Großstadtnacht

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hermannknehr

Mitglied
Regen fällt auf Park und Dächer,
dunkel wird die Stadt,
in den Kneipen letzte Zecher
schwer vom Wein und satt.

Bürger schließen ihre Türen
einig mit der Welt,
Mädchen lassen sich verführen,
manche auch für Geld.

Nur ich schlendre durch die Gassen
ziellos vor mich hin,
will mich in den regennassen

Straßen einfach treiben lassen,
Stimmungen in Verse fassen,
das hab ich im Sinn.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Hermann, jetzt werden einige sicher wieder sagen, das sei kein Sonett, einmal wegen der zu kurzen Verse, zum anderen wegen der Reimform abab im Oktett ...
Doch diese Reimform gab es duchaus auch bereits während der Entstehungszeit der Sonette, sie wurde dann seltener.

Das Sonett ist nicht nur wegen der unterschiedlichen Strophenlängen zweigeteilt, sondern auch durch das Thema.

In den ersten beiden Strophen tritt die Welt auf, in den beiden anderen "ich". (Ich ist natürlich auch in den ersten vorhanden, aber als Beobachter, in den letzten dagegen als Akteur.)

Eingeleitet wird es durch Vers 9, der den Wendepunkt darstellt. In leeren Straßen "Ich".
 

anbas

Mitglied
Hallo Hermann,
mir gefallen diese stimmungsvollen Zeilen. Lediglich
ziellos vor mich hin
fällt für mein Empfinden etwas ab. Da ich aber keine Passende Lösung habe ("träume/grüble vor mich hin" isses eher nicht), nehme ich es mal so hin ;).
Liebe Grüße
Andreas
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Bernd,
nach all den negativen Beurteilungen meiner Sonette und den heißen Diskussionen in der Leselupe darüber, wie ein ordentliches Sonett auszusehen hat, ist Dein Kommentar der reine Balsam auf meiner Seele.:)
LG
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Andreas,
danke für den smily! Das "ziellos vor mich hin schlendern" ist schon richtig, gegrübelt oder geträumt habe ich bei dem Spaziergang eigentlich nicht.
LG
Hermann
 

Jenno Casali

Mitglied
Hallo hermannknehr
Ordentliches oder nicht ordentliches Sonett - das geht an mir vorbei.
Hauptsache für mein Empfinden : Dein Gedicht liest sich flüssig, metrisch 100% genau, reimmäßig nicht "mit den Haaren herbeigezogen", inhaltlich klar definiert.
Stimmungsvoller und dabei auch noch dichterisch-produktiver Abend/Nachtspaziergang !
LG
Jenno C.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Jenno C.,
Deine Zustimmung freut mich. Wenn man die Entwicklung des Sonetts im Laufe der Jahrhunderte verfolgt, so stellt man fest, dass heute nur noch wenige Dichter (vor allem die, die der Postmoderne zugerechnet werden) das klassische Schema eines Petrarca anwenden. Aber lassen wir das Fachsimpeln. Ich stimme Dir voll und ganz zu: ein Sonett muss sich flüssig lesen, die Zeilen müssen sich einzeln tragen, ohne an den Endreimen "aufgehängt" zu sein. Wenn dann noch eine Zäsur eintritt zwischen Quartetten und Terzetten, inhaltlich oder metrisch, dann ist in meinen Augen das Sonett gelungen, dann klingt es, wie es vom Namen her auch sein soll.
Großstadtnacht möchte ich lassen. Im Text sollte ja so anklingen, dass Spießbürger sich in ihre Häuser zurückziehen und Freudenmädchen ihre Dienste feilbieten.
LG
Hermann
 

Herr H.

Mitglied
Lieber Hermann,

wie so oft, gelingt es dir auch in diesem Gedicht auf wunderbare Weise, Atmosphäre wahrzunehmen und zu schildern. Mein einziger Kritikpunkt: dass du am Ende des Sonetts sagst, was du im Sinn hast: Stimmungen wiederzugeben. Exakt das tust du doch im Gedicht.

LG von
Herrn H
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Herr H.,
nun ja, durch die explizite Erwähnung der "Stimmungen in Verse fassen" sollte eigentlich etwas Selbstironie in das Gedicht gebracht werden. Schon die beiden Quartette kommen ja etwas flapsig daher. Also nicht nur ein Stimmungsbild, sondern beobachtet und gewürzt mit leichter Ironie.
LG
Hermann
 



 
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