Papiertiger
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Grübeln ist das neue Rauchen
Grübeln gilt als negative Beschäftigung. Dabei klingt es ähnlich langweilig wie die Langeweile und dieser schreiben kreative Menschen ja geradezu eine magische Wirkung zu. „Ach hätte die Generation Smartphone doch nur mal Langeweile wie wir damals“, wird da schon Mal beklagt, denn Not macht erfinderisch und aus dem vermeintlich Nichts entstehen plötzlich Ideen. Menschen schöpfen plötzlich aus sich selbst. Aber was ist Grübeln denn tatsächlich? Die depressive Verwandte vom edlen Denken? Das Zerdenken von Träumen bevor sich aus diesen realistische Ziele und klare Pläne formen lassen? Bei all den Massen von Coaches im Internet denke ich immer: Ja, ja, klingt gut, aber reden kann ich selbst auch ganz gut, was nützt es mir, wenn ich nicht ins handeln komme? Mit dem kreativen Schreiben ist es genau so. Ich verstehe total, das man sich noch einen Schreibratgeber kaufen, noch ein Schreibseminar buchen, vielleicht sogar Kreatives Schreiben an einer Hochschule studieren will bevor man endlich loslegt und das tut, was den Laien zum Profi machen kann: tatsächlich zu schreiben und einen Text komplett zu Ende zu bringen.
Rauchen ist 2024 nicht mehr cool. Es war mal etwas das, ähnlich wie das eigene Auto, als Symbol von Freiheit und mutig loslegen vermarktet wurde. Heute können wir so viel mehr unternehmen als früher, alles mögliche studieren, diesen oder jenen Lebensentwurf ausprobieren, bis 90 Lego-Sets bauen und sich unerwachsen verhalten bis kurz vorm Altenheim. Sind meine sämtlichen Tagebüchern etwas anderes als schriftlich festgehaltenes Grübeln? Ich hoffe schon. Und ist es nicht eine feine Linie von Grübeln hinüber zum seiner Fantasie freien Lauf lassen und ist es nicht genau das, was es braucht, um sich selbst Geschichten auszudenken?
Ich wäre gerne Lehrer geworden. Aus Interesse an Wissen und Lernen, weil ich gerne rede und weil es schön ist, nützliches Wissen zu vermitteln. Aber die Realität würde mir bestimmt ziemlich zu schaffen machen.
Warum nicht aus der Not eine Tugend machen? Ein Seminar anbieten: Verwandeln sie destruktives Grübeln, nagende Selbstzweifel und die komplette Zeitverschwendung den verpassten Chancen und Fehlern ihrer Vergangenheit nachzuhängen. Leben im Hier und Jetzt. Kostenloses Erstgespräch. Erfolgreicher und glücklicher in nur 30 Tagen. Für 249 Euro.
Sei kein Adler, sei keine Ente, nutze das Hier und Jetzt und nicht erst die Rente.
Negative Erfahrungen sind dornige Chancen.
Das Leben ist ein Geschenk und manchmal gibt`s halt nur ein Paar Socken. Das kann uns nicht schocken.
Was werde ich unterrichten? Die Gedanken-Stopp-Methode. Entweder ein Gummiband um den Arm machen und es hochziehen und dann zurück schnellen lassen, damit der Schmerz das Grübeln stoppt. Oder etwas Tabasco auf ein Stück Brot. Oder einfach in die Hände klatschen und laut „Stopp!“ sagen, wenn sich die Mainzelmännchen des Zweifels im Denkapparat breit machen wollen.
Das Leben ist kurz – deshalb trink keinen Kurzen, sondern mach einen Spaziergang, gern einen langen.
Das Alberne muss ich mir noch abgewöhnen, sonst wird schnell nervig.
Kapitel 1: Das Anti-Grübel-Seminar.
Ein Teilnehmer nähert sich schüchtern dem, im Internet genannten Raum, in der Volkshochschule und fragt den Mann vorne an der Tafel: „Entschuldigung, ist das hier das Grübel-Seminar?“
Der Mann im Cord-Jacket mit Ärmelschonern blickt auf: „Das frage ich mich auch.“
„Wie bitte?“
„Sorry, ein kleiner Scherz, ja, sie sind hier richtig, bitte nehmen Sie doch Platz.“
Tja und wie die Geschichte weitergeht? Das muss ich mir erst noch überlegen. Überweisen Sie doch bitte schon mal die 249 Euro. Ich schreibe derweil die Dankesrede für den Grimme-Preis. Und danach dann eventuell die Geschichte. Man kommt ja zu nichts.