gullywärts reisen

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Tula

Mitglied
gullywärts reisen

Besuchst du sie in ihrer Welt, fällt
dir alsbaldig auf, sie sind dort sicher
in der Überzahl. Was logisch scheint, wer lauter
schreien kann, der wird erhört.

Sie stemmen sich erfolgreich gegen den Strom
und fesseln noch jeden, der an ihre Ufer treibt.
Gewissermaßen Bit für Bit, bis auch die
letzte Nase nicht mehr durchschaut.

Sie sind zwar weitaus kleiner als
ihre Mäuler, doch beherrschen sie die Gesetze
der Optik tadellos. Sie reflektieren gern
sich selbst und werden furchtbar groß dabei.

Neulich zum Beispiel, da rief einer: Lasst uns
Stürme entfachen! – Doch meinte er
in der Tat
Türme.

Genau darin liegt wohl ihre Stärke: Aussichten
zu verhindern.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24479

Gast
lieber Tula,
ein typischer tulatext. gefällt mir sehr gut.
liebe grüße
charlotte
 

Tula

Mitglied
Liebe charlotte
Freut mich, vor allem wenn etwas 'Tula-Typisches' wahrgenommen wird, immerhin kämpfen alle Dichter stets mit dem Gespenst stilistischer Vereinnahmung irgendwelcher Vorbilder.

Sonnige Grüße
Tula
 

sufnus

Mitglied
Hi Tula!
Eine wirklich sehr schöne Anknüpfung an den Swiftschen Reisebericht. Ist der hier als erstes der (geniale) Titel eingefallen und dann das Gedicht dazu oder wars umgekehrt?
Gespannt bin ich hier natürlich, ob Du persönlich bei den Liliputbewohnern an ganz bestimmte Soziotopbewohner:innen gedacht hast (und ob Du auflösen willst, welche das waren). Die Stärker des Gedichts ist natürlich, dass hier beinahe jeder seine eigenen Antagonisten hineinprojizieren kann.
Ich lese es als Portrait der Dummheit, dieser Conditio humana, die mich mehr als jeder andere Aggregatzustand des Menschlich-Allzumenschlichen um meine Ruhe bringt, natürlich deshalb, weil ich Anteile von mir darin wiederfinde, die ich gerne nicht in mir trüge.
LG!
S.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24479

Gast
wir kämpfen zurecht, lieber Tula. schon der prediger wusste: es gibt nichts neues unter der sonne.
aber doch gibt es eine eigene art, das zu sagen. und eine art auszuwählen. und das bist du!
liebe grüße
charlotte
 

Tula

Mitglied
Lieber sufnus
Du hast mich durchschaut; ich habe im Text, so gut es eben ging, offen gehalten, 'wen genau' ich meine, nicht zuletzt um mir den Vorwurf der Einseitigkeit zu ersparen. Natürlich geht es um Dummheit im weiteren Sinne. Etwas spezifischer: um Debatten auf Stammtischniveau in den sozialen Netzen und anderswo, um kleine Geister mit großen Mäulern, die unheimlich viel von sich halten und 'laut schreien' (im übertragenen Sinne, d.h. auch mit Hinsicht auf aggressive Sprache und Unsachlichkeit schlechthin) mit 'recht haben' verwechseln.
Eine subtile Spur habe ich allerdings gelegt:

Sie stemmen sich erfolgreich gegen den Strom

Nichts gegen originelles Querdenken in der ursprünglichen Definition, aber dieser Vorwurf querverrenkter Kleingeister, die dir nach den absurdesten Argumenten und Verzerrungen der Tatsachen ihrerseits das 'Mainstream-(nicht-)Denken' als Herabwürdigung an den Kopf werfen, ist schon ziemlich ernüchternd, gelinde ausgedrückt. Dass es in der Regel nicht um konstruktive, sondern destruktive (siehe das Abfackeln der Türme) Debatten und Argumentationsweisen geht, wird bei genauerer Betrachtung offensichtlich. Die Strategie beruht darauf, die Glaubwürdigkeit anerkannter Quellen zu zerstören, einschließlich wissenschaftliche Erkenntnis und ihre anerkannten Vertreter. Das erreicht, wird gestrickt und gewoben bis keine Nase mehr durchsieht, in bildlicher Anlehnung an Gullivers Schicksal.

Aber von Aluhut-Fetischisten mal abgesehen, macht sich die 'moderne Streitkultur' eigentlich vielerorts bemerkbar, in hysterischen Debatten über gesellschaftlich wichtige Themen, shit-storms wegen Schokokeksen usw. Ehrlich gesagt macht das vor keiner politischen Ecke halt. Da zieht man schnell ins Gefecht, auch wenn es um nicht mehr geht als die bessere Seite, um ein Ei aufzuschlagen.

Herzlichen Dank für Kommentar und Sternchen und Grüße aus dem Süden

Tula
 

Tula

Mitglied
Obrigado charlotte!
Das hast du jetzt treffend und aufmunternd formuliert. Oder im kulinarischen Vergleich: dasselbe Gericht, aber doch mit einer Prise vom eigenen Gewürz. Gelingt nicht immer, aber man sollte es als Chef der eigenen Kreation stets versuchen.

In diesem Sinne nochmals
Herzlichen Gruß

Tula
 



 
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