Goldenes Leben

4,00 Stern(e) 1 Stimme
Goldenes Leben

Dreißig Jahre lang hatte er als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Anorganische Chemie seiner Universität gearbeitet. Sein Professor war seit fast zwanzig Jahren besessen von dem Gedanken, neue Verbindungen des edelsten und damit chemisch am wenigsten reaktiven Metalls herzustellen. Diese sollten dann als Medikamente gegen allerlei Infektionen und mit etwas Glück auch gegen Tumorerkrankungen helfen. Der Chef hoffte, die Biologie zu überlisten und die Welt weniger gefährlich zu machen. Das war ein hehrer Anspruch, der ihm in seiner Schlichtheit allerdings reichlich naiv vorgekommen war.

Nun ist es zwar durchaus erreichbar, wenn auch nicht einfach, Gold überhaupt in stabile Verbindungen zu zwingen, doch die für die Medikamentenwirkung notwendigen sehr komplizierten, biologisch aktiven Strukturen waren eine echte Herausforderung an die Möglichkeiten der chemischen Synthese. Die meisten Verbindungen waren entweder völlig wirkungslos oder aber entsetzlich toxisch. Beides war eigentlich nichts Neues. Dennoch hatte sein Professor ihn in mancher Hinsicht mit seinen Vorstellungen infiziert. Monat für Monat dachte er sich neue Strukturen aus und entwickelte neue Synthesekunststücke, die immer komplizierter und aufwändiger wurden.

Die Erfolge in diesem recht grundlegenden Arbeitsgebiet der Chemie erweckten in ihm Stolz auf seine Fähigkeiten. Die Resultate waren in der Szene als außergewöhnliche Leistungen anerkannt und wurden zumeist problemlos in angesehenen Zeitschriften gedruckt. Auch Einladungen zu großen Kongressen waren für seinen Chef und ihn selbst keine Seltenheit.

Am Abend allerdings, wenn er mit seiner täglichen Flasche Wein sinnierend im Sessel saß, wurde er oft melancholisch. Diese Art des Vorgehens, die ohne irgendeine vernünftige Theorie oder Idee auf den Zufallsfund eines Medikaments zielte, kam ihm wie eine Vergewaltigung des Elements Gold vor. Auch taten ihm die kooperierenden Biologen leid, die ungezählte Goldverbindungen an vielen Zellkulturen und Tieren auf biologische Wirkung testen mussten.

Die Gedanken seines Chefs konnte er bestenfalls erahnen; er sprach wenig. Wahrscheinlich sollte nur deshalb das Gold medizinische Probleme lösen, weil es so teuer war und chemisch so schwer zu beherrschen. Dem Platin war es viele Jahrzehnte vorher ähnlich ergangen. Auch bei diesen Arbeiten war seinerzeit wenig Vernünftiges herausgekommen. Er selbst hatte allerdings nach wie vor Freude an dem mit solchen Studien verbundenen grundlegenden Erkenntnisgewinn.

Der war in der Tat beträchtlich. Manchmal fragte er sich auch, ob er vielleicht zu egoistisch war? Sein fast ausschließlich auf Anwendungen der Chemie ausgerichteter Chef war vermutlich um einiges unglücklicher. Schließlich zählte für ihn nur der medizinische Nutzen der hübschen Verbindungen, der sich jedoch in all der Zeit niemals einstellen mochte.

Er selbst hielt Gold jenseits seiner chemischen Interessen für fast völlig nutzlos. Es war ihm nahezu immer als zwar edles, aber im Grunde langweiliges Element erschienen. Wenn er gedurft hätte, würde er sich ganz anderen Verbindungen zugewandt haben, vielleicht solchen, aus denen man neue farbenfrohe Pigmente für Künstler entwickeln konnte. Darüber hatte er mit seinem Professor natürlich nie gesprochen. Er schonte diesen Mann, der geradezu besessen von dem Gedanken schien, die Medizin zu revolutionieren. Enttäuschen mochte er ihn nicht, obwohl ihm der Umgang seines Professors mit der Natur eher respektlos vorkam.

Gelegentlich hatte er für seine Frau goldenen Schmuck gekauft und für sich selbst goldene Manschettenknöpfe, doch auch das reizte ihn im Grunde nicht. Das Zeug lag nur in irgendeiner Schublade herum. Vielleicht wartete das Gold darauf, dass es eines Tages anderen etwas bedeuten könnte.

Nun lag er hier untätig und ausgeliefert im Krankenhaus. Am Anfang hatte er noch Zeit und genügend Klarheit zum Nachdenken. Jetzt allerdings verbrachte er den größten Teil des Tages in der Traumwelt zwischen Fieber und Schlaf. Er wusste, dass er sterben würde. Die Bakterien hatten ihn in Besitz genommen. Angefangen hatte es mit einer banalen Infektion der Haut. Zunächst zeigten sich schmerzende Pickel, aus denen eitrige Beulen wurden, immer mehr. Dazu gesellte sich bald das Fieber in schrecklichen Wellen. Antibiotika-Gaben halfen nichts, sodass die Ärztin ihn eines Tages sehr ernsthaft aufklärte, dass er vermutlich an einer Sepsis sterben würde, wenn nicht sein Körper selbst wieder die Kontrolle über die bakterielle Invasion übernähme. Eigentlich war ihm das auch schon vorher klar gewesen. Ihn störte der Gedanke an den Tod nicht einmal besonders. Er fand es schade, doch Angst hatte er nicht.

Heute war seine Tochter bei ihm gewesen, hatte, dem Ernst seines gesundheitlichen Zustands angemessen, ein wenig geweint und war dann noch lange bei ihm geblieben. Zum Glück war es ihm gelungen, sie zu trösten. Das war einfach. Er bat sie nur, ihm von ihrer Forschung zu erzählen. Das liebten beide ohnehin sehr. Es amüsierte ihn, dass auch für sie das Gold eine berufliche Bedeutung hatte. Sie war Biologin und begeisterte Molekulargenetikerin geworden und verwendete für ihre Doktorarbeit winzig kleine Goldkügelchen, mit denen sie synthetisch hergestellte Gene in Pflanzenzellen schoss, um sie genetisch im gewünschten Sinne verändern zu können. Als sie ihm von ihren Bemühungen und Erfolgen erzählte, strahlten ihre Augen. Ihn freute es, dass man mit Gold offenbar doch etwas Vernünftiges anstellen konnte.

Staphylococcus aureus hieße das Bakterium, hatte im seine Ärztin berichtet, das von ihm Besitz ergriffen hatte und ihn in kurzer Zeit unwiderruflich bezwingen würde. Staphylococcus aureus, die goldene Staphylokokke, hatte er sich selbst übersetzen können. Von seiner Tochter lernte er sehr viel mehr über diese merkwürdigen, weit verbreiteten Bakterien, die eigentlich zu den normalen Mitbewohnern unseres Körpers gehören. Sie hatte ihm auf seine Bitte ein Foto dieser kleinen, tatsächlich goldenen Bakterien mitgebracht und auch zu seiner Freude eine alte Zeichnung aus ihrem mikrobiologischen Praktikum im Studium.

Die kleinen Haufen kugeliger, goldfarbener Bakterien gefielen ihm ausgesprochen gut. Viel lebendiger sind sie als das Metall, viel lebendiger als die zahllosen Goldverbindungen, die er in den letzten dreißig Jahren synthetisiert hatte, dachte er. Er bedauerte ein wenig, nicht biologisch geforscht zu haben. Welch eine Ironie, seine Tochter zitterte vor unterdrücktem Schmerz bei der Vorstellung, ihren Vater, den Gold-Chemiker, an den goldenen Bakterien sterben zu sehen.

Er selbst litt deswegen nicht. Lebendiges Gold, hatte er in seinen letzten fiebrigen Stunden gedacht, endlich etwas lebendiges, lebendig und todbringend. Als er in der Nacht ganz alleine mit sich selbst im heftigen Fieber starb, lächelte er.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Lukas Westphal, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Franka

Redakteur in diesem Forum
 

Wipfel

Mitglied
Hallo Lukas Westphal.

einen sauber geschriebenen und zugleich staubtrockenen Text ist da gewachsen. Verkopft und (zumindest für mich) wenig unterhaltend. Mir fehlt es an Emotionalität, an Lebendigkeit. Mein Respekt gilt der ausdauernden Schilderung der fachspezifischen Genauigkeiten. In einem epischen Text würde derartiges als Füllstoff bestens passen. Doch in Kurzprosa? Warum keine wörtliche Rede? Diese würde sich zwischen der Tochter und dem Sterbenden geradezu anbieten.
Viele verpasste Chancen enthält der Text. Es sind Sätze wie dieser:
Wenn er gedurft hätte, würde er sich ganz anderen Verbindungen zugewandt haben, vielleicht solchen, aus denen man neue farbenfrohe Pigmente für Künstler entwickeln konnte.
Alles sauber ausformuliert. Doch genau hier will ich mehr erfahren, über seine Sehnsüchte, Träume, seine heimliche Liebe oder irgend einen anderen Farbtupfer. Was ist nicht alles passiert - aber eben nur angedeutet, nicht ausgelebt, nicht ausgemalt.

Oder kurz: Hauch dem Text Leben ein. Forme aus dem Staub Menschen zum Anfassen.

Respektvolle Grüße von wipfel
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Lukas Westphal,

aus der chinesischen Medizin weiß ich, dass Gold, genauso so wie es ist in hochkarätiger Form Arthrose zu heilen vermag.

Aber das nur nebenbei.

Wenn ich Deinen Text lese, denke ich mir, Du willst einen Menschen beschreiben, der sich total in seine Arbeit vergraben hat, so dass er so gut wie nichts anderes wahrnimmt und außer der Liebe zu seiner Tochter, die nun auch wieder von solcher Arbeit genährt wird, und dem tiefen Respekt vor seinem Professor keinerlei Beziehung zugelassen hat.

Gold, Gold, Gold...

Es hätte ja auch um ein anderes Element gehen können. Aber das Gold hat in diesem Menschen doch etwas bewirkt.

Es ist sein Leben, wie ja auch der Titel schon sagt, und da es ein Element von mystischer Kraft ist, (Gold ist verdichtetes Sonnenlicht)hat es diesen Menschen, ohne dass es ihm bewusst wurde, erleuchtet.

So jedenfalls lese ich den Schluss. Wie hätte er sonst so begeistert sein könne, als er das lebendige Gold in sich spürte, obgleich es ihm das Leben nahm. So begeistert war er, dass er gerne in seinen Tod hinein ging.

Vielleicht liege ich jetzt total daneben, aber ich wollte Dir meinen Eindruck gerne mitteilen

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

fion

Mitglied
Hi Lukas Westphal,

tatsächlich lese ich lieber Sachbücher als Romane, deshalb mag ich deinen Text.
Mir gefällt auch seine , so unaufgeregte und analytische, Haltung. Er wirkt nicht kalt dabei, sondern mitfühlend - wie in dem Fall mit dem Professor / seinem Chef:
obwohl ihm der Umgang seines Professors mit der Natur eher respektlos vorkam
Für soetwas mus man sein Herz sprechen hören können - und das kann er.
Und dann gibt es ja auch noch seine Tochter. Vielleicht war ich sogar froh darüber, dass du den Text dabei nicht in die allgemeine Gefühlsduselei hast abrutschen lassen.

Aber trotzdem hätte ich von den kursiv Gesetzten gerne die Namen erfahren. Und sprechen sollten sie - besonders er.

Im Krankenhaus-Abschnitt bin ich über kleine chronologische Unebenheiten gestolpert.
Fang doch mit den Symptomen, wie sie seinen Zustand verschlechtern, dass er am Anfang noch klar denken konnte, man ihm die Diagnose brachte, er aber nun nur noch zwischen den langen Fieberschüben ...

Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn du deinen Text überarbeitest und ihn reinstellst.

Ganz liebe Grüße
Fion
 
Ich danke allen für die freundlichen Anmerkungen und Vorschläge. Ob ich den Akteur sprechen lassen sollte, hatte ich seinerzeit lange überlegt. Es schien mir jedoch nicht gut zu der einsamen Krankenhaussituation zu passen. Im Grunde bin ich recht zufrieden damit, dass ich ihn so distanziert - und in der Tat nicht herzlos - dargestellt habe, wie es sein Beruf erfordert hatte. Jetzt, in den letzten Tagen des Lebens, schien es mir für ihn angebracht, sich selbst ebenfalls mit dem Abstand des Wissenschaftlers zu betrachten.
 



 
Oben Unten