Großmama

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So groß ihre Pläne auch waren,
so klein war die Mannschaft ihrer Gehilfen -
auf dem verflochtenen Feld
von Wunsch und Wirklichkeit.

Vom Schicksal aufgesplittert, verlor sie nie ihre Haltung -
wurde mir Vorbild und erste Orientierung
zur Selbstfindung.

Und wenn ich an unseren letzten gemeinsamen Sommer denke,
als wir Wiesen - Muscheln sammelten und Strand - Blumen pflückten,
bin ich wieder das verzauberte Kind -
unter den gütigen Blicken
einer einzigartigen Frau.

Ohne Eile, in der Tradition eines schläfrigen Morgens,
walzte sie ihre letzte Stunde aus und formte sie mir zur Ewigkeit.
Und ich weiß, dass es die Liebe selbst ist,
die mir diese liebenswerte
Erinnerung bewahrt.
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Andere Dimension,

dein Gedicht verzaubert mich schon, obwohl ich mich zunächst ob seiner recht prosaischen Natur ein wenig mokiert hatte. Es mutet auch autobiografisch an, deshalb möchte ich mich auch vorsichtig dem Werk nähern.

Wie gesagt, was mir zuerst auffällt ist neben dem schönen Zauber des Gedichtes seine prosaische Natur. Ich bin bisher noch nicht dahinter gestiegen, was ein Prosagedicht ist, denn entweder ist der Text Prosa oder eben verdichtet genug, um Gedicht genannt zu werden. Bei deinem Gedicht kommt für mich beides zusammen, also ist das vielleicht ein Prosagedicht und ich habe etwas dazugelernt.

Nun, ich glaube aber, dass sich mir hier zwei Gründe für diese gewählte Sprache, die eine klare Einfachheit und einen gewissen Tiefgang miteinander verbinden kann, erschließen. Der erste Grund ergibt sich aus dem Titel. Großmama empfinde ich als eine Hommage-Bezeichnung aus der Sicht eines Kindes, allein deshalb verbietet es sich, die Sprache in einer komplexeren Form zu verwenden (was keinesfalls bedeuten soll, die Sprache wäre hier trivial).
Und zweitens wird für mich aus dem Gedicht deutlich, dass die Oma vielleicht nicht das Leben einer Grande Dame genießen konnte, sondern bis zum Schluss in bodenständigen Verhältnissen lebte oder auch leben musste. Dies schließe ich u.a. aus Vers 9, welcher lautet:

als wir Wiesen - Muscheln sammelten und Strand - Blumen pflückten,
Ich hatte mit diesem Vers erst meine Probleme, aber nun deute ich ihn als die Gegenüberstellung von Wirklichkeit und Traum, als eine Beschreibung einer Landfrau, die nie das Meer sehen konnte, vielleicht weil sie dazu keine Mittel hatte. In den Wiesenblumen blüht die Sehnsucht nach einer anderen Welt, vielleicht größer und bedeutender, aber ich bekomme doch das Gefühl, dass auch die Wiesenblumen als Symbol der Zufriedenheit auftreten können.

Neben dieser Beobachtung nehme ich auch wahr, wie hier ein Generationenaustausch stattfindet, der traditionell anmutet, denn eigentlich übergibt hier der Ältere seine Erfahrungen dem Jüngeren, sicherlich eine Stellung, die in der heutigen Zeit so ohne Weiteres nicht mehr funktioniert.

Wenn ich das Wort funktionieren schreibe, dann überlege ich, ob dein Gedicht nicht selbiges noch besser erreichen könnte, würdest du auf die jeweiligen Strophenenden verzichten (abgesehen von der ersten Strophe). Für mich besteht dabei nämlich das Problem, dass mir hier etwas der lyrische Eifer genommen wird, mir die Bilder selbst im Kopf entstehen zu lassen und mit meinen eigenen zusammenzufügen.

Dass die Oma z.B. einzigartig ist, bedarf in meinen Augen nicht unbedingt einer Erwähnung, denn allein die Tatsache, dass du über sie dichtest, hebt sie in diese Stellung. Und auch, dass "dir" die Erinnerung liebenswert ist, wird durch das Gedicht schon mehr als deutlich. Aber trotz meiner Bedenken habe ich am Ende nicht wirklich das Gefühl, dass hier dringend etwas wegrationalisiert werden müsste, es scheint doch wirklich alles seinen Platz zu haben. Vielleicht würde der Radiergummi nämlich an der Zartheit deines Gedichtes herumdoktern und das wäre sehr schade.

Mich hat dein Gedicht Großmama berührt, das ist in meinen Augen viel wert.

Viele Grüße
Frodomir
 



 
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