Grundausbildung III – Auf dem Schießstand, Budenzauber und Ende Chapter 6

Dann war es endlich soweit, Maat Marin kündigte an, dass wir morgen zum Schießen hinausfahren. „Endlich mal eine Abwechslung“, sagt Willi. Bisher hatten wir nur mit Übungsmunition geschossen und die funktionierte nicht wirklich bei Dauerfeuer. Die Plastikmunition blieb dauernd irgendwo im Schloss hängen. Trotzdem hatte sich gezeigt, dass man auch mit einem leeren Gewehr nicht auf jemanden zielen und schon gar nicht schießen sollte. Einer aus unserer Truppe hatte das vor dem Waffenreinigen gemacht und einem Kameraden, der aus der Dusche kam, aus Spaß das Gewehr entgegengehalten und abgedrückt. Der Bursche bekam die volle Ladung winziger Plastikteilchen, die sich noch im Lauf befanden, auf die nackte Brust gebrannt, er konnte gleich zum Sanitätsbereich gebracht werden.
Ansonsten waren wir, was Waffen angeht, recht fit gemacht worden. Eine unsere Aufgaben bestand zum Beispiel darin, Gewehr, Pistole und Uzi auf dem Rücken auseinander zu nehmen und alle Teile aus dem Sammelsurium, ohne Ansicht, wieder zusammenzusetzen. Wir kannten uns aus und waren also vorbereitet.

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Am Beginn des Übungsschießens geht es darum, dass alles seine Ordnung hat. Sicherheit ist das oberste Gebot. Hatte es doch in der Vergangenheit einige unliebsame Fälle gegeben die dazu führten, dass jetzt alles regelgerecht abzulaufen hatte. So passierte es beim letzten Maschinengewehrschießen, dass der Unteroffizier in der Schießbahn vor den hinter ihm liegenden Soldaten stand und erklärte, worauf es zu achten galt. Der Fehler war aber, dass zu diesem Zeitpunkt alle Soldaten mit scharfer Munition in ihren Waffen in Stellung lagen und auf das Kommando warteten. Natürlich sollte jede Waffe zu diesem Zeitpunkt gesichert sein, aber weiß man’s?

Tatsache war jedenfalls, dass der Unteroffizier im vollen Redeschwall seiner Erklärungen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, leicht auf den Zehenspitzen wippend, ein leises Klicken mitbekam und schon jagte eine Garbe aus dem Maschinengewehr gleich hinter ihm abgefeuert, um Zentimeter neben seinem rechten Stiefel in den Sand. Allen stockte der Atem, besonders der vom Unteroffizier, der wie angewurzelt stehen blieb, sich dann aber besann und ähnlich, wie in der letzten Szene von Hamlet, die Bühne ohne Kommentar und ohne sich umzusehen, seitlich verließ. Abgang! Hinter ihm, die Waffe im Anschlag, das Gesicht neben der Waffe im Sand verborgen, der Soldat - er schluchzte.

Jeder erhält 5 Patronen für die er unterzeichnen muss. Nach einer Ansprache des Korvettenkapitäns und öder Wartezeit ging es endlich in die Schießbahn. Jeder Soldat hat seine Sprüche im Kopf, die er sagen muss, um den Zustand seines Gewehres zu erklären, ob im gesicherten oder ungesicherten Zustand. Das mag für den einen einfach sein, für den anderen ein vielleicht ein unüberwindbares Hindernis.
Mein Nebenmann wurde vom Unteroffizier, der für uns beide zuständig war, vergattert. Der Bursche verhedderte sich im Text und bei dem Befehl „Stellung“, bei dem man sich in voller Montur auf den Boden gleiten lässt, fiel er ziemlich ungelenk in den Dreck. Der Unteroffizier schnauzte sofort los und ließ den Burschen die Sache wiederholen. Endlich war es soweit, der Soldat bekam den Schießbefehl nicht ohne die überflüssige Bemerkung: „Sie sehen ja aus wie der Dackel von meinem Nachbarn.“

Das brachte mich gegen ihn auf, ich kann das nicht leiden, denn es ist überflüssig. Jetzt kam er zu mir, und nach dem üblichen Ritual konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: „Damit das klar ist, bei mir gibt es keinen Spruch, sonst gibt es was auf die Schnauze.“ Er sagte nichts. Ich schoss 3x10 und 2x9 auf 250 Metern liegend, angelegt. Das gleiche Ergebnis mit der Pistole P38 auf 25 Metern stehend. Drei Tage später wurde das Schießergebnis vor dem Bataillon bekannt gegeben. Ich hatte das beste Ergebnis erzielt, aber eine Heimfahrt sprang nicht dabei heraus, wie ich gehofft hatte. Ich durfte aus der Hand des kommandierenden Kapitänleutnants von Hahn aus einer Uzi ein Magazin in den Sandhügel des Schießstandes verschießen. So ein Mist! Wochen später konnte ich feststellen, dass sich mein gutes Schießergebnis alleine dadurch relativierte, dass viele Gewehre nicht geradeaus schossen.

*

Die Tage der Grundausbildung gingen ihrem Ende zu, mittlerweile war ich mit Jim in Düsseldorf gewesen, hatte endlich meine Familie und meine Freunde wiedergesehen. Der Juni kündigte sich an. Die Ersten machten sich Gedanken wohin sie wohl versetzt werden würden. Keiner hat Lust auf Bürodienst an Land, alle wollten auf irgendeinen „Pott.“ Dabei ist allen klar, dass die Marine so viele Schiffe nicht hat. Aber bevor es zu Ende ging, kam es noch zu einem Höhepunkt. Wir wussten, dass uns der „Budenzauber“ bevorstand, bei dem die Unteroffiziere die Stube einer Gruppe nachts überfielen und alles um schmissen und durcheinander brachten. Dabei gab es zwangsläufig auch blaue Flecken. Es war also eher ein sportlich-traditionelles Unternehmen. Von vielen Altgedienten wurden uns Schreckensszenarien erzählt, andere gaben uns Verhaltenstipps.

Als der Budenzauber bei uns stattfinden sollte, waren wir deshalb vorbereitet und hatten uns eine Strategie ausgedacht, wie es sich für einen Haufen wagemutiger, junger Burschen geziemt. Der Punkt war der, dass wir dann allerdings in Unterzahl sein würden, aber wir ahnten schon, dass wir gegen die besser trainierten Unteroffiziere keine Chance haben würden. Es galt, sie so lange wie möglich aufzuhalten und ihre Kräfte zu binden.

Der dazu am besten in der Lage war, hieß Dieter Waldenberg, ein Maurer, ein Vorzeigeathlet aus Niedersachsen, dabei gutaussehend aber leicht aufbrausend und ebenso leicht zu manipulieren. Peter Raff der Stuttgarter gehörte dazu, ein gescheiter Junge, wirkte irgendwie gereifter als wir und vielleicht ein wenig spröde. Jörg ein Ostfriese, blondes Haar, schmales Gesicht mit unverwechselbarem, nordischem Akzent, der sich schwertat mit dem morgendlichen Waschen, aber das haben wir ihm beigebracht. Als es dann so weit war und sie mitten in der Nacht mit Geschrei die Türe eintraten, verteidigten wir unseren Laden wie die Löwen.

Am Anfang war es mehr wie eine Kissenschlacht mit viel Gejohle. Als die Munition zu Ende ging, wurde mit körperlichem Einsatz versucht zu verhindern, dass sie, es waren sechs Leute, sich an unsere Betten heranmachten, um sie auf den Kopf zu drehen.
Wir konnten nicht verhindern, dass ihnen das zum Teil gelang. Der Kampf um die Spinde wurde heftiger und manch eine Faust, ob gewollt oder ungewollt, traf ihr Ziel. Waldenberg hatte einen der Unteroffiziere im Schwitzkasten und knallte ihn mit dem Kopf gegen den Spind so, dass dieser sich zur Seite neigte. Es war also quasi nur ein Teilerfolg.

Ich hatte es mit einem der Maaten zu tun, der mir körperlich überlegen war, aber ich klammerte mich an ihn und konnte ihn damit zumindest eine Zeitlang von Aktionen gegen unser Mobiliar abhalten. Als die Unteroffiziere endlich unsere Bude verließen, sah doch alles so chaotisch aus, wie sie es sich letztendlich vorgestellt hatten. Völlig ausgepumpt saßen wir da und der Schweiß rann uns über den ganzen Körper. Was die Unteroffiziere im Eifer des Gefechtes nicht bemerkt hatten, war die Tatsache, dass sie uns nicht durchgezählt hatten, denn drei von uns fehlten.

Während des Getümmels in unserem Zimmer, befanden sie sich bereits zwei Stock über uns und enterten den verlassenen Raum von Obermaat Marin, der ja zu diesem Zeitpunkt gerade dabei war unsere Einrichtung zu demolieren. Die Buben machten kurzen Prozess und öffneten das Fenster. Es war kein Problem das Bett anzuheben und auf das Fensterbrett zu legen. Mit lautem Krachen knallte das Bett, sich überschlagend, auf den Gehweg vor dem Eingang auf. Aber das konnte ja noch nicht alles sein. Mit den beiden Spinden hatte man ein wenig Mühe, es durfte jetzt keiner den Raum betreten, denn dann war alles aus. Also angepackt und als der Spind mit seinem Stahlrahmen erst einmal auf dem Fensterbrett auflag, gab es kein Problem mehr.
Da wurde geschoben bis sich das Gleichgewicht verlagerte. Man musste sicher sein, dass sich jetzt unten keiner auf dem Gehweg befand und schon ging es abwärts. Der Spind knallte auf den Asphalt, verzog sich dabei etwas und der Inhalt ergoss sich über den Bürgersteig.

Am nächsten Morgen beim Appell lief, als wäre nichts geschehen, das übliche Procedere ab wie an jedem Tag vorher auch. Übermüdet wirkte der Haufen, und der eine oder andere hatte eine gerötete Nase oder einen blauen Fleck, aber auch ein bübisches Lächeln im Gesicht. Zumindest konnte man, sagen die Schlacht war pari-pari ausgegangen.
 



 
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