*Gott rasiert alles*

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Benni Beilke

Mitglied
Klassische Einstiegsfrage beim Eingleiten in ein Taxi in Zeiten von Corona:

"Und? Corona hat es schon schwer gemacht für die Taxifahrer-Branche, oder?"

Mein Taxifahrer, Typ erfolgsuchender Alt-Unternehmer, schaut mich an:

"Jede Krise erfordert kreative Lösungen. Dein Bart sieht ungepflegt aus und aus Deiner Nase wachsen Haare."

Er hat Recht, verflixt. Je älter man wird, desto mehr Haare wachsen einem an Stellen, an denen man früher mal probiert hat mit Clearasil den Auswirkungen der Pubertät entgegenzuwirken.

Ich möchte ansetzen, er redet weiter, weil er gar keine Antwort erwartet hat:

"Corona hat mich als Taxi-Unternehmer ans existenzielle Minimum gebracht. Das war doch Deine Frage, was? Aber - und jetzt pass auf: Es hat mich auch kreativ werden lassen. Vor lauter Frust darüber, dass ich kaum Fahrgäste mehr hatte, habe ich mich gehen lassen. Und Du weißt, was das heißt, wenn man ein Mann ist?"

Ich will antworten, aber auch diese Frage war wohl nur rhetorisch. Er weiter:

"Man lässt einfach alles passieren. Dir wachsen Haare auf dem Kopf und Du schneidest sie nicht, Haare aus der Nase und du schneidest sie nicht, Haare an den Eiern und Du schneidest sie nicht. Kennst Du dieses Problem?"

"Das ist ziemlich genau der Grund, warum ich bei Videokonferenzen meist die Kamera aus habe."

Während ich ihm antworte, reiße ich mir unauffällig ein auffällig langes Nasenhaar aus. Meine Augen tränen. Das linke mehr als das rechte, weil dort auch das Haar wuchs.

Er lacht auf, weil er sich freut:

"Siehst Du, Du kennst das Problem. Naja, und als ich dann so rumsaß, kein Fahrgast kam und mir aus allen Poren meines Körpers immer mehr Haare wuchsen, da kam mir die glorreiche Idee: Wie wäre es, wenn es EINEN Rasierer für alles gäbe?"

Eigentlich müsste ich jetzt antworten, aber ich habe verstanden, dass dieses 'Fragen stellen, ohne eine Antwort zu bekommen' seine Masche ist.

Das Jesus-Kreuz um seinen Hals springt auf und ab, während er euphorisiert zum didaktischen Höhepunkt kommt:

"Machen wir es kurz: Ich hab ihn erfunden. Der Rasierer für oben, unten, Mitte, Titte ist jetzt endlich Realität!"

Der Witz klang wie vorbereitet, endlich muss er durchschnaufen und ich kann auch mal was fragen:

"Willst Du mir damit sagen, dass ich meinen Nasentrimmer, den Intimhaarrasierer und den Bartrasenmäher nicht mehr brauche, weil es jetzt ein Produkt für alles gibt?"

Er, Honigkuchenpferd:

"Genau Haro. So ist es. Ist das nicht fantastisch? Und das alles habe ich Corona zu verdanken. Denn ohne Corona wäre ich nicht auf diese fantastische Idee gekommen! Sag, was hältst Du von meinem überaus genialen Produkt?"

Er macht eine Pause, dieses Mal meint er es wohl als Frage.

"Klingt erstmal knorke. Aber ist das nicht unhygienisch? So oben, unten, Mitte, Titte?"

"Guter Punkt!",

kommt es wie aus der Nerf Gun geschossen.

"Die Frage nach der Hygiene habe ich über den Produktnamen gelöst."

Honigkuchenpferd again.

"Wie heißt denn der Wunder-Rasierer?"

Berechtigte Rückfrage, wie ich finde.

"Gott!"

"Was?"

"Gott. Der Rasierer heißt Gott."

"Irgendwie verrückt, aber auch genial. Was war Deine Inspiration?"

Er hält sein Jesuskreuz-Halsband in die Höhe, während er das Taxi an den rechten Straßenrand lenkt:

"Weil: Gott rasiert alles, mein Freund."

Er zieht einen Rasierer hervor, der aussieht wie ein Vibrator aussehen würde, wenn er von den Erfindern des Schweizer Taschenmessers entwickelt worden wäre. Dann hält er rechts am Bordstein, weil da.

"Ich bekomm dann 24,70 von Dir. Machs gut. Und ab und zu auch mal rasieren, ok?"

Ich gebe ihm 25 Euro. Aber: Er ist mir noch 1 Erklärung schuldig.

"Halt! Bevor Du mich jetzt rausschmeißt, erklär mir bitte die Funktionen."

Standard, oder? Wenn man mal Gott gegenüber sitzt (bzw bissle auch eher daneben), sollte man die Chance nicht verstreichen lassen und nachharken wie ein Bauer nach der Ernte. Wenn mann dies getan hat: verbal nachhaken.

"Bitte, ich zahl Dir auch 10, okay sagen wir 12 Euro Trinkgeld, wenn Du mir Gott, den Rasierer für alles, erklärst."

Er hat verstanden, da geht noch mehr:

"Für 20 erklär ichs Dir."

Ich, Bazar-Style: "16"

Er: "18"

Ich: "17"

Er: "18"

Ich(?): "17,63"?

Er: "Deal, schieb rüber und ich erklär Dir Gott."

Ich: "Habs leider nicht passend. Nimm einfach den Zwanni. Passt scho."

Er: "Ernsthaft?"

Ich: "Brudi, Du hast mir gerade ein Stück Türkei-Urlaub geschenkt. Wenn Du mir jetzt noch Gott zeigst, dann warst Du mein persönlicher Anti-Corona-Prophet in Zeiten wie diesen."

Alles klar. Er packt sein Ding aus (klingt nach Mario B., wollte ich schon immer mal schreiben). Der Trägerkörper sieht aus wie dieses Raumschiff aus Star Trek. Voyager? Keine Ahnung. Es ist ungefähr so groß wie ein BBC-Vibrator. Er klappt es aus, oben:

"Schau, hier kommt der Nasentrimmer raus. Und, wenn ich hier drücke, erscheint der Intimrasierer."

Er drückt - und zum hohen Summen des Nasenrasierers gesellt sich das tiefe Brummen des Intimtrimmers.

"Und jetzt pass auf, Du Cloudy Spitz! Hier kommt der professionelle Haarschneider!"

Er drückt auf einen kleinen Knopf an der Unterseite seines Multifunktionstrimmers und es fährt ein weiteres unerwartet großes Gerät heraus. Sie brummsumsen im Dreiklang, man versteht sein eigenes Wort kaum mehr.

Er: "Das ist Gott!!!"

Ich: "Ach, das ist Gott?"

Nachdem er Gott wieder ausgeschaltet hat, klingt das warme Brummen seines Diesel-Benzers monoton, angenehm.

"Tschüss, danke!"

Ich steige aus, gedankenverloren. Endlich daheim. Erstmal Gedanken sortieren.

Filigran, zurückhaltend, praktisch wäre ja gut gewesen. Aber so:

Gott ist eindeutig viel zu mächtig und groß.
 

aliceg

Mitglied
Hallo Benny B.

Die Überschrift macht natürlich neugierig, und nach den ersten Zeilen kippte ich gleich hinein in diese nette
Schmunzelgeschichte und blieb bis zum Schluss dran.
Was will ein Autor mehr?

lg aliceg
 



 
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