtszeit, eine etwas andere Weihnachtsgeschichte

4,50 Stern(e) 2 Bewertungen

John Wein

Mitglied
Es war an den Weihnachtstagen 2020 im Kriegswinter 20/21. Der Feind stand überall vor der Haustür, aber er war trotzdem nicht zu fassen. Er steckte nicht hinter Grenzen und Schützengräben, er war hinterhältiger, er steckte an. Der Feind war sozusagen in dem Menschen selbst, das war neu und machte es den alliierten Truppen schwer, ja unmöglich, ihn mit Bomben oder Kanonen zu bekämpfen. Maske und Vereinsamen waren jetzt die Kampfmittel, Vereinsamen nach Innen und Außen, und da halfen auch die vielen Lichterketten an Weihnachten nicht und auch nicht ein Singverbot in den Gotteshäusern.

Die Bescherung hatten diesmal die großen Lieferketten übernommen, nicht ganz uneigennützig wie Alfred dünkte, dafür aber umfassend. Der Christbaum, die Weihnachtsgans, Spielkonsole und Mobiltelefon, der Buchgutschein und Wein, alles wurde mehr oder weniger pünktlich oder unpünktlich zum Fest ausgeliefert und zugestellt.

Bei Landauers, unter dem elektrisch drehenden, hell erleuchteten Christbaum, natürlich biologisch und praktisch abbaubar, lag das Päckchen für die Eltern. sorgfältig verpackt zwischen Filzpantoffel, Fotoalbum und allerlei Spezerei. Alles war akkurat weihnachtlich verpackt und hatte mit goldenen Schleifen verziert, geduldig seiner Entdeckung entgegengefiebert. Zur Eigenbescherung hatte es Alfred die Erleuchtung vermittelt, dass hier etwas ganz Wichtiges aus dem Ruder gelaufen war und fehlte. Es war genau genommen die festliche Nähe und Wärme. Es fehlten Marijke, Wouter und die Kleinen, die hundert Kilometer entfernt aber unerreichbar im grenznahen Gelderland. vom Krieg überrascht in isolierter Gefangenschaft saßen. Diese innige wohltuende Herzenswärme konnte der Kräuterlikör aus Düsseldorf innerlich nur bedingt vermitteln, überdies macht er süchtig, schläfrig und Kopfweh am Morgen.

Aus der buntbedruckten Folie mit den störrischen Goldbesatzschleifen entwickelte sich ein schwerer, kompakter Gegenstand, dessen Bestanteile hauptsächlich aus Glas gefertigt waren.

„Oh, wie schön!“ entfuhr es Rike, „und so praktisch!“

Praktisch vielleicht, aber schön? Es war wohl die typisch weibliche Reaktion, Überraschendes unverzüglich mit wohlwollenden Attributen zu würzen. Für ihn war es tonlos und ohne besonderen Klang.

„Stell dich doch mal drauf!“

Alfred, nachdem der Gegenstand ausgepackt: „Das ist eine Waage, eine elektronische mit WLan-Funktion, die muss man erst noch mit dem Netzt verbinden, danach einrichten und dann noch updaten, das geht nicht so einfach. Das ist anders als früher nicht so praktisch, aber dafür kann sie auch mehr als nur das Gewicht ermitteln.“

„Wie jetzt?“ Rike war neugierig.

„Na ja, du kannst außer Gewicht beispielsweise, deinen Wasserhaushalt, deine Knochen- und Muskelmasse und dein Fett messen und aufzeichnen und darüber hinaus kann man das überall auf der Welt auf einem Rechner oder Mobiltelefon nachlesen.“

„Wie jetzt? Wirklich? Überall? Gewicht und sogar Fett? Kann das auch Simone in Maria Kerke …?“

„Ja, auch deine Schwester, wenn sie das Passwort kennt!“

„Gottseidank!“ Rike war fürs Erste beruhigt, „und wie misst sie das Fett? Legt man sich drauf? …oder muss man einen Fühler“…. Eine zarte Rötung huschte über ihre Wangen.

Nein!“ Zuviel der Fragen: „Muss ich gucken, irgendwas mit Impedanz und so, ja man misst die Impedanz“

„Was, womit, wo?“

Alfred wusste es auch nicht genau: „elektromagnetisch, elektronisch, oder so.“ Mit ‚oder so‘, eine gebräuchliche Redewendung, konnte er seine Unwissenheit überspielen und eine lange Erklärung vermeiden.

„Was du nicht sagst!“

Nach einer kurzen konzentrierten Pause des Nochmalüberlegens: „Die Waage misst einfach die Impedanz über die Beine, elektrisch, ein Bein rauf das andere runter und ermittelt dann das Wasser und das Fett, sie errechnet es,“ war seine Antwort und er fand sie klug und fürs erste fachmännisch ausreichend dargestellt.

„Bein rauf und runter, elektrisch? Prickelt das nicht? tut das nicht weh?“

„Nein, bestimmt nicht, Wouter wird es wissen, wir werden ihn morgen fragen“.

„Wo sitzt eigentlich die Impodanz?“

An dieser einfachen aber eigentümlichen Frage scheiterte selbst Alfred an diesem Heiligen Abend.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Am Festtagmorgen, von Sankt Gertraudis her, läuteten die Glocken zum zweiten Kirchgang,

Aaaalfred aaaufstehn‘! Rike schob die Gans in die Röhre, „Aaaalfreed!“

Er wälzte sich schläfrig aus den Kissen. Ein feiner, doch fühlbarer Blitzschlag, als er hochfuhr, das Kräuterelixier, es hatte hinter seinem Brummschädel angeklopft. Er schlurfte ins Bad, öffnete das Fenster, die kalte sauerstoffangereicherte Luft tat ihm gut, reckte sich und atmete lang und tief in seine Lungen ein und wieder aus. Ein saures Bäuerchen quälte sich unverzüglich, und unwillkürlich über seine Kehle ins Freie. Alfred schloss das Fenster hängte Hose und Jacke an den Haken und stieg im Naturkleid auf die neue elektronische WLan-Waage, die er am Abend vor dem Fenster platziert hatte.

„Guten Morgen“,

Wie aus dem Nichts eine Stimme, unbekannt, doch vertrauenerweckend sanft und verführerisch wie Zartbitterschokolade.

„Ich bin Alexa“,

klang es von unten zwischen seinen Beinen. Ein zweiter Blitzschlag diesmal heftiger rüttelte ihn auf aus seiner tranigen Zerstreutheit. Hellwach überkam Ihn plötzlich das blähend betäubende Gefühl, sein Äußeres schamlos einer Frauenstimme ausgeliefert zu haben, dass es ihm die Luft aus den Lungen und das Blut aus dem Kopf heraus zu pressen schien, ein einmaliger nie zuvor erlebter Vorgang. Schmählich spärlich, waren seine Hände alles, was ihn in dieser verzwickten Situation ein wenig die männliche Würde zurückzugeben vermochte.

„Um deine Maße zu ermitteln, benötige ich dein Alter und deine Größe“, sie war schon beim Du angekommen.

Vorsichtig schaute Alfred an seinen Körper hinab und auf die Waage unter sich, und ob seine Hände wohl ausreichend Schutz gewährten, ob da nicht doch irgendwo eine Kamera ?…..

„Um deine Maße zu ermitteln, benötige ich dein Alter und deine Größe“,

Welche Größe, was meint sie damit, schoss es durch seinen Kopf. Vielleicht sitzt da jemand irgendwo in der Welt in einem feinen Büro und einem gediegenen ledernen Sitzmöbel…

„Um deine Maße zu ermitteln, benötige ich dein Alter und deine Größe“,

Alfred verwirrt, starrte auf die durchsichtige Glasplatte und stellte sich einen großen Raum vor, gläsern, mit vielen glatthaarigen, bebrillten Kostümträgerinnen in Stilettos, die vor dreidimensionalen Monitoren in ihre Mikrophone sprachen und dabei lachten und Witzchen machten.

„Um deine Maße zu ermitteln, benötige ich dein Alter und deine Größe“,

Unwillkürlich, beim Alter schummelte er ein wenig, antwortete Alfred und gab seine Daten ungeschützt preis.

„Dankeschön“ sagte die Zartbitter Schokoladenstilettofee, „und jetzt noch deinen Namen,“

He? Wassss!

„dann sind wir gleich fertig“ ergänzte Alexa.

Verdattert, Alfred fühlte sich in ein falsches, fernes Universum gebeamt. Die Zartbitter Schokoladenstilettofee in seiner Vorstellung von oben, so kam sie schwebend aus dem fernen Raum auf ihn zu, dazu mit einer Reitgerte ausgestattet.

„Dankeschön und jetzt noch deinen Namen, dann sind wir gleich fertig“

„Leck mich doch am Arsch!“ und um das gebührend farblich zu unterstreichen fügte er wütend „dumme Kuh!“ hinzu und danach eine noch krassere, nicht wiederzugebende Verwünschung.

„Dankeschön! Und jetzt noch dein Name, dann sind wir …

Man kann nicht sagen, dass es flog, mehr taumelnd, flatterhaft segelte das Objekt, Bruno hatte zunächst eine fliegende Untertasse vermutet, und zerschellte mit einem dumpfen Aufprall nur eine Handbreit neben Hasso, des Nachbars Deutscher Schäferhund, auf dem Pflaster. Gott sei Dank! Man will sich nicht ausmalen, was hier hätte passieren können. Unverletzter aber unverrichteter Dinge schoss der Hund haste was kannste in den Liguster. Mit sacht angedeuteter Handbewegung kopfwärts, quittierte Bruno das Schauspiel, das sich ihm hier geboten hatte, fensterwärts.

Unten in der Küche dudelten im Radio Weihnachtslieder, der Knabenchor von St. Gertraudis hatte gerade das „Oh, du Fröhliche,“ angestimmt.

Rike stimmte fröhlich ein: „gnadenbringende Weihnachtszeit.“
 
Zuletzt bearbeitet:

Herbstblatt

Mitglied
Hallo @John Wein ,

danke für die Erheiterung so kurz vorm Jahreswechsel. Wobei du (erstens) erst einmal gnadenlos in die Irre führst - über den Kriegswinter hätte ich gern mehr gelesen. Ein guter Ansatz!

Zweitens muss ich als Frau dir sagen: sehr vermintes Gebiet! Wer seiner Frau zu Weihnachten (oder anderen Gelegenheiten) eine Waage schenkt, ist dem Wahnsinn anheimgefallen, und mag sie elektronisch noch so interessant sein. Rike hat entweder ein völlig untypisches Körperbild (soll heißen: sie ist mit sich zufrieden, die Frau sähe ich gern mal) oder sie ist ein bisschen ... nun ja, einfach gestrickt. Leider bleibt sie auch etwas blass in deiner Geschichte.

Drittens solltest du den dritten Absatz rechtschreibtechnisch und grammatikalisch noch einmal überarbeiten. Ich bin mehrfach beim Lesen "gestolpert".

Lustig ist es aber auf jeden Fall, dass Alfred sich letztendlich in seinem eigenen Geschenk verheddert.

LG Herbstblatt
 

John Wein

Mitglied
Dankeschön liebes Herbstblatt,
fürs Lesen, Kommentieren und Beraten. Es war im übrigen ein Geschenk der Kinder für die Eltern, ich hätte es erwähnen müssen. Vielleicht konnte das "wir müssen Wouter fragen" es nicht ganz erklären. Du hast Recht, mit einem Wort oder Halbsatz wäre das gut möglich gewesen. Es war übrigens auch in Wirklichkeit ein Geschenk, vielleicht ist es mir deshalb nicht direkt bewusst geworden.

3. Absatz vielleicht so:
Bei Landauers, unter dem elektrisch drehenden hell erleuchteten Christbaum, natürlich biologisch und praktisch abbaubar, lag das Päckchen für die Eltern. sorgfältig verpackt zwischen Filzpantoffel, Fotoalbum und allerlei Spezerei. Alles war akkurat weihnachtlich verpackt und hatte mit goldenen Schleifen verziert, geduldig seiner Entdeckung entgegengefiebert. Zur Eigenbescherung hatte es Alfred die Erleuchtung vermittelt, dass hier etwas ganz Wichtiges aus dem Ruder gelaufen war und fehlte. Es war genau genommen die festliche Nähe und Wärme, es fehlten......

Dir ein frohes Neues Jahr
John
 
Zuletzt bearbeitet:

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo John Wein,

die Grundidee mit dem veränderten Weihnachtsfest 2020 ist gut, doch dann schwenkst Du auf etwas völlig anderes - eine neue elektronische Super-Waage und ich gebe zu, dass mich das an dem Text stört. Der Text hätte besser eine reine Satire auf diese Waage und den Wiegewahn werden können. Oder eine Betrachtung über das "Kriegsweihnachten". Also eines von beiden, aber nicht beides zusammen.

Beim Lesen hat mich der Text im weiteren Verlauf ein bisschen an eine überladende Rokoko-Kirche erinnert: von allem zu viel. Zu viele Adjektive, zu viel Ausschmückendes, zu viel Ablenkendes vom Eigentlichen.

Zum Beispiel hier:

Ein zweiter Blitzschlag diesmal heftiger rüttelte ihn auf aus seiner tranigen Zerstreutheit. Hellwach überkam Ihn plötzlich das blähend betäubende Gefühl, sein Äußeres schamlos einer Frauenstimme ausgeliefert zu haben, dass es ihm die Luft aus den Lungen und das Blut aus dem Kopf heraus zu pressen schien, ein einmaliger nie zuvor erlebter Vorgang. Schmählich spärlich, waren seine Hände alles, was ihn in dieser verzwickten Situation ein wenig die männliche Würde zurückzugeben vermochte.

Oder hier:


Alfred verwirrt, starrte auf die durchsichtige Glasplatte und stellte sich einen großen Raum vor, gläsern, mit vielen glatthaarigen, bebrillten Kostümträgerinnen in Stilettos, die vor dreidimensionalen Monitoren in ihre Mikrophone sprachen und dabei lachten und Witzchen machten.

Gruß DS und natürlich ein gutes neues Jahr!
 

John Wein

Mitglied
zu 1.
kann man so sehen. Aber im Vorlauf (Einleitung): Weihnachten mit Handicapt, Heilig Abend allein und Geschenke. Erklärung, Erklärung
Trennung und 2. Block 1. Weihnachtstag Fortsetzung mit Turbulenzen.
Ein Kurzgeschichte denke ich, hat (braucht) einen langen Atem mit Hinführung auf den Höhepunkt oder die Lösung.

zu 2.
Ist halt auch mein Stil das Barock. kommt vielleicht von meinen vielen gelatschten Jakobswegen in Spanien, Olé! Stichwort Muschel, das
barocke Schalentier!
Die Schachtelsätze hab ich mir ein bisschen bei Jonathan Franzen abgeguckt,

Dankeschön für deine Beschäftigung mit dem Text, alles klar und freundlichst
Buen Camino in 2021
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Verstehe!

Jonathan Franzen in allen Ehren, aber finde lieber deinen eigenen Stil. Wobei du den eigentlich schon hast - mit dem "Barocken". JF hast du nicht nötig. :)
 



 
Oben Unten