Grind

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Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Freunde sind vor mir gegangen.
Im Frühsommer waren sie fort.
Die Kraft fehlt, um neu anzufangen.
Es bleibt nur das grindige Wort.

Die Tage gehören den Möwen.
Sie planen den Flug übers Meer.
Nächte zerbrüllen die Möwen.
Die Jahre, sie wiegen so schwer.

Die Schritte, sie werden jetzt kleiner.
Der Abstand verringert sich nicht.
Letztendlich fehlt mir nur noch einer,
dann tanze ich wieder ins Licht.
 
Hi Manfred

dein Werk gefällt mir sehr gut. Es hat eine ähnliche schwere und Melancholie wie gut gereifter schwerer Rotwein: Wuchtig, gehaltvoll und in den Aromen ausgebaut und trotz seines Volumens und Körpers immer auch geistig und konzentriert. Kein Wein unter 13 % Alkohol Gehalt sollte sich schwer nennen dürfen und kein Gedicht ohne die Authentizität des Wahrheit des Herzens.

Das Werkstück beginnt mit dem Bild der Freunde. Das ist so ein abgenutztes Wort das in eine gewisse beliebigkeit verfallen ist. Im Gedicht sind die Freunde fast so etwas basales wie Heimat denn ohne sie bedeutet es Neuanfang zu erleiden. Dafür fehlt die Kraft und es bleibt nur das „grindige Wort“. Ich übersetzte den Grind für mich mit Mühe,
Plackerei, Anstrengung. Das li nimmt das alles hin. Es gibt keine Klage nur eine fast nüchterne Zustandsbeschreibung.

Und dann kommt diese großartige zweite Strophe in der das Bild der Möwen gleichsam Bild der letzten Reise wird wie auch Schreckensbild vor dem letzten Flug auf das Meer. Diese ambivalenz ist es die mich seltsam anregt und gleichzeitig beruhigt wie ein gutes Glas shiraz,
Nüchtern gewogen und getrunken!

Jetzt wiegen die Jahre schwer. Darin ist für mich nicht mehr als eine gelebte Müdigkeit, eine ganz natürliche Müdigkeit des ausgeschöpften Lebens. Und vielleicht ein bisschen Melancholie, ein bisschen Jugendstil ein bisschen Wien zwischen all seinen reichen Kultureinflüssen ein bisschen verloren und aus der Zeit gefallen.

Werden auch die Schritte kleiner, der Abstand verringert sich nicht. Eine wesentliche Erkenntnis die dem Werk eine feine Struktur gibt - es bleibt ein durchleben und es wird nie anders sein so lese ich es. Man möchte in der gewogenen Stimmung des Gedichtes sagen, vielleicht flüstern: das gute mit dem schlechten..

Nun endet das Werk mit dem
Bild des Tanzes im Licht. Das ist hier nicht übertrieben oder überzeichnet sondern würdevoll angemessen: geht es doch auch darum das Gleichgewicht wieder herzustellen gegen den sog der Schwere, die Anziehungskraft von Mond und Schweigen.

Ich persönlich hätte nur zwei Dinge geändert. Ich hätte das Wort „Grind“ vermutlich gegen ein geschmeidiges ersetzt und die Zeile „es bleibt nur fS grindige Wort“ geändert.möglcherweise ist das nicht nieder geschriebene einzusetzende Wort das „grindig“ ist aber noch ein. Persönlicher Kulminationspunkt der dir viel bedeutet der aber nicht unbedingt entschlüsselt oder wirken muss.

in jedem Fall ein Genuss auch in Reim und Struktur und könnte ich so würde ich es allen anempfehlen die verstehen wollen warum die Dinge niemals nur so sind wie sie scheinen. Zu diesem Zwecke (aber nicht nur zu diesem) würde ich es oben anheften.

mes compliments

dio
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
@Dionysos von Enno

Hallo Dio,

vielen Dank für deine ausführliche und aufschlussreiche Besprechung meines Gedichtes. Schade, dass man für einen Kommentar keine fünf Sterne vergeben kann.

Ja, das Bild von den Freunden, da habe ich wirklich auch einige Zeit überlegt, ob ich das so schreiben soll. Letztendlich habe ich mich doch aus folgendem Grund dafür entschieden: Ich schreibe seit mittlerweile fast fünfzig Jahren und noch nie gab es in meinen Gedichten das sogenannte lyr.ich. Es war und ist immer das Ich und dieses Ich musste sich schon von vielen Freunden verabschieden.

Zum Grind auch eine persönliche Anmerkung: In all den Jahrzehnten habe ich nie gerne geschrieben. Mich quälen die Worte. Sie sind wie ein Grind, das nicht vergehen mag und das ich immer wieder blutig kratze. Irgendwie bin ich in all den Jahren auf der Suche nach diesem einen Gedicht, mit dem alles gesagt ist. Ich werde es wohl nie finden.

Was mich an mir selbst wundert: Nachdem ich mich seit über 30 Jahren fast noch im Ungereimten bewegt habe, fließen jetzt plötzlich die Worte ungewollt in einen Reim. Vielleicht ist das ja dieser gut gereifte, schwere Rotwein, von dem du sprichst.

Danke und liebe Grüße
Manfred
 
hi @Franke

danke für diese wertigen Erläuterungen. Ich finde das Bild mit den "quälenden Worten" , dem "blutig kratzen" sehr stark und der Suche nach Heilung: "Dem einen Gedicht!" Das macht es fast schon wieder zu einem Monomythos. Die gehaltvolle, zeitlose Wucht des Werkes hatte ich allerdings gespürt !

Das Bild der Freunde hat mich übrigens in deinem Werk seltsam eingefangen schon beim ersten Lesen. Häufig kommt das Bild etwas abgegriffen, pathetisch, enttarnt den Autor, anstatt die Aussage des Werkes zu bezeugen. In deinem Werk ist das wie ich schon oben schrieb für mich ganz anders. Da ist der Frühsommer, in dem sie bereits fort waren und die Kraft, um neu anzufangen, fehlt. Und nun -nach deinen erläuterungen- erweitert das "grindige Wort" das gedicht für mich noch um eine weitere Dimension

Merci !
 

Rachel

Mitglied
Mag ich auch: ein schön-trauriges Gedicht mit ruhiger Erdung: Die Freunde, die Tage, die Schritte ... und dieses Letztendlich fehlt mir nur noch einer, klingt so harmlos und ist doch groß und gewaltig. Tanzende Gegensätze. LG
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Rachel,

vielen Dank für die schönen Worte zu meinem Gedicht.

Liebe Grüße
Manfred
 

wiesner

Mitglied
Grind ... grindige Wort - sind für mich gewöhnungsbedürftig

die 7. zeile hebt zu anfang, alle anderen beginnen mit senkungen

apropos - die wechselnden hebungs/senkungspralle entschweren das gedicht, wirken fast musikalisch, führen zum tanz (wie abgeschlossen wird)

ein gutes gedicht
gefällt mir


gruß
wiesner
 

Scal

Mitglied
Das Wort grindig geht im österreichischen Sprachgebrauch mit einem moralisch abwertenden, antipathischen "Geruch" einher ...
Deinen Gedankenweg empfinde ich als "schürfwund".

LG
Scal
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
apropos - die wechselnden hebungs/senkungspralle entschweren das gedicht, wirken fast musikalisch, führen zum tanz (wie abgeschlossen wird)
Hallo wiesner,

danke, dass du die Musik angesprochen hast. Nach 45 Jahren Bühne fließt das wahrscheinlich automatisch bei mir ein.

Liebe Grüße
Manfred
 



 
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