Tanja_Elskamp
Mitglied
Anmerkung:
Überarbeitete Fassung der Geschichte nach den ersten Anregungen gibt es auf Seite 2 zu lesen
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Sie verzog keine Mine. Aber auch, wenn sie das gewollt hätte, hätte sie es nicht gekonnt. Das einzige Mittel, mimisch ihre Gefühle zu äußern lag darin, hektisch mit der Zunge über die Zahnreihen zu fahren und das wiederum sagte bei ihr gar nichts aus, weil sie es nahezu permanent tat. Das war recht ungewöhnlich für ihre Art und so war beinahe jeder Atemzug begleitet von leisem Knacken, Quietschen und Knirschen. Einige würden es als seltsam ansehen, aber bei ihrem Stamm war es mehr als nur eine Unsitte, es war selbst für eine Echsenartige eine hochgradig dämliche Marotte. Wo sie auch hockte oder lief, verrieten sie ihre schmatzenden Geräusche schon von weitem.
Einzig ihr Jähzorn war es, dem sie ihr bisheriges Leben verdankte. Wer so wütend werden konnte, der könnte überleben, aus dem könnte noch was werden. Aus ihr wurde aber schlichtweg gar nichts als eine hektische Erscheinung ihrer Art, die durch die Gegend schmatzte und dösiger war als der gesamte Stamm zusammen.
Rituale waren den Aquadil, wie die Echsenartigen sich nannten, heilig. Wer sich dort beweisen konnte, der bekam seinen Platz zugewiesen, wer nicht, der verlor jedwedes Anrecht auf irgendwas. Sie wusste, dass ihre Zeit sehr nahe war. Sie war sich nicht ganz sicher, weil sie oft vergessen hatte, die Mondphasen zu zählen, aber irgendwann demnächst würden sie sie mit den Trommeln wecken, sie packen und prüfen. Dass sie zu denen gehörte, die bei dieser Geschichte das Zeitliche segnen würden, das stand selbst für sie außer Frage. Sie musste weg. Statt sich um die Larven zu kümmern, wie sie gesollt hatte, war sie also einfach losgestapft. Eine Rast war längst überfällig, aber sie war sich nicht sicher, ob sie nicht zu viel Schilf auf ihrem Weg gebrochen hatte, nicht zu oft Spuren hinterlassen hatte.
Tage vergingen, Wochen verstrichen. Sie war noch immer niemandem begegnet, aber ihre Reserven waren mehr als erschöpft. Würde sie nicht bald wieder ein Sumpfgebiet oder ähnliches finden, würde sie vor demselben Problem stehen, vor dem sie geflohen war: sie würde sterben. Nachdem ihr diese Erkenntnis gekommen war, hatte sie ihre Geschwindigkeit wieder erhöht und immer häufiger traf sie Reisende auf dem Weg. Sie alle waren aber wohl Zauberer, denn sobald sie nahe genug heran war, verschwanden sie in einem Gewabber aus Luft. Dass sie halluzinierte, begriff sie nicht. Sie begriff es auch nicht, als ihr Häuptling vor ihr stand und meinte, sie habe das Ritual bestanden und könne schlafen, jetzt, wo es um sie dunkel wurde...
------------------------------
"Was gibts denn gegen Gulasch zu sagen?"
"Nix gibts gegen Gulasch zu sagen."
"Ja also!"
"Nee!"
"Wie nee? Ich dachte, wir wären uns jetzt einig?"
"Hab ich nicht gesagt."
"Du hast gesagt, es spricht nichts gegen Gulasch."
"Ja und?"
"Ja, dann machen wir jetzt welches. Ich hab Hunger."
"Ich auch, aber...Nee!"
"Wie nee? Du hast doch gerade gesagt..."
Sie hatte noch nie von Gulasch gehört, aber es schien sich um etwas Essbares zu handeln. Sie hatte Hunger, großen Hunger sogar.
"Gulasch.", murmelte sie und sah sich um. Jede Bewegung schmerzte und sie war kaum fähig, sich zu rühren. Das Gespräch verstummte, aber lautes Lachen drang zu ihr vor. Wer war da? Sie versuchte, sich aufzusetzen.
"Nix!", sagte jemand und klatschte mit irgendwas vor ihre Brust, so dass sie zurückfiel. Sie stöhnte, aber zu mehr war sie nicht fähig.
"Gulasch?", schmatzte sie und wieder ertönte dieses Lachen. Wieder wandte sie den Kopf zur Seite und jetzt erkannte sie verschwommen Gestalten, eine Menge, ein Dutzend vielleicht.
"Stillhalten!", befahl jemand und etwas Hartes und Rundes wurde gegen ihre Schläfe gepresst und zwang ihren Kopf wieder in die Ausgangslage. Ein leises Knurren entfuhr ihr und mit der letzten Kraft, sie sie mobilisieren konnte, wollte sie den Gegenstand beiseite drücken. Irgendwas hielt sie jedoch fest, sie konnte ihre Arme nicht anheben. Dann wurde es wieder dunkel, nur der Häuptling war nicht da so wie beim letzten Mal.
------------------------------
"Ey!", zischte es. Da wieder: "Ey!"
Sie regte sich vorsichtig, öffnete die Augen. Den Kopf zu wenden traute sie sich nicht schon wieder.
"Ah, lebst ja doch noch. Dacht´ ich mir.", flüsterte es und mit einem Handgriff klappte jemand ihren Unterkiefer runter. Sie wollte sich wehren, nicht tatenlos zulassen, was die Stimme da auch immer wollte, aber dann spürte sie es in der Kehle: Wasser! Wie aus der Hölle kriechend schluckte sie das Nass hinunter, öffnete das Maul, wieder und wieder.
"Mann, du säufst ja wie ein Pferd!", raunte die Stimme mit unverhohlener Bewunderung. "Hör zu, ich mach dich los, wenn du dich benimmst, aber du darfst keine Faxen machen und musst dich nachher auch wieder anbinden lassen, klar?"
Sie verstand nur die Hälfte, aber es klang gut, also nickte sie. Jemand ergriff ihre linke Hand und hob sie an, sie konnte sich also wieder bewegen! Sie versuchte es mit der rechten Hand, mit den Füßen....und setzte sich auf. Sie erkannte, wer ihr da geholfen hatte, ein Mensch, weiblich, ein ganz kleines Exemplar.
"Hast du Hunger?", fragte sie sie.
"Gulasch?", antwortete sie sofort und das Mädchen lachte.
"Mann, kannst du überhaupt sprechen oder was? Du hast das gar nicht geschnallt mit dem Gulasch, oder? DU bist das Gulasch!"
"Gulasch?", fragte sie erstaunt und schüttelte energisch den Kopf.
"Naja, wie auch immer, ich mach dir einen Vorschlag: Ich komm jeden Tag zwei Mal her und sehe zu, was ich für dich mitbringen kann, damit es dir besser geht. Ich mach´ dich dann auch los immer, aber bis du wieder völlig okay bist, mach ich dich auch wieder fest später. Aber du musst aufpassen, dass Greygoar nicht merkt, dass du wieder auf die Füße kommst, verstehst du?"
Einen Augenblick lang schaute die Aquadil fragend, dann kam es über ihre nicht vorhandenen Lippen: "Warum?"
Das Mädchen zuckte die Schultern.
"Greygoar ist´n Arsch. Der macht hier den großen Macker und letztlich kümmert es ihn doch einen Scheiß, wie´s uns geht. Ich hab gehört, die von deiner Sorte sind so richtig stark, oder? Also wenn du wieder klar bist, dann zeigste dem mal, wer richtig gut ist und setzt ihn außer Gefecht. Das traut sich hier keiner, aber du bist stark genug. Wenn du gewinnst, kannst du soviel Wasser haben, wie du willst und gehen und wir haben unsere Ruhe. Wenn du cool bist, kannste vielleicht auch bleiben, mal sehen, was die anderen dann so meinen. Wenn nicht, hast eh nix verloren - wir aber auch nicht. Kapierste das?"
Sie schien einen Augenblick nachzudenken, dann nickte sie. Sie fühlte sich noch immer kraftlos und geistig nicht ganz auf der Höhe, aber das war sie ja sowieso noch nie gewesen. Die Gesten des kleinen Menschen waren aber so ausufernd gewesen, dass sie auch darin schon die Absichten hatte ablesen können.
Das Mädchen kam wirklich jeden Tag. Anfangs hatte die Aquadil gedacht, sie käme nicht mehr, weil sie die ganze Sache doch nicht ganz begriffen hatte. Jedenfalls protestierte sie, wenn das Mädchen sie am Ende der Besuche sie wieder anbinden wollte, aber dieses Menschenkind war geduldiger, als man hätte glauben mögen. Sie schien große Hoffnungen in die Aquadil zu setzen und mit jedem Tag wuchs deren Bestreben, diese auch zu erfüllen, um ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen.
Die Zeit verging und die Aquadil wurde immer kräftiger. Eines Tages dann war es soweit. Das Mädchen hatte einen Spieß an ihrem Lager gelassen und ihr die Fesseln nur umgelegt, nicht aber festgebunden. Wie alle paar Tage kam Greygoar an ihr Lager, um sie zu piesacken.
"Na, immer noch Bock auf Gulasch, olle Echse?", grinste er ihr ins Gesicht. "Scheint dir ja gut zu bekommen der Urlaub bei uns. Wenn du noch nen bisschen mehr davon hast, lohnt sich das Gulasch wenigstens, hrhrhr."
Sie regte sich nicht. Erst, als er sich in der Hocke nach hinten drehte, um nach etwas zu greifen, reagierte sie blitzschnell. Mit einem Handgriff hatte sie den Spieß in der Hand und sprang auf. Noch im Sprung hieb sie ihn in die Seite und Greygoar kippte um.
"Jetzt mal wollen gucken, wo haben besser Gulasch!", rief sie wütend und stach den Spieß in seinen Oberschenkel. Er schrie und griff an sein Bein, aber da hatte sie den Spieß schon genüsslich umgedreht und einen Fetzen Fleisch aus ihm gerissen.
"Hüfte auch gut!", kündigte sie an und riss ihm im selben Augenblick ein Stück aus selbiger.
"Oder du mögen gut gewachsenes Schulterstück?", lautete ihre nächste Frage und sie stach zu.
Ihr Spiel war brutal und sie achtete darauf, ihn nicht zu töten. Stück für Stück nahm sie ihn buchstäblich auseinander und häufte sein Fleisch neben sich auf. Die Lache seines eigenen Blutes um Greygoar herum wurde immer größer und irgendwann verstummte sein Schreien und wich einem Röcheln. Lange hätte er ihr Spiel nicht mehr aushalten können, als sie sich verschätzte und eine Arterie traf. Hellrotes Blut schoss aus seiner Leiste und verfärbte das Lager, auf dem sie so lange Zeit gelegen hatte, das Holz der Wände rundum. Es dauerte nicht einmal mehr eine Minute und Greygoar war still und würde auch nie wieder etwas anderes sein als das.
Mit strahlendem Gesicht löste sich das Mädchen aus einer Nische, aus der sie das Schauspiel betrachtet hatte.
"Willkommen zu Hause!"
------------------------------
"Was gibts denn gegen Gulasch zu sagen?"
"Nix gibts gegen Gulasch zu sagen."
"Ja also!"
"Nee!"
"Wie nee? Ich dachte, wir wären uns jetzt einig?"
"Hab ich nicht gesagt."
"Du hast gesagt, es spricht nichts gegen Gulasch."
"Ja und?"
"Ja, dann machen wir jetzt welches. Ich hab Hunger."
"Ich auch, aber...Nee!"
"Wie nee? Du hast doch gerade gesagt..."
"Ja, hab ich gerade gesagt. Ja, hast ja Recht, also Gulasch. Dann mach mal Feuer oder was. Ich hol in der Zeit Wasser."
"Wasser?"
"Ja, ich kipp das dem hier über den Kopf."
"Wieso das denn? Hömma, wir haben da nicht unendlich viel von!"
"Weiß ich, aber das macht zartes Fleisch - oder willst du lieber auf Leder rumkauen?"
"Nee..."
"Ja also!"
Schritte polterten, irgendwas wurde gestapelt. Kurz darauf wurde die Luft noch heißer als schon zuvor, etwas knackte und sie war sich sicher, dass es nicht von ihren Kiefern herrührte. Plötzlich klappte jemand mit einem Handgriff ihren Unterkiefer runter und Wasser rann ihre Kehle hinunter. Gierig schluckte sie das ersehnte Nass runter, soweit sie es vermochte. Sie öffnete die Augen, aber sie konnte nichts sehen, alles war in milchiges Gelb getaucht. Sie versuchte, sich zu bewegen, aber es gelang ihr nicht.
"Scheiße, vonwegen Kadaver! Ich hab ja sofort gesagt, dass der noch zuckt!"
Die Stimmen waren sehr tief, es waren Männer, zwei verschiedene.
"Na, was macht unser Gulasch?"
Es waren Drei, verbesserte sie sich.
"Alles klar, Greygoar, geh pennen, wir wecken dich dann schon."
"Gute Idee, genau. Ich geh schlafen und ihr macht die Arbeit, wie sich das gehört.", lachte der Dritte auf und entfernte sich mit schallendem Lachen.
"Ey!", zischte einer der anderen. "Ey! Hör zu, wir machen es wie besprochen, oder?"
Sie hörte niemanden antworten.
"Noch ein bisschen, bis er richtig weggeratzt ist, und dann gehst du rüber und schlitzt ihn auf. Greygoar ist´n Arsch. Der macht hier den großen Macker und letztlich kümmert es ihn doch einen Scheiß, wie´s uns geht. Außerdem hortet er alles nur für sich. Wenn er hinüber ist, dann teilen wir das Zeug ordentlich auf und dann essen wir erstmal, oder?"
Wieder keine Antwort.
Zeit verging, sie hörte Schritte, die sich entfernten. Kurz darauf meinte sie, ein blubberndes Röcheln zu hören. Die Schritte kamen kurz darauf zurück und waren wieder in alter Lautstärke zu hören. Nein, etwas lauter, sie klangen triumphierend.
"Mann, hast du gesehen, wie das gespritzt hat? Ich wusste gar nicht, dass das spritzt. Ich dachte immer, das läuft langsam am Hals runter oder so."
"Ja, du hast halt keine Ahnung. Außerdem muss man das schon ordentlich machen, wie ich eben."
Ein Klopfen war zu hören, von einem Lachen begleitet.
"Ja, du bist echt ein Held, mein Freund! Du hast das Land von einem Idioten befreit und uns beide zugleich reich gemacht. Jetzt Gulasch?"
"Ja, jetzt Gulasch."
Ein Augenblick Stille, dann hörte sie etwas Metallisches. Dann plötzlich raste ein Schmerz durch ihren Körper, von ihrer Seite durch ihren Oberkörper bis hin zu ihrem Kopf. Sie schrie, so laut sie konnte, aber ihre Reserven waren zu erschöpft, es kam nur ein heiseres Quietschen aus ihrer Kehle.
"Ich will auch so einen Brocken!", sagte einer der Männer und kurz darauf durchzuckte der Schmerz sie auch am Oberschenkel.
Sie hörte den Puls in ihren Ohren rasen, riss wütend die Augen auf, aber sah immer noch nur das milchige Gelb. Verzweifelt versuchte sie sich aufzurichten, aber ihre Glieder wollten ihr einfach nicht gehorchen und dann spürte sie einen Fremdkörper in der Schulter, der sie am Boden förmlich festnagelte und ihr jede verbliebene Chance nahm.
"Lass uns erstmal probieren - oder hast du sowas schonmal gegessen?"
"Nee, hab ich nicht....mhhmh, erstaunlich gut! Sogar richtig zart, hätte ich nicht gedacht!"
"Tja, ich hab ja gesagt, dass das mit dem Wasser eine gute Idee ist, oder?"
Sie fühlte, dass Wärme sie umgab, flüssige Wärme um sie herum. Es dauerte, bis sie begriff, dass es ihr Blut war.
"Also lecker schon, aber ich hab schon noch Hunger. Mach mal noch ein paar Stücke fertig!...Mach nochmal so ein Seitenstück, da ist besonders gut Fett dran."
Der Schmerz war wieder in der Schulter, er riss durch ihr Fleisch hindurch, irgendwas mit einem Widerhaken. Dann spürte sie dort nur noch ein Sickern und der Fremdkörper war verschwunden. Der Schmerz war jedoch nicht verschwunden, sondern traf sie nun an der anderen Seite, diesmal auch in viel heftigerem Ausmaß.
Sie röchelte leise, langsam war das milchige Gelb ihres Sichtfeldes nur noch milchig und die Farbe schwand aus ihrem Blick.
Als der Spieß sie in die Leiste traf, tat es schon gar nicht mehr weh. Der milchige Ton ihrer Aussicht wandelte sich in waberndes Grau, aus dem sie einmal mehr ihren Stammeshäuptling treten sah. Mit ihm kam die Dunkelheit und verschleierte ihre Augen immer weiter. Das Letzte, das sie wahrnahm im Leben, das war diese Halluzination, die zu ihr sprach:
"Willkommen zu Hause!"
Überarbeitete Fassung der Geschichte nach den ersten Anregungen gibt es auf Seite 2 zu lesen
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Sie verzog keine Mine. Aber auch, wenn sie das gewollt hätte, hätte sie es nicht gekonnt. Das einzige Mittel, mimisch ihre Gefühle zu äußern lag darin, hektisch mit der Zunge über die Zahnreihen zu fahren und das wiederum sagte bei ihr gar nichts aus, weil sie es nahezu permanent tat. Das war recht ungewöhnlich für ihre Art und so war beinahe jeder Atemzug begleitet von leisem Knacken, Quietschen und Knirschen. Einige würden es als seltsam ansehen, aber bei ihrem Stamm war es mehr als nur eine Unsitte, es war selbst für eine Echsenartige eine hochgradig dämliche Marotte. Wo sie auch hockte oder lief, verrieten sie ihre schmatzenden Geräusche schon von weitem.
Einzig ihr Jähzorn war es, dem sie ihr bisheriges Leben verdankte. Wer so wütend werden konnte, der könnte überleben, aus dem könnte noch was werden. Aus ihr wurde aber schlichtweg gar nichts als eine hektische Erscheinung ihrer Art, die durch die Gegend schmatzte und dösiger war als der gesamte Stamm zusammen.
Rituale waren den Aquadil, wie die Echsenartigen sich nannten, heilig. Wer sich dort beweisen konnte, der bekam seinen Platz zugewiesen, wer nicht, der verlor jedwedes Anrecht auf irgendwas. Sie wusste, dass ihre Zeit sehr nahe war. Sie war sich nicht ganz sicher, weil sie oft vergessen hatte, die Mondphasen zu zählen, aber irgendwann demnächst würden sie sie mit den Trommeln wecken, sie packen und prüfen. Dass sie zu denen gehörte, die bei dieser Geschichte das Zeitliche segnen würden, das stand selbst für sie außer Frage. Sie musste weg. Statt sich um die Larven zu kümmern, wie sie gesollt hatte, war sie also einfach losgestapft. Eine Rast war längst überfällig, aber sie war sich nicht sicher, ob sie nicht zu viel Schilf auf ihrem Weg gebrochen hatte, nicht zu oft Spuren hinterlassen hatte.
Tage vergingen, Wochen verstrichen. Sie war noch immer niemandem begegnet, aber ihre Reserven waren mehr als erschöpft. Würde sie nicht bald wieder ein Sumpfgebiet oder ähnliches finden, würde sie vor demselben Problem stehen, vor dem sie geflohen war: sie würde sterben. Nachdem ihr diese Erkenntnis gekommen war, hatte sie ihre Geschwindigkeit wieder erhöht und immer häufiger traf sie Reisende auf dem Weg. Sie alle waren aber wohl Zauberer, denn sobald sie nahe genug heran war, verschwanden sie in einem Gewabber aus Luft. Dass sie halluzinierte, begriff sie nicht. Sie begriff es auch nicht, als ihr Häuptling vor ihr stand und meinte, sie habe das Ritual bestanden und könne schlafen, jetzt, wo es um sie dunkel wurde...
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"Was gibts denn gegen Gulasch zu sagen?"
"Nix gibts gegen Gulasch zu sagen."
"Ja also!"
"Nee!"
"Wie nee? Ich dachte, wir wären uns jetzt einig?"
"Hab ich nicht gesagt."
"Du hast gesagt, es spricht nichts gegen Gulasch."
"Ja und?"
"Ja, dann machen wir jetzt welches. Ich hab Hunger."
"Ich auch, aber...Nee!"
"Wie nee? Du hast doch gerade gesagt..."
Sie hatte noch nie von Gulasch gehört, aber es schien sich um etwas Essbares zu handeln. Sie hatte Hunger, großen Hunger sogar.
"Gulasch.", murmelte sie und sah sich um. Jede Bewegung schmerzte und sie war kaum fähig, sich zu rühren. Das Gespräch verstummte, aber lautes Lachen drang zu ihr vor. Wer war da? Sie versuchte, sich aufzusetzen.
"Nix!", sagte jemand und klatschte mit irgendwas vor ihre Brust, so dass sie zurückfiel. Sie stöhnte, aber zu mehr war sie nicht fähig.
"Gulasch?", schmatzte sie und wieder ertönte dieses Lachen. Wieder wandte sie den Kopf zur Seite und jetzt erkannte sie verschwommen Gestalten, eine Menge, ein Dutzend vielleicht.
"Stillhalten!", befahl jemand und etwas Hartes und Rundes wurde gegen ihre Schläfe gepresst und zwang ihren Kopf wieder in die Ausgangslage. Ein leises Knurren entfuhr ihr und mit der letzten Kraft, sie sie mobilisieren konnte, wollte sie den Gegenstand beiseite drücken. Irgendwas hielt sie jedoch fest, sie konnte ihre Arme nicht anheben. Dann wurde es wieder dunkel, nur der Häuptling war nicht da so wie beim letzten Mal.
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"Ey!", zischte es. Da wieder: "Ey!"
Sie regte sich vorsichtig, öffnete die Augen. Den Kopf zu wenden traute sie sich nicht schon wieder.
"Ah, lebst ja doch noch. Dacht´ ich mir.", flüsterte es und mit einem Handgriff klappte jemand ihren Unterkiefer runter. Sie wollte sich wehren, nicht tatenlos zulassen, was die Stimme da auch immer wollte, aber dann spürte sie es in der Kehle: Wasser! Wie aus der Hölle kriechend schluckte sie das Nass hinunter, öffnete das Maul, wieder und wieder.
"Mann, du säufst ja wie ein Pferd!", raunte die Stimme mit unverhohlener Bewunderung. "Hör zu, ich mach dich los, wenn du dich benimmst, aber du darfst keine Faxen machen und musst dich nachher auch wieder anbinden lassen, klar?"
Sie verstand nur die Hälfte, aber es klang gut, also nickte sie. Jemand ergriff ihre linke Hand und hob sie an, sie konnte sich also wieder bewegen! Sie versuchte es mit der rechten Hand, mit den Füßen....und setzte sich auf. Sie erkannte, wer ihr da geholfen hatte, ein Mensch, weiblich, ein ganz kleines Exemplar.
"Hast du Hunger?", fragte sie sie.
"Gulasch?", antwortete sie sofort und das Mädchen lachte.
"Mann, kannst du überhaupt sprechen oder was? Du hast das gar nicht geschnallt mit dem Gulasch, oder? DU bist das Gulasch!"
"Gulasch?", fragte sie erstaunt und schüttelte energisch den Kopf.
"Naja, wie auch immer, ich mach dir einen Vorschlag: Ich komm jeden Tag zwei Mal her und sehe zu, was ich für dich mitbringen kann, damit es dir besser geht. Ich mach´ dich dann auch los immer, aber bis du wieder völlig okay bist, mach ich dich auch wieder fest später. Aber du musst aufpassen, dass Greygoar nicht merkt, dass du wieder auf die Füße kommst, verstehst du?"
Einen Augenblick lang schaute die Aquadil fragend, dann kam es über ihre nicht vorhandenen Lippen: "Warum?"
Das Mädchen zuckte die Schultern.
"Greygoar ist´n Arsch. Der macht hier den großen Macker und letztlich kümmert es ihn doch einen Scheiß, wie´s uns geht. Ich hab gehört, die von deiner Sorte sind so richtig stark, oder? Also wenn du wieder klar bist, dann zeigste dem mal, wer richtig gut ist und setzt ihn außer Gefecht. Das traut sich hier keiner, aber du bist stark genug. Wenn du gewinnst, kannst du soviel Wasser haben, wie du willst und gehen und wir haben unsere Ruhe. Wenn du cool bist, kannste vielleicht auch bleiben, mal sehen, was die anderen dann so meinen. Wenn nicht, hast eh nix verloren - wir aber auch nicht. Kapierste das?"
Sie schien einen Augenblick nachzudenken, dann nickte sie. Sie fühlte sich noch immer kraftlos und geistig nicht ganz auf der Höhe, aber das war sie ja sowieso noch nie gewesen. Die Gesten des kleinen Menschen waren aber so ausufernd gewesen, dass sie auch darin schon die Absichten hatte ablesen können.
Das Mädchen kam wirklich jeden Tag. Anfangs hatte die Aquadil gedacht, sie käme nicht mehr, weil sie die ganze Sache doch nicht ganz begriffen hatte. Jedenfalls protestierte sie, wenn das Mädchen sie am Ende der Besuche sie wieder anbinden wollte, aber dieses Menschenkind war geduldiger, als man hätte glauben mögen. Sie schien große Hoffnungen in die Aquadil zu setzen und mit jedem Tag wuchs deren Bestreben, diese auch zu erfüllen, um ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen.
Die Zeit verging und die Aquadil wurde immer kräftiger. Eines Tages dann war es soweit. Das Mädchen hatte einen Spieß an ihrem Lager gelassen und ihr die Fesseln nur umgelegt, nicht aber festgebunden. Wie alle paar Tage kam Greygoar an ihr Lager, um sie zu piesacken.
"Na, immer noch Bock auf Gulasch, olle Echse?", grinste er ihr ins Gesicht. "Scheint dir ja gut zu bekommen der Urlaub bei uns. Wenn du noch nen bisschen mehr davon hast, lohnt sich das Gulasch wenigstens, hrhrhr."
Sie regte sich nicht. Erst, als er sich in der Hocke nach hinten drehte, um nach etwas zu greifen, reagierte sie blitzschnell. Mit einem Handgriff hatte sie den Spieß in der Hand und sprang auf. Noch im Sprung hieb sie ihn in die Seite und Greygoar kippte um.
"Jetzt mal wollen gucken, wo haben besser Gulasch!", rief sie wütend und stach den Spieß in seinen Oberschenkel. Er schrie und griff an sein Bein, aber da hatte sie den Spieß schon genüsslich umgedreht und einen Fetzen Fleisch aus ihm gerissen.
"Hüfte auch gut!", kündigte sie an und riss ihm im selben Augenblick ein Stück aus selbiger.
"Oder du mögen gut gewachsenes Schulterstück?", lautete ihre nächste Frage und sie stach zu.
Ihr Spiel war brutal und sie achtete darauf, ihn nicht zu töten. Stück für Stück nahm sie ihn buchstäblich auseinander und häufte sein Fleisch neben sich auf. Die Lache seines eigenen Blutes um Greygoar herum wurde immer größer und irgendwann verstummte sein Schreien und wich einem Röcheln. Lange hätte er ihr Spiel nicht mehr aushalten können, als sie sich verschätzte und eine Arterie traf. Hellrotes Blut schoss aus seiner Leiste und verfärbte das Lager, auf dem sie so lange Zeit gelegen hatte, das Holz der Wände rundum. Es dauerte nicht einmal mehr eine Minute und Greygoar war still und würde auch nie wieder etwas anderes sein als das.
Mit strahlendem Gesicht löste sich das Mädchen aus einer Nische, aus der sie das Schauspiel betrachtet hatte.
"Willkommen zu Hause!"
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"Was gibts denn gegen Gulasch zu sagen?"
"Nix gibts gegen Gulasch zu sagen."
"Ja also!"
"Nee!"
"Wie nee? Ich dachte, wir wären uns jetzt einig?"
"Hab ich nicht gesagt."
"Du hast gesagt, es spricht nichts gegen Gulasch."
"Ja und?"
"Ja, dann machen wir jetzt welches. Ich hab Hunger."
"Ich auch, aber...Nee!"
"Wie nee? Du hast doch gerade gesagt..."
"Ja, hab ich gerade gesagt. Ja, hast ja Recht, also Gulasch. Dann mach mal Feuer oder was. Ich hol in der Zeit Wasser."
"Wasser?"
"Ja, ich kipp das dem hier über den Kopf."
"Wieso das denn? Hömma, wir haben da nicht unendlich viel von!"
"Weiß ich, aber das macht zartes Fleisch - oder willst du lieber auf Leder rumkauen?"
"Nee..."
"Ja also!"
Schritte polterten, irgendwas wurde gestapelt. Kurz darauf wurde die Luft noch heißer als schon zuvor, etwas knackte und sie war sich sicher, dass es nicht von ihren Kiefern herrührte. Plötzlich klappte jemand mit einem Handgriff ihren Unterkiefer runter und Wasser rann ihre Kehle hinunter. Gierig schluckte sie das ersehnte Nass runter, soweit sie es vermochte. Sie öffnete die Augen, aber sie konnte nichts sehen, alles war in milchiges Gelb getaucht. Sie versuchte, sich zu bewegen, aber es gelang ihr nicht.
"Scheiße, vonwegen Kadaver! Ich hab ja sofort gesagt, dass der noch zuckt!"
Die Stimmen waren sehr tief, es waren Männer, zwei verschiedene.
"Na, was macht unser Gulasch?"
Es waren Drei, verbesserte sie sich.
"Alles klar, Greygoar, geh pennen, wir wecken dich dann schon."
"Gute Idee, genau. Ich geh schlafen und ihr macht die Arbeit, wie sich das gehört.", lachte der Dritte auf und entfernte sich mit schallendem Lachen.
"Ey!", zischte einer der anderen. "Ey! Hör zu, wir machen es wie besprochen, oder?"
Sie hörte niemanden antworten.
"Noch ein bisschen, bis er richtig weggeratzt ist, und dann gehst du rüber und schlitzt ihn auf. Greygoar ist´n Arsch. Der macht hier den großen Macker und letztlich kümmert es ihn doch einen Scheiß, wie´s uns geht. Außerdem hortet er alles nur für sich. Wenn er hinüber ist, dann teilen wir das Zeug ordentlich auf und dann essen wir erstmal, oder?"
Wieder keine Antwort.
Zeit verging, sie hörte Schritte, die sich entfernten. Kurz darauf meinte sie, ein blubberndes Röcheln zu hören. Die Schritte kamen kurz darauf zurück und waren wieder in alter Lautstärke zu hören. Nein, etwas lauter, sie klangen triumphierend.
"Mann, hast du gesehen, wie das gespritzt hat? Ich wusste gar nicht, dass das spritzt. Ich dachte immer, das läuft langsam am Hals runter oder so."
"Ja, du hast halt keine Ahnung. Außerdem muss man das schon ordentlich machen, wie ich eben."
Ein Klopfen war zu hören, von einem Lachen begleitet.
"Ja, du bist echt ein Held, mein Freund! Du hast das Land von einem Idioten befreit und uns beide zugleich reich gemacht. Jetzt Gulasch?"
"Ja, jetzt Gulasch."
Ein Augenblick Stille, dann hörte sie etwas Metallisches. Dann plötzlich raste ein Schmerz durch ihren Körper, von ihrer Seite durch ihren Oberkörper bis hin zu ihrem Kopf. Sie schrie, so laut sie konnte, aber ihre Reserven waren zu erschöpft, es kam nur ein heiseres Quietschen aus ihrer Kehle.
"Ich will auch so einen Brocken!", sagte einer der Männer und kurz darauf durchzuckte der Schmerz sie auch am Oberschenkel.
Sie hörte den Puls in ihren Ohren rasen, riss wütend die Augen auf, aber sah immer noch nur das milchige Gelb. Verzweifelt versuchte sie sich aufzurichten, aber ihre Glieder wollten ihr einfach nicht gehorchen und dann spürte sie einen Fremdkörper in der Schulter, der sie am Boden förmlich festnagelte und ihr jede verbliebene Chance nahm.
"Lass uns erstmal probieren - oder hast du sowas schonmal gegessen?"
"Nee, hab ich nicht....mhhmh, erstaunlich gut! Sogar richtig zart, hätte ich nicht gedacht!"
"Tja, ich hab ja gesagt, dass das mit dem Wasser eine gute Idee ist, oder?"
Sie fühlte, dass Wärme sie umgab, flüssige Wärme um sie herum. Es dauerte, bis sie begriff, dass es ihr Blut war.
"Also lecker schon, aber ich hab schon noch Hunger. Mach mal noch ein paar Stücke fertig!...Mach nochmal so ein Seitenstück, da ist besonders gut Fett dran."
Der Schmerz war wieder in der Schulter, er riss durch ihr Fleisch hindurch, irgendwas mit einem Widerhaken. Dann spürte sie dort nur noch ein Sickern und der Fremdkörper war verschwunden. Der Schmerz war jedoch nicht verschwunden, sondern traf sie nun an der anderen Seite, diesmal auch in viel heftigerem Ausmaß.
Sie röchelte leise, langsam war das milchige Gelb ihres Sichtfeldes nur noch milchig und die Farbe schwand aus ihrem Blick.
Als der Spieß sie in die Leiste traf, tat es schon gar nicht mehr weh. Der milchige Ton ihrer Aussicht wandelte sich in waberndes Grau, aus dem sie einmal mehr ihren Stammeshäuptling treten sah. Mit ihm kam die Dunkelheit und verschleierte ihre Augen immer weiter. Das Letzte, das sie wahrnahm im Leben, das war diese Halluzination, die zu ihr sprach:
"Willkommen zu Hause!"