Großvaters Geheimnis

Claus Thor

Mitglied
Großvaters Geheimnis
Von
Claus Thor

Das Haus meines Großvaters ist ein seltsamer Ort. Tausend Geschöpfe beherbergt es. Es ächzt und stöhnt von den Jahrhunderten, die auf seinen Mauern und das Gebälk lasten. Doch es gibt mir auch Ruhe und Geborgenheit. Dahin zieht es mich zurück, wenn meine Stärke zu erschöpfen droht, aufgebraucht im Alltagskampf, um meine Kraft zu erneuern. Und hier veränderte ein einziger Tag mein ganzes Leben.
Ich war ein junges Mädchen und das Leben breitete sich vor mir aus, wie ein riesiges Feld, das sich hinter unserem Dorf bis in die Ferne erstreckte.
Sie waren alle faul in meiner Familie. Meine Brüder lungerten den lieben langen Tag herum. Mein Vater saß in der Wirtsstube und ließ alles, was gemacht werden musste, liegen. Meine Mutter machte hier und da etwas, dann setzte sie sich auf ihren Schemel vor dem Fenster, bis ihr die Augen schwer wurden und sie einschlief.
Ich war wohl die Ausnahme. Nicht umsonst hatte man mir den Namen Brigitte gegeben, der bedeutet nämlich: die Tüchtige. Und das war ich auch. Gitta, so riefen sie mich, machte Besorgungen vom Markt. Gitta schruppte den Fußboden. Gitta rupfte das Unkraut im Garten. Gitta machte alles, was anfiel.
Dann wanderte ich über die Wiesen und Felder, an Bächen und Füssen vorbei, zu meinen Großeltern. Sie wohnten in einem großen und uralten Haus, das vom Wilden Wein zu gewuchert war, und in dessen Gestrüpp es kroch, und krabbelte. Die Vögel, welche unter dem Dach ihre Nester hatten, fanden dort ihre zahlreiche Nahrung. Hier also konnte ich Ruhe finden, ohne dass mich irgendwer brauchte.
Großvater war ein herzensguter Mensch. Er half stets jedem und verlangte keinen Dank. Er liebte die Tiere des Waldes und des Feldes. Stundenlang konnte er nur so da sitzen, auf einen umgestürzten Baumstamm, und dem Wald lauschen.
Großvater war, glaube ich, so etwas wie ein Sammler. Nicht dass er gezielt etwas sammelte, wie Schmiedewerkzeuge aus anderen Königreichen, denn er war einmal ein guter Schmied gewesen. Er hatte auch eine Hutsammlung, weil er die Kunst der Hutmacher bewunderte, und er hatte noch viele Dinge, die sich im und um das Haus sammelten. Aber er war auch eine Art von anziehender Kraft für hilflose Geschöpfe.
Einmal erzählte mir Großvater von Gernegroß, so nannte er die Wasserschildkröte die ihm eines Tages, er muss wohl in meinem Alter gewesen sein, über den Weg gelaufen war. „Gernegroß spazierte geradewegs vor mir über den Weg“, sagte er. „Also nahm ich sie auf und steckte sie mir in die Hosentasche. Meine Hosentaschen, musst du wissen Gitta, waren damals sehr geräumig, nicht so wie die heutigen ... Ja, lach du nur ...“
„Warum hast du sie denn so einen komischen Namen gegeben?“, fragte ich ihn.
Dann lachte mein Großvater und klatschte sich mit der Hand auf den Schenkel. „Nun, das war so: Sie war ein richtiger Angeber. Franziskus, meine Landschildkröte – damals schon sehr alt und ein wahrer Brocken – knabberte genüsslich am seinem Löwenzahn, der reichlich auf unserer Wiese wucherte. Die Sonne schien und es war warm. Also setzte ich den kleinen Wasserplanscher ebenfalls auf die Wiese, aber anstatt sich einer dieser leckeren Pflanzen zu zuwenden und genießerisch zu knabbern, kroch das dumme Ding direkt zu Franziskus und versuchte ihm das Essen streitig zu machen. Diese Wasserschildkröte legte sich mit fast allen an, denen es begegnete: zog Würmer aus ihren Verstecken und machte sich über friedliche Schnecken her. So was hat man noch nicht gesehen ... Nun ich dachte mir, dass so jemand, der gern groß wäre, auch so heißen sollte, eben Gernegroß.“
„Wie kam sie nur auf die Straße?“, fragte ich Großvater.
„Oh, das ist einfach“, sagte er, „sie wird einem fahrenden Händler entflohen sein.“
„Und warum hast du sie dem Händler nicht zurückgegeben, Opa?“
„Ich hab einfach nicht daran gedacht. Du weißt doch, wie man so ist, in deinem Alter ...“
Oh ja, ich wusste, was mein Großvater meinte. Ich hatte schließlich auch dieses Talent - ich meine diesen Magnetismus. Da war das mit dem Igel: Ich hatte ihn im Garten meiner Eltern gefunden. Er hatte sich, zusammengerollt, unter unserem Leiterwagen versteckt. Meine Mutter war gar nicht begeistert, als ich ihn mit ins Haus brachte und ihn auf den Fußboden setzte. Ich goss etwas Milch in einer flachen Schale und stellte es direkt vor seiner spitzen Schnauze und wartete.
Er blieb eine Zeitlang zusammengerollt wie ein Ball aus tausend Stacheln. Ich hatte mich auf dem Boden gelegt und beobachtete ihn. Mein Atem ging flach und ich bewegte mich nicht, denn ich wollte ihn nicht ängstigen. Er ließ sich Zeit. Doch dann kam langsam Bewegung in das Tier, er entrollte sich und seine Schnauze witterte die Milch. Ich war gespannt. Vom andern Raum her hörte ich Mutter fragen: „Tut sich schon was, mit dem Igel?“ Ich antwortete nicht. Schließlich wollte ich nicht, dass er sich wieder zur Kugel rollte, und ich von Neuem warten musste. Dann sah ich sie: kleine ... winzig kleine schwarze Punkte. Sie waren überall auf den Boden zu sehen. Spunk – da hopste einer ... spunk ... spunk ...
„Mama!“, rief ich, „komm mal schnell her!“
Mama kam in die Kochstube und sagte entsetzt: „Oh Gott!“
„Was ist das?“, fragte ich sie und beobachtete die Punkte.
„Das Mistviech“, keuchte Mama, „das Vieh hat Flöhe. Das sind Flöhe ...“
Seit dem Tag durfte ich keine Tiere mehr ins Haus bringen. Keine junge Katze, die eines Nachts unter meinem Fenster, weinte wie ein Baby, und die ich zu meinen Großeltern brachte.
Mein Großvater saß also auf seiner Bank und beobachtete eine Spinne in ihrem Netz. Als er mich sah, sagte er, während seine Augen weiterhin auf das Spinnentier gerichtet waren: „Gitta, heute möchte ich dir dein Puppenhaus bauen … was hältst du davon?“
„Bauen?“, dachte ich, „lieber hätte ich das Puppenhaus, was in Großvaters Zimmer auf der alten Kommode stand.“
Ich hatte es entdeckt an einem Sommerwochenende. Das Kinderzimmer meiner Mutter welches nun ich benutzte, lag direkt unter dem Dach des alten Hauses. Mitten in der Nacht hörte ich es poltern. Irgendetwas trippelte, hüpfte und hopfte über dem Dachboden, dass es nur so rumorte. Ich war aufgestanden und schlich durch die dunklen Flure. Und stand dann am Fuße der steilen Dachbodentreppe. Ich wollte unbedingt herausbekommen, wer oder was dort oben sein Unwesen trieb.
Ein helles silbriges Lachen lenkte meine Aufmerksamkeit vom Dachboden zum Zimmer, in dem mein Großvater schlief. Die Tür war handbreit geöffnet und durch den Spalt hörte ich seine Stimme. Er sprach sehr leise. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er schien sich mit jemand zu unterhalten. Dann hörte ich wieder dieses Lachen. Neugierig geworden schlich ich näher und lugte ins Zimmer.
Der Raum war dunkel. Großvater lag im Bett. Er hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Komisch dachte ich, er schläft. Ich hätte schwören können seine Stimme gehört zu haben. Aber hier war sonst keiner. Das hatte ich mir doch nicht eingebildet? Also schlich ich ins Zimmer hinein. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und ließ sein fahles Licht in den Raum fluten, da sah ich dieses Puppenhaus auf der Kommode stehen. Es hatte viele Fenster und Erker und kleine Türmchen. Es schien sehr alt und es war großartig. Damit würde ich gern spielen, dachte ich und ging näher heran. Ich glaubte schattenhafte Gestalten hinter den Fenstern zu sehen, doch eine Wolke schob sich vor dem Mond und es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
Als ich das Zimmer verlassen hatte, war ich fest entschlossen Großvater am nächsten Morgen mit Fragen zu löchern; na ja, dachte ich mir, vielleicht bekomme ich es zum Spielen.
Das Poltern auf dem Dachboden war verschwunden und ich legte mich ins Bett. Ich starrte lange in die Dunkelheit und bemerkte nicht, als der Schlaf kam. Ich träumte natürlich von einem kleinen Schloss, in dem eine Prinzessin wohnte und von einer bösen Hexe, die irgendwie meiner Mutter glich, verhext wurde.
Am nächsten Morgen befragte ich Großvater.
„Gitta“, sagte Großvater, nachdem ich erzählt hatte, dass ich in der Nacht aufgewacht war, „ab und zu bekommen wir Besuch von Hausmardern, die toben dann etwas im Dachgebälk herum und verschwinden wieder, wie sie gekommen sind.“
Großmutter meinte dazu: „Ich finde es komisch, dass diese Marder ausgerechnet unsere Vögel, die ihre Nester unter dem Dach haben, verschonen.“
Ja, das stimmt. Oft hörte ich das Schaben und Kratzen ihrer kleinen Füße und Schnäbel, wenn ich im Bett lag und dann zur Dachschräge über mir schaute.
Dass ich Großvater hab reden hören, ließ sich genauso banal erklären, denn Großmutter meinte: „Dein Großvater schnarcht nicht nur wie ein Bergarbeiter, nein, er redet manchmal auch im Schlaf. Deshalb, Kind, schlafen wir in unseren eigenen Zimmern.“
Da hatte ich es nun. War nichts Geheimnisvolles. Und was war mit dem alten Puppenhaus? Es wäre zu alt, hatte Großvater gesagt, um von einem kleinen wilden Mädchen bespielt zu werden. Opa wollte mir also ein neues Puppenhaus bauen. Zugegeben, das war ein verlockender Gedanke, denn inzwischen spielten viele Kinder mit ihren kleinen Häusern aus Holz und Pappmaché draußen auf den Wiesen. Doch ich ließ nicht locker. Ich wollte das Puppenhaus von der Kommode.
„Tja, Gitta ... das kann ich dir nicht zum Spielen geben“, sagte Großvater und schaute mich forschend an. „Ich weiß nicht, ob ich dir ein großes Geheimnis anvertrauen kann …“
„Klar doch!“, rief ich begeistert.
„Ich glaube schon“, fuhr er fort, „andererseits … es wird Zeit einen Nachfolger für mich zu finden. Weiß du, Gitta, es ist nämlich bewohnt.“
„Wie? Was soll das bedeuten? In dem kleinen Haus kann doch niemand wohnen.“
„Oh doch. Also hör zu: Ich war damals so jung wie du heute, immer unterwegs. Ab in die Natur, um Tiere zu beobachten oder den Bäumen im Wald zu lauschen. Irgendwann beschloss ich eine Pause einzulegen und setzte mich auf einem flachen Felsstein und betrachtete den flammenden Himmel, als ich diesen Steinkauz erblickte, wie er vor Erregung sich schnell aufrichtet und wieder duckte. Natürlich war ich neugierig geworden und schlich mich vorsichtig heran. Dort, zwischen den unteren Ästen einer Esche, hatte eine Spinne, in einem ungewöhnlichen und großen Radnetz, ein Wesen gefangen, was ich nur aus Geschichten zu kennen glaubte, und niemals gedacht hätte, dass es wirklich existierte würde.“
„Und was war es?“, rief ich neugierig dazwischen.
„Alles nur Ammenmärchen, Gitta.“ Großmutter schüttelte den Kopf und widmete sich wieder ihren Pflanzen im Garten. „Dein Großvater hat einfach zu viel Fantasie.“
„Erzähl weiter“, forderte ich ihn auf, „was war das für ein Wesen?“
„Nun“, brummte der alte Mann und schaute verlegen auf die gebückte Gestalt seiner Frau, die eifrig im Garten hantierte. „Großmutter weiß nichts von meinem Geheimnis und es hat sie auch nie interessiert. Obwohl ich ihr es erzählte. Na ja, da kann man nichts machen. Also ... ich sah wie eine richtig fette Kreuzspinne aus ihren nahegelegen Versteck, wo sie mit der Netzmitte durch einen Faden verbunden war, kroch ... ich hätte wirklich nicht zu spät kommen dürfen und es wäre um Alwine geschehen. Das Gift dieser Spinnen hätte sie sicherlich getötet.“
„Alwine?“, fragte ich überrascht. „Wer ist Alwine?“
Alwine ist eine Fee. Federleicht, anmutig, geheimnisvoll und schillernd.“
Vor Staunen klappte mir die Kinnlade herunter.
„Nun, Alwine war auf der Flucht, als sie in das heimtückische Netz flog. Ihr Feenhügel war von einem Finsterling überfallen worden. Leider wirken Feenzauber nicht bei Spinnentieren und so rette mein Eingreifen die Fee aus höchster Gefahr.“
„Und jetzt wohnt Alwine in dem Puppenhaus“, stellte ich nüchtern fest. „Das helle Lachen ... das war sie ...“
„Nein, das war eine andere Elfe“, sagte Großvater trocken. „Ihre Heimat, der Feenhügel, war vollkommen zerstört und die wenigen, die überlebt hatten, nahm ich mit nach Hause. Meine Eltern durften davon nichts erfahren. Wer weiß, was sie getan hätten. Aber ich wusste ein gutes Versteck für die Feen. Auf dem Dachboden, in einer verwaisten Ecke, wo niemand hinkäme, stand ein altes Puppenhaus. Dort quartierte ich sie ein, und sie leben noch immer in diesem Haus.“
„Kann ich sie sehen?“, bedrängte ich Großvater. „Bitte, ich bin auch ganz leise.“
„Schau mal, Gitta“, sagte Großvater. „Die elfischen Wesen schenken den Menschen nicht sehr viel Interesse. Sie sind scheu und konzentrieren sich auf ihre Bestimmung, welche darin besteht sich um die Tiere und Pflanzen, Quellen, Bäche und Teiche zu kümmern, sie zu hüten und zu pflegen. Sie sind Naturgeister; Feen und Elfen sind für unsere menschlichen Augen unsichtbar, doch manchmal, wenn sie es wollen, zeigen sie sich als Lichtschein oder als kleine geflügelte menschenartige Wesen. Das alles klingt fantastisch, ich weiß, aber das Band zwischen diesen Wesen und uns Menschen, besteht in der Liebe zur Schöpfung. Die welche sich zur Natur hingezogen fühlen haben ein Gespür für solche Wesen.
Man sagt: dass sich Glück verbreitet in einem Haus, das eine Elfe besitzt. Und das stimmt auch. Großmutter und ich, wir waren immer sehr zufrieden miteinander, und das haben wir nur Alwine zu verdanken. Aus Dankbarkeit für ihre Rettung wollte sie mir einen Wunsch erfüllen, aber ich sagte ihr, dass ich mir den Wunsch aufbewahren möchte. Sie war einverstanden, und heute möchte ich, dass Alwine dir einen Wunsch an meiner statt gewährt.“
„Ich darf sie also nicht sehen?“, fragte ich enttäuscht.
„Ich glaube nicht“, sagte Großvater. „Aber später einmal sicher, wenn die Zeit reif ist.“
„Darf ich sagen, was ich mir wünsche?“
„Nein. Denk es dir einfach und erzähle niemanden davon.“
„Schon geschehen“, sagte ich fröhlich und hoffte inständig, dass Großvaters Fee wirklich existiert.
Allmählich wurde es Zeit nach Hause zu gehen. Ich beeilte mich, schließlich musste der Abendbrottisch gedeckt.
Draußen sah ich meinen Bruder Michael mit einem Eimer in der Hand stehen. Ich fragte erstaunt: „Was machst du denn da?“
„Was ich mache?“, sagte er verdattert. „Hast du Tomaten auf den Augen? Ich rupfe das Unkraut.“
Mutter schaute kurz aus dem Fenster und rief: „Gitta, du kommst gerade zur rechten Zeit, das Abendbrot ist fertig.“
Vater reparierte die Wasserpumpe.
Es gab sie also wirklich, Alwine, die Fee; sie lebte bei meinem Großvater im alten Puppenhaus. Wäre sonst mein Wunsch in Erfüllung gegangen?
Wie lange lag das schon zurück? Jetzt bin ich selber Mutter von zwei süßen Mädchen, die mich den ganzen Tag auf trapp halten. Erschöpft von meiner Arbeit ging ich auf mein Zimmer, welches damals Großvaters Schlafzimmer war und setzte mich in meinen Ohrensessel.
„Hallo Gitta“, flötete mir eine helle und melodiöse Stimme ins Ohr. „Du siehst ganz schön müde aus.“
„Ach Alwine“, sagte ich. „Ich brauche nur etwas Ruhe und einen Malventee, dann geht es mir gleich besser.“
Die Fee erhob sich von meiner Schulter und flatterte mit sanftem Flügelschlag vor mir in der Luft. Sie schwang ihren Zauberstab aus Licht und ich spürte sogleich ein wohliges prickeln und mein Körper entspannte sich. Dann stieg der Duft von Malventee in meine Nase. Ich nahm die Tasse vom Tisch und danke meiner kleinen Fee.

-Ende-
 

Claus Thor

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Von
Claus Thor

Das Haus meines Großvaters ist ein seltsamer Ort. Tausend Geschöpfe beherbergt es. Es ächzt und stöhnt von den Jahrhunderten, die auf seinen Mauern und das Gebälk lasten. Doch es gibt mir auch Ruhe und Geborgenheit. Dahin zieht es mich zurück, wenn meine Stärke zu erschöpfen droht, aufgebraucht im Alltagskampf, um meine Kraft zu erneuern. Und hier veränderte ein einziger Tag mein ganzes Leben.
Ich war ein junges Mädchen und das Leben breitete sich vor mir aus, wie ein riesiges Feld, das sich hinter unserem Dorf bis in die Ferne erstreckte.
Sie waren alle faul in meiner Familie. Meine Brüder lungerten den lieben langen Tag herum. Mein Vater saß in der Wirtsstube und ließ alles, was gemacht werden musste, liegen. Meine Mutter machte hier und da etwas, dann setzte sie sich auf ihren Schemel vor dem Fenster, bis ihr die Augen schwer wurden und sie einschlief.
Ich war wohl die Ausnahme. Nicht umsonst hatte man mir den Namen Brigitte gegeben, der bedeutet nämlich: die Tüchtige. Und das war ich auch. Gitta, so riefen sie mich, machte Besorgungen vom Markt. Gitta schruppte den Fußboden. Gitta rupfte das Unkraut im Garten. Gitta machte alles, was anfiel.
Später wanderte ich über die Wiesen und Felder, an Bächen und Füssen vorbei, zu meinen Großeltern. Sie wohnten in einem großen und uralten Haus, das vom Wilden Wein zu gewuchert war, und in dessen Gestrüpp es kroch, und krabbelte. Die Vögel, welche unter dem Dach ihre Nester hatten, fanden dort ihre zahlreiche Nahrung. Hier also konnte ich Ruhe finden, ohne dass mich irgendwer brauchte.
Großvater war ein herzensguter Mensch. Er half stets jedem und verlangte keinen Dank. Er liebte die Tiere des Waldes und des Feldes. Stundenlang konnte er nur so da sitzen, auf einen umgestürzten Baumstamm, und dem Wald lauschen.
Großvater war, glaube ich, so etwas wie ein Sammler. Nicht dass er gezielt etwas sammelte, wie Schmiedewerkzeuge aus anderen Königreichen, denn er war einmal ein guter Schmied gewesen. Er hatte auch eine Hutsammlung, weil er die Kunst der Hutmacher bewunderte, und er hatte noch viele Dinge, die sich im und um das Haus sammelten. Aber er war auch eine Art von anziehender Kraft für hilflose Geschöpfe.
Einmal erzählte mir Großvater von Gernegroß, so nannte er die Wasserschildkröte die ihm eines Tages, er muss wohl in meinem Alter gewesen sein, über den Weg gelaufen war. „Gernegroß spazierte geradewegs vor mir über den Weg“, sagte er. „Also nahm ich sie auf und steckte sie mir in die Hosentasche. Meine Hosentaschen, musst du wissen Gitta, waren damals sehr geräumig, nicht so wie die heutigen ... Ja, lach du nur ...“
„Warum hast du sie denn so einen komischen Namen gegeben?“, fragte ich ihn.
Dann lachte mein Großvater und klatschte sich mit der Hand auf den Schenkel. „Nun, das war so: Sie war ein richtiger Angeber. Franziskus, meine Landschildkröte – damals schon sehr alt und ein wahrer Brocken – knabberte genüsslich am seinem Löwenzahn, der reichlich auf unserer Wiese wucherte. Die Sonne schien und es war warm. Also setzte ich den kleinen Wasserplanscher ebenfalls auf die Wiese, aber anstatt sich einer dieser leckeren Pflanzen zu zuwenden und genießerisch zu knabbern, kroch das dumme Ding direkt zu Franziskus und versuchte ihm das Essen streitig zu machen. Diese Wasserschildkröte legte sich mit fast allen an, denen es begegnete: zog Würmer aus ihren Verstecken und machte sich über friedliche Schnecken her. So was hat man noch nicht gesehen ... Nun ich dachte mir, dass so jemand, der gern groß wäre, auch so heißen sollte, eben Gernegroß.“
„Wie kam sie nur auf die Straße?“, fragte ich Großvater.
„Oh, das ist einfach“, sagte er, „sie wird einem fahrenden Händler entflohen sein.“
„Und warum hast du sie dem Händler nicht zurückgegeben, Opa?“
„Ich hab einfach nicht daran gedacht. Du weißt doch, wie man so ist, in deinem Alter ...“
Oh ja, ich wusste, was mein Großvater meinte. Ich hatte schließlich auch dieses Talent - ich meine diesen Magnetismus. Da war das mit dem Igel: Ich hatte ihn im Garten meiner Eltern gefunden. Er hatte sich, zusammengerollt, unter unserem Leiterwagen versteckt. Meine Mutter war gar nicht begeistert, als ich ihn mit ins Haus brachte und ihn auf den Fußboden setzte. Ich goss etwas Milch in einer flachen Schale und stellte es direkt vor seiner spitzen Schnauze und wartete.
Er blieb eine Zeitlang zusammengerollt wie ein Ball aus tausend Stacheln. Ich hatte mich auf dem Boden gelegt und beobachtete ihn. Mein Atem ging flach und ich bewegte mich nicht, denn ich wollte ihn nicht ängstigen. Er ließ sich Zeit. Doch dann kam langsam Bewegung in das Tier, er entrollte sich und seine Schnauze witterte die Milch. Ich war gespannt. Vom andern Raum her hörte ich Mutter fragen: „Tut sich schon was, mit dem Igel?“ Ich antwortete nicht. Schließlich wollte ich nicht, dass er sich wieder zur Kugel rollte, und ich von Neuem warten musste. Dann sah ich sie: kleine ... winzig kleine schwarze Punkte. Sie waren überall auf den Boden zu sehen. Spunk – da hopste einer ... spunk ... spunk ...
„Mama!“, rief ich, „komm mal schnell her!“
Mama kam in die Kochstube und sagte entsetzt: „Oh Gott!“
„Was ist das?“, fragte ich sie und beobachtete die Punkte.
„Das Mistviech“, keuchte Mama, „das Vieh hat Flöhe. Das sind Flöhe ...“
Seit dem Tag durfte ich keine Tiere mehr ins Haus bringen. Keine junge Katze, die eines Nachts unter meinem Fenster, weinte wie ein Baby, und die ich zu meinen Großeltern brachte.
Mein Großvater saß also auf seiner Bank und beobachtete eine Spinne in ihrem Netz. Als er mich sah, sagte er, während seine Augen weiterhin auf das Spinnentier gerichtet waren: „Gitta, heute möchte ich dir dein Puppenhaus bauen … was hältst du davon?“
„Bauen?“, dachte ich, „lieber hätte ich das Puppenhaus, was in Großvaters Zimmer auf der alten Kommode stand.“
Ich hatte es entdeckt an einem Sommerwochenende. Das Kinderzimmer meiner Mutter welches nun ich benutzte, lag direkt unter dem Dach des alten Hauses. Mitten in der Nacht hörte ich es poltern. Irgendetwas trippelte, hüpfte und hopfte über dem Dachboden, dass es nur so rumorte. Ich war aufgestanden und schlich durch die dunklen Flure. Und stand dann am Fuße der steilen Dachbodentreppe. Ich wollte unbedingt herausbekommen, wer oder was dort oben sein Unwesen trieb.
Ein helles silbriges Lachen lenkte meine Aufmerksamkeit vom Dachboden zum Zimmer, in dem mein Großvater schlief. Die Tür war handbreit geöffnet und durch den Spalt hörte ich seine Stimme. Er sprach sehr leise. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er schien sich mit jemand zu unterhalten. Dann hörte ich wieder dieses Lachen. Neugierig geworden schlich ich näher und lugte ins Zimmer.
Der Raum war dunkel. Großvater lag im Bett. Er hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Komisch dachte ich, er schläft. Ich hätte schwören können seine Stimme gehört zu haben. Aber hier war sonst keiner. Das hatte ich mir doch nicht eingebildet? Also schlich ich ins Zimmer hinein. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und ließ sein fahles Licht in den Raum fluten, da sah ich dieses Puppenhaus auf der Kommode stehen. Es hatte viele Fenster und Erker und kleine Türmchen. Es schien sehr alt und es war großartig. Damit würde ich gern spielen, dachte ich und ging näher heran. Ich glaubte schattenhafte Gestalten hinter den Fenstern zu sehen, doch eine Wolke schob sich vor dem Mond und es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
Als ich das Zimmer verlassen hatte, war ich fest entschlossen Großvater am nächsten Morgen mit Fragen zu löchern; na ja, dachte ich mir, vielleicht bekomme ich es zum Spielen.
Das Poltern auf dem Dachboden war verschwunden und ich legte mich ins Bett. Ich starrte lange in die Dunkelheit und bemerkte nicht, als der Schlaf kam. Ich träumte natürlich von einem kleinen Schloss, in dem eine Prinzessin wohnte und von einer bösen Hexe, die irgendwie meiner Mutter glich, verhext wurde.
Am nächsten Morgen befragte ich Großvater.
„Gitta“, sagte Großvater, nachdem ich erzählt hatte, dass ich in der Nacht aufgewacht war, „ab und zu bekommen wir Besuch von Hausmardern, die toben dann etwas im Dachgebälk herum und verschwinden wieder, wie sie gekommen sind.“
Großmutter meinte dazu: „Ich finde es komisch, dass diese Marder ausgerechnet unsere Vögel, die ihre Nester unter dem Dach haben, verschonen.“
Ja, das stimmt. Oft hörte ich das Schaben und Kratzen ihrer kleinen Füße und Schnäbel, wenn ich im Bett lag und dann zur Dachschräge über mir schaute.
Dass ich Großvater hab reden hören, ließ sich genauso banal erklären, denn Großmutter meinte: „Dein Großvater schnarcht nicht nur wie ein Bergarbeiter, nein, er redet manchmal auch im Schlaf. Deshalb, Kind, schlafen wir in unseren eigenen Zimmern.“
Da hatte ich es nun. War nichts Geheimnisvolles. Und was war mit dem alten Puppenhaus? Es wäre zu alt, hatte Großvater gesagt, um von einem kleinen wilden Mädchen bespielt zu werden. Opa wollte mir also ein neues Puppenhaus bauen. Zugegeben, das war ein verlockender Gedanke, denn inzwischen spielten viele Kinder mit ihren kleinen Häusern aus Holz und Pappmaché draußen auf den Wiesen. Doch ich ließ nicht locker. Ich wollte das Puppenhaus von der Kommode.
„Tja, Gitta ... das kann ich dir nicht zum Spielen geben“, sagte Großvater und schaute mich forschend an. „Ich weiß nicht, ob ich dir ein großes Geheimnis anvertrauen kann …“
„Klar doch!“, rief ich begeistert.
„Ich glaube schon“, fuhr er fort, „andererseits … es wird Zeit einen Nachfolger für mich zu finden. Weiß du, Gitta, es ist nämlich bewohnt.“
„Wie? Was soll das bedeuten? In dem kleinen Haus kann doch niemand wohnen.“
„Oh doch. Also hör zu: Ich war damals so jung wie du heute, immer unterwegs. Ab in die Natur, um Tiere zu beobachten oder den Bäumen im Wald zu lauschen. Irgendwann beschloss ich eine Pause einzulegen und setzte mich auf einem flachen Felsstein und betrachtete den flammenden Himmel, als ich diesen Steinkauz erblickte, wie er vor Erregung sich schnell aufrichtet und wieder duckte. Natürlich war ich neugierig geworden und schlich mich vorsichtig heran. Dort, zwischen den unteren Ästen einer Esche, hatte eine Spinne, in einem ungewöhnlichen und großen Radnetz, ein Wesen gefangen, was ich nur aus Geschichten zu kennen glaubte, und niemals gedacht hätte, dass es wirklich existierte würde.“
„Und was war es?“, rief ich neugierig dazwischen.
„Alles nur Ammenmärchen, Gitta.“ Großmutter schüttelte den Kopf und widmete sich wieder ihren Pflanzen im Garten. „Dein Großvater hat einfach zu viel Fantasie.“
„Erzähl weiter“, forderte ich ihn auf, „was war das für ein Wesen?“
„Nun“, brummte der alte Mann und schaute verlegen auf die gebückte Gestalt seiner Frau, die eifrig im Garten hantierte. „Großmutter weiß nichts von meinem Geheimnis und es hat sie auch nie interessiert. Obwohl ich ihr es erzählte. Na ja, da kann man nichts machen. Also ... ich sah wie eine richtig fette Kreuzspinne aus ihren nahegelegen Versteck, wo sie mit der Netzmitte durch einen Faden verbunden war, kroch ... ich hätte wirklich nicht zu spät kommen dürfen und es wäre um Alwine geschehen. Das Gift dieser Spinnen hätte sie sicherlich getötet.“
„Alwine?“, fragte ich überrascht. „Wer ist Alwine?“
Alwine ist eine Fee. Federleicht, anmutig, geheimnisvoll und schillernd.“
Vor Staunen klappte mir die Kinnlade herunter.
„Nun, Alwine war auf der Flucht, als sie in das heimtückische Netz flog. Ihr Feenhügel war von einem Finsterling überfallen worden. Leider wirken Feenzauber nicht bei Spinnentieren und so rette mein Eingreifen die Fee aus höchster Gefahr.“
„Und jetzt wohnt Alwine in dem Puppenhaus“, stellte ich nüchtern fest. „Das helle Lachen ... das war sie ...“
„Nein, das war eine andere Elfe“, sagte Großvater trocken. „Ihre Heimat, der Feenhügel, war vollkommen zerstört und die wenigen, die überlebt hatten, nahm ich mit nach Hause. Meine Eltern durften davon nichts erfahren. Wer weiß, was sie getan hätten. Aber ich wusste ein gutes Versteck für die Feen. Auf dem Dachboden, in einer verwaisten Ecke, wo niemand hinkäme, stand ein altes Puppenhaus. Dort quartierte ich sie ein, und sie leben noch immer in diesem Haus.“
„Kann ich sie sehen?“, bedrängte ich Großvater. „Bitte, ich bin auch ganz leise.“
„Schau mal, Gitta“, sagte Großvater. „Die elfischen Wesen schenken den Menschen nicht sehr viel Interesse. Sie sind scheu und konzentrieren sich auf ihre Bestimmung, welche darin besteht sich um die Tiere und Pflanzen, Quellen, Bäche und Teiche zu kümmern, sie zu hüten und zu pflegen. Sie sind Naturgeister; Feen und Elfen sind für unsere menschlichen Augen unsichtbar, doch manchmal, wenn sie es wollen, zeigen sie sich als Lichtschein oder als kleine geflügelte menschenartige Wesen. Das alles klingt fantastisch, ich weiß, aber das Band zwischen diesen Wesen und uns Menschen, besteht in der Liebe zur Schöpfung. Die welche sich zur Natur hingezogen fühlen haben ein Gespür für solche Wesen.
Man sagt: dass sich Glück verbreitet in einem Haus, das eine Elfe besitzt. Und das stimmt auch. Großmutter und ich, wir waren immer sehr zufrieden miteinander, und das haben wir nur Alwine zu verdanken. Aus Dankbarkeit für ihre Rettung wollte sie mir einen Wunsch erfüllen, aber ich sagte ihr, dass ich mir den Wunsch aufbewahren möchte. Sie war einverstanden, und heute möchte ich, dass Alwine dir einen Wunsch an meiner statt gewährt.“
„Ich darf sie also nicht sehen?“, fragte ich enttäuscht.
„Ich glaube nicht“, sagte Großvater. „Aber später einmal sicher, wenn die Zeit reif ist.“
„Darf ich sagen, was ich mir wünsche?“
„Nein. Denk es dir einfach und erzähle niemanden davon.“
„Schon geschehen“, sagte ich fröhlich und hoffte inständig, dass Großvaters Fee wirklich existiert.
Allmählich wurde es Zeit nach Hause zu gehen. Ich beeilte mich, schließlich musste der Abendbrottisch gedeckt.
Draußen sah ich meinen Bruder Michael mit einem Eimer in der Hand stehen. Ich fragte erstaunt: „Was machst du denn da?“
„Was ich mache?“, sagte er verdattert. „Hast du Tomaten auf den Augen? Ich rupfe das Unkraut.“
Mutter schaute kurz aus dem Fenster und rief: „Gitta, du kommst gerade zur rechten Zeit, das Abendbrot ist fertig.“
Vater reparierte die Wasserpumpe.
Es gab sie also wirklich, Alwine, die Fee; sie lebte bei meinem Großvater im alten Puppenhaus. Wäre sonst mein Wunsch in Erfüllung gegangen?
Wie lange lag das schon zurück? Jetzt bin ich selber Mutter von zwei süßen Mädchen, die mich den ganzen Tag auf trapp halten. Erschöpft von meiner Arbeit ging ich auf mein Zimmer, welches damals Großvaters Schlafzimmer war und setzte mich in meinen Ohrensessel.
„Hallo Gitta“, flötete mir eine helle und melodiöse Stimme ins Ohr. „Du siehst ganz schön müde aus.“
„Ach Alwine“, sagte ich. „Ich brauche nur etwas Ruhe und einen Malventee, dann geht es mir gleich besser.“
Die Fee erhob sich von meiner Schulter und flatterte mit sanftem Flügelschlag vor mir in der Luft. Sie schwang ihren Zauberstab aus Licht und ich spürte sogleich ein wohliges prickeln und mein Körper entspannte sich. Dann stieg der Duft von Malventee in meine Nase. Ich nahm die Tasse vom Tisch und danke meiner kleinen Fee.

-Ende-
 

Carina M.

Mitglied
Hallo Claus,

eine wundervolle Geschichte, einfach märchenhaft. Spannend, locker und fantasievoll erzählt.
Ich liebe Feen und Elfen. :)
Ich würde gerne mehr davon lesen. Auch von Susi und der Ssssssssssslange.:)

Derweil liebe Grüße,
Carina
 

Claus Thor

Mitglied
Hallo Carina,
Tja, was soll ich dazu sagen? Erst einmal: vielen Dank! Es freut mich das die kleinen Stories dir gefallen, aber sei nicht enttäuscht, wenn ich mal, was anderes poste als Fantasy, denn ich tummele mich in Liebes-und Psychohorrorgeschichten – naja – eigentlich so in fast allen Genres rum.
Liebe Grüße zurück
CT
 

Carina M.

Mitglied
Hallo Claus,

was ja kein Fehler sein muss auch mal etwas Anderes zu schreiben.:)
Ich schreibe ja auch nicht nur Märchen und Fantasygeschichen.

Aber ich lese gerne welche. ebenso wie Krimis, Phycho und Thriller.

Ich darf gespannt sein.
Lieben Gruß,
Carina
 

Claus Thor

Mitglied
Großvaters Geheimnis
Von
Claus Thor

Das Haus meines Großvaters ist ein seltsamer Ort. Tausend Geschöpfe beherbergt es. Es ächzt und stöhnt von den Jahrhunderten, die auf seinen Mauern und das Gebälk lasten. Doch es gibt mir auch Ruhe und Geborgenheit. Dahin zieht es mich zurück, wenn meine Stärke zu erschöpfen droht, aufgebraucht im Alltagskampf, um meine Kraft zu erneuern. Und hier veränderte ein einziger Tag mein ganzes Leben.
Ich war ein junges Mädchen und das Leben breitete sich vor mir aus, wie ein riesiges Feld, das sich hinter unserem Dorf bis in die Ferne erstreckte.
Sie waren alle faul in meiner Familie. Meine Brüder lungerten den lieben langen Tag herum. Mein Vater saß in der Wirtsstube und ließ alles, was gemacht werden musste, liegen. Meine Mutter machte hier und da etwas, dann setzte sie sich auf ihren Schemel vor dem Fenster, bis ihr die Augen schwer wurden und sie einschlief.
Ich war wohl die Ausnahme. Nicht umsonst hatte man mir den Namen Brigitte gegeben, der bedeutet nämlich: die Tüchtige. Und das war ich auch. Gitta, so riefen sie mich, machte Besorgungen vom Markt. Gitta schruppte den Fußboden. Gitta rupfte das Unkraut im Garten. Gitta machte alles, was anfiel.
Später wanderte ich über die Wiesen und Felder, an Bächen und Füssen vorbei, zu meinen Großeltern. Sie wohnten in einem großen und uralten Haus, das vom Wilden Wein zu gewuchert war, und in dessen Gestrüpp es kroch, und krabbelte. Die Vögel, welche unter dem Dach ihre Nester hatten, fanden dort ihre zahlreiche Nahrung. Hier also konnte ich Ruhe finden, ohne dass mich irgendwer brauchte.
Großvater war ein herzensguter Mensch. Er half stets jedem und verlangte keinen Dank. Er liebte die Tiere des Waldes und des Feldes. Stundenlang konnte er nur so da sitzen, auf einen umgestürzten Baumstamm, und dem Wald lauschen.
Großvater war, glaube ich, so etwas wie ein Sammler. Nicht dass er gezielt etwas sammelte, wie Schmiedewerkzeuge aus anderen Königreichen, denn er war einmal ein guter Schmied gewesen. Er hatte auch eine Hutsammlung, weil er die Kunst der Hutmacher bewunderte, und er hatte noch viele Dinge, die sich im und um das Haus sammelten. Aber er war auch eine Art von anziehender Kraft für hilflose Geschöpfe.
Einmal erzählte mir Großvater von Gernegroß, so nannte er die Wasserschildkröte die ihm eines Tages, er muss wohl in meinem Alter gewesen sein, über den Weg gelaufen war. „Gernegroß spazierte geradewegs vor mir über den Weg“, sagte er. „Also nahm ich sie auf und steckte sie mir in die Hosentasche. Meine Hosentaschen, musst du wissen Gitta, waren damals sehr geräumig, nicht so wie die heutigen ... Ja, lach du nur ...“
„Warum hast du sie denn so einen komischen Namen gegeben?“, fragte ich ihn.
Dann lachte mein Großvater und klatschte sich mit der Hand auf den Schenkel. „Nun, das war so: Sie war ein richtiger Angeber. Franziskus, meine Landschildkröte – damals schon sehr alt und ein wahrer Brocken – knabberte genüsslich am seinem Löwenzahn, der reichlich auf unserer Wiese wucherte. Die Sonne schien und es war warm. Also setzte ich den kleinen Wasserplanscher ebenfalls auf die Wiese, aber anstatt sich einer dieser leckeren Pflanzen zu zuwenden und genießerisch zu knabbern, kroch das dumme Ding direkt zu Franziskus und versuchte ihm das Essen streitig zu machen. Diese Wasserschildkröte legte sich mit fast allen an, denen es begegnete: zog Würmer aus ihren Verstecken und machte sich über friedliche Schnecken her. So was hat man noch nicht gesehen ... Nun ich dachte mir, dass so jemand, der gern groß wäre, auch so heißen sollte, eben Gernegroß.“
„Wie kam sie nur auf die Straße?“, fragte ich Großvater.
„Oh, das ist einfach“, sagte er, „sie wird einem fahrenden Händler entflohen sein.“
„Und warum hast du sie dem Händler nicht zurückgegeben, Opa?“
„Ich hab einfach nicht daran gedacht. Du weißt doch, wie man so ist, in deinem Alter ...“
Oh ja, ich wusste, was mein Großvater meinte. Ich hatte schließlich auch dieses Talent - ich meine diesen Magnetismus. Da war das mit dem Igel: Ich hatte ihn im Garten meiner Eltern gefunden. Er hatte sich, zusammengerollt, unter unserem Leiterwagen versteckt. Meine Mutter war gar nicht begeistert, als ich ihn mit ins Haus brachte und ihn auf den Fußboden setzte. Ich goss etwas Milch in einer flachen Schale und stellte es direkt vor seiner spitzen Schnauze und wartete.
Er blieb eine Zeitlang zusammengerollt wie ein Ball aus tausend Stacheln. Ich hatte mich auf dem Boden gelegt und beobachtete ihn. Mein Atem ging flach und ich bewegte mich nicht, denn ich wollte ihn nicht ängstigen. Er ließ sich Zeit. Doch dann kam langsam Bewegung in das Tier, er entrollte sich und seine Schnauze witterte die Milch. Ich war gespannt. Vom andern Raum her hörte ich Mutter fragen: „Tut sich schon was, mit dem Igel?“ Ich antwortete nicht. Schließlich wollte ich nicht, dass er sich wieder zur Kugel rollte, und ich von Neuem warten musste. Dann sah ich sie: kleine ... winzig kleine schwarze Punkte. Sie waren überall auf den Boden zu sehen. Spunk – da hopste einer ... spunk ... spunk ...
„Mama!“, rief ich, „komm mal schnell her!“
Mama kam in die Kochstube und sagte entsetzt: „Oh Gott!“
„Was ist das?“, fragte ich sie und beobachtete die Punkte.
„Das Mistviech“, keuchte Mama, „das Vieh hat Flöhe. Das sind Flöhe ...“
Seit dem Tag durfte ich keine Tiere mehr ins Haus bringen. Keine junge Katze, die eines Nachts unter meinem Fenster, weinte wie ein Baby, und die ich zu meinen Großeltern brachte.
Mein Großvater saß also auf seiner Bank und beobachtete eine Spinne in ihrem Netz. Als er mich sah, sagte er, während seine Augen weiterhin auf das Spinnentier gerichtet waren: „Gitta, heute möchte ich dir dein Puppenhaus bauen … was hältst du davon?“
„Bauen?“, dachte ich, „lieber hätte ich das Puppenhaus, was in Großvaters Zimmer auf der alten Kommode stand.“
Ich hatte es entdeckt an einem Sommerwochenende. Das Kinderzimmer meiner Mutter, welches nun ich benutzte, lag direkt unter dem Dach des alten Hauses. Mitten in der Nacht hörte ich es poltern. Irgendetwas trippelte, hüpfte und hopfte über dem Dachboden, dass es nur so rumorte. Ich war aufgestanden und schlich durch die dunklen Flure. Und stand dann am Fuße der steilen Dachbodentreppe. Ich wollte unbedingt herausbekommen, wer oder was dort oben sein Unwesen trieb.
Ein helles silbriges Lachen lenkte meine Aufmerksamkeit vom Dachboden zum Zimmer, in dem mein Großvater schlief. Die Tür war handbreit geöffnet und durch den Spalt hörte ich seine Stimme. Er sprach sehr leise. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er schien sich mit jemand zu unterhalten. Dann hörte ich wieder dieses Lachen. Neugierig geworden schlich ich näher und lugte ins Zimmer.
Der Raum war dunkel. Großvater lag im Bett. Er hatte die Augen geschlossen und atmete ruhig. Komisch dachte ich, er schläft. Ich hätte schwören können seine Stimme gehört zu haben. Aber hier war sonst keiner. Das hatte ich mir doch nicht eingebildet? Also schlich ich ins Zimmer hinein. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor und ließ sein fahles Licht in den Raum fluten, da sah ich dieses Puppenhaus auf der Kommode stehen. Es hatte viele Fenster und Erker und kleine Türmchen. Es schien sehr alt und es war großartig. Damit würde ich gern spielen, dachte ich und ging näher heran. Ich glaubte schattenhafte Gestalten hinter den Fenstern zu sehen, doch eine Wolke schob sich vor dem Mond und es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen.
Als ich das Zimmer verlassen hatte, war ich fest entschlossen Großvater am nächsten Morgen mit Fragen zu löchern; na ja, dachte ich mir, vielleicht bekomme ich es zum Spielen.
Das Poltern auf dem Dachboden war verschwunden und ich legte mich ins Bett. Ich starrte lange in die Dunkelheit und bemerkte nicht, als der Schlaf kam. Ich träumte natürlich von einem kleinen Schloss, in dem eine Prinzessin wohnte und von einer bösen Hexe, die irgendwie meiner Mutter glich, verhext wurde.
Am nächsten Morgen befragte ich Großvater.
„Gitta“, sagte Großvater, nachdem ich erzählt hatte, dass ich in der Nacht aufgewacht war, „ab und zu bekommen wir Besuch von Hausmardern, die toben dann etwas im Dachgebälk herum und verschwinden wieder, wie sie gekommen sind.“
Großmutter meinte dazu: „Ich finde es komisch, dass diese Marder ausgerechnet unsere Vögel, die ihre Nester unter dem Dach haben, verschonen.“
Ja, das stimmt. Oft hörte ich das Schaben und Kratzen ihrer kleinen Füße und Schnäbel, wenn ich im Bett lag und dann zur Dachschräge über mir schaute.
Dass ich Großvater hab reden hören, ließ sich genauso banal erklären, denn Großmutter meinte: „Dein Großvater schnarcht nicht nur wie ein Bergarbeiter, nein, er redet manchmal auch im Schlaf. Deshalb, Kind, schlafen wir in unseren eigenen Zimmern.“
Da hatte ich es nun. War nichts Geheimnisvolles. Und was war mit dem alten Puppenhaus? Es wäre zu alt, hatte Großvater gesagt, um von einem kleinen wilden Mädchen bespielt zu werden. Opa wollte mir also ein neues Puppenhaus bauen. Zugegeben, das war ein verlockender Gedanke, denn inzwischen spielten viele Kinder mit ihren kleinen Häusern aus Holz und Pappmaché draußen auf den Wiesen. Doch ich ließ nicht locker. Ich wollte das Puppenhaus von der Kommode.
„Tja, Gitta ... das kann ich dir nicht zum Spielen geben“, sagte Großvater und schaute mich forschend an. „Ich weiß nicht, ob ich dir ein großes Geheimnis anvertrauen kann …“
„Klar doch!“, rief ich begeistert.
„Ich glaube schon“, fuhr er fort, „andererseits … es wird Zeit einen Nachfolger für mich zu finden. Weiß du, Gitta, es ist nämlich bewohnt.“
„Wie? Was soll das bedeuten? In dem kleinen Haus kann doch niemand wohnen.“
„Oh doch. Also hör zu: Ich war damals so jung wie du heute, immer unterwegs. Ab in die Natur, um Tiere zu beobachten oder den Bäumen im Wald zu lauschen. Irgendwann beschloss ich eine Pause einzulegen und setzte mich auf einem flachen Felsstein und betrachtete den flammenden Himmel, als ich diesen Steinkauz erblickte, wie er vor Erregung sich schnell aufrichtet und wieder duckte. Natürlich war ich neugierig geworden und schlich mich vorsichtig heran. Dort, zwischen den unteren Ästen einer Esche, hatte eine Spinne, in einem ungewöhnlichen und großen Radnetz, ein Wesen gefangen, was ich nur aus Geschichten zu kennen glaubte, und niemals gedacht hätte, dass es wirklich existierte würde.“
„Und was war es?“, rief ich neugierig dazwischen.
„Alles nur Ammenmärchen, Gitta.“ Großmutter schüttelte den Kopf und widmete sich wieder ihren Pflanzen im Garten. „Dein Großvater hat einfach zu viel Fantasie.“
„Erzähl weiter“, forderte ich ihn auf, „was war das für ein Wesen?“
„Nun“, brummte der alte Mann und schaute verlegen auf die gebückte Gestalt seiner Frau, die eifrig im Garten hantierte. „Großmutter weiß nichts von meinem Geheimnis und es hat sie auch nie interessiert. Obwohl ich ihr es erzählte. Na ja, da kann man nichts machen. Also ... ich sah wie eine richtig fette Kreuzspinne aus ihren nahegelegen Versteck, wo sie mit der Netzmitte durch einen Faden verbunden war, kroch ... ich hätte wirklich nicht zu spät kommen dürfen und es wäre um Alwine geschehen. Das Gift dieser Spinnen hätte sie sicherlich getötet.“
„Alwine?“, fragte ich überrascht. „Wer ist Alwine?“
Alwine ist eine Fee. Federleicht, anmutig, geheimnisvoll und schillernd.“
Vor Staunen klappte mir die Kinnlade herunter.
„Nun, Alwine war auf der Flucht, als sie in das heimtückische Netz flog. Ihr Feenhügel war von einem Finsterling überfallen worden. Leider wirken Feenzauber nicht bei Spinnentieren und so rette mein Eingreifen die Fee aus höchster Gefahr.“
„Und jetzt wohnt Alwine in dem Puppenhaus“, stellte ich nüchtern fest. „Das helle Lachen ... das war sie ...“
„Nein, das war eine andere Elfe“, sagte Großvater trocken. „Ihre Heimat, der Feenhügel, war vollkommen zerstört und die wenigen, die überlebt hatten, nahm ich mit nach Hause. Meine Eltern durften davon nichts erfahren. Wer weiß, was sie getan hätten. Aber ich wusste ein gutes Versteck für die Feen. Auf dem Dachboden, in einer verwaisten Ecke, wo niemand hinkäme, stand ein altes Puppenhaus. Dort quartierte ich sie ein, und sie leben noch immer in diesem Haus.“
„Kann ich sie sehen?“, bedrängte ich Großvater. „Bitte, ich bin auch ganz leise.“
„Schau mal, Gitta“, sagte Großvater. „Die elfischen Wesen schenken den Menschen nicht sehr viel Interesse. Sie sind scheu und konzentrieren sich auf ihre Bestimmung, welche darin besteht sich um die Tiere und Pflanzen, Quellen, Bäche und Teiche zu kümmern, sie zu hüten und zu pflegen. Sie sind Naturgeister; Feen und Elfen sind für unsere menschlichen Augen unsichtbar, doch manchmal, wenn sie es wollen, zeigen sie sich als Lichtschein oder als kleine geflügelte menschenartige Wesen. Das alles klingt fantastisch, ich weiß, aber das Band zwischen diesen Wesen und uns Menschen, besteht in der Liebe zur Schöpfung. Die welche sich zur Natur hingezogen fühlen haben ein Gespür für solche Wesen.
Man sagt: dass sich Glück verbreitet in einem Haus, das eine Elfe besitzt. Und das stimmt auch. Großmutter und ich, wir waren immer sehr zufrieden miteinander, und das haben wir nur Alwine zu verdanken. Aus Dankbarkeit für ihre Rettung wollte sie mir einen Wunsch erfüllen, aber ich sagte ihr, dass ich mir den Wunsch aufbewahren möchte. Sie war einverstanden, und heute möchte ich, dass Alwine dir einen Wunsch an meiner statt gewährt.“
„Ich darf sie also nicht sehen?“, fragte ich enttäuscht.
„Ich glaube nicht“, sagte Großvater. „Aber später einmal sicher, wenn die Zeit reif ist.“
„Darf ich sagen, was ich mir wünsche?“
„Nein. Denk es dir einfach und erzähle niemanden davon.“
„Schon geschehen“, sagte ich fröhlich und hoffte inständig, dass Großvaters Fee wirklich existiert.
Allmählich wurde es Zeit nach Hause zu gehen. Ich beeilte mich, schließlich musste der Abendbrottisch gedeckt.
Draußen sah ich meinen Bruder Michael mit einem Eimer in der Hand stehen. Ich fragte erstaunt: „Was machst du denn da?“
„Was ich mache?“, sagte er verdattert. „Hast du Tomaten auf den Augen? Ich rupfe das Unkraut.“
Mutter schaute kurz aus dem Fenster und rief: „Gitta, du kommst gerade zur rechten Zeit, das Abendbrot ist fertig.“
Vater reparierte die Wasserpumpe.
Es gab sie also wirklich, Alwine, die Fee; sie lebte bei meinem Großvater im alten Puppenhaus. Wäre sonst mein Wunsch in Erfüllung gegangen?
Wie lange lag das schon zurück? Jetzt bin ich selber Mutter von zwei süßen Mädchen, die mich den ganzen Tag auf trapp halten. Erschöpft von meiner Arbeit ging ich auf mein Zimmer, welches damals Großvaters Schlafzimmer war und setzte mich in meinen Ohrensessel.
„Hallo Gitta“, flötete mir eine helle und melodiöse Stimme ins Ohr. „Du siehst ganz schön müde aus.“
„Ach Alwine“, sagte ich. „Ich brauche nur etwas Ruhe und einen Malventee, dann geht es mir gleich besser.“
Die Fee erhob sich von meiner Schulter und flatterte mit sanftem Flügelschlag vor mir in der Luft. Sie schwang ihren Zauberstab aus Licht und ich spürte sogleich ein wohliges prickeln und mein Körper entspannte sich. Dann stieg der Duft von Malventee in meine Nase. Ich nahm die Tasse vom Tisch und danke meiner kleinen Fee.

-Ende-
 

Claus Thor

Mitglied
Hallo Flammarion,
die kleine Geschichte schrieb ich vor circa sieben Jahren. Die wenigen, die sie gelesen haben, dürfte ich an nur einer Hand abzählen können. Es waren überwiegend Kolleginnen von mir und meine beste Freundin Susi. Für die ich übrigens noch einen Roman schuldig bin: Susi und der Geheimbund der Hexen. Nach wechselhaften Ereignissen bin ich erst seit Kurzem wieder am Schreiben. Arbeite grad an einer Kurzgeschichte um den jungen Edgar Allan Poe und habe den Geheimbund wieder aufgenommen. Zudem bearbeite ich meine alten Shorties, seit ich durch Zufall dieses Forum fand.
Lieben Gruß
CT
Ps.: Irgendwo gepostet- höchst unwahrscheinlich
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

inzwischen weiß ich, woher ich den plot kenne - christian andersens fliedermüterchen ist ganz ähnlich wie deine story.
sorry.
lg
 



 
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