Hackordnung

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Sammis

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Als ich um kurz vor acht zur Baustelle kam, standen sie schon da. Zwei große Kerle Ende zwanzig. Einer mit zu viel auf den Rippen, der andere mit rasierten Seiten und Zöpfchen am Hinterkopf.
Ich stieg aus und grüßte: „Morgen!“
Der mit der eigenwilligen Frisur kam näher, streckte mir die Hand entgegen: „Karol!“
Ich schlug ein: „Heinrich!“
„Maxi“, sagte der andere ohne mir die Hand zu reichen.
„Habt ihr den Plan bekommen?“, fragte ich und nickte in Richtung des gefalteten Papiers in Maxis Hand.
„Sieht so aus“, antwortete er in einem Ton, der mir missfiel.
Er begann den Plan zu entfalten, aber ich winkte ab: „Passt schon, wollte nur wissen, ob ihr ihn bekommen habt.“
„Ja, klar“, warf Karol ein, „achtzehn Paneele hier auf der Ostseite und zwölf hinten.“
„Genau“, sagte ich, „aber auf der Westseite rücken wir raus bis zum Ortgang, wegen der Verschattung durch den Kamin.“
Karol folgte mir um den Rohbau nach hinten. Ich zeigte nach oben und er nickte.
Maxi blieb stehen, drehte sich eine Kippe und rauchte.
Auf halbem Weg zurück rief ich nach ihm: „Maxi!“
Schwerfällig kam er zu uns.
„Das Gerüst auf den Giebelseiten kommt heut noch weg“, begann ich. „Die streichen noch und bauen dann ab.“
Beide sahen nach oben.
„Wie gesagt, mir müssen raus bis zur Dachkante, wenn das ein Problem ist, müssen wir selber was stellen.“
„Nö“, meinte Karol, „passt schon! Haben wir schon schlimmer gehabt, was?“ Er grinste und stieß Maxi mit dem Ellbogen in die Seite.
„Lass den Scheiß!“, fauchte der und Karol zupfte an seiner Jacke und lachte: „Was los, Dickerchen? Schlecht geschlafen?“
„Ach, fick dich!“, zischte Maxi, wandte sich ab und ging zum Transporter, mit dem ich gekommen war.
„Passt das für dich?“, rief ich ihm nach.
„Bestens! Kein Problem!“, kam es zurück.
„Was ist denn mit dem?“, wollte ich von Karol wissen.
„Ah“, machte er und winkte ab. „Der passt, der macht sein Zeug schon!“
„Na, dann“, sagte ich und wir gingen ebenfalls zurück.
„Ich bin mal so frei und sag an!“, meinte ich und zog die Schiebetür auf. „Karol und ich zeichnen an, und du bringst schon mal Werkzeug und Material hoch!“
„Okay“, kam es von Karol. Maxi lehnte gegen die Beifahrertür und schnippte die aufgerauchte Zigarette weg; kommentarlos griff er sich zwei Maschinenkoffer.
Mit Kreide und Maßband stiegen wir über das Gerüst aufs Satteldach. Wie sich herausstellte, war Karol Pole und Maxi sein Schwager.
Wir vermaßen die Dachfläche und markierten die Ziegel, die bearbeitet werden mussten. Maxi legte alles bereit und steckte die Ersatzakkus am Baustromkasten an.
„Wer flext und wer mit Haken montiert, könnt ihr unter euch ausmachen“, sagte ich und schnitt mit dem Cuttermesser den ersten Karton auf.
„Schnick, Schnack, Schnuck?“, fragte Karol an Maxi gewandt und hob die rechte Faust vor den Körper.
„Ich flex“, meinte Maxi und machte sich sogleich daran, die Trennscheibe vom Winkelschleifer zu wechseln.
Zwanzig Minuten lang arbeiteten wir ohne groß zu quatschen.
„Wo kommst du her?“, fragte ich Karol irgendwann; nicht weil es mich interessierte, einfach um die Zeit zu verkürzen.
„Gdynia“, antwortete er, „gleich bei Danzig.“
„Und warum bist du jetzt hier?“
„Maxis Schwester!“ Er grinste.
Ich sah zu Maxi runter. In einem Nebel aus Staub und Zigarettenrauch schnitt er Ziegel auf dem Gerüst.
„Wieso ist der so scheiße drauf?“, wollte ich von Karol wissen und er meinte: „Keine Ahnung.“
„Maxi!“, rief er nach unten, „warum bist du so scheiße?“ Karol lachte und sah mich an. Ich schnaubte, schüttelte den Kopf und arbeitete weiter.
„Wie alt bist du?“, wollte Karol dann wissen.
„Fünfundfünfzig.“
„Bist du verheiratet? Kinder?“
„Ja, mein Sohn –“
„Fuck!“, schrie Maxi, dann verklang das Kreischen des Winkelschleifers.
„Was ist los?“, rief ich nach unten und klemmte den Schlagschrauber hinter die Dachlatte vor mir. Karol machte sich sogleich auf den Weg, lief trittsicher über die Pfannen und sprang über die Dachrinne auf den Gerüstboden.
„Lass sehen!“ Mit beiden Händen griff er nach Maxis Kopf.
„Nimm deine Griffel weg!“, keifte der und schlug Karols Hände beiseite. Mit dem Handballen rieb er übers linke Auge.
„Nicht reiben!“, sagte Karol.
Maxi drehte ihm den Rücken zu und nuschelte irgendwas von wegen: „Lass mich in Ruh, ich brauch deine Hilfe nicht!“
„Alles okay?“, erkundigte ich mich von oben.
„Ja“, antwortete Maxi und streckte den erhobenen Daumen über den Kopf.
„Da is ne Schutzbrille im Koffer“, sagte ich, „die könnte man aufsetzen!“
Maxi blinzelte missmutig nach oben und kramte sie heraus.
„Gib her!“, befahl Karol und riss ihm die Brille aus der Hand. „Ich mach hier weiter!“
Maxi starrte ihn an und streckte die offene Hand aus.
„Du bist so ein sturer Sack!“, zischte Karol und gab sie ihm zurück.
Maxi wandte sich um und stellte den Winkelschleifer wieder an.
Gegen zehn stapelten die Maler unter uns Farbeimer neben dem Gerüst. „Hey!“, rief einer von ihnen, „Dreck nicht gut!“
„Wo fangt ihr an?“, fragte ich ihn, und bedeutete Maxi, mit dem Flexen aufzuhören.
„Dreck!“, wiederholte er und deutete mit einer Kelle auf die Staubwolke, die der Wind ums Haus trieb.
„Wo?“, fragte ich noch einmal und zeigte zuerst zur südlich gelegenen Giebelseite und dann nach Norden.
„Alles!“, kam es zurück und ich gab auf.
Karol lachte und stieg vom Dach. Auf dem Gerüst angekommen beugte er sich darüber und sprach mit dem Mann. Ich verstand kein Wort.
Nach kurzem kehrte er zurück.
„Die müssen erst noch abkleben und fangen dann auf der Nordseite mit dem Streichen an. Wenn der Wind so bleibt, kann Maxi vorerst da stehen bleiben.“
Es ärgerte mich, dass er mich hat auflaufen lassen; zudem fühlte ich mich übergangen.
„Maxi, Maxi!“, rief er nach unten, „flexi, flexi!“
Maxi starrte ihn an und setzte sich ruckartig in Bewegung. Er kam das Dach heraufgestürmt und baute sich vor Karol auf. Der wich zurück und geriet dadurch verdammt nahe ans Dachende.
Maxi stieß ihm den Zeigefinger vors Gesicht: „Ich frag das nur ein Mal! Warst du Samstag Nacht bei Katrin?“
„Leute“, mischte ich mich ein, „kommt da weg!“ Ich drehte mich zu ihnen und geriet außer Balance. Zwar fing ich mich, aber mir entglitt der schwere Schlagschrauber. Das Ding schepperte über die Ziegel und verschwand hinter der Dachkante.
Danach erinnere ich nicht mehr viel. Die beiden stürmten sogleich nach unten und ich setzte mich auf eine Dachlatte. Ich hörte die Schreie des Malers, das Durcheinander der fremden Worte, und blieb einfach sitzen.
Auf dem Rohbau gegenüber saß eine Krähe neben dem dürren Gestrüpp auf der Firstpfette. Eine Kralle fixierte die Überreste eines Nagers, der Schnabel riss ihm die Eingeweide raus.
 



 
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