großes grünes lamento

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rotkehlchen

Mitglied
ich du er sie es wir ihr sie
also (fast) alle
kinder des elektron

verfallen dem gott namens smartfone
berauscht von schnell gewischten bildern
das knie gebeugt vor großen hubräumen
belogen von korrupten saubermännern
betrogen von den inhabern des lächelns

wir fahren dahin
von einem ort zu
keinem andern

denn alles sieht irgendwie gleich aus
verspargelt die landschaft
verdrahtet der himmel
zerwühlt die kostbare haut der erde
verdorrt der bergwald

o what a wonderful world

das bisschen abgas sagt mein mann
das bisschen feinstaub sagt mein mann
das bisschen abrieb sagt mein mann
was soll´s ich wähle grün
sagt mein mann
denn grün grün grün ist meine farbe

fröhlich erstürmen wir
die schwimmenden kolosse
hinter uns die schwefelwolke
vor uns die nächste katastrophe

warum denn nicht alte unke
man gönnt sich ja sonst nichts
schon das kleinkind greint
im konsum sind wir vereint

o what a wonderful world

am ende des jahrhunderts
werden wir 28 milliarden sein
zusammengedrängt in
virtuellen chaträumen
denn wo sonst wäre noch platz

auf heißer erde
schichten die Massen
ihren abfall um
wieder und wieder
während die anderen
auf dem mond
fröhliche feste feiern

was soll´s
ich wähle grün
denn grün grün grün
ist die farbe
meiner kleider

wollt ihr das totale grün
die vöglein schweigen
im walde

was regt ihr euch auf
es wird doch langsam besser
dummkopf besser ist
der tod von gut

o what a wonderful world


 

Klaus K.

Mitglied
rotkehlchen,

auf den Punkt, sensationell! Eine Klartext-Bestandsaufnahme in Kombination mit einer Klartext-Vision, glashart und realistisch!

Mit bestem Gruß, Klaus
 

sufnus

Mitglied
Donnerwetter - mein Begeisterungsbarometer ist grad mitsamt Nagel und Dübel aus der Wand gebrochen und liegt in Scherben insofern ich nun Klaus K. doch gar sehr zu widersprechen mich anzustehen nicht unterlassen kann.
Ich finde dieser Text ist zu lang, kommt in seiner auf mich ziemlich eingebildet wirkenden Überlegenheitsattitüde zu breitbeinig daher, bedient sich überflüssiger Aufhübschungen (kinder des elektron, kostbare haut der erde) und kreist völlig geheimnislos um sich selbst.
Dabei finde ich die verwendete Collagetechnik gar nicht so verkehrt - ein wilder Mix von Goethe bis Göbbels unterlegt mit Schlager-, Kinderlied- und klassischen Populärmusiktexten. Aber der wutbürgerhafte Grundtenor ist völlig geistabtötend in seiner Wirkung, so dass am Schluss nur eine stammtischhafte Selbstbestätigungsrede bleibt, in der mit großer Geste offene Türen eingerannt werden.
LG!
S.
 

Klaus K.

Mitglied
sufnus,

allein dein erster Satz! Mit dieser "Lyrik" werden wir die Welt nicht retten, unabhängig vom neuen Subjekt und erweiterten Infinitiv. Mich deucht, da prallen Welten aufeinander. Ja, diese Spezialisten-Fraktion am Ruder, den nebulösen Kurs nie richtig vor Augen, sie hat es schwer, wenn und weil sie auf Tatsachen keine vernünftigen Antworten geben kann.
Einen "geistabtötenden, wutbürgerbehafteten Grundtenor in Stammtisch-Manier" kann ich nicht erkennen. Den Versuch, diesen hervorragenden Mix in eine bestimmte Ecke zu stellen, halte ich zudem für völlig unangemessen. Tatsachen sprechen eben eine klare Sprache, Du, als ein doch angeblich wahrer Demokrat in der oben erwähnten Fangemeinde, solltest vielleicht einfach deinen Toleranzlevel mal überprüfen. Das scheint mir zumindest das Hauptproblem darzustellen.
Auf klare Lösungen, präzise Antworten und präzise Aktionen (!) warten wir ja schon lange vergeblich, daran mussten wir alle uns ja alle leider schon gewöhnen.
Da bleibt halt nur die Benennung der Fakten, in welcher Form auch immer. Vielleicht hilft es irgendwann.
In diesem Sinne, und mit bestem Gruß, klaus k.
 

rotkehlchen

Mitglied
Ich will die Welt auch nicht retten. Mir kam der Mix in den Sinn, als ich irgendwo am Harz im Stau steckte und mich kahle Hänge anödeten und eine McDonalds-Werbe-Tafel zwangsernähren wollte.
Rotkehlchen
 

petrasmiles

Mitglied
Ich hätte das jetzt nicht so wortgewaltig wie sufnus zum Ausdruck gebracht, aber meine Begeisterung hält sich auch in Grenzen.
Vielleicht liegt es daran, dass man dem Autor ein bisschen 'Schmerz' über den kritisierten Zustand anmerken möchte, also eine intensive Auseinandersetzung mit der inneren Haltung stattfindet. Hier kippt es irgendwie in Agitation.
Aber ich gestehe zu, dass das auch eine Geschmacksfrage ist - ich mag zum Beispiel auch Sibylle Berg nicht, die für manche ein verkanntes Genie ist.

Liebe Grüße
Petra
 

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Mitglied
Servus, rotkehlchen!

Der Titel hat einen ja schon eingestimmt, dennoch empfinde auch ich, dass eine Entschlackung deines Textes - sprich: das Streichen all der Passagen, in denen der Inhalt tatsächlich als Agitation ankommt bei den Lesern - ihm noch mehr Schlagkraft verleihen könnte. Nur mal zur Veranschaulichung:

kinder des elektron

verfallen dem gott namens smartfone
berauscht von schnell gewischten bildern
das knie gebeugt vor großen hubräumen
belogen von korrupten saubermännern
betrogen von den inhabern des lächelns

wir fahren dahin
von einem ort zu keinem andern

denn alles sieht irgendwie gleich aus
verspargelt die landschaft
verdrahtet der himmel
zerwühlt die kostbare haut der erde
verdorrt der bergwald

das bisschen abgas sagt mein mann
das bisschen feinstaub sagt mein mann
das bisschen abrieb sagt mein mann
was soll´s ich wähle grün
sagt mein mann
denn grün grün grün ist meine farbe

fröhlich erstürmen wir
die schwimmenden kolosse
hinter uns die schwefelwolke
vor uns die nächste katastrophe
man gönnt sich ja sonst nichts

am ende des jahrhunderts
werden wir 28 milliarden sein
zusammengedrängt in
virtuellen chaträumen
denn wo sonst wäre noch platz

auf heißer erde
schichten die Massen
ihren abfall um
wieder und wieder
während die anderen
auf dem mond
fröhliche feste feiern

die vöglein schweigen im walde
was regt ihr euch auf
es wird doch langsam besser
besser ist der tod von gut

o what a wonderful world
"Die Vöglein schweigen im Walde" - was für eine Hammer-Zeile!

Ich denke, der Text käme wunderbar ohne jene Teile aus, die gefühlt nochmal sehr plakativ anklagen. Dadurch bliebe jedem Leser offen, sich davon zu nehmen, was er möchte bzw. kann. Dieses "mit-dem-Finger-Zeigen" erzeugt eher Abwehr. Daher würde ich darauf verzichten an deiner Stelle.

Ich kann nicht sagen "gern" gelesen, aber mit ganz viel Nicken. Und ich habe die "Agitiertheit" als deine persönliche Verzweiflung und Angst wahrgenommen, die da in den Text geflossen sind. Und diese Gefühle teile ich mit dir.

LG,
fee
 

rotkehlchen

Mitglied
Ich beschreibe nur die Realität, möglicherweise in drastischen Bildern, aber ich agitiere nicht, denn dazu fehlt der (partei)-polische Hintergrund. Wenn mir jemand Provokation vorwirft, okay. Ich bin nicht der erste, der lyrisch provoziert. Natürlich erzeugt das Abwehr, und vielleicht sogar im zweiten Schritt Betroffenheit. Ich bin auch nicht verzweifelt, denn Verzeiflung ändert nichts. Ich bin einfach nur traurig.
Der "Hammersatz" stammt übrigens von Goethe.
LG, rotkehlchen
 

petrasmiles

Mitglied
Ich beschreibe nur die Realität, möglicherweise in drastischen Bildern, aber ich agitiere nicht, denn dazu fehlt der (partei)-polische Hintergrund.
Die erstere Aussage halte ich für einen Trugschluss, denn niemals können wir die Realität beschreiben. Es ist immer unsere Perspektive, unser 'Sinnzusammenhang', der eine Realität beschreibt. Du selbst bringst in # 6 dieses Faktum zum Ausdruck, wenn Du MacDonalds-Hinweisschilder mit Zwangsernährung assoziierst. Ich fahre in der Regel gleichmütig daran vorbei. Ich halte das auch nicht für drastische Bilder, sehe nur Lust an der Überzeichnung und Spaß an der Provokation. Das macht aber noch keinen guten Text.
Und in dem Moment, in dem Du gegen eine bestimmte politische Richtung Aussagen triffst - bzw. gegen deren Wähler - agitierst Du, ob Du das nun wolltest oder nicht.
Dass der 'Hammersatz' ursprünglich von Goethe stammte, irritiert mich dann zusätzlich.

Man kann auf verschiedene Weisen seine Trauer über herrschende Missstände zum Ausdruck bringen; dieser erreicht mich nicht und mehr will ich dazu auch nicht mehr sagen.

Liebe Grüße
Petra
 

rotkehlchen

Mitglied
Hallo petrasmiles,
danke, dass du dich mit meinem Text befasst hast. Das Wort Realität umfasst das wirkliche tatsächliche Vorhandensein einer Sache, aber auch eines Gedankens. Niemand wird bestreiten, dass die kahlen Hänge keine Halluzination sind, sondern wirklich, also real, und kein Honstrukt meines Gehirns. Allerdings, und da hast du Recht, beschreibe ich nicht d i e Realität, sondern nur die welche mich umgibt. Im übrigen stimme ich dir zu.
Der Hammersatz . . . Goethe als Vertreter deutscher Hochkultur, Göbbels als Vertreter der Barbarei. Natürlich will ich hier niemanden in eine Reihe mit Gö. & Co stellen, aber der Abgrund macht mich schon sehr nachdenklich, denn ich sehe da gewisse Parallelen. Siebzig Jahre lang hat dieses Land das Goldene Kalb Auto angebetet, Städte "autogerecht" gemacht usw., und jetzt soll es innerhalb weniger Jahre wieder ganz anders werden.

Liebe Grüße
Rotkehlchen
 



 
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