Arno Abendschön
Mitglied
Immer wieder diese Konkurrenz Hamburg – Berlin … Mit neunzehn erstmals an die Spree gekommen, wollte ich auch nach Hamburg – und verzichtete dann weise, unweise auf den zweiten Teil der Reise und blieb in Berlin, erst für den Rest des Urlaubs, dann auf Dauer, wie ich damals glaubte. Nur dort schien mir das Leben vielversprechend, lebenswert.
Hamburg sah ich erstmals drei Jahre später flüchtig aus dem Fenster einer S-Bahn vom Hauptbahnhof nach Altona, wo der Zug nach Sylt abfuhr. Die Alster kaum wahrgenommen, die Häuserblocks vom Schienenstrang meist weggerückt – blasses, fernes Bild der Stadt, auf die ich nicht neugierig war. Bald wollte ich fort aus West-Berlin – wehe, einer schrieb: Westberlin! und ich hatte seine Begrenztheit schon gründlich satt -, entweder nach München oder nach Köln. Hamburg war nicht mal dritte Wahl. Aber dann …
… verliebte ich mich unglücklich und fuhr an die Elbe, Spitz auf Knopf im Liebeskrieg, ach! nur ein Scharmützel. Strom und Hafen nahm ich kaum wahr. Wohl aber die zyklopische Mönckebergstraße mit Kaufhausburgen, zwischen denen rotweiße Spielzeugtrams in rascher Folge dahinsurrten, und eine Villa in Othmarschen - er war Student und Untermieter bei einem älteren Drachen. Zwei Abende auf dem Balkon, wir starrten in blauschwarzer Dämmerung auf die verschwimmende Blütenpracht der Gärten - dann war’s vorbei. Halt: vorher noch Teetrinken im Blankeneser Witthüs, recht öde. Hätte ich Hans Henny Jahnn schon gelesen, hätte ich mir da im Hirschpark was imaginieren können.
Dann jahrelang ab und zu ein Wochenende in Hamburg verbracht, ohne dem Genius loci näherzukommen. Nur Nächte in St. Georg, von erregend bis langweilig und folgenlos zum Glück.
Das Entscheidende damals geschah in Berlin, nicht in Hamburg, aber darüber nichts weiter - die Figur des Ich-Erzählers erweist sich als Fiktion, indem alles authentisch ist, doch Zentrales meist verschwiegen wird. Jedenfalls zog ich eines Tages an die Elbe und lebte da fast zwei Jahrzehnte, mal mehr, mal weniger zufrieden; meistens weniger. Berlin – seine Geselligkeit - fehlte mir anfangs sehr, dann vergaß ich es fast vollständig. Am glücklichsten war ich in Hamburg, als ich einmal zermürbt und verstört aus New York zurückkam: was für eine gut funktionierende normale norddeutsche Großstadt – deren breit hingelagerte, Urbanität nur vortäuschende Bräsigkeit ich auf Dauer dann doch nicht ertrug. Also zog ich aufs Land, wurde Fernpendler, zwölf Jahre lang, und bemühte mich erfolglos, noch ein guter Kleinstädter zu werden. Hamburg, das war jetzt nicht mehr als zweimal täglich die Hetze des Umsteigens im viel zu engen Hauptbahnhof und immer derselbe Mittagsspaziergang in der Neustadt mit ihrem ewigen, lästigen Bauboom …
Erst im Ruhestand näherte ich mich dieser Freien und Hansestadt, wie es im Notardeutsch heißt, als gäbe es noch eine andere, wieder an. Ich war viel unterwegs in der Stadt, vor allem zu Fuß, auf den Spuren von Jahnn und auch von Hubert Fichte, wieder im Hirschpark, auch in Stellingen und in Lokstedt. Ich fand die Gräber der beiden Autoren auf dem Friedhof Nienstedten. Überhaupt waren mir lieber als das Zentrum die Vorstädte, zumal die ärmlichen: Harburg oder Billstedt.
Noch einmal musste umgezogen werden, so viel war klar. Nur wohin? Ich machte mir nichts mehr vor und sah die Dinge jetzt so an: Nur von Zufällen war mein Vagabundieren bestimmt gewesen. Meinen Lebensstil konnte ich fast überall praktizieren, es gab keine idealen Orte. So pragmatisch gestimmt, fuhr ich einmal auch wieder nach Berlin. Ich verglich eine Reihe von Städten untereinander und siehe da, unterm Strich sprach in der Quersumme aus Lebenshaltungskosten, Wohnungsmarkt, Infrastruktur und Wetter das meiste doch wieder für die Hauptstadt. Zwar waren die Unterschiede nur graduell, doch Hamburg war allenfalls dritte Wahl - immerhin (verglichen mit damals).
Ich nahm mir also eine Wohnung in Berlin und – aber das ist schon eine andere Geschichte.
Hamburg sah ich erstmals drei Jahre später flüchtig aus dem Fenster einer S-Bahn vom Hauptbahnhof nach Altona, wo der Zug nach Sylt abfuhr. Die Alster kaum wahrgenommen, die Häuserblocks vom Schienenstrang meist weggerückt – blasses, fernes Bild der Stadt, auf die ich nicht neugierig war. Bald wollte ich fort aus West-Berlin – wehe, einer schrieb: Westberlin! und ich hatte seine Begrenztheit schon gründlich satt -, entweder nach München oder nach Köln. Hamburg war nicht mal dritte Wahl. Aber dann …
… verliebte ich mich unglücklich und fuhr an die Elbe, Spitz auf Knopf im Liebeskrieg, ach! nur ein Scharmützel. Strom und Hafen nahm ich kaum wahr. Wohl aber die zyklopische Mönckebergstraße mit Kaufhausburgen, zwischen denen rotweiße Spielzeugtrams in rascher Folge dahinsurrten, und eine Villa in Othmarschen - er war Student und Untermieter bei einem älteren Drachen. Zwei Abende auf dem Balkon, wir starrten in blauschwarzer Dämmerung auf die verschwimmende Blütenpracht der Gärten - dann war’s vorbei. Halt: vorher noch Teetrinken im Blankeneser Witthüs, recht öde. Hätte ich Hans Henny Jahnn schon gelesen, hätte ich mir da im Hirschpark was imaginieren können.
Dann jahrelang ab und zu ein Wochenende in Hamburg verbracht, ohne dem Genius loci näherzukommen. Nur Nächte in St. Georg, von erregend bis langweilig und folgenlos zum Glück.
Das Entscheidende damals geschah in Berlin, nicht in Hamburg, aber darüber nichts weiter - die Figur des Ich-Erzählers erweist sich als Fiktion, indem alles authentisch ist, doch Zentrales meist verschwiegen wird. Jedenfalls zog ich eines Tages an die Elbe und lebte da fast zwei Jahrzehnte, mal mehr, mal weniger zufrieden; meistens weniger. Berlin – seine Geselligkeit - fehlte mir anfangs sehr, dann vergaß ich es fast vollständig. Am glücklichsten war ich in Hamburg, als ich einmal zermürbt und verstört aus New York zurückkam: was für eine gut funktionierende normale norddeutsche Großstadt – deren breit hingelagerte, Urbanität nur vortäuschende Bräsigkeit ich auf Dauer dann doch nicht ertrug. Also zog ich aufs Land, wurde Fernpendler, zwölf Jahre lang, und bemühte mich erfolglos, noch ein guter Kleinstädter zu werden. Hamburg, das war jetzt nicht mehr als zweimal täglich die Hetze des Umsteigens im viel zu engen Hauptbahnhof und immer derselbe Mittagsspaziergang in der Neustadt mit ihrem ewigen, lästigen Bauboom …
Erst im Ruhestand näherte ich mich dieser Freien und Hansestadt, wie es im Notardeutsch heißt, als gäbe es noch eine andere, wieder an. Ich war viel unterwegs in der Stadt, vor allem zu Fuß, auf den Spuren von Jahnn und auch von Hubert Fichte, wieder im Hirschpark, auch in Stellingen und in Lokstedt. Ich fand die Gräber der beiden Autoren auf dem Friedhof Nienstedten. Überhaupt waren mir lieber als das Zentrum die Vorstädte, zumal die ärmlichen: Harburg oder Billstedt.
Noch einmal musste umgezogen werden, so viel war klar. Nur wohin? Ich machte mir nichts mehr vor und sah die Dinge jetzt so an: Nur von Zufällen war mein Vagabundieren bestimmt gewesen. Meinen Lebensstil konnte ich fast überall praktizieren, es gab keine idealen Orte. So pragmatisch gestimmt, fuhr ich einmal auch wieder nach Berlin. Ich verglich eine Reihe von Städten untereinander und siehe da, unterm Strich sprach in der Quersumme aus Lebenshaltungskosten, Wohnungsmarkt, Infrastruktur und Wetter das meiste doch wieder für die Hauptstadt. Zwar waren die Unterschiede nur graduell, doch Hamburg war allenfalls dritte Wahl - immerhin (verglichen mit damals).
Ich nahm mir also eine Wohnung in Berlin und – aber das ist schon eine andere Geschichte.