Liebe Märchenhexe,
das ist das Geheimnis eines Haiku: Er muß zu Deinen Ausführungen anregen, also genug "Zwischenraum" lassen für das eigene Empfinden, sozusagen ein "Flow of Thinking" auslösen, einen Gedankenfluß. Wenn das hier gelungen ist, dann war das Haiku nicht "vergeblich", dann hat es das erreicht, wofür es geschrieben wurde: seinen Leser anzustoßen und anzurühren.
Du hast auch das "kidai" und das "kigo" entdeckt. Das Jahreszeitenwort ist im Kirschbaum versteckt, er ist ein Bild für den Frühling, verdoppelt durch den Einzug der Blaumeisen, die zugleich das "kidai" sind. In der Tat ist der Frühling schon fortgeschritten, denn der Kirschbaum ist alt und nach der Blüte erst kann man sehen, wer da im Kirschbaum wohnt, wenn der Sommer schon näher kommt, wo die kleinen Meisen das Nest schließlich verlassen und das Fliegen lernen.
Naturhaikus wie dieser Leben von der Erkenntnis des immer Wiederkehrenden, das ebenso beruhigend wie entmutigend ist. Es reduziert den Menschen auf einen Augenblick im Ganzen. Er kommt aus der Natur und geht in ihr auf, vergißt nur zu gerne während seines Lebens, daß er immer ein Teil dieser Natur bleibt, auch wenn er meint, sie zu beherrschen.
Danke für Deine Gedanken und alles Gute für Dich.
Gruß W.