Gromek - Die Moral des Tötens

Michael

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Leseprobe aus:
GROMEK – Die Moral des Tötens

Vor dem Sheraton-Hotel am Kurfürstendamm hielt Gromek an. Er öffnete den Kofferraum seines Wagens und holte einen Laptop heraus. Der mit grauem Zylinder und grauer Uniform ausstaffierte Portier, dessen goldene Schulterklappen einem Feldherrn aus dem 17. Jahrhundert alle Ehre gemacht hätten, grüßte ihn freundlich und blickte gleich darauf zum Himmel, um abzuschätzen, ob es in der Nacht noch einmal regnen würde.
Wenige Augenblicke später trat Gromek aus dem Hotelfahrstuhl in einen vornehm stillen Flur. Mit leisem Rumpeln schlossen sich die Fahrstuhltüren hinter ihm. Er hörte, wie der Lift zügig davonschwebte und gleich wieder stoppte. Gromek sah sich um und wandte sich nach kurzer Überlegung der linken Ganghälfte zu. Langsam ging er an den einzelnen Türen vorbei. Einige Meter vor dem Ende des Flurs entschied er sich für eines der Zimmer. Er stellte seinen tragbaren Computer ab. Er zog einen schraubenzieherähnlichen Gegenstand aus seiner Brusttasche. Mit einer einzigen präzisen Bewegung hatte er damit innerhalb von nur einer Sekunde die Zimmertür geöffnet.
Durch einen schmalen Spalt schaute Gromek in den dunklen Raum und mußte feststellen, daß dieser nicht so leer war, wie er erwartet hatte.
»Mist!« preßte er unhörbar zwischen den Zähnen hervor: Aus der unergründlichen Schwärze des Raumes drangen die intimen Geräusche eines Liebespaares. Dabei gab sich der an dem Liebesakt beteiligte Mann anscheinend besondere Mühe, die er in einwandfreier akustischer Qualität dokumentierte. Gromek zog die Tür behutsam wieder ins Schloß, hatte aber keine allzu große Hoffnung, daß ihr Öffnen nicht bemerkt worden war.
Kurzerhand versuchte er sein Glück im Nachbarzimmer.
Wieder öffnete er die Tür so schnell und zuverlässig wie mit einem Hotelschlüssel. Aufmerksam betrat er den menschenleeren Raum. Vor einem der Fenster stand ein heller, hölzerner Sekretär, auf dem eine in dunkles Leder gebundene Bibel lag. Das Zimmermädchen mußte sie übersehen haben. Gromek räumte die Bibel in eine der Schubladen des Möbels und plazierte den Laptop auf der Schreibfläche. Kurz darauf war das Gerät über ein Modem an die Telefonbuchse angeschlossen. Er bevorzugte diese Vorgehensweise, weil sie ihm einen absolut anonymen und nicht rückverfolgbaren Zugriff auf die von ihm benötigten Daten garantierte.
Ehe er sich an die Arbeit machte, schaltete er den 16:9 Breitbild-Fernseher ein, der auf einer Kommode gegenüber dem Bett stand. Per Fernbedienung suchte er einen der Nachrichtensender, in der Hoffnung, weitere Neuigkeiten über den Mordanschlag im EU-Gebäude in Brüssel zu erfahren. Er landete auf n-tv. Aber dort lief nur Werbung.
Während er eine Reihe von Befehlen in den Laptop eingab, hörte Gromek, wie das Bett des Nachbarzimmers rhythmisch gegen die Wand stieß und den Bilderrahmen über dem Bett in seinem Zimmer zum Wackeln brachte. »Fast zweimal pro Sekunde«, überlegte er, »nicht schlecht.« Anerkennend zog er eine Augenbraue in die Höhe, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit.
Trotz seiner jahrzehntelangen Erfahrung und der ausgeprägten Routine interessierte es ihn jedesmal aufs Neue, zu erfahren, welche Art von Aufgabe man ihm anvertrauen wollte.
Unmittelbar nachdem die Startseite der BodenGrund verschwunden war, erschien auf dem Bildschirm das runde Logo des BSD, der Bundesadler auf weißem Grund. Gromek gab das verlangte Paßwort ein und klickte mit dem Cursor insgesamt dreimal in verschiedene Bestätigungsfelder. Einen Augenblick später erhielt er den Hinweis, daß die folgenden Dateien nur für sechzig Sekunden zur Verfügung stünden. Die digitale Uhr in der Befehlszeile begann rückwärts zu zählen: sechzig, neunundfünfzig, achtundfünfzig ...
In zügiger Folge wurden die Portraits von drei Männern und einer Frau gezeigt, darunter jeweils eine Reihe persönlicher Daten. Einer der Männer kam Gromek bekannt vor, obwohl ihm nicht sofort einfiel, wo er ihm schon begegnet war. Mit professionellem Blick überflog er die Datei.
Alexander Holz, las er unter dessen Portrait, und ihm wurde klar, warum er ihn im ersten Moment nicht wiedererkannt hatte: Der Holz, den er kannte, war Bartträger. Der Mann auf dem Portrait war glattrasiert.
»Alexander Holz!? Das muß zehn Jahre her sein. Alex, alter Junge, wo bist du da nur hineingeraten?«
Verwundert schüttelte Gromek den Kopf. Um ein Haar hätte er vergessen, eine Diskette in den Laptop zu schieben, um die Informationen für seinen weiteren Gebrauch abzuspeichern. Kaum war er damit fertig, verschwanden die Daten vom Bildschirm, als hätte es sie nie gegeben. Sein Handy klingelte.
»Gromek.«
Am anderen Ende meldete sich dieselbe emotionslose Stimme wie vorher.
»Die Liquidation der Zielpersonen hat in der genannten Reihenfolge und so bald wie möglich zu erfolgen! So bald wie möglich! Limit zwei Wochen.«


Michael Lutz
Gromek – Die Moral des Tötens
240 S. / ISBN: 3-9801721-1-2
http://www.gromek.de
 



 
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