Gut, dass wir über die Liebe geredet haben

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Kolja

Mitglied
Mit 16 oder 17 lag ich das erste Mal mit einem Mädchen im Bett – und damit wir auf jeden Fall miteinander schlafen und sie sich dabei nicht schlecht fühlt, habe ich zu ihr gesagt, dass ich sie liebe. Das war eine beschissene Idee. Es war sofort vorbei, ich verstand nichts, nur, dass ich einen Fehler gemacht habe. Manchmal denke ich, dass ich nur aus Fehlern lerne. Was, wenn das wahr ist?

Jetzt bin ich 24 und da gab es Ana und Marie und Cloé – und um ganz ehrlich zu sein noch ein paar mehr und ich habe jedes Mal sehr viele Fehler gemacht und die lieben waren so großzügig darüber hinwegzusehen oder sie haben mich verlassen. Irgendwann sind wir auf jeden Fall alle wieder getrennte Wege gegangen, das ist ja auch ganz normal. Wenn man gerade nicht mit irgendwem zusammen ist, hat man sich offensichtlich von allen, mit denen man mal zusammen war, getrennt. Das weiß ich ganz sicher. Viel mehr weiß ich aber nicht und das ist ein Problem. Warum eigentlich? Weil ich nicht alleine sein will. Stimmt. Das war einfach. Verdammt.

Katalina und ich sitzen auf einem Stück Rasen mitten in der Stadt und gar nicht weit von uns halten Autos und fahren dann wieder los.

„Ich weiß nicht, ob ich dich liebe.“, sage ich zu ihr.

„Ich auch nicht.“, sagt sie schnell. Es klingt ein bisschen nach Rache, so als hätte ich sie angegriffen und sie will jetzt sofort das Feuer erwidern. Aber das wird jetzt keine Schlammschlacht und auch kein Buschbrand. Wir sind beide keine lauten Menschen – wir sind zwei kleine Teelichter, die jetzt ein bisschen flackern – und so sagen wir jetzt erst mal nichts und schauen uns fragend an. Aber da ist kein Plan im Gesicht des anderen. Also warte ich weiter ab und sie auch. Ich mag sie. There was definitely some magic – was auch immer das heißt, auf jeden Fall steh ich auf sie und der Sex war großartig… da waren aber auch hundert Missverständnisse und Unsicherheiten, Bedenken und Zweifel, ihr Exfreund von dem sie andauernd erzählt hat, und bei mir Luisa, von der ich ihr nichts erzählt habe. Wir haben irgendwie die Richtung verloren und Katalina hat jetzt beschlossen, dass wir mal reden müssen. Ich fand das gut, definitiv ein Schritt in irgendeine Richtung und hatte mir vorgenommen einfach ehrlich zu sein.

„Also“, sage ich, „Ich fühl mich gut mit dir.“

„Ja.“

„Ich fand‘s echt toll und ich würde dich auch gerne wieder treffen.

„Ja.“

„Übermorgen zum Beispiel, ne… da war irgendwas… dann vielleicht Donnerstag.“

„Ja.“

„Jetzt sag doch auch mal was.“

Was.“

„Sehr witzig.“

„Was willst du denn?“

„Was willst du denn?“, fragt sie zurück.

„Ich habe zuerst gefragt.“, sage ich.

„So kommen wir nicht weiter.“

„Ja…“

Ich will mich nicht von ihr trennen. O Gott… wenn wir uns jetzt trennen, wir haben doch noch nie… oder…

„Wollen wir nicht lieber bei mir weiterreden? Hier ist so… ist es so laut.“

„Ja.“

Wir laufen stumm Hand in Hand zu mir, das ist ganz nah und ich fühle mich, als hätte mir jemand auf der Wiese einmal so richtig in den Magen geschlagen und mit diesem Gefühl muss ich jetzt über eine viel zu hohe, viel zu wackelige Holzbrücke laufen, aber es ist doch nur ein Bürgersteig aus massivsten Steinplatten und dann eine Straße aus schwarzem, warmen Asphalt.

-----------------

Meine Zimmertür geht hinter uns zu und ich muss Katalina umarmen und ich umarme sie – ganz fest. Dann weiß ich nicht mehr, ob ich das überhaupt noch darf und will meine Umarmung lockern, aber sie drückt sich genauso fest an mich und ich umarme sie wieder ganz doll und wir küssen uns. Wir können nicht aufhören und ich will sie anfassen, berühren – vielleicht ist es das letzte Mal! Sie fühlt sich so gut an. Ich streiche ihren Rücken hinunter, küsse ihren Hals. Ist das eine gute Idee? Gib mir ein Zeichen. Ich glaube, sie ist genauso unentschlossen... Ich sage nichts. Sie sagt nichts. Wir küssen uns wieder.

Ach Katalina… wenn sie einen Raum betritt, dann will ich immer gleich aufstehen und meinen Hut abnehmen. Ich trage natürlich keinen Hut. Aber sie ist einfach eine Dame. Eine Dame, die das Pech hat im Laissez-faire-Berlin zu leben und sie versteckt sich hinter Schlabberpullis und kaputten Turnschuhen, aber heimlich guckt sie Kostümfilme und ich finde das nicht ok! Ich fordere hiermit eine Subkultur für Damen und noch genauer – denn natürlich gibt es genug Subkulturen für Damen – ich fordere eine Subkultur für schüchterne Damen, die sich nicht trauen neue Subkulturen zu entdecken! Denn das ist Katalina auch, schüchtern und dazu noch voller Ideale, gefangen zwischen so vielen Anforderungen… da ist z.B. das Ideal nicht auf das Äußere zu achten und da ist ihre Schwäche für schöne Sachen…

-----------------

Natürlich haben wir dann miteinander geschlafen – und so liegen wir jetzt nackt und eng umschlungen auf meinem Bett.

„Erzählst du mir deine Geschichte?“, frage ich sie. „Ich weiß eigentlich nur von deinem Exfreund, aber was war davor?“

„Ach… ich hatte nicht viel Glück.“ Sie sagt es mit einer merkwürdigen, alten Stimme. Diese Stimme habe ich noch nie zuvor von ihr gehört. Sie löst sich von mir und dreht sich auf den Rücken. Ich bewege mich kein bisschen und bin absolut stumm.

„Mein erster Freund hat mir nach zwei Wochen gesagt, dass das gar nicht so ernst ist für ihn. Ich war 16 und schrecklich verliebt. Für mich brach alles zusammen… Dann – da war ich 19 – hab ich Gregor kennen gelernt. Gregor war sehr ruhig, sehr vorsichtig und Gregor wusste nie, was er wollte. Er hat immer gesagt, er braucht Zeit und immer, immer musste ich zu ihm fahren. Ich habe ewig gehofft, dass sich das irgendwann mal ändert, dass das irgendwann mal besser wird… Aber das hat sich nie geändert und ich war irgendwann so fertig und als ich mich mal wieder bei einer Freundin ausgeheult habe, hat sie zu mir gesagt, manche brauchen 10 Jahre um sich zu trennen. Da habe ich Angst bekommen, richtig große Angst und habe sofort Schluss gemacht. Danach… ach das waren auch keine guten Jahre – bis ich Andi kennen gelernt habe.“

„Dein Exfreund?“

„Ja. Das war schön. Zum ersten Mal hat mir jemand aufrichtig gesagt, dass er mich liebt – und ich habe mich ihm sofort um den Hals geworfen. Wir haben uns sehr, sehr geliebt… wir wollten alles voneinander… und hatten keine Ahnung, wie das gehen soll. Wir sind dann ganz schnell zusammen gezogen – das war ein riesengroßer Fehler. Alles war so voller Missverständnisse und wir haben nie über irgendwas geredet, es sollte ja alles von alleine perfekt sein, aber alles wurde jeden Tag nur schlimmer. Ich glaube, wir hatten echt gedacht, zusammen ziehen würde alle Probleme lösen… Wie bescheuert! Ich habe dann über eine Therapie nachgedacht. Aber Andi war zu keiner Therapie bereit. Ja und dann wusste ich nicht weiter – ich glaube, wir waren einfach zu doof, wir wollten alles auf einmal oder alles anders machen oder… ach ich weiß es nicht… ich weiß ja nicht mal, wer sich dann von wem getrennt hat, komisch oder? Ich glaube, ich habe mich von ihm getrennt, aber er sieht das vielleicht anders. Es war einfach nur noch schrecklich.“

Sie hört auf zu sprechen und schaut in die Vergangenheit.

Dann seufzt sie und dreht sich dann zu mir.

„Und du?“

„Ich mache immer alles falsch.“

„Nein. Das glaube ich nicht.“

„Doch, doch.“

„Nein.“, sagt sie und streichelt meine Hände. Dann fange ich an zu erzählen.

„Mit 17 hatte ich meine erste Freundin. Ich war so unglaublich verliebt und unsere Liebe war alles für mich. Ich hatte solange von Liebe und einer Freundin geträumt, dass ich mich in dieser Beziehung völlig aufgegeben habe. Ich wollte ihr einfach jeden Wunsch zu erfüllen, noch bevor sie überhaupt selber von diesem Wunsch wusste. Ihr wurde das alles irgendwann zu viel und sie hat sich getrennt. Danach hatte ich lange keine Beziehung. Ich wollte es so unbedingt und hatte immer das Gefühl, ich darf das nicht zeigen. Deshalb hatte ich nur ab und zu kurze Beziehungen mit Frauen, die ich nicht wirklich mochte, bei denen mir ganz natürlich ganz leicht gefallen ist, ihnen nicht gleich beim zweiten Treffen meine Liebe zu gestehen – Gott mir ist das so peinlich gerade.“

Ich schaue Katalina an und sie streichelt meinen Unterarm und ich kann gar nicht glauben, dass ich ihr das erzählt habe. Das habe ich noch nie jemandem erzählt. Nicht mal meinem Tagebuch.

„Es ist dann besser geworden.“, sage ich. „Ein bisschen wenigstens. Ach eigentlich ist es nicht besser geworden. Mit Marie war ich ein fast ein Jahr zusammen, es hat irgendwie geklappt, sie hat gesagt, wo es lang geht und wie wir was wann wo machen und alles war klar und geordnet. Wir hätten noch 50 Jahre so weiter machen können. Dann hat sie Ajo kennen gelernt und wir haben uns nie wieder gesehen. Ein Teil von mir, war vielleicht sogar froh, dass es vorbei war, aber ich war auch wieder alleine und ich war schon so oft und so viel alleine…“

„Du suchst“, sagt sie, „wir alle suchen – weißt du wenigstens, was du suchst?“

„Ich will mich verlieben. In die große Liebe. Natürlich – und du?“

Ich schaue sie an.

„Wer nicht?“, sagt sie.

„Vielleicht will ich zu viel?“

Sofort denke ich, das hätte ich nicht sagen sollen. Denkt sie jetzt, dass sie ganz ok ist, aber eben nicht die eine? Eine gute zweite Lösung? Katalina es tut mir leid! Bitte denk das nicht. Ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß es eben nicht. Was soll ich dir da sagen? Wenn ich doch nur wüsste, was ich jetzt sagen könnte – aber ich weiß es nicht. Also sage ich nichts – noch so ein komisches Ideal: Wenn man nichts weiß, dann sagt man besser nix – und Katalina sagt auch nichts und irgendwann setzt sie sich auf die Bettkante. Eigentlich liebe ich den Moment, wenn sie sich wieder anzieht. Das ist so sie. Jede Bewegung ist ein kleiner Einblick in die Katalina, die alleine und unbeobachtet lebt… und dann kommt da noch ein Tropfen Traurigkeit von mir dazu, dass ich das vielleicht zum letzten Mal beobachte. Ich stehe schnell auf und ziehe sie an mich.

„Weißt du, ich glaube, ich könnte mich in dich verlieben.“, sage ich.

Sie lächelt und küsst mich ganz leicht unter mein rechtes Auge.

„Ich könnte mich auch in dich verlieben.“, sagt sie.

Und dann schauen wir uns an; lange; sehr lange; zu lange. Und dann küssen wir uns noch einmal lieb und höflich und kurz und wir wissen, wir haben einen guten Bekannten mehr auf der Welt. Komische Welt.
 
Hallo Kolja,

die Geschichte gefällt mir außerordentlich gut. Obwohl sie eigentlich nicht den klassischen Aufbau hat. Oder vielleicht gefällt sie mir gerade deshalb. Zwei noch nicht frisch Verliebte erzählen sich von alten Lieben und verbauen sich damit ihre neue. Die hätte schön werden können... Der Schluss ist herrlich:

.
Und dann schauen wir uns an; lange; sehr lange; zu lange. Und dann küssen wir uns noch einmal lieb und höflich und kurz und wir wissen, wir haben einen guten Bekannten mehr auf der Welt. Komische Welt.
Ja, sich einfach nur zu verlieben, ohne nachzudenken, wäre ja zu einfach gewesen...

Außerdem gefällt es mir, dass die Geschichte atmosphärisch stimmig ist:

Ach Katalina… wenn sie einen Raum betritt, dann will ich immer gleich aufstehen und meinen Hut abnehmen. Ich trage natürlich keinen Hut. Aber sie ist einfach eine Dame. Eine Dame, die das Pech hat im Laissez-faire-Berlin zu leben und sie versteckt sich hinter Schlabberpullis und kaputten Turnschuhen, aber heimlich guckt sie Kostümfilme und ich finde das nicht ok! Ich fordere hiermit eine Subkultur für Damen und noch genauer – denn natürlich gibt es genug Subkulturen für Damen – ich fordere eine Subkultur für schüchterne Damen, die sich nicht trauen neue Subkulturen zu entdecken! Denn das ist Katalina auch, schüchtern und dazu noch voller Ideale, gefangen zwischen so vielen Anforderungen… da ist z.B. das Ideal nicht auf das Äußere zu achten und da ist ihre Schwäche für schöne Sachen…
Da meint man, man steht mit im Zimmer und sieht Katalina vor sich. Wunderbar.

Schöne Grüße
SilberneDelfine
 

John Wein

Mitglied
Hallo Kolja,
Prima Geschichte! Alles plätschert wie ein Bach flüssig (haha!) dahin, ohne großen Tiefgang, leicht und locker erzählt; also mehr eine Erzählung, würde ich meinen. Ich habe es gern gelesen!
Gruß, John
 
Hallo Kolja!
Ich bin bei Liebesgeschichten immer skeptisch, weil sie so schnell auch in den Kitsch abwandern. Nach dem Motto, alles wird schön. Kriegen sie sich oder nicht.
Das heißt nicht, das ich keine Liebesgeschichten mag. Deine war mal anders. Eine schöne, realistische Geschichte, über die Unsicherheit, Fehler und Ängste die Liebe bringen kann. Eine Freundschaft ist dabei vielleicht nicht der schlechteste Beginn. Gut ausgedrückt, gut geschrieben.
 



 
Oben Unten