Haba d'Ehre...

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Vagant

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Haba d‘Ehre...

[ 4]Ich erinnere mich noch gut an diesen lausigen Janauarabend, als ich gegen neun Zuhause aufbrach und zur ‚Babbelstubb‘ wegging, queer durch die halbe Stadt, zu Fuß, weil ich keinen Schein für den Bus übrig gehabt hatte, und ich dann, als ich dort angekommen war, in der Tür stand, meine Jacke ans Brett gehangen hatte und den alten Wiener am Tresen stehen sah; und so wie er dort stand, und mich, noch am Hakenbrett stehend, angesehen hatte, mit diesem sparsamen Blick aus diesen wässrig-müden Augen, so trübe wie zwei Lachen auf dem Pflaster eines gottverlassen Hinterhofs, da schien es mir, als unterscheide er sich in nichts von einem der Arbeiter, die müde, unrasiert und mit ein paar traurigen Resten Dreck und Schmiere unter den Nägeln, von einer langen, harten Schicht für ein schnelles Bier kommen; obwohl ich wusste, dass der alte Wiener seit Ewigkeiten keinen Finger mehr krumm gemacht hatte, und sich nun hier, über all die Jahre, mehr schlecht als recht durchs Leben schlug. Und so stand er dort, wärmte sich die rechte Hand an einem Kaffebecher, zupfte sich mit der anderen in einem weg am Ohrläppchen und redete pausenlos auf Betty, die Wirtin, ein.

[ 4]Ich nickte ich ihm beim Vorrübergehen kurz zu.
[ 4]„Nuo do schau, de Schurli! Oida, wos tuat si?“, sagte er leise.
[ 4]„Muss ja. Und bei dir so?“, habe ich ihn gefragt; und als ich ihn ansah, bemerkte ich, dass sich da irgendwo in seinem Gesicht ein kleiner Muskel verhärtet hatte, kaum wahrnehmbar und wohl nicht mehr als eine winzige Veränderung, und man musste den Alten schon lange und gut gekannt haben, um sie bemerken zu können.
[ 4]„Woast eh...“, nuschelte er, „i bin grod an bissl oam Sand, oba jetzt is oba wenigstns ana do, der mi ausereisse tut, viellacht hoast du ja moi an Funffer fur‘n poar Glotte un an Hüsn fur mi."
[ 4]„Is‘ knapp vorm Zahltag, Wiener“, sagte ich „hab‘ selbst grad nüscht auf Tasche."
[ 4]„A koam, Schurli, du koanst mi doch net so aufrenna lossn, i woas doch, dass du an Orsch voll Göld hoast.“
[ 4]Ich schüttelte den Kopf.
[ 4]„Hoast denn wenigstns moi an Tschick fur mi?"
[ 4]Ich suchte in der Hosentasche nach dem Päckchen, klopfte ihm eine Handvoll Zigaretten aufs Resopal und bat Betty, uns zwei Kurze zu einzuschenken.
[ 4]Er griff hastig nach dem Haufen und ließ ihn in der Manteltasche verschwinden. Nachdem Betty den Schnaps auf dem Tresen gestellt hatte, griff er zu, nahm sich die Zeit für ein kurzes Glasheben und murmelte: „haba d‘Ehre.“ Dann kniff er seine müden Augen zusammen und leerte das Glas in einem Zug; und so wie er nun so dort stand, das Glas auf der Lippe liegend, auf den letzten Tropfen wartend, die Lider wie zwei schwere, violettmelierte Jalousien auf den Jochbeinen ruhend, da schien es mir fast, als befände er sich nun an irgendeinem entfernten Ort; eine Art inneren Ort der irgendwo dort hinten verborgen zu sein schien und an den er sich nun zurückgezogen hatte; und vielleicht haben wir ja alle irgendwo so eine Art Ort, dachte ich, einen verborgenen Platz im Inneren, an den wir wieder und wieder zurückkehren mussten, zum Warten und zum Hoffen, weil wir dort unsere Geschichte für uns selbst aufbeahrten; und vielleicht hoffte der Alte ja nun dort auf einen dieser letzten, schwachen Ruderschläge, dachte ich, auf diesen einen Ruderschlag, der ihn nun wieder aus dem Tag treiben würde, so, wie ihn dieser eine Ruderschlag am Morgen in ihn hieneingetrieben hatte; vielleicht war er aber auch nur unsagbar müde.
[ 4]Als der Alte die Lider wieder gehoben hatte, war mir, als wäre es nun für einen Moment einen Deut heller in der Schankstube geworden, und für einen kurzen Augenblick schien es fast so, als läge nun der matte Schein einer besonderen Art von Licht auf dem Resopal der Tische, so stumpf und matt wie das Blau von Mondlich auf einem akurat gestutzten Stück Rasen; und dann, in diese Licht hinein, sagte der Alte: „I putz mi nu ham, haba d‘Ehre, d‘Herrn... un mochts mi kane Sperenzln!“, und ging ohne sich noch einmal umzusehen zur Tür hinaus.

[ 4]Wenn jemand geht, so geht, wie an jenem Abend der Wiener gegangen ist, dann würde man ihm gern noch etwas zustecken, einen Schein vielleicht, ein paar Zigaretten für den Weg, oder ihm auf die Schulter klopfen und sagen „Mach‘s gut“. Ich hätte dem Wiener an jenem Abend gern nachgewunken, hatte es aber aus irgendeinem Grund gelassen; und so waren wir nun, die Betty, die Jungs vom Skattisch und ich, in einer ganz komische Stimmung, als wir drei Wochen später am Grab des Alten standen, umweht von den stillen und unangenehm kalten Worten irgendeines Psalms: ...und du, Herr, bist gnädig; denn du vergiltst einem jedem, wie er‘s verdient hat‘; und ich kann es nun auch nicht mehr so genau benennen, aber es schien mir fast so, als wollte uns der Alte nun noch irgendetwas abschwatzen: einen Schnaps vielleicht, ein paar Zigaretten oder vielleicht nur so etwas wie Absolution; eine Art Absolution, die wir ihm aber nicht geben konnten; denn die Frage, die wir ihm nun hätten stellen können, ob er denn sein Leben nun noch nachträglich ändern würde, wenn er es denn könnte, die konnte ihm wohl niemand aus unsere Runde ruhigen Gewissens stellen; denn erstens, kann er all dies nun ohnehin nicht mehr tun, und zweitens, stellen ja immer nur die Leute diese Fragen, die am Ende auch nur eine Rechtfertigung für sich sich selbst suchen, weil sie halt selbst dieses oder jenes in ihrem Leben in den Sand gesetzt hatten; und so gingen wir nach einer schnellen Zigarette und einem kleinen Fernet wortlos zum Ausgang.
[ 4]„A schön‘ Leich‘ geht anders“, sagte Betty als wir uns am Tor voneinander verabschiedeten, und wir nickten schweigend; und dann schlug jeder von uns den Weg ein, auf dem er gekommen war.
 

Vagant

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Alberta,

Danke fürs Lesen und Kommentieren. Ja natürlich, Lider statt Lieder. Ich hab's umgehend geändert.
Wollte ich noch irgendwas zum Text sagen? Ich denke, 's ist alles gesagt. Vielleicht soviel: das war der erste und einzige Text, den ich auf einem Tablet getippt habe. Die Androidkorrrktur kann einem den letzten Nerv rauben. Vielleicht sind deswegen da die 'Lieder' noch so durchgerutscht.

LG, Vagant.
 



 
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