Gutes Menschenbild

van Geoffrey

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Gutes Menschenbild

Nichts in der Welt lässt einen Mann ruhiger schlafen als ein schönes, ehrbares Bild, dass er sich von seinen Mitmenschen macht. Sie erscheinen ihm gut, weil er selbst gut ist und das verleiht seinem Leben Glanz und Ruhe. Er lebt in seiner eigenen vollendeten heilen Welt.

Und so ist es auch mein Vorsatz mit einem solchen schönen Menschenbild naiv wie ein Huhn und ohne großen Tiefsinn zu leben. Ich ergründe nicht das Böse im Menschen, sondern lasse es getrost verhüllt und lebe damit behaglich.

Freilich kann es sein, dass ich mich dann am Ende meines Lebens betrogen sehe. So könnte es sein, dass die alten, treuen Begleiter der Menschheit, Galgen und Guillotine, die keinesfalls suspendiert sondern nur beurlaubt waren, wieder ihre Tätigkeit aufnehmen, und ihre Dienstbarkeit an meinem Hals üben werden, weil ich einmal im Dienste der Wahrheit meinen Mund nicht halten werde können. Dann werde ich die Rechnung meiner heiteren Stunden um ein Geringes korrigieren und ein paar Dutzend abziehen müssen, in welchen meine naive Weltsicht erschüttert wird und ich im Herzen denken muss: „O weh! So ist der Mensch also doch kein reiner Engel und selbst zu mörderischer Gerichtsbarkeit an einem Unschuldigen fähig. Weh mir – so habe ich mein Leben in Unwissenheit um die wahre Natur des Menschen zugebracht.“

Und doch meine ich, dass meine Rechnung auch in diesem ungünstigen Fall positiv bleibt. Ich wäge ein Leben mit einer behaglichen Illusion gegen ein paar Stunden bitterer Gedanken an dessen Ende, und finde das Tortenstück meines Lebens süß und lecker. Den bitteren letzten Bissen wollte ich der Welt gütigst verzeihen. Soll ruhig mein Kopf ins Körblein purzeln und soll eine Jungfrau – aber bitte eine echte! – zwei Tränen in die Trauer um einen hoffnungslosen und zuletzt bekehrten Naivling investieren.

Und damit soll es dann genug sein.
 



 
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